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LATEINAMERIKA/1243: Kolumbien - Ultrarechte Paramilitärs bedrohen Liga vertriebener Frauen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2011

Kolumbien: Liga vertriebener Frauen protestiert gegen "Militarisierung unserer Leben"

Von Behrous Amiri


New York, 7. März (IPS) - In Kolumbien bedrohen ultrarechte Paramilitärs nach wie vor Menschen- und Frauenrechtsorganisationen, "weil wir von ihren Verbrechen wissen", sagt Patricia Guerrero, Indigenenführerin und Gründerin der Liga der vertriebenen Frauen. "Sie haben Angst vor unserer Fähigkeit und unserem Bestreben, den vertriebenen Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen."

Kolumbien befindet sich seit 1964 im Bürgerkrieg zwischen Regierungstruppen und linken Rebellen. In den 80er Jahren schlugen sich ultrarechte Paramilitärs auf die Seite der regulären Streitkräfte. Einige dieser illegalen Verbände, die unter der Regierung von Àlvaro Uribe (2002-2010) teilmobilisiert wurden, terrorisieren nun unter neuem Namen die Bevölkerung.

Einem neuen Bericht zufolge wurden in den letzten 25 Jahren 5,2 Millionen Kolumbianer aus ihren Dörfern vertrieben. Nirgendwo sonst auf der Welt gibt es mehr Binnenflüchtlinge. Die Hälfte aller Vertreibungen fallen in die Amtszeit Uribes, der mit einem Programm zur Bekämpfung der Guerilla einem Landraub im großen Stil Vorschub leistete.

Wie die Vertriebenenaktivistin Guerrero im IPS-Interview betont, sind 60 Prozent der Binnenflüchtlinge Frauen, die Vertreibungen somit ein Verbrechen gegen die Ärmsten der Armen, die bereits vor ihrer Vertreibung diskriminiert wurden.

Guerrero ist Mitbegründerin der 'Stadt der Frauen', einem Ort in einem Randgebiet der nordkolumbianischen Stadt Cartagena de Indias, an dem vertriebene Frauen Gelegenheit haben, sich als Akteurinnen für den Frieden zu engagieren. Die Aktivistinnen wurden bereits viermal von rechten Paramilizen bedroht, zuletzt von den 'Aguilas Negras', den 'schwarzen Adlern'. Es folgen Auszüge aus einem Interview mit der Indigenenführerin über das Leid der Vertriebenen und ihren Möglichkeiten, sich zu wehren.


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IPS: Warum werden sie von paramilitärischen Gruppen wie den Schwarzen Adlern bedroht?

Patricia Guerrero: Weil wir uns für die Menschenrechte einsetzen. Diese Gruppen hassen die Menschenrechte und vor allem die Menschenrechte von Frauen. Sie hassen unsere Forderung nach Entschädigungszahlungen und nach einer Aufklärung der von ihnen begangenen Verbrechen.

Alle in diesem Land wissen, dass hinter diesen lächerlichen Namen staatliche Sicherheitskräfte stehen. Sie wollen unsere Gemeinden, die sich friedlich gegen Menschenrechts- und Kriegsverbrecher zur Wehr setzen, einschüchtern.

Sie haben Angst, weil wir von ihren Verbrechen wissen, die wir seit mehr als zehn Jahren dokumentieren. Sie haben Angst vor unserer Fähigkeit und unserem Bestreben, den vertriebenen Frauen zu ihrem Recht zu verhelfen. Im letzten Jahren brachten sie mehr als 50 Menschenrechtsaktivisten - Frauen wie Männer - um. Sie sind Mörder.

IPS: Wir wirken sich die Drohungen auf Ihre Arbeit aus?

Guerrero: Die Liga der vertriebenen Frauen vertritt mehr als 600 Familien aus dem Norden Kolumbiens. Diese Region hat sehr unter verschiedenen paramilitärischen Gruppen gelitten, die zahlreiche Massaker verübten. In den letzten fünf Jahren ist es zu vielen Übergriffen auf unsere Gemeinde und unsere Projekte gekommen.

Sie töteten Julio Miguel Pérez Espitia, den Mann unserer Indigenenführerin Simona Velásquez. Sie steckten unser Gemeindezentrum 'Corazón de las Mujeres' (das Herz der Frauen) in Turbaco (einem Bezirk in der Nähe der Stadt Cartagena) an. Sie bedrohen unsere Frauen telefonisch.

Sie ermordeten Jair Pantoja Berrio aus dem Cartagena-Viertel El Pozón. Im Verlauf des Bürgerkriegs vergewaltigten sie mehr als zehn unserer Aktivistinnen und vertrieben 56 Prozent unserer Leute.

Sie brachten viele Familien um, stahlen ihnen ihr Land und zerstörten das soziale Gefüge und die Geschichte unserer Gemeinschaften. Alle diese Verbrechen sind straffrei geblieben.

IPS: Wofür tritt die Liga der vertriebenen Frauen ein und was konnte sie bisher erreichen?

Guerrero: Für die Wiederherstellung des Individual- und Kollektivrechts wie das Recht auf Land, für die Frauen unserer Organisation und für Kolumbiens Vertriebene. Dafür, dass Gerechtigkeit auf nationaler und internationaler Ebene obsiegt. Für den nationalen und internationalen Schutz von Gemeinden wie die Stadt der Frauen.

Wir können auf Schutzmaßnahmen zählen, wie sie die Interamerikanische Menschenrechtskommission anbietet, die unsere erste Klage gegen den kolumbianischen Staat angenommen hat. Wir werfen Kolumbien Verstöße gegen Abkommen wie die Interamerikanischen Menschenrechtskonvention und die Übereinkunft von Belén do Pará vor, die sich mit der Gewalt gegen und Diskriminierung von Frauen auseinandersetzt.

IPS: Könnten Sie die Situation der vertriebenen Frauen zusammenfassen?

Guerrero: Von den Menschen, die in den letzten zehn Jahren vertrieben wurden, sind 60 Prozent Frauen. Diese Zwangsvertreibungen sind ein Verbrechen gegen Frauen und Kinder. Es sind die Ärmsten der Ärmsten, die bereits vor ihrer Vertreibung diskriminiert worden sind. Sie haben keine gute Schulbildung und ihre Lebensgrundlage als Bäuerinnen verloren, da sie sich und ihre Familien gezwungen sahen, ihr Land zu verlassen, das sich heute in den blutbeschmierten Händen der Narco-Paramilitärs befindet.

Vertreibung und Menschenrechtsverbrechen stehen in direktem Zusammenhang und führten zur Zerstörung vieler Familien. Kinderprostitution, Drogenkriminalität, Zwangsrekrutierungen für den Krieg - es ist der Kreislauf der Gewalt, der dieses Land seit Jahrzehnten prägt. Vergewaltigungen, HIV/Aids und andere Krankheiten vervollständigen das Gesamtbild.

IPS: Was können Sie gegen die Drohungen der schwarzen Adler unternehmen?

Guerrero: Wir haben drei Klagen bei der Generalstaatsanwaltschaft eingereicht. Auf keine gab es eine Reaktion. Wir fordern zudem die Auflösung aller paramilitärischen Strukturen und den Abbruch der Verbindungen zwischen Paramilitärs und Sicherheitsapparat. Und wir fordern das Ende der Straflosigkeit für Staatsverbrechen und die Verbrechen gegen die Anführerinnen der vertriebenen Frauen Kolumbiens.

IPS: Worauf sind die vertriebenen Frauen, mit denen Sie
zusammenarbeiten, besonders angewiesen?

Guerrero: Die internationale Gemeinschaft, die Vereinten Nationen, die Sonderberichterstatter über die Gewalt gegen Frauen und die Kommission für den Status der Frau müssen von der kolumbianischen Regierung von (Juan Manuel) Santos Auskunft über die fortgesetzten Drohungen gegen Frauenrechtsgruppen wie die Liga der vertriebenen Frauen verlangen.

Die Straflosigkeit und die Gewalt gegen Frauen stehen dem Frieden im Wege. Wir protestieren gegen die Militarisierung unserer Leben im Namen des Krieges, des Terrorismus und im Namen des Krieges gegen alles, was den Kapitalismus und die Finanzwelt bedroht.

Wir fordern die Legalisierung von Koka und den Respekt gegenüber unserer indigenen Kultur. Wir verlangen, dass die USA und die Europäische Union gegenüber den Verbrechen im Namen des Krieges und der Drogenbekämpfung in die soziale und politische Verantwortung gehen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.ligademujeresdesplazadas.org/magazine/default.asp
http://www.codhes.org/
http://www.cidh.org/default.htm
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=97704

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 7. März 2011
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. März 2011