Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

ITALIEN/006: Generalstreik gegen "Blut und Tränen" (Gerhard Feldbauer)


Italien - Generalstreik gegen "Blut und Tränen"

Droht Rom das Schicksal Athens?

von Gerhard Feldbauer, September 2011


Die von dem faschistoiden Mediendiktator Silvio Berlusconi, reichster Kapitalist des Landes, betriebene parasitäre und von einem beispiellosen Klientelismus geprägte Politik hat Italien ins derzeitige Wirtschaftschaos geführt. Rom droht das Schicksal Athens. Wenn zum Beispiel 37 Milliarden Euro an Steuereinnahmen fehlen, ist zu sehen, dass der Regierungschef persönlich zahlreicher Steuerhinterziehungen und des illegalen Kapitaltransfers beschuldigt wurde. Mit einem gigantischen Sparpaket von über 90 Milliarden Euro sollen die Krisenlasten jetzt auf die arbeitenden Menschen, auf die Armen und Ärmsten abgewälzt werden. Mit Notverordnungen soll nach den Vorgaben aus Brüssel (Maastrichtvertrag) das Haushaltsdefizit von zu Jahresbeginn 9,3 Prozent auf drei gedrückt und bis 2013 ein "ausgeglichener" Haushalt hergestellt werden.

Gegen den neuen Raubzug hat Italiens größte Gewerkschaft CGIL für den 6. September zu einem landesweiten achtstündigen Generalstreik aufgerufen. Der Appell hat eine seit langem nicht gekannte Zustimmung gefunden. Er wird von Einzelverbänden, darunter die kampfstarke FIOM (Metallarbeiter), den Basisgewerkschaften COBAS, sozialen Zentren und Einrichtungen, den kommunistischen Parteien PRC, PdCI, und der 2006 entstandenen kommunistischen Arbeiterpartei (PCL) sowie der Linkspartei "Umwelt und Freiheit (SEL) unterstützt. Der SEL-Vorsitzende, der Ministerpräsident von Apulien, wo noch eine der wenigen Mitte Links-Regierungen existiert, Nicola Vendola, nannte den Generalstreik als "wichtigstes Kampfmittel" der "stattfindenden Klassenkämpfe". PRC-Sekretär Paolo Ferrero erklärte, es werde "der härteste Generalstreik in der Geschichte" sein. Die beiden anderen Gewerkschaften, die vor allem zur linksliberalen Demokratischen Partei (DP) neigende CISL und die katholische UIL lehnen eine Teilnahme ab. Von ihrer Basis kommt jedoch vielerorts Zustimmung. Aus ganz Italien werden Tausende Teilnehmer an der Protestdemonstration in Rom erwartet. Kundgebungen sind in allen großen Städten angesagt. Führende Kapitalkreise haben Berlusconi bereits fallengelassen (siehe " Beiträge vom 13. und 26. Juli 2011 [1]). Sein Ende in den nächsten Monaten ist gewiss, der Generalstreik könnte es beschleunigen, wie es bereits im Dezember 1994 einmal der Fall war.


Bürgermeister gegen Ruin ihrer Gemeinden

Die Ausgaben für die Städte und Gemeinden sollen um neun Milliarden Euro gesenkt, 34 von 110 Provinzen aufgelöst werden, Gemeinden unter 1000 Einwohnern mit anderen fusionieren. 50.000 Kommunalmitarbeiter werden ihren Arbeitsplatz verlieren. Das bedeutet weniger Kinderkrippen, neue Abstriche im Gesundheits- und Sozialwesen. Die Kürzungen würden viele Kommunen in den Ruin treiben. Zugleich soll dadurch der in den Provinzen und Kommunen noch beträchtliche Einfluss von Mitte Links zurückgedrängt werden. Dagegen protestierten in Rom, Mailand, Turin und zahlreichen weiteren Städten Tausende Bürgermeister. Der Vizepräsident des Verbandes der italienischen Kommunen ANCI, Mauro Guerra, sprach von einer "Attacke gegen die demokratische Beteiligung der Bürger am öffentlichen Leben". In Mailand gingen 600 Stadtoberhäupter der Gemeinden der Region auf die Strasse, an ihrer Spitze Giuliano Pisapia von der SEL, der im Juni die Wahl gegen den Kandidaten Berlusconis gewann. In Turin führte der Bürgermeister und frühere DP-Vorsitzende, Pier Fassini, die Proteste an. Pisapia forderte, "nicht die Gemeinden, sondern der Zentralstaat muss seine Ausgaben reduzieren". Der Regierungschef attackierte die Opposition als "kriminell und antiitalienisch". Während laufender Korruptionsermittlungen gegen ihn wurde bekannt, dass er Italien "ein Scheißland" nannte, das er in einigen Monaten verlassen wolle.

Unter dem Druck der Bürger, aber auch aus Angst vor Wählerverlusten beteiligten sich Bürgermeister der Lega Nord an den Protesten. Ohne das Sparpaket in Frage zu stellen, meldete Umberto Bossi, Vizepremier und Chef der Rassistenlega, Korrekturen an. Berlusconi laviert und wollte von einer 2-prozentigen Erhöhung der Mehrwertsteuer (derzeit schon 20 Prozent) absehen. Das und andere Zusagen, Nachbesserungen vorzunehmen, sind demagogische Manöver, denn es bleibe, wie Paolo Ferrero entgegnete, dabei, die Krisenlasten auf die Arbeiter und die Rentner abzuwälzen, während die Reichen, die Großverdiener und die Steuerhinterzieher verschont werden. Keinerlei Abstriche werden auch an den derzeit 20 Milliarden Euro Militärausgaben jährlich, darunter für den Kriegseinsatz in Afghanistan, vorgenommen, ebenso an den Privilegien des Vatikans, dem jährlich drei Milliarden Euro zufließen. Nach Unternehmerprotesten ist auch die geplante sogenannte "Solidaritätssteuer" von 10 Prozent auf Besserverdienende mit einem Jahreseinkommen über 150.000 Euro zurückgenommen worden, dafür sollen Migranten höher besteuert werden. Jüngsten Nachrichten zufolge beläuft sich das Sparpaket inzwischen sogar auf 104 Milliarden Euro. Die Confindustria bezeichnete es dennoch als "unzureichend". Mit einem Appell, Regierung und Opposition sollten gemeinsam "baldmöglichst die Antikrisendekrete verabschieden" ist Staatspräsident Giorgio Napolitano, Exkommunist und Exlinksdemokrat, den zum Streik entschlossenen Arbeitern in den Rücken gefallen. Unter dem Druck der öffentlichen Proteste musste die Streichung bzw. Verlegung auf einen Sonntag des 25. April (Beginn des Aufstandes gegen den Faschismus 1945), des Ersten Mai und des Nationalfeiertags am 2. Juni (1946 Sturz der Monarchie) zurückgenommen werden.


Gegen Sozialpaktkurs

Vor dem Ausstand haben scharfe Auseinandersetzungen über die von der CISL und UIL mit den Unternehmern betriebene Sozialpakt-Politik begonnen (siehe "Wie die Gewerkschaftseinheit in Italien zerschlagen wurde"[2] ). Dieser Kurs erhielt Auftrieb durch die Haltung der 2007 aus einer Fusion der exkommunistischen Linkspartei mit dem katholischen Zentrum hervorgegangenen Demokratischen Partei als größter Oppositionskraft der bürgerlichen Mitte. Schon im Wahlkampf 2008 verkündete die DP einen "demokratischen Pakt zwischen Arbeitern und Bourgeoisie". Und dabei bleibt es bis heute. DP-Vorsitzender Luigi Bersani nannte "den Generalstreik ohne die CISL und UIL einen Irrtum". Gleichzeitig traf er sich mit Berlusconis Wirtschaftsminister Tremonti zu einem "Kolloquium", um einen Ausweg aus der Wirtschaftskrise zu erörtern. Diese von der DP betriebene Politik führte am 28. Juni 2011 zu einem Abkommen der Gewerkschaften mit dem Industriellenverband Confindustria, in dem im Rahmen sogenannter Reformen des Arbeitsrechts der Artikel 8 des Arbeitsgesetzes zur Disposition gestellt wurde. Der Artikel untersagt es bisher den Unternehmern, sich mit den "politischen, religiösen oder gewerkschaftlichen" Aktivitäten der Arbeiter zu befassen oder aus solchen Gründen das Arbeitsverhältnis zu beenden. Damit wurde auch der Kündigungsschutz in Frage gestellt. Diesem Abkommen schloss sich auch die CGIL an, was auf heftige Kritik ihrer Basis stieß. In diesem Zusammenhang irritiert auch, dass PRC und PdCI für den Sturz Berlusconis und um danach bei Wahlen wieder ins Parlament zu kommen, ein Bündnis mit der DP schließen wollen. Allerdings begrüßte es die "Liberazione", dass die CGIL mit dem Generalstreik mit der "Linie des Dialogs" mit der Confindustria breche, während die DP der Beseitigung des Artikel 8 bereits zugestimmte habe. An der Basis wird gefragt, ob PRC wie auch PdCI mit dieser Partei des Verrats der Arbeiterinteressen tatsächlich in den Wahlkampf ziehen wollen.


Schon jetzt unvorstellbares Elend im Süden

Unvorstellbare Auswirkungen drohen mit dem von Berlusconi zynisch "Blut- und Tränen" genannten neuerlichen sozialen Kahlschlag den Ausgegrenzten vor allem im Mezzogiorno, dem Armenhaus des Landes. Das Elend, das im Süden jetzt schon herrscht, lässt sich kaum noch beschreiben. 29,4 Prozent Jugendliche unter 24 Jahren sind ohne Arbeit. In der Industrie verloren 2008/9 über 100.000 ihren Arbeitsplatz, was die Arbeitslosenzahl auf 1,7 Millionen ansteigen ließ. Das waren 20,6 Prozent mehr als 2007. Von denen, die eine Arbeit hatten, war jeder fünfte schwarz beschäftigt. 30 Prozent lebten an der Armutsgrenze, während es im Norden "nur" zehn Prozent waren. 17 Prozent konnten den Strom nicht bezahlen, 21 Prozent keine Heizkosten, jede fünfte Familie hatte kein Geld für einen Arztbesuch. Während das Bruttosozialprodukt insgesamt 2009 um 1,5 Prozent sank, waren es im Süden 4,5 Prozent. Die meisten der über 200.000 Italiener, die sich in einer hoffnungslosen sozialen Lage befinden, leben im Süden.

Das Sparpaket gibt den Forderungen der Confindustria Auftrieb, die Tarifverträge und den Kündigungsschutz generell aufzuheben und die Gewerkschaftsrechte drastisch einzuschränken. Unter Berlusconi wurden die Tarifverträge bereits durch befristete Arbeitsverträge ausgehebelt, Lohnsenkungen dergestalt verwirklicht, dass Arbeiter mit dem Versprechen, sie wieder einzustellen, gezwungen wurden, in Entlassungen einzuwilligen. Die Wiedereinstellung erfolgte dann mit niedrigeren Löhnen und weniger Rechten, z. B. beim Kündigungsschutz. Für Tarifkonflikte ernannte Berlusconi sogenannte Collegato Lavoro (Schiedsrichter), die verhindern, dass die Beschäftigten vor Arbeitsgerichten klagen können. Jetzt droht weiteren 225.000 Arbeitern die Entlassung.


Linke Metaller beziehen Klassenkampfpositionen

Vor allem die FIOM geht, aktiviert von ihrer Gewerkschaftslinken, entschieden gegen diesen arbeiterfeindlichen Kurs vor. Im FIAT-Werk Pomigliano d'Arco bei Neapel protestierte die FIOM unlängst mit einem Streik gegen die Entlassung von Arbeitern, die Verlängerung der Arbeitswoche und die Verkürzung der Pausen (womit die 5000 Beschäftigten pro Tag 25 Autos des neuen Panda mehr herstellen sollen). Direktor Sergio Marchionne drohte daraufhin, wenn die Arbeiter und die Gewerkschaften das nicht hinnähmen, werde die Produktion nach Polen oder Kroatien verlegt. Die Entscheidung ist noch offen.

Der Führer der Gewerkschaftslinken in der FIOM, Giorgio Cremaschi, gleichzeitig Vorsitzender des Zentralkomitees der FIOM, der auch der Leitung der PRC angehört, machte vor dem Generalstreik deutlich, dass Gewerkschaftsspaltung und Sozialpaktstrategie mit dazu beigetragen haben, dass Berlusconi und die Unternehmer sich ständig verschärfende Maßnahmen des Sozialabbaus durchsetzen konnten. Um dem energisch entgegenzutreten, schlug er vor, "eine antikapitalistische Gewerkschaftsfront", unabhängig von den Parteien, an die sie sich anlehnen, zu schaffen und dazu für den 1. Oktober eine Versammlung aller Gewerkschaftsverbände einzuberufen. Ziel müsse sein, so Cremaschi, "eine tatsächliche und starke soziale Opposition" zu formieren, die dem Sozialabbau "auf einer linken Basis entgegentritt, um die Regierung Berlusconi zu stürzen".


[1] www.schattenblick.de → Infopool → Politik → Ausland → Italien
ITALIEN/003: Geht es mit Berlusconis zu Ende? (Gerhard Feldbauer)
ITALIEN/004: Regierungskrise in Rom spitzt sich zu (Gerhard Feldbauer)

[2] www.schattenblick.de → Infopool → Geisteswissenschaften → Geschichte → Memorial
MEMORIAL/022: So wurde die Gewerkschaftseinheit in Italien zerschlagen (Gerhard Feldbauer)


*


Quelle:
© 2011 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. September 2011