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LATEINAMERIKA/1419: Chile - Neue Schüler- und Studentenproteste (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 27. Juni 2013

Chile: Neue Schüler- und Studentenproteste

von Marianela Jarroud


Bild: © Claudio Riquelme/IPS

Die Bildungsproteste führen seit Beginn an der Alameda in Santiago vorbei
Bild: © Claudio Riquelme/IPS

Santiago, 27. Juni (IPS) - In Chile haben Schüler und Studenten ihre Proteste und Besetzungen von Bildungseinrichtungen wieder aufgenommen und vor erheblichen Behinderungen der Vorwahlen am 30. Juni gewarnt.

In den letzten Tagen haben die Besetzungen von Bildungseinrichtungen erheblich zugenommen. Vorläufiger Höhepunkt war der nationale Streik am 26. Juni, dem sich Hafen- und Kupferbergleute anschlossen. Allein an den Protestzügen in der Hauptstadt Santiago nahmen nach Angaben der Organisationen mindestens 100.000 Menschen teil.

"Es war die politische Elite selbst, die uns gezeigt hat, dass wir die Antworten auf unsere Forderungen auf den Straßen finden werden", sagte der Sprecher der Nationalen Koordinationsstelle der Sekundarschüler (CONES), Moisés Paredes.

Seit einigen Tagen halten die Demonstranten nach Angaben der Chilenischen Vereinigung der Gemeindeverwaltungen 100 Bildungszentren einschließlich 30 Wahllokale besetzt. Die Behörden versuchen vor allem die Sekundarschüler zum Rückzug zu bewegen, um zu verhindern, dass Sondereinheiten der Militärpolizei einschreiten. Das Gesetz sieht vor, dass die in den weiterführenden Schulen aufgebauten Wahllokale spätestens bis zum 28. Juni 00.00 Uhr geräumt sein müssen.

Am 30. Juni finden mit Blick auf die allgemeinen Wahlen am 17. November die Vorwahlen der Präsidentschaftskandidaten der Mitte-Links-Koalition, der Kommunistischen Partei und der politischen Rechten statt.

"Der Druck, der durch die anhaltende Besetzung der weiterführenden Schulen und neuer Übernahmen einiger Universitäten erzeugt wird, veranlasst die Kandidaten möglicherweise dazu, sich zu der derzeitigen Bildungsmisere zu äußern", meinte Marcelo Mella, Politologe an der Universität von Santiago.


Wandel des Bildungssystems

Die Studierenden gehen die bisherigen Zusagen der Politik nicht weit genug. "Wir rufen nach einem Wandel des Bildungssystems, da wir Bildung nicht als Konsumgut, sondern als grundlegendes Recht begreifen", sagte Paredes.

Die Bürgermeister der Gemeinden im Großraum Santiago haben bereits ihre Sorge über den Ausbruch von Gewalt zum Ausdruck gebracht, sollte es zu einer gewaltsamen Entfernung der Schüler und Studenten aus den Sekundarschulen kommen. Befürchtet wird, dass die Sicherheitskräfte mit dieser Aufgabe betraut werden könnten.

Doch die Regierung des rechtsgerichteten Staatspräsidenten Sebastián Piñera hat den Einsatz der Armee öffentlich ausgeschlossen, "auch wenn dem Gesetz Genüge getan werden muss". Wie er weiter erklärte, "werden wir nicht erlauben, dass eine kleine Minderheit das Gesetz missachtet und die Chilenen um ihr demokratisches Recht bringt, an den Vorwahlen am Sonntag teilzunehmen".

Doch Paredes zufolge sind die Besetzungen keineswegs als Gegenaktion gegen die Vorwahlen oder den Wahlprozess als solchen gedacht, sondern als Protest gegen die mangelnde Kooperation bei der Umsetzung der Bildungsforderungen.

Als kurzfristige Lösung des Problems schlug der CONES-Sprecher vor, die Vorwahlen in alternativen Wahllokalen, etwa in Grundschulen, abzuhalten. Auf diese Weise ließen sich von vornherein Zusammenstöße und Übergriffe in den weiterführenden Schulen verhindern.


Lage angespannt

Während des nationalen Streiks am 26. Juni war es zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen vermummten Demonstranten und den Sicherheitskräften gekommen. Sechs Zivilisten und drei Polizisten wurden verletzt. In vielen Teilen der Hauptstadt gingen Barrikaden in Flammen auf. Dies führte zu erheblichen Sachschäden. Außerdem kamen hunderttausende Chilenen zu spät zur Arbeit.

"Sprechen wir mal Klartext: Das sind keine Schüler und Studenten gewesen, das waren Kriminelle, Extremisten, die zeitgleich, koordiniert und geplant agiert haben, um diese Aktionen durchführen zu können", meinte Innenminister Andrés Chadwick.

Der Vorsitzende der Vereinigung der Studierenden der Universität von Chile (FECH), Andrés Fielbaum, beharrte auf dem Demonstrationsrecht, "zumal uns bewusst geworden ist, dass es das bisher einzige Mittel war, mit der die Grenzen des politisch Machbaren in Chile verschoben werden konnten".

Die Schüler und Studenten wollen mit ihren Protesten weitermachen. Sie kritisierten die Abwesenheit der Bildungsministerin Carolina Schmidt, die sich derzeit im Urlaub in Italien befindet. Die Bildungsproteste gehen auf Mai 2011 zurück, verloren im letzten Jahr an Intensität, um nun erneut aufzuflammen. Ihren Protesttag beendeten die Schüler und Studenten mit Topfdeckelschlägen. (Ende/IPS/kb/2013)


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http://www.ipsnoticias.net/2013/06/protestas-ponen-en-jaque-proceso-de-primarias-chilenas/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juni 2013