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LATEINAMERIKA/1465: Venezuela - USA verstärken in Krise Druck auf Caracas (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2014

Venezuela: USA verstärken in Krise Druck auf Caracas - Mögliche Sanktionen gelten aber als wenig aussichtsreich

von Jim Lobe



Washington, 22. Mai (IPS) - Die anstehenden Rechtsvorschriften, nach denen US-Präsident Barack Obama gehalten wäre, Sanktionen gegen die venezolanische Regierung zu verhängen, werden nach Ansicht von Regierungsvertretern und unabhängigen Experten kaum zur Entschärfung der derzeitigen politischen Krise in dem südamerikanischen Land beitragen. Im Gegenteil. Befürchtet wird, dass sie die Lage sogar noch verschlimmern.

Am 20. Mai hat der Auswärtige Ausschuss des US-Senats einem Gesetzentwurf zugestimmt, der Obama dazu ermächtigt, venezolanische Gelder auf US-amerikanischen Bankkonten einzufrieren und Regierungsvertretern Einreisevisa zu verweigern, die "erhebliche Gewaltakte oder schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen gegen Personen zu verantworten haben, die in Venezuela mit Protesten gegen die Regierung in Verbindung gebracht werden."

Eine ähnliche Bestimmung hatte zuvor den Auswärtigen Ausschuss des Repräsentantenhauses passiert. Sie sieht Sanktionen gegen Unterstützer der venezolanischen Sicherheitskräfte vor und Beihilfen in Höhe von 15 Millionen Dollar für "pro-demokratische" Kräfte und unabhängige Medien des Landes.

"Heute haben wir einen wichtigen Schritt getan, um Menschenrechtsverletzer innerhalb des Regimes von Präsident Nicolas Maduro zu bestrafen", erklärte der republikanische Senator Marco Rubio, der den Entwurf gemeinsam mit dem demokratischen Senator Robert Menendez eingereicht hatte. Angesichts der "mutigen und friedlichen Proteste tausender unschuldiger Venezolaner (...) dürfen wir nicht zulassen, dass Unterdrückung, Gewalt und Morde, die auf das Konto der Regierung gehen, ungeahndet bleiben", meinte Rubio nach der Annahme des Entwurfs mit 13 gegen zwei Stimmen.


Kerry ermahnt Caracas zum Einlenken

Außenminister John Kerry wies bei einem Besuch in Mexiko am 21. Mai auf den Rückhalt des US-Parlaments für die Sanktionen hin und deutete an, dass seine Regierung sich gezwungen sehen könnte, diese auch umzusetzen. "Unsere Hoffnungen gehen dahin, dass die politischen Führungspersönlichkeiten, Präsident Maduro und die anderen, Entscheidungen treffen werden, die eine Anwendung der Sanktionen unnötig machen. Zurzeit behalten wir uns aber alle Optionen vor, in der Hoffnung, dass wir den Friedensprozess weiter voranbringen können."

Mehrere Experten, darunter hochrangige Regierungsbeamte, warnten jedoch vor den möglichen negativen Folgen des Gesetzes für das tief gespaltene, erdölreiche Land. "Ich denke, dass die Menschen über das, was in Venezuela passiert, wirklich frustriert sind", sagte Michael Shifter, Vorsitzender der Washingtoner Denkfabrik 'Inter-American Dialogue'. Er könne sich allerdings nicht vorstellen, dass Sanktionen mehr bewirken könnten, als Maduro einen weiteren Anlass für Kritik an den USA zu geben.

Shifter warnte zudem vor negativen Reaktionen von Seiten anderer lateinamerikanischer Staaten. Diese Länder haben zusammen mit dem Vatikan und der Union Südamerikanischer Staaten (UNASUR) eine Vermittlerrolle im Dialog zwischen Maduro und gemäßigten Oppositionsvertretern übernommen.

Die USA hätten sich bewusst in der Venezuela-Frage zurückgehalten, um der Maduro-Regierung keinen Anlass zu geben, Washington als Verursacher der Proteste hinzustellen und dadurch von den eigentlichen Konfliktursachen abzulenken, meinte auch John Walsh, Venezuela-Experte beim 'Washington Office on Latin America' (WOLA).

Ähnlich denkt auch die Obama-Regierung. Bei Anhörungen vor dem Auswärtigen Senatsausschuss hatte die Staatssekretärin im Außenministerium, Roberta Jacobson, stets den Rückhalt Washingtons für die von UNASUR angeführte Initiative betont. "Das ist kein Streitfall zwischen den USA und Venezuela, sondern ein internes venezolanisches Problem."


Opposition fordert Freilassung aller politischen Häftlinge

Bevor der Senatsausschuss den Gesetzentwurf angenommen hatte, dessen Verabschiedung durch das Parlament als wahrscheinlich gilt, waren die Mitte Mai geführten Beratungen zwischen der venezolanischen Regierung und der Opposition unter Vermittlung der Außenminister Brasiliens, Kolumbiens und Ecuadors als UNASUR-Vertreter gescheitert. Ein Grund dafür war die Forderung der Opposition nach der Freilassung aller politischen Gefangenen.

In dem am 21. Mai von Konfliktforschern der 'International Crisis Group' (ICG) veröffentlichen Bericht 'Venezuela: Tipping Point' heißt es, dass ein Fortbestehen der Pattsituation zu noch mehr Gewalt in Venezuela führen könnte. Das Land wäre dann nicht im Stande, "gegen die ansteigende Kriminalität und den wirtschaftlichen Niedergang" vorzugehen. Außerdem würde sich dann deutlich zeigen, dass die zwischenstaatlichen Organisationen in der Region nicht in der Lage seien, auf die Konflikte des Kontinents angemessen zu reagieren.

Seit Februar, dem Ausbruch von Studentenprotesten in Venezuela, sind mindestens 42 Menschen bei Zusammenstößen zwischen Sicherheitskräften, den auf Seiten der Regierung operierenden Banden ('colectivos') und Oppositionsgruppen getötet worden. Berichten zufolge geht die Gewalt auch von oppositionellen Kräften aus. Unabhängige Menschenrechtsgruppen machen jedoch für die meisten Todesopfer die Regierung und deren Verbündete verantwortlich.

'Human Rights Watch' beschuldigte in einem in diesem Monat veröffentlichten Report die Sicherheitskräfte, ihre Gegner brutal zu verprügeln und in einigen Fällen aus nächster Entfernung zu erschießen. Gefangene würden schwer misshandelt und teilweise gefoltert, so der Bericht. Armee und Polizei gingen auch gemeinsam mit den 'colectivos' gegen Protestierende und Unbeteiligte vor.


Weitere Polarisierung befürchtet

Die zunehmende Unterdrückung und das Stocken des Dialogs zwischen den Konfliktparteien lassen immer mehr befürchten, dass eine weitere Polarisierung des Landes den 'Hardlinern' auf beiden Seiten in die Hände spielen wird. ICG forderte in ihrem Bericht alle Seiten auf, die Ernennung eines internationalen Vermittlers in Erwägung zu ziehen, möglichst eines Vertreters der Vereinten Nationen, der die Bemühungen von Vatikan und UNASUR sowie die Entsendung einer UN-Mission unterstützen soll.

Während die Obama-Regierung bisher Sanktionen gegen Caracas ablehnt, erklärte ein führender Beamter des Außenministeriums, er hoffe auf intensivierte Diskussionen mit den Regionalregierungen, ausgehend von Kerrys Besuch in Mexiko. Kerry warf der Regierung in Caracas "totales Versagen" bei der Umsetzung ihrer Zusagen vor. (Ende/IPS/ck/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/05/sanctioning-venezuela-unlikely-defuse-tensions/

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IPS-Tagesdienst vom 22. Mai 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2014