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LATEINAMERIKA/1117: Mexiko - Riskante Ölsuche, viele Arbeiter auf Bohrinseln ohne Versicherung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2010

Mexiko: Riskante Ölsuche - Viele Arbeiter auf Bohrinseln ohne Versicherung

Von Emilio Godoy


Mexiko-Stadt, 17. August (IPS) - Die Ölkatastrophe im Golf von Mexiko hat nicht nur Umweltschützer auf den Plan gerufen. Auch Gewerkschaften melden sich zu Wort. Sie kritisieren, dass die Beschäftigten auf den Bohrplattformen des lateinamerikanischen Landes unter unzumutbaren Bedingungen arbeiten müssen.

Die Mitarbeiter sind schlecht ausgebildet, ihre Löhne prekär. Zudem genießen sie keinen angemessenen Versicherungsschutz und dürfen sich nicht gewerkschaftlich organisieren. "Die Beschäftigten privater Vertragsfirmen sind unzureichend auf Offshore-Operationen vorbereitet", bestätigte Ysmael García vom Berufsverband OCPNRM. Für die Firmen zähle allein der Profit.

In dem wichtigsten mexikanischen Ölfördergebiet 'Sonda de Campeche', etwa 1.100 Kilometer südöstlich von Mexiko-Stadt im Golf gelegen, sind etwa 100 Plattformen mit rund 20.000 Arbeitern in Betrieb. Nur 4.000 dieser Beschäftigten stehen beim Staatsunternehmen 'Pemex' in Lohn und Brot und sind versichert. Nicht so die Kollegen, die für die privaten Subunternehmen arbeiten. Sie sind Stürmen, extremen Temperaturen und anderen Risiken weitgehend schutzlos ausgeliefert.


Arbeiter in Mexiko stark benachteiligt

"Mexiko steht in Sachen Gesundheitsschutz und Sicherheit am Arbeitsplatz in der weltweiten Statistik ganz unten", kritisierte Norrie McVicar von der Internationalen Transportarbeiterföderation ITF mit Hauptsitz in London. Über die Zustände auf Ölplattformen hatten Vertreter der Gewerkschaft vom 5. bis 12. August auf einem Kongress in Mexiko-Stadt diskutiert. ITF sind 368 Gewerkschaften aus 112 Ländern angeschlossen.

Im Zentrum der Gespräche stand das Unglück im Golf von Mexiko, das im April durch eine Explosion auf der von dem BP-Konzern gemieteten Plattform 'Deepwater Horizon' ausgelöst worden war. Elf Menschen kamen bei der Explosion ums Leben, weitere 17 wurden verletzt. Rund 780 Millionen Liter Rohöl strömten ins Meer und verschmutzten vor allem die Strände im Süden den USA.

Bereits im September 2008 fanden sich ITF-Delegierte aus 45 Staaten auf den Bohrinseln in der 'Sonda de Campeche' ein, um die Arbeitsbedingungen vor Ort unter die Lupe zu nehmen. Die dort Beschäftigten sind im Durchschnitt 14 bis 28 Tage in den Bohrtürmen im Einsatz, bevor sie für einen ebenso langen Zeitraum an Land zurückgeschickt werden.

Wie Statistiken des mexikanischen Arbeitsministeriums belegen, wurden gegen Dienstleistungsfirmen, die mit Pemex zusammenarbeiten, in den vergangenen zehn Jahren rund 5.000 arbeitsrechtliche Klagen eingereicht.

Vor sieben Jahren hatte das nichtstaatliche 'Centro de Acción y Reflexión Laboral' mehreren Pächtern von Ölplattformen massive Verstöße gegen das Arbeitsrecht vorgeworfen. "Auf den Bohrinseln gibt es drei Klassen von Arbeitern, die unterschiedlich behandelt werden: ausländische Kräfte, das Pemex-Personal und die privat Beschäftigten", sagte der Anwalt Victor Cruz. Für die Firmen sei es am billigsten, ungelernte Arbeiter einzusetzen, hielt er fest. Die Behörden wüssten von den Unregelmäßigkeiten, schritten aber nicht ein.

Der Vater des Juristen, Israel Cruz, hatte die Hinterbliebenen von 247 Arbeitern rechtlich vertreten, die 1993 beim Untergang eines von Pemex gecharterten Bootes in der 'Sonda de Campeche' ums Leben gekommen waren. Der Prozess endete mit einer außergerichtlichen Einigung.

Im Oktober 2007 prallte in der Nähe des Unglücksortes die Plattform 'Usumacinta' gegen einen Bohrschacht. 21 Menschen starben, 19 wurden verletzt. Víctor Cruz vertritt inzwischen eine Gruppe Überlebender, die in Mexiko und in den USA vor Gericht gegangen sind.

Nach Pemex-Angaben kam es im vergangenen Jahr auf Anlagen des Staatsunternehmens zu 161 Unfällen. Die Zahl lag geringfügig unter der des Vorjahres. Private Firmen berichteten von 137 Zwischenfällen.

Ein Gewerkschaftsführer namens Muñoz aus dem südöstlichen Bundesstaat Veracruz hält diese Zahlen lediglich für die Spitze des Eisbergs. "Viele Unfälle werden niemals bekannt", erklärte er. "Wir sollten so lange Druck auf Pemex ausüben, bis mit solchen korrupten Praktiken Schluss ist."


Schwierige Kontrollen

Landesweit gültige Regelungen verpflichten den Staatskonzern allerdings zu regelmäßigen Inspektionen seiner Arbeitsstätten. Seit 2005 setzt Pemex ein Programm für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz um, das allerdings weitere Arbeitsunfälle nicht verhindert hat.

McVicar schlug daher die Einsetzung eines unabhängigen Kontrollgremiums vor, das dafür sorgen soll, dass alle Abläufe transparent sind und Sicherheitsrisiken ernst genommen werden. Die zuständige ITF-Arbeitsgruppe erhielt von den mexikanischen Behörden immerhin die Zusage, dass die Bohrinseln künftig überwacht würden.

Cruz kann sich jedoch nicht vorstellen, dass solche Kontrollen tatsächlich im Interesse von Pemex sind. In diesem Fall müsste das Unternehmen viele Verpflichtungen eingehen. Mexiko hat bislang zahlreiche internationale Abkommen zum Arbeitsschutz nicht angenommen. Darunter fällt auch das Seearbeitsübereinkommen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO. Der Anwalt regte an, zunächst allen mexikanischen Ölarbeitern denselben Versicherungsschutz zu garantieren, der den im Ausland angeheuerten Kollegen zusteht. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.itfglobal.org/language-selector.cfm
http://www.ilo.org/global/What_we_do/InternationalLabourStandards/MaritimeLabourConvention/lang--en/index.htm
http://www.ocpnrm.org.mx/home/
http://www.sjsocial.org/fomento/proyectos/plantilla.php?texto=cereal_m
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=96144

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 17. August 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. August 2010