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LATEINAMERIKA/1094: Entwicklungsförderung in Guatemala (welt der frau)


welt der frau 6/2010 - Die österreichische Frauenzeitschrift

Entwicklungsförderung in Guatemala
Mädchen, lern was!

Von Christine Haiden


Das Hochland Guatemalas bezaubert durch eine wunderbare Landschaft. Fast könnte man übersehen, dass das Leben für die Frauen etliche Hürden hat. Die größte: keine Bildung.


Juana kann nicht lesen, aber sie bekommt fast jedes Jahr ein Kind. Beim neunten sei nun aber Schluss, sagt ihr Mann Diego. Von 750 Quadratmetern steinigem Grund lässt sich keine Familie ernähren. In der Küche des Hauses, einer einfachen Hütte mit gestampftem Lehmboden, köcheln Bohnen und Mais über dem offenen Feuer. Darüber räuchert Juana auf einem Bananenblatt ein dünnes Stück Fleisch. "Es gibt viele Tage, an denen ich nicht weiß, was ich kochen soll", sagt sie mit gesenktem Blick. Juana kann nicht lesen, nicht schreiben, und sie spricht auch kein Spanisch. Das Gespräch mit den Fremden führt ihr Mann. Sie bleibt mit dem jüngsten Sohn, den sie in einem warmen Wolltuch eng an den Körper gebunden hat, im Schatten des Hauses. Ein Bild, das Fremden überall in den Dörfern begegnet: Die Männer reden mit den Gästen. Sie haben den Feiertags-Sombrero je nach Hitze der Debatte leicht in den Nacken geschoben. Die Frauen hocken mit ihren Kindern im Schutz der Dachfirste. Auf offenen Feuerstellen backen sie Maisfladen. Schnell und wendig drehen sie die grauweißen Teiglinge in den Handflächen. Mit einfachen Stecken wenden sie die Tortillas auf den Backsteinen und halten sie dann in Körben, die mit Tüchern ausgeschlagen sind, warm. Die Männer essen zuerst. Viele fünf-, sechsjährige Mädchen schleppen Babys. Sie werden früh angelernt für ihr späteres Leben in den Dörfern des Hochlandes im Nordwesten Juana mit ihrer Familie. Die Söhne gehen zur Schule. Die Töchter folgen demnächst. Guatemalas. Kinder, Kochen, Arbeiten auf den Feldern. Durchkommen, irgendwie.


Kaffee und Mafia

Guatemala ist kein armes Land. Kaffee, Zuckerrohr, Bananen, ein verträgliches Klima, gut ausgebaute Hauptstraßen, es könnte schlimmer sein. Guatemala zeigt seine Probleme nicht im Schaufenster. Man muss als Fremde/r erst lernen, die Zeichen der Armut und der massiven Gräben zwischen den gesellschaftlichen Gruppen zu deuten. Die meisten Autos haben dunkle, undurchsichtige Scheiben. Man sieht nicht, wer im Auto sitzt. Pragmatisch betrachtet sind sie für viele Autofahrer eine Vorsichtsmaßnahme. Die Kriminalität im Land ist hoch. Die Wahrscheinlichkeit, überfallen zu werden, ebenfalls. Die dunklen Scheiben sollen Verbrecher verunsichern - keiner weiß, ob die Insassen nicht stärker bewaffnet sind als sie selbst.

Symbolisch betrachtet sind die dunklen Scheiben wie der unsichtbare Machtapparat, der Guatemala im Griff hat. Korruption der Behörden, kriminelle Machenschaften der herrschenden Klasse, der ungeheure Reichtum und Einfluss der Drogenhändler. Wer es sich leisten kann, lebt in Stadtteilen, die durch private Sicherheitskräfte und meterhohe Zäune von der Umgebung abgeschottet sind. 30 Jahre lang war der mittelamerikanische Staat im Bürgerkrieg. Die Verbrechen jener Zeit sind bis heute ungestraft. In vielen Menschen sind Angst und Misstrauen gegen den Staat eingebrannt. Wer etwa überfallen wird, rechnet gar nicht mit der Hilfe der Polizei.


Zu wenig zum Leben

Juana und Diego leben mit ihrer Familie in der Region von Quiché. Sie sind Indios, Nachfahren der Mayas. Zu Zeiten des Bürgerkriegs galten sie als Verbündete der Aufständischen. Tausende wurden brutal niedergemetzelt, ihre ärmlichen Dörfer abgefackelt. Auf steilen, steinigen Straßen kommen selbst starke Geländewagen nur mühsam voran. Die meisten Menschen sind ohnehin zu Fuß unterwegs, weichen vor den schweren Fahrzeugen in die staubigen Straßengräben aus. Wer etwas Geld hat, nimmt Platz in einem der Pick-ups, die in die nächste Stadt fahren. Zwei Euro nimmt der Fahrer dafür. Selbst eine Lehrerin verdient nur 210 Euro im Monat. Diego macht sich immer wieder auf den Weg und sucht Arbeit als Maurer. Viel verdient er dabei nicht, fünf Euro am Tag. Meistens geht sich zumindest das Schulgeld für die Söhne aus. Stolz zeigt er ein Foto. Ein junger Mann in T-Shirt in einem Zimmer, das eher studentisch wirkt. "Das ist unser ältester Sohn Pedro", sagt er stolz und nickt dabei, "er lebt in den USA." 18 Jahre ist der junge Mann. Wie Abertausende Guatemalteken ist er illegal nach Nordamerika eingereist. "Er hat ganz gut verdient, aber jetzt durch die Krise seinen Job verloren." Der Vater ist betrübt. Das, was der Älteste nach Hause schickte, hat das Überleben erleichtert. Jetzt ohne Arbeit und illegal, wie wird das weitergehen? Jedes Jahr werden Tausende aus den USA nach Guatemala abgeschoben. Wer arbeitslos wird, ist oft leicht gewonnen für kriminelle Handlangerdienste.


Frauen ohne Rechte

Juana ist erst 34 Jahre, Diego zählt 38. Wie machen sie das wirklich mit Familienplanung? Pedro weicht der Frage aus. Wie er auch ungern darüber redet, dass er und Juana nicht verheiratet sind. Es ist nur eine Lebensgemeinschaft. Sollte Diego es sich überlegen und seine Frau wegschicken, muss sie bei Gericht beweisen, dass sie aus der Lebensgemeinschaft Anspruch auf Unterhalt hat. Wer nicht lesen und schreiben kann, holt sich vermutlich ohnehin nicht seine Rechte. Gar nicht zu reden von der Gewalt, die viele Frauen aushalten müssen. Sie legt sich wie ein gewohntes Kleid über ihren Körper. Ob es in der nächsten Generation für die Frauen besser wird?


Söhne haben Vorrang

Juana hat drei Töchter. Sie gehen nicht zur Schule. Wenn das Geld knapp ist, haben die Söhne Vorrang. Gut vier Kilometer marschieren sie auf schmalen Saumpfaden rund um die vulkanischen Hügel zur Schule. Ein einfaches Gebäude mit drei Klassenräumen, das mit Spenden aus Österreich errichtet wurde. Die Katholische Männerbewegung nimmt sich mit ihrer Aktion "Sei so frei" besonders des Schulbaus an. Ambitionierte junge Lehrerinnen wie Florinselda de Santos vermitteln, dass Lernen Zukunft ist. Wenn sie die Schultaschen, bestückt mit Heften und Stiften, ausgeben, macht das auch skeptischen Eltern den Schulbesuch plausibel. Denn hätten sie die Kinder nicht auch zur Arbeit auf dem Feld gut brauchen können? In manchen Schulen macht man Eltern die Bildung ihres Nachwuchses schmackhaft, indem man zweimal die Woche kostenlos Schulessen ausspeist.


Eine Schule für die Elite

Einhundert Kilometer weiter in der Hauptstadt Guatemala City ein ganz anderes Bild. Eine große Schulanlage, mit Mauern umfriedet, durch Wachdienste gesichert. "Colegio Austriaco", die Österreichische Schule, Bildungschance für rund tausend Kinder. Eine Vorzeigeschule, deren LehrerInnen vom österreichischen Staat bezahlt werden. Rund 120 Euro berappen Eltern jeden Monat für eine gute Ausbildung ihrer Kinder. Manche können sich das nur unter Mühen leisten. Elitenbildung? Macht das Sinn in einem Land mit so vielen AnalphabetInnen? Hildegard Heilmann, Mathematikprofessorin mit österreichischen Wurzeln, bejaht. "Wenn der Staat sich nicht für seine Kinder interessiert, sollen sie bei uns eine Chance bekommen. Diese Kinder werden mit einem anderen Bewusstsein in die Welt gehen. Sie werden wissen, dass sie selbst etwas verändern können und nicht immer warten müssen, dass andere es für sie tun."


Was ist morgen?

Juana fegt derweil den Hof ihres Hauses. Sie macht die drei Betten, harte Brettgestelle, die zehn Menschen als Schlaflager dienen. Die wenige Kleidung ist über eine Wäscheleine im Elternzimmer geworfen. Im Raum daneben ein Korb mit abgenagten Maiskolben. Was wird sie morgen kochen? Plötzlich scheint Bildung wieder als Luxus. Der in Ländern wie Guatemala Frauen wie Juana erst ganz zuletzt zusteht?


Zum Land: Guatemala

Das mittelamerikanische Land zwischen Mexiko, Honduras und El Salvador war lange spanische Kolonie. Die indigene Mayakultur wurde weitgehend zurückgedrängt. Von 1965 bis 1995 war das Land in einen Bürgerkrieg verstrickt. Heute ist es eine präsidiale Republik. Rund 13 Millionen Menschen bewohnen ein Land mit zahlreichen Vulkanen, einem großen tropischen Regenwaldgebiet und einem ausgedehnten Hochland. Hauptstadt: Guatemala City, rund vier Millionen EinwohnerInnen. Neben der Landwirtschaft ist vor allem der Tourismus eine bedeutende Einnahmequelle.


MEHR SCHULEN FÜR DIE ARMEN
Die Katholische Männerbewegung Österreichs engagiert sich in Guatemala vor allem im Bau von Schulen. Aus Mitteln der Aktion "Sei so frei" werden Schulgebäude errichtet, Sportplätze gebaut, Schulausrüstung gesponsert, Schulessen ausgegeben und die Förderung landwirtschaftlichen Wissens angeregt.
Mehr Infos: www.seisofrei.at


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Quelle:
welt der frau - Die österreichische Frauenzeitschrift,
Juni 2010, Seite 32-35
mit freundlicher Genehmigung der Redaktion und der Autorin
Herausgeberin: Katholische Frauenbewegung Österreichs
Redaktion: Welt der Frau Verlags GmbH
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Die "welt der frau" erscheint monatlich.
Jahresabonnement: 33,- Euro (inkl. Mwst.)
Auslandsabonnement: 41,- Euro
Kurzabo für NeueinsteigerInnen: 6 Ausgaben 10,00 Euro
Einzelpreis: 2,75 Euro


veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2010