Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

LATEINAMERIKA/1296: Haiti - Regierungsbildung verzögert sich, Präsident im Parlament ohne Mehrheit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 24. August 2011

Haiti: Regierungsbildung verzögert sich - Präsident im Parlament ohne Mehrheit

von Pierre Wadner


Port-au-Prince, 24. August (IPS) - Fast drei Monate nach der Amtseinführung von Staatspräsident Michel J. Martelly gibt es in Haiti immer noch keinen Regierungschef. Zwei von Martelly vorgeschlagene Kandidaten - der ehemalige Justizminister Bernard Gousse und der Unternehmer Daniel Rouzier - wurden vom Parlament abgelehnt.

Rouzier fiel aus formellen Gründen durch, während Gousse für die Senatoren wegen seines fragwürdigen Umgangs mit den Menschenrechten inakzeptabel war. Als Minister hatte er von 2004 bis 2006 unter Diktator Gérard Latortue gedient. Damals waren die Gefängnisse voller politischer Gefangener, von denen die meisten aus den Armensiedlungen stammten. Dort hatte der gestürzte Präsident Jean-Bertrand Aristide zahlreiche Anhänger.

Ohne Regierungschef kann in Haiti kein neues Kabinett gebildet werden, das die Versprechen des neuen Präsidenten umsetzen würde. Während des Wahlkampfs hatte Martelly angekündigt, dass er allen Kindern im Land zu einem kostenfreien Schulunterricht verhelfen werde. Im September sind die Schulferien vorbei, doch Neuerungen sind nicht in Sicht.

Der neue Präsident hat im Parlament einen schweren Stand, da er nicht über die absolute Mehrheit verfügt. Martelly hatte im März lediglich 700.000 der insgesamt rund 4,5 Millionen Wählerstimmen erhalten. In diesem Fall muss er laut der haitianischen Verfassung die Vorsitzenden beider Kammern bei der Auswahl des Kandidaten für das Regierungsamt konsultieren. Politische Beobachter werfen seinem Stabschef Thierry Mayard Paul und seinen Beratern in diesem Zusammenhang Versagen vor.


Sohn von Ex-Diktator Duvalier berät Präsidenten

Martellys Beraterteam gehört auch der 29-jährige Nicolas Duvalier an. Er ist der Sohn des früheren Diktators Jean Claude Duvalier, der kürzlich nach Haiti zurückgekehrt ist und sich dort auf ein Strafverfahren einstellen muss. Auch gegen Aristide wurden rechtliche Schritte eingeleitet. Ihm wird vorgeworfen, acht Millionen Euro veruntreut zu haben, die die französische Regierung dem Justizministerium bereitgestellt hatte. Anhänger von Aristide verhinderten, dass dem Ex-Präsidenten die Staatskarosse entzogen wurde.

Einer seiner treuesten Gefolgsleute, Senator Moïse Jean Charles, warf Martelly vor, seinen Wunschkandidaten um jeden Preis durchsetzen zu wollen. Charles war früher Bürgermeister der Gemeinde Milot und hatte sich 2004 gegen den Staatsstreich gestellt, der zu Aristides Absetzung führte.

Politische Beobachter fragen sich unterdessen, ob der neue Präsident in Wirklichkeit nicht eine Marionette ist. "Thierry ist Martellys rechte Hand und hat großen Einfluss auf seine Entscheidungen", sagte ein Berater eines seiner Freunde. Er würde es aber wahrscheinlich nicht schaffen, zum nächsten Regierungschef gewählt zu werden.

Martelly kommt auch deshalb schwer voran, weil sein Team gespalten ist. Gousse und die Politikerin Nancy Rock räumten in einer Fernsehsendung ein, dass es in dem Stab jemanden gebe, der gegen den Präsidenten arbeite. Dieselbe Person habe dafür gesorgt, dass Gousse und Rouzier im Parlament durchgefallen seien. Vor allem die jeweiligen wirtschaftlichen Interessen hätten einen Keil zwischen die Gefolgsleute von Martelly getrieben. (Ende/IPS/ck/2011)


Link:
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=104847

© IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH


*


Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 24. August 2011
IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
vormals IPS-Inter Press Service Europa gGmbH
Marienstr. 19/20, 10117 Berlin
Telefon: 030 28 482 361, Fax: 030 28 482 369
E-Mail: redaktion@ipsnews.de
Internet: www.ipsnews.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2011