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NAHOST/1060: Keine Reaktion von UN-Sicherheitsrat auf UN-Bericht über Kriegsverbrechen erwartet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2015

Nahost: Keine Reaktion von UN-Sicherheitsrat auf UN-Bericht über Kriegsverbrechen erwartet

von Thalif Deen


Bild: © Eskinder Debebe/UN

Im letzten Krieg zwischen Hamas und Israel wurden unzählige Gebäude im Gazastreifen in Schutt und Asche gelegt
Bild: © Eskinder Debebe/UN

NEW YORK (IPS) - Nach der jüngsten Veröffentlichung eines 217 Seiten starken Berichts über mutmaßliche Kriegsverbrechen von Seiten Israels und der palästinensischen Hamas im 50-Tage-Krieg im Sommer letzten Jahres sind die Chancen, dass der UN-Sicherheitsrat aktiv wird, gleich null.

Menschenrechtsorganisationen hoffen nun, dass der Internationale Strafgerichtshof (ICC) tätig wird und ein Verfahren gegen die Kriegsparteien einleitet.

Israel hatte mehr als 6.000 Luftangriffe geflogen, die 2.251 Palästinensern einschließlich 1.462 Zivilisten den Tod brachten. Die mehr als 6.600 Raketen und Mörser, die von der Hamas gegen Israel abgefeuert wurden, kosteten dem Bericht zufolge sechs Zivilisten das Leben. Weitere 1.600 wurden verletzt.

"Allein schon die Opferzahlen sprechen Bände", heißt es in dem Report, der von dem zweiköpfigen Ausschuss unter Vorsitz der US-Juristin Mary McGowan vorgelegt wurde. Bei dem zweiten Mitglied des Ausschusses handelt es sich um Doudou Dienne, einen Anwalt und ehemaligen U N-Mitarbeiter aus dem Senegal.

Israels Premierminister Benjamin Netanyahu hat den Report, der von einer "beispiellosen Verwüstung" des Gazastreifens sprach, als "fehlerhaft und einseitig" zurückgewiesen.

Auf einem Pressebriefing am 23. Juni wollte sich US-Außenamtssprecher John Kirby nicht zu der Frage äußern, ob sich der UN-Sicherheitsrat oder der Internationale Strafgerichtshof (ICC) mit dem UN-Bericht befassen werden. Kirby erklärte den Reportern, dass die USA allein schon den Mechanismus in Frage stellten, der zur Einrichtung des Panels geführt habe. Der Untersuchungsausschutz war vom UN- Menschenrechtsrat eingesetzt worden, dem auch Washington angehört.


"Keine Notwendigkeit für den Sicherheitsrat, aktiv zu werden"

"Wir werden ihn [den Bericht] nicht zurückweisen. Wir werden ihn sicherlich lesen, wie wir dies mit allen UN-Berichten tun. Doch sind wir nicht mit der Begründung, die zur Erstellung des Berichts führte, einverstanden. Wir können keine Notwendigkeit für den Sicherheitsrat erkennen, in der Sache aktiv zu werden", so Kirby. Auf die Frage, ob denn der ICC eingeschaltet werden werde, meinte er: "Wir werden weitere UN-Aktivitäten im Zusammenhang mit dem UN-Bericht nicht unterstützen."

Doch die anwesenden Journalisten ließen nicht locker. Sie erinnerten Kirby daran, dass die USA einerseits eine Untersuchung der Menschenrechtslage in Nordkorea befürworteten, den Untersuchungsbericht zum Gazastreifen hingegen ablehnten. "Sie wissen, dass wir die vorgebrachten Gründe für die Einrichtung dieses speziellen Untersuchungsgremiums nicht akzeptieren können, weil sie eindeutig eine Voreingenommenheit gegenüber Israel erkennen lassen", betonte der US-Außenamtssprecher.

Unbeantwortet blieb auch die Frage, ob nach dieser Logik nicht auch von einer Voreingenommenheit des UN-Panels gegenüber der Hamas gesprochen werden müsse, der ebenfalls in dem Bericht Kriegsverbrechen angelastet werden.

Michael Ratner, emeritierter Vorsitzender des 'Centre for Constitutional Rights' mit Sitz in New York, erklärte gegenüber IPS, dass der neue Bericht ähnlich vernichtend sei, was die Kriegsverbrechen von Seiten Israels angehe, wie schon der, den ein anderer UN-Untersuchungsausschuss nach den Angriffen Israels auf den Gazastreifen Ende 2008/Anfang 2009 vorgelegt hatte.

Ratner zufolge hat es Israel an den nach internationalem Recht erforderlichen Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und der Unterscheidung zwischen zivilen und militärischen Zielen missen lassen. "Ja, der Bericht verurteilt auch bewaffnete palästinensische Gruppen. Doch die überwältigende Mehrheit der Verbrechen wird den Israelis zur Last gelegt."

Wie der Experte weiter betonte, "ignorieren die USA, die in erster Linie Israels Kriegsverbrechen möglich machen, nach Vogel-Strauß-Manier wieder einmal die Beweismittel für die Verbrechen Israels und schenken Israel Milliarden US-Dollar, damit noch mehr Verbrechen begangen werden können." Sollte Israel irgendwann einmal auf der Anklagebank sitzen, dann mit seinem Komplizen USA. Das Verhalten Washingtons sei unentschuldbar.


Fall für den ICC

Balkees Jarrah von der Menschenrechtsorganisation 'Human Rights Watch' (HRW) erklärte gegenüber IPS, dass der ICC nun über das Mandat verfüge, schwere Verbrechen, die auf den 13. Juni 2014 zurückgingen und auf palästinensischem Gebiet begangen worden seien, zu untersuchen.

Die Chefanklägerin des ICC, Fatou Bensouda, führt derzeit Voruntersuchungen durch, um zu entscheiden, ob es eine formelle Untersuchung der gegen Israel und Hamas erhobenen Vorwürfe geben wird. In Anbetracht einer möglichen Verfahrensaufnahme werden beide Seiten nach Ansicht von Jarrah nun unter Beweis stellen müssen, dass sie selbst gewillt und bereit sind, die schweren Vorwürfe zu untersuchen und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die gegen international geltendes Kriegsrecht verstoßen hätten.

Ratner hält eine Intervention des UN-Sicherheitsrats angesichts der Wahrscheinlichkeit, dass die USA in einem solchen Fall von ihrem Vetorecht Gebrauch machen würden, für unwahrscheinlich. "Doch die Verbrechen Israels und die entsprechenden Berichte bleiben." Die nächste Station werde der ICC sein, erklärte er und wies darauf hin, dass sich Palästina auf die Vorlage von Beweismitteln für drei in den Palästinensergebieten begangene Verbrechen vorbereite: den Bau der Siedlungen, Kriegsverbrechen und den Umgang mit Gefangenen.

"Israel wird natürlich wie immer empört anmerken, dass Palästina kein unabhängiger Staat ist. Doch dieses Argument zieht nicht mehr", fügte er hinzu. Selbstverständlich werde sich die ICC-Chefanklägerin auch mit den vom Gazastreifen Richtung Israel abgeschossenen Raketen befassen. Doch sei an der Unverhältnismäßigkeit, mit der Israel auf die Angriffe der Hamas reagiert habe, nicht zu rütteln. Was den Vorwurf des israelischen Siedlungsbaus betreffe, handele Israel eindeutig gegen geltendes Völkerrecht. Für dieses Kriegsverbrechen gebe es keine Rechtfertigung.

Ratner ist zuversichtlich, dass der ICC aus Gründen der eigenen Glaubwürdigkeit den Fall aufgreifen wird. "Wollen wir für das palästinensische Volk hoffen, dass er auf kurz oder lang damit beginnt." (Ende/IPS/kb/25.06.2015)


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http://www.ipsnews.net/2015/06/security-council-action-on-gaza-war-crimes-a-non-starter/

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IPS-Tagesdienst vom 25. Juni 2015
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2015

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