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LATEINAMERIKA/1521: Kuba - Bergregionen als Wohnort immer unbeliebter (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2015

Kuba: Bergregionen als Wohnort immer unbeliebter

von Ivet González



Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Das Ehepaar Nelson Aguilar und Yuleynnis Arias in der kubanischen Gemeinde Victorino
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

LA PALMA, Kuba (IPS) - Eine Traube von Schulkindern in weiß-gelben Uniformen marschiert die Hauptstraße des Dorfes Victorino entlang, die hoch zum Gipfel des Berges Turquino führt. Viele halten Regenschirme über ihre Köpfe, andere laufen ungeschützt durch den dichten Regen der Sierra Maestra, einer Berggruppe, die sich durch die ostkubanischen Provinzen Granma und Santiago de Cuba zieht.

Der Unterricht ist für heute vorbei, und die Kinder sind auf dem Weg nach Hause. "Wir passen nicht alle in den Schulbus", sagt einer der Jugendlichen, so schmächtig und wettergegerbt wie seine Kameraden. Schon seit jungen Jahren müssen sie jeden Tag viele Kilometer zur Schule und zurück laufen.


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Die Gebirgslandschaft von La Palma in der Provinz Pinar del Rio in Kuba
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Die Täler dieser Gegend sehen malerisch aus, eingebettet in waldbedeckte Gebirgszüge und durchzogen von kleinen Bächen. Für Besucher wirkt die Bergregion von Kuba fast paradiesisch. Doch das Ursprüngliche der kleinen Dörfer macht das Leben für die Bewohner beschwerlich und sorgt dafür, dass immer mehr Menschen in die größeren Städte ziehen.

"Uns fehlen Ärzte und Krankenwagen, mit denen Patienten ins nächste Krankenhaus gefahren werden könnten", erzählt Nelson Aguilar, der in Victorino Landwirtschaft betreibt. Er pflanzt Bananen an, Maniok und Süßkartoffeln. Zusammen mit seiner Frau Yuleynnis Arias ist er außerdem an einer Kooperative beteiligt, in der Kaffeebäume gezüchtet werden.

In den vergangenen Jahren habe sich die Lage allerdings verbessert, meint Aguilar. "Heute ist die medizinische Versorgung auf jeden Fall besser als früher". Victorino, ein Dorf mit 1437 Einwohnern, habe heute mehrere Schulen, eine Poliklinik und sogar Festnetztelefonanschlüsse. "Bald sollen wir auch einen Mast bekommen, um hier Mobiltelefone nutzen zu können und um einen besseren Fernsehempfang zu erhalten."


Fehlende Jobperspektiven

Das größte Problem ist allerdings, dass es hier oben kaum Jobs gibt. Viele Menschen leben von Subsistenzwirtschaft, können aber nichts dazuverdienen. Nur wenige haben die Lizenz, ihre Produkte auf dem Markt zu verkaufen. Andere haben einen Transportdienst mit LKW gestartet.

"Um mit Landwirtschaft Geld zu verdienen, muss man ziemlich hart arbeiten", erzählt Aguilar. Er selbst verdient umgerechnet rund 20 US-Dollar pro Monat. "Hier kosten Schuhe und Kleidung ein Vermögen." Das gleiche gelte für Baumaterialien. Deshalb leben die meisten Menschen in ärmlich aussehenden Holzhäusern, deren Reparatur sie sich nicht leisten können.

Seine Frau glaubt nicht, dass sie ihre 13-jährige Tochter noch lange in den Bergen halten können. "Der Jugend gefällt das moderne Leben, das ihnen das Fernsehen zeigt."

Die 21-jährige Mailén Pi aus dem Dorf La Palma in der Cordillera de Guaniguanico sieht das differenzierter. "Manche Jugendliche fühlen sich hier wohl, weil die Bergluft so gesund ist. Aber andere mögen das Leben hier nicht. Ausgehen kann man hier in der Gegend fast gar nicht: Wir haben in der ganzen Gemeinde nur eine Bar, in der Musik gespielt wird." Dabei leben in der Gemeinde fast 35.000 Menschen. Für sie gibt es mehrere Krankenhäuser, Schulen von der Grundschule bis zum Gymnasium und sogar mehrere Forschungszentren. Das Festnetztelefon ist gut ausgebaut, auch das Mobilfunknetz bereitet keine Probleme. Es gibt Stromversorgung und fließendes Wasser - keine Selbstverständlichkeit in den Bergen.


Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

Im dichten Regen läuft ein Mann in der kubanischen Gemeinde Victorino den Berg hinauf
Bild: © Jorge Luis Baños/IPS

681.600 Menschen leben heute noch in den kubanischen Bergregionen, die rund 21 Prozent des gesamten Territoriums des Landes ausmachen. 2008 waren es offiziellen Zahlen zufolge noch 724.124. Insgesamt hat Kuba eine Bevölkerung von 11,27 Millionen Menschen.


Ländliches Entwicklungsprogramm läuft nur schleppend an

1987 rief die Regierung unter dem damaligen Präsidenten Fidel Castro den 'Plan Turquino' aus, um die ländliche Entwicklung in den Gebirgsregionen Guaniguanico, Guamuhaya, Sierra Maestra und Nipe-Sagua-Baracoa zu fördern. Das Programm wurde nach dem höchsten Punkt Kubas benannt, dem 'Pico Real del Turquino' auf einer Höhe von 1974 Metern über dem Meeresspiegel. Die Bergregionen Kubas erstrecken sich auf fast 23.000 Quadratkilometern über zehn Provinzen und 54 Gemeinden.

Auch wenn sich seitdem die Gesundheits- und Bildungssysteme verbessert haben, wird immer wieder ersichtlich, dass Fortschritte nur langsam in den Bergregionen ankommen. Die Wirtschaftskrise hingegen, die seit 1991 in Kuba spürbar ist, trifft die ländlichen Bergregionen besonders hart. Fortschritte, die der Plan Turquino bereits erzielt hatte, kamen zum Stillstand.

"Die Menschen verlassen La Palma, weil es nicht an den Tourismus angeschlossen ist", ist sich José Miguel Pérez sicher. "Viele von ihnen gehen weg, um anderenorts vom Tourismus zu profitieren", meint der Professor für Kommunikationswissenschaften. Um den Exodus aus den Bergregionen zu stoppen, müsse mehr Geld für deren Entwicklung investiert werden. "Niemand will mehr außerhalb der Zivilisation leben", deshalb müsse die Zivilisation in die Berge gebracht werden. (Ende/IPS/jk/20.10.2015)


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http://www.ipsnoticias.net/2015/10/en-las-montanas-cubanas-necesitan-retener-a-su-poblacion/

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IPS-Tagesdienst vom 20. Oktober 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Oktober 2015

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