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LATEINAMERIKA/1280: Kolumbien - Dokumentarfilm 'Impunity' zeigt wie Auftraggeber der Paramilitärs geschützt werden (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Juli 2011

Kolumbien: 'Impunity' oder wie die Auftraggeber der Paramilitärs geschützt werden

Von Constanza Vieira


Bogotá, 4. Juli (IPS) - Ein Jahr mussten die Kolumbianer warten, um sich den kolumbianisch-schweizerischen Dokumentarstreifen 'Impunity' (Straffreiheit) anzuschauen. Doch das Warten hat sich gelohnt, denn der Film gibt neue Einblicke in den von Ex-Präsident Álvaro Uribe (2002-2010) eingeleiteten Prozess zur Demobilisierung der Paramilitärs. Vor allem entlarvt er eindrucksvoll Bemühungen, die Drahtzieher der paramilitärischen Gewalt in Politik und Wirtschaft schadlos zu halten.

'Impunity' von Hollman Morris und Juan José Lozano wurde ein Jahr nach Ende der Dreharbeiten am 20. Juni vor 2.000 Zuschauern in einem Kinosaal in Mexiko-Stadt gezeigt, der für nur 1.300 Zuschauer ausgelegt ist. Bemerkenswert war der Andrang vor allem deshalb, weil die meisten Zuschauer ausschließlich über soziale Netzwerke von der Aufführung erfahren hatten.

Der Film kommt zu einer Zeit, in der der Uribe-Nachfolger Juan Manuel Santos einen politischen Neuanfang nach Jahren sozialer Toleranz ultrarechter Exzesse wagt. Er zeigt unter anderem Versammlungen der Opferangehörigen, die per Videokonferenzen den Anhörungen zugeschaltet wurden, in denen sich Paramilitärs zu den von ihnen begangenen Verbrechen äußerten.

"Wo ist er?", "Was hast du ihm angetan?", waren häufige Fragen, die die Opferfamilien den Paramilitärs stellten. "Ich kann mich nicht erinnern", "Wir brachten Tausende um", "Wir hielten ihn für einen Rebellen" und "Wir töteten ihn aus Versehen", lauteten die oftmals lapidaren Antworten der Täter.

Die Geständnisse sind Teil einer im 'Gesetz für Gerechtigkeit und Frieden' festgeschriebenen Abmachung, die demobilisierungsbereite Paramilitärs einhalten müssen, wollen sie in den Genuss von Strafminderung oder gar Straffreiheit kommen. Die ehemaligen Kämpfer hatten 30 Jahre lang - im Einvernehmen mit der kolumbianischen Armee - gegen die linksgerichtete Guerilla gekämpft, die sich 1964 in Kolumbien erhoben hatte. Den 'Paras' werden Zehntausende Morde und die Vertreibung von Millionen von Bauern von ihrem Land angelastet. In der Legislaturperiode 2002 bis 2006 kontrollierten die Kämpfer sogar ein Drittel des Parlaments.

Die zu den Anhörungen zugeschalteten Angehörigen der Opfer waren meist Frauen. Ihnen und ihrem Leid hat der Film 'Impunity' ein Denkmal gesetzt. Er zeigt, wie viele still vor sich hinweinten, andere mit gesenktem Kopf den Aussagen der Paramilitärs lauschten und nur hin oder wieder einen kurzen Blick in das Gesicht derjenigen warfen, die den Tod ihrer Lieben zu verantworten haben. Diese Frauen durchlebten den Schrecken eines schmutzigen Krieges, der bis heute nicht zu Ende ist. Denn in vielen Teilen des Landes - das wissen sie aus eigener Erfahrung - haben Paramilitärs die Macht an sich gerissen.


Hoffnung auf Landrückgabe buchstäblich ermordet

Wie Álvaro Forero in einem Beitrag für die Tageszeitung 'El Espectador' schreibt, hat der Film der Debatte über die 'schwarze Hand' neuen Auftrieb gegeben. Die Metapher meint die Kräfte im Lande, "die gegen eine Entschädigung der Opfer zugunsten der Täter sind und die Bauernführer umbringen, die eine Rückgabe ihrer Ländereien einfordern". Forero weist darauf hin, dass die Identität der Mitglieder der 'schwarzen Hand' im Dunkeln bleibt, während die Rebellenführer, die derzeit militärisch und rechtlich verfolgt werden, namentlich genannt werden.

Der Film 'Impunity' wirft ein Schlaglicht auf Strategien, die Drahtzieher der paramilitärischen Gewalt zu anonymisieren. So zeigt der Streifen, wie Journalisten aufgefordert wurden, die Anhörungen zu verlassen, wenn Paramilitärs heikle Themen berührten und die Namen einflussreicher Militärs und Unternehmer nannten. Auch hält er fest, wie nach Einblicken in eine unbequeme Wahrheit Ex-Präsident Uribe 2008 hastig die Überstellung der paramilitärischen Führer in die USA veranlasste.

Als letzter wurde Éver Velosa alias 'HH' ausgeliefert, einer derjenigen, die mit besonders lauter Stimme auf Querverbindungen zu Politik und Wirtschaft verwiesen. Die Staatsanwaltschaft hatte Velosa aufgefordert, detaillierte Auskünfte über die sogenannte 'Gruppe der sechs' zu geben, hinter der die Schwarze Hand vermutet wird.

Angenommen wird, dass die Gruppe den 2004 aller Wahrscheinlichkeit nach von seinen eigenen Leuten ermordeten, ehemaligen Chef der paramilitärischen Vereinigten Selbstverteidigungskräfte Kolumbiens, Carlos Castaño, beraten hatte. Velosa wollte jedoch ohne umfangreiche Sicherheitsgarantien keine Namen nennen.


Paramilitärs wollen nicht als Sündenböcke herhalten

Bei einer Anhörung erklärte HH, dass man in Kolumbien ermutigt werde, die schlimmsten Verbrechen an der Bauernbevölkerung zu gestehen. Wolle man aber die Drahtzieher und Nutznießer der paramilitärischen Gewalt beim Namen nennen, stoße man auf Empörung. "Ich würde gern die Opfer und das Land fragen, ob Kolumbien wirklich bereit ist, die Wahrheit zu hören, denn immer wenn wir von Personen sprechen, die vom Krieg profitiert haben, treten die 'Vaterlandshelden' in Erscheinung, um uns als Lügner hinzustellen", erklärte er während einer Sitzung, die Eingang in den Film 'Impunity' gefunden hat.

"Wenn wir zugeben, dass wir jemandem den Kopf abgeschlagen, in Stücke geschnitten, seine Frau vergewaltigt und ihm das Land weggenommen haben, regt sich niemand auf. Doch wenn wir von den Personen dieser Gesellschaft sprechen, die einen Nutzen davon hatten oder Beziehungen zu den Selbstvereidigungskräften (Paramilitärs) unterhielten, dann ist das ein Skandal und wir werden beschuldigt, Schande über eine solche Person zu bringen", so Velosa in der Sequenz.

"Doch alle Menschen, die wir geköpft haben, die Witwen, die ihre verstümmelten Männer und Söhne vor ihren Augen sterben sahen - diese Menschen haben wir nicht geschändet. (...) Eine wirkliche Schändung dieser armen Bauern ist, dass auf Rat dieser einflussreichen 'Vaterlandshelden' ihre Familien starben, vertrieben und ihrer Ländereien beraubt wurden. Das, ja, das ist eine Schändung", sagte HH zu dem Vorwurf, an mehr als 11.000 Verbrechen einschließlich 2.500 Vertreibungen beteiligt gewesen zu sein.


Den Hintermännern an den Kragen

Der Film wirft auch die Frage auf, wie es weitergeht, damit diese auf tausenden Seiten zu Papier gebrachten Bekenntnisse der Paramilitärs nicht einfach nur in den Regalen der Justiz verstauben. "Die Gräuel dürfen nicht allein ein Thema der Opfer sein. Sie haben mit uns allen zu tun und der Art und Weise, wie wir sie bewältigen", sagte Michael Reed vom Kolumbien-Büro der Menschenrechtsorganisation 'International Center for Transitional Justice' (ICTJ), die zusammen mit Kanada, dem europäischen Fernsehsender Arte und dem Schweizer Fernsehen an der Finanzierung von 'Impunity' beteiligt war.

Reed zufolge sollte die Generalstaatsanwaltschaft endlich in alle Richtungen ermitteln und auch die Auftraggeber der Verbrechen ausfindig machen. Im Grunde hätten die Paramilitärs mit ihren Bekenntnissen nur das bestätigt, was die Menschenrechtsorganisationen und Angehörigen der Opfer ohnehin schon ständig angeprangert hätten. Jetzt gelte es die gesamte kriminelle Maschinerie, "die Verbrechen des Systems", zu untersuchen. (Ende/IPS/kb/2011)


Links:
http://www.ictjcolombia.org/movies/estrenos.htm
http://www.fiscalia.gov.co/justiciapaz/Index.htm
http://www.ips.org/blog/cvieira/?p=462
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=98552

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Quelle:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Juli 2011