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LATEINAMERIKA/1398: Argentinien - Umstrittenes Aufklärungsabkommen zu Anschlag auf jüdisches Zentrum (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 28. Februar 2013

Argentinien: Anschlag auf jüdisches Zentrum 1994 - Abkommen zur Aufklärung drängt Regierung ins politische Abseits

von Marcela Valente



Buenos Aires, 28. Februar (IPS) - Das argentinische Parlament hat ein Abkommen mit dem Iran gebilligt, das zur Aufklärung des Attentats auf ein jüdisches Zentrum in der Hauptstadt Buenos Aires im Jahr 1994 führen soll.

Nachdem der Senat der Übereinkunft in der vorletzten Februarwoche grünes Licht gegeben hatte, stimmte ihr die Abgeordnetenkammer am 27. Februar zu. Politischen Beobachtern zufolge könnte der Vorstoß Argentinien jedoch international als Annäherung an den Iran ausgelegt werden und mit hohen politischen Kosten verbunden sein.

Mit dem Abkommen will Argentinien neue Erkenntnisse über die Umstände des Attentats auf das Jüdische Gemeindezentrum AMIA vor 19 Jahren gewinnen und zur juristischen Aufklärung beitragen. Die argentinische Opposition hat der bilateralen Absichtserklärung die Zustimmung verweigert. Das iranische Parlament muss noch abstimmen.

Der Plan sieht vor, dass argentinische Bundesrichter in den Iran reisen, um dort fünf Personen zu verhören, für die Interpol einen internationalen Haftbefehl ausgestellt hat. Sie sollen das Attentat geplant haben, das 85 Menschen das Leben gekostet hat. Mehr als 300 Menschen wurden verletzt.

Der Iran weigert sich, die Beschuldigten auszuliefern. Unter den Verdächtigen befindet sich auch der aktuelle Verteidigungsminister Ahmad Vihidi. Trotz eines gegen ihn gerichteten internationalen Haftbefehls wurde Vihidi 2010 vom bolivianischen Staatspräsidenten Evo Morales empfangen.


Bilaterale Wahrheitskommission umstritten

Die Opposition im argentinischen Parlament wehrt sich vor allem gegen die Einrichtung einer bilateralen Wahrheitskommission, der fünf Juristen vorstehen sollen, die weder aus Argentinien, noch aus dem Iran stammen. Sie sollen den bisherigen Aufklärungsprozess in Argentinien evaluieren und eine Empfehlung zum weiteren Vorgehen abgeben, die allerdings nicht verbindlich ist.

Opfer und deren Angehörige sind sich uneins, wie das Abkommen zu bewerten ist. Einige betrachten es als Rückschritt, andere als Chance, um endlich der Aufklärung des Verbrechens näher zu kommen.

Die argentinische Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner hat vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen in New York immer wieder die Auslieferung der Beschuldigten gefordert. Bei der Veröffentlichung der Absichtserklärung sagte sie: "Ich werde niemals zulassen, dass die AMIA-Tragödie zu einer Schachfigur im Spiel fremder geopolitischer Interessen wird."

Doch genau das scheint nun der Fall zu sein. Die USA und andere westliche Staaten haben Wirtschaftssanktionen gegen den Iran erlassen, um diesen von seinem Atomprogramm abzubringen. In dem Konflikt hat Israel sogar schon mit einer militärischen Intervention gedroht.


Entfremdung vom Westen

"Indem Argentinien ein Abkommen mit dem Iran eingegangen ist, hat sich das Land von seiner neutralen Position verabschiedet", analysiert gegenüber IPS der argentinische Politologe Andrés Malamud, der an der Universität von Lissabon in Portugal lehrt. "In den Augen der westlichen Welt bedeutet das Abkommen eine implizite Allianz zwischen den beiden Staaten." Von jetzt an könne die Außenpolitik Argentiniens als "anti-westlich" angesehen werden, warnt Malamud.

Das Ansinnen der Präsidentin Fernández sei verständlich: Sie wolle Bewegung in den stockenden Prozess bringen. Aber das Abkommen ist mit einem hohen Risiko verbunden, sagt der Politologe. Erstens, weil die Wahrscheinlichkeit, dass die Initiative Erfolg haben werde, gering sei. Zweitens, weil sie Argentinien letztlich von den Westmächten entfremde.

Gleichzeitig mache sich Argentinien damit zum Verbündeten seiner lateinamerikanischen Nachbarn Venezuela, Ecuador und Brasilien. Der venezolanische Präsident Hugo Chávez habe nie einen Hehl aus seiner Unterstützung für das iranische Regime gemacht. Auch der ecuadorianische Präsident Rafael Correa halte Verbindungen zum Iran. Brasilien und Venezuela hatten sich immer gegen die Forderung Argentiniens ausgesprochen, die iranischen Verdächtigen mit einem internationalen Haftbefehl suchen zu lassen.

Argentinien geht davon aus, dass iranische Spitzenpolitiker den Bombenanschlag veranlasst hatten, weil die argentinische Regierung 1992 beschlossen hatte, den Iran nicht länger mit Nuklearmaterial zu beliefern. Diese Theorie war 2002 durch Aussagen eines ehemaligen iranischen Geheimdienstagenten bestätigt und in einem Bericht des argentinischen Geheimdienstes SIDE vom September 2002 bekräftigt worden.

2008 ließen allerdings Berichte der US-Geheimdienste an dieser Version Zweifel aufkommen. Es stellte sich heraus, dass ein Video, das die argentinische Justiz als Beweis anführte, bereits 15 Monate vor dem Anschlag aufgenommen worden war. Zeugen waren außerdem bestochen worden. (Ende/IPS/jt/2013)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. März 2013