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NAHOST/1026: Ägypten - Mehr Macht fürs Militär, Referendum über neuen Verfassungsentwurf (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Januar 2014

Ägypten: Mehr Macht fürs Militär - Referendum über neuen Verfassungsentwurf

von Cam McGrath


Bild: © Cam McGrath/IPS

Die geplante neue Verfassung würde die Macht der Militärs zementieren
Bild: © Cam McGrath/IPS

Kairo, 9. Januar (IPS) - In Ägypten sollen die Bürger am 14. und 15. Januar in einem Referendum über den Entwurf einer neuen Verfassung entscheiden, die das Militär zu der mächtigsten Institution im Lande machen und jeder staatlichen Kontrolle entziehen würde.

Die Vorlage soll den Text der Verfassung ersetzen, die die Regierung des gestürzten islamistischen Präsidenten Mohamed Mursi durchgebracht hatte. Sie schürt jedoch Ängste, dass sie von den Streitkräften zur Konsolidierung ihrer Macht und zum Schutz ihrer politischen und wirtschaftlichen Interessen missbraucht werden könnte.

"Die Befugnisse, die der Armee (in dem neuen Verfassungsentwurf) erteilt würden, legen den Grundstein für eine Militärdiktatur", warnt Tharwat Badawi, Professor für Verfassungsrecht an der Universität von Kairo.

Der neue Entwurf war von einem 50-köpfigen Ausschuss verfasst worden, den die vom Militär im Anschluss an die Absetzung Mursis im Juli 2013 eingesetzte Regierung zusammengestellt hatte. Allgemein gilt das Papier als Verbesserung. Die unter Mursi verabschiedete Verfassung ist umstritten, weil sie der islamischen Rechtsprechung mehr Raum gibt und die persönlichen Freiheiten eingeschränkt hat.


"Staat im Staat"

Was die neue Vorlage angeht, stoßen sich Rechtsexperten vor allem an den Artikeln, die die Machtbefugnisse der Regierung einschränken. "Kommt der Entwurf durch, werden der gewählte Präsident und das Parlament keine wirkliche Kontrolle über das Militär haben, das somit selbst zu einem Staat im Staat werden könnte", befürchtet Badawi.

Gemäß der neuen Verfassungsvorlage hätte der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF) das letzte Wort bei der Ernennung des Verteidigungsministers. Badawi zufolge würde dem gewählten Präsidenten das Recht entzogen, den Verteidigungsminister auszuwählen. Die Streitkräfte stünden dann nicht mehr unter ziviler Kontrolle. "In einem solchen Fall wäre das Militär dem Staatschef oder dem Volk gegenüber nicht mehr rechenschaftspflichtig. Und das ist gefährlich."

Kritiker weisen darauf hin, dass die ägyptische Armee die Bürgerrechte wiederholt mit Füßen getreten und den demokratischen Wandel seit dem Volksaufstand gegen die Diktatur des ehemaligen Präsidenten Hosni Mubarak vor drei Jahren torpediert hat. Die neue Verfassung könnte dazu dienen, die Streitkräfte vor Forderungen der Aktivisten des 'Arabischen Frühlings' und gewählter Regierungsvertreter zu immunisieren.

Menschenrechtsaktivisten monieren, dass der Artikel die viel diskutierte Praxis auf Dauer festschreibt, Zivilisten vor Militärgerichte zu stellen. Mindestens 12.000 Zivilisten waren in den Monaten nach dem Volksaufstand von 2011 von Militärgerichten verurteilt worden. Ahmed Maher, Leiter der Jugendbewegung 6. April, geißelte den entsprechenden Verfassungsartikel als "Verrat" von Seiten der 50 Ausschussmitglieder. "Diejenigen, die die Militärverfahren (gegen Zivilisten) unterstützen und vergessen haben, was 2011 geschah, haben ihr Gewissen verkauft und folgen persönlichen Interessen", schrieb er auf seiner Facebook-Seite.

Maher war im letzten Monat zu drei Jahren Schwerstarbeit verurteilt worden, weil er eine ungenehmigte Demonstration gegen den Vorstoß des Verfassungsausschusses organisiert hatte, die Zuständigkeit der Militärgerichte für Zivilisten im Grundrecht zu verankern. Er gehört zu den ersten, die die Härte eines neuen Gesetzes zu spüren bekamen, das die vom Militär installierte Interimsregierung erlassen hatte. Danach bedarf es für die Durchführung von Protesten einer staatlichen Genehmigung.

Als Konzession an die Menschenrechtsbewegung verringert der Verfassungsentwurf die Fälle, in denen Zivilisten vor ein Militärgericht gestellt werden können. Allerdings erlaubt er immer noch, dass Militärrichter Verfahren über Dispute zwischen Zivilisten und Armeeangehörigen in 'Militärzonen' vorsitzen. "In Ägypten ist das Militär so breit aufgestellt, dass praktisch jedes Gebiet als militärische Zone betrachtet werden kann", gibt Badawi zu bedenken.


Unkontrollierte Wirtschaftsaktivitäten

Der neue Verfassungsentwurf verhindert zudem jede Form der Transparenz, was die Wirtschaftsaktivitäten des Militärs betrifft. Das Budget der Streitkräfte unterliegt keinerlei parlamentarischer Kontrolle, was bedeutet, dass die militärische Führung über den Verteidigungshaushalt frei verfügen kann.

Die gleichen Klauseln schützen das Wirtschaftsimperium der ägyptischen Armee, die zehn bis 40 Prozent der Ökonomie beherrschen soll. Militärische Unternehmen sind in allen Branchen vertreten. Und immer genießen sie besondere Privilegien wie den freien Zugang zu Land und Steuerfreiheiten. Auch dürfen sie Rekruten beschäftigen und sind von der Offenlegung ihrer Bilanzen befreit.

"Wenn wir uns das ganze Ausmaß der Durchdringung des Staates durch die Streitkräfte anschauen, stellen wir fest, dass der Staat mehr oder minder der Armee dient", erläutert Robert Springborg, ein auf ägyptische Militärfragen spezialisierter Experte. "Die Streitkräfte haben Zugang zu staatlichen Mitteln, ohne auch nur in irgendeiner Form rechenschaftspflichtig zu sein."

Und das wird sich auch nicht so schnell ändern. Die ägyptische Armee hat seit der Absetzung von Mursi und der Niederschlagung der Aufstände von Mitgliedern der Muslim-Bruderschaft an Popularität gewonnen. Analysten zufolge wird es extrem schwer sein, die Militärs um den Einfluss zu bringen, den sie im Fall eines Referendums für die neue Verfassungsvorlage erlangen würden.

Mohamed Mousa, prominentes Mitglied der Al-Dostour-Partei, hält einen solchen Machtzuwachs zwar für äußerst bedenklich. Gleichwohl geht er davon aus, dass die meisten Ägypter für den neuen Verfassungsentwurf stimmen werden, um damit ihren Zuspruch für den Sturz von Mursi zum Ausdruck zu bringen.

"Wir haben Bedenken gegen den Verfassungsentwurf, vor allem mit Blick auf einige Artikel, in denen es um die Zuständigkeit der Militärgerichtsbarkeit für Zivilisten und die Befugnisse der Armee geht", räumt auch Mousa ein. "Doch wir versuchen das Ganze als Paket zu sehen, das wir in seiner Gesamtheit für akzeptabel halten." (Ende/IPS/kb/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/01/egypt-toughens-generals-constitution/

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IPS-Tagesdienst vom 9. Januar 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2014