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LATEINAMERIKA/1160: Mexiko - 200 Jahre Unabhängigkeit, Indigene leben in Armut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Oktober 2010

Mexiko: 200 Jahre Unabhängigkeit - Indigene leben in Armut

Von Daniela Pastrana


Mexiko-Stadt, 4. Oktober (IPS) - Feuerwerk, militärische Aufzüge, Lichtinstallationen - in Mexiko wurde der Beginn des Unabhängigkeitskrieges gegen die Spanier vor mehr als 200 Jahren mit viel Tamtam gefeiert. Doch bei den Indigenen des Landes kam keine Freude auf. Sie haben von dem historischen Umbruch in keinerlei Weise profitiert.

Offiziellen Angaben zufolge sind drei Viertel aller Indigenen arm. Die Kindersterblichkeit liegt bei 60 Prozent - und damit weit über dem landesweiten Durchschnitt. Auch die Unterernährung, von der etwa ein Drittel der Bevölkerung Mexikos betroffen ist, kommt bei indigenen Jungen und Mädchen besonders häufig vor.

Dem Nationalen Bevölkerungsrat zufolge stellen sie mit 14 Millionen Menschen kaum mehr als ein Siebtel der Gesamtbevölkerung und gehören 62 Volksgruppen an, die sich auf 32 Bundesstaaten verteilen. Die Bevölkerungsmehrheit seien Mestizen.


Indigene Bevölkerung zahlenmäßig unterschätzt

Doch den Indigenenverbände zufolge machen Indigene mindestens ein Drittel der 108 Millionen Mexikaner aus. "Es gibt keine Geburtsurkunde oder anderes offizielles Dokument, das vermerkt, dass wir Angehörige einer indigenen Gemeinschaft sind", empört sich Julio Atenco Vidal, Leiter der regionalen Koordinationsstelle der indigenen Völker aus Sierra de Zongolica im südöstlichen Bundesstaat Veracruz.

Die offiziellen Zahlen beruhten auf einer einzigen Frage, die bei der letzten Volksbefragung von Mai bis Juli in diesem Zusammenhang gestellt worden sei: 'Sprechen Sie eine indigene Sprache?' "Dabei ist Sprache nur ein Element unter vielen, das Menschen als Indigene definieren kann", sagt Atenco Vidal. Zudem würden viele Menschen sich nicht als Indigene bezeichnen, weil das mit Rückständigkeit verbunden werde.

Wie hoch der indigene Bevölkerungsanteil letztendlich sein mag - fest steht, dass der Anteil der indigenen Bevölkerung Mexikos heute viel kleiner ist als 1810 zu Beginn des Unabhängigkeitskrieges. Damals waren acht von zehn Mexikanern Indigene, 100 Jahre später nur noch sechs von zehn.


Schlechter dran als 1810

"An unserer Armut und gesellschaftlichen Ausgrenzung hat sich seither nichts geändert", unterstreicht Abundio Marcos vom Volk der Purépecha. "Wir haben keinen Grund, auf diese 200 Jahre Unabhängigkeit stolz zu sein", ergänzt er. "Für uns sind es 200 Jahre Marginalisierung." Indigene würden weitgehend ignoriert. Dass unter ihren Territorien die Hälfte der landesweiten Bodenschätze lagere, mache ihre Situation nicht eben leichter - ganz im Gegenteil. "Unser Ressourcenreichtum ist der Grund dafür, dass wir in dem Konzept von Demokratie überhaupt nicht vorkommen."

Im Jahr 1967 wurde die erste Studie zur Ernährungssicherheit in Mexiko erstellt. Die schon damals entdeckten Defizite sind geblieben. "Das Problem ist noch ländlicher, indigener geworden und wir finden es in kleinen, abgelegenen und marginalisierten Gemeinden", so das Salvador-Zubirán-Institut für medizinische Wissenschaft und Ernährung in einer Untersuchung.

Indigene Mädchen und Frauen sind besonders benachteiligt. Sie müssen von klein auf ihren Müttern helfen und werden im Alter von 13 bis 16 Jahren verheiratet. Ihr Arbeitstag sei bis zu 18 Stunden lang, wie die Landesweite Kommission für Entwicklung der Indigenen Völker ermittelte. Frauen leiden zudem aufgrund ihrer schlechten Ernährung und vielen Schwangerschaften besonders häufig unter Gesundheitsproblemen.

Nach Ansicht von Rodolfo Stavenhagen, dem ehemaligen Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für die Rechte indigener Völker, sind 200 Jahre Unabhängigkeit ein guter Zeitpunkt, um Schritte für eine größere Beteiligung der Indigenen zu unternehmen.

"Wir haben nichts zu feiern", heißt es in einer Erklärung der mexikanischen Indigenenbewegung, die am 15. September in Mexiko-Stadt gegen die Marginalisierung ihrer Mitglieder protestierte. Die Feierlichkeiten hätten mehr als 200 Millionen US-Dollar gekostet, während der Großteil der indigenen Bevölkerung hungere und ausgegrenzt werde. 117 indigene Organisationen aus 15 Bundesstaaten haben sich zusammengetan, um für einen plurinationalen Staat zu kämpfen. (Ende/IPS/beh/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. Oktober 2010