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NAHOST/500: Warum der Waffenstillstand scheitern mußte (AWIS)


Warum der Waffenstillstand scheitern musste

Über die Hintergründe des Krieges im Gazastreifen

Von Ivesa Lübben, 21.01.2009


Ich bin sicher, wir werden irgendwann in der Lage sein, in all den anderen Teilen dieses Landes zu siedeln, sei es durch gegenseitiges Einverständnis mit unseren Nachbarn, sei es durch Gewalt. Errichtet jetzt einen jüdischen Staat, selbst wenn es nicht im ganzen Land ist. Der Rest wird im Laufe der Zeit noch kommen. Er muss kommen.

David Ben Gurion 1937 in einem Brief an seinen Sohn Amos [1]


Diskurse über politische Ereignisse haben oft die Tendenz, sich zu verselbstständigen. Irgendwann setzen sie sich in den Köpfen fest und werden als wahr angenommen. Auf der Basis dieser "Wahrheit" werden dann Wertungen vorgenommen und politische Entscheidungen getroffen, ohne dass diese "Wahrheit" mit empirischen Tatsachen abgeglichen wird. Diskurse werden dann selber zu gesellschaftlicher Realität und zu einem politischen Machtfaktor. Die Wahrnehmung lässt sich geradezu archetypisch an der Rezeption der Ereignisse im Gazastreifen nachvollziehen. Problematisch werden solche "diskursiven Wahrheiten" jedoch, wenn sie in Realitäten eingreifen, die eben nicht deckungsgleich mit denen des Diskurses sind, der über diese Realitäten zirkuliert - vor allem, wenn es wie im Gaza um das Leben tausender Menschen geht.

Die gängige Grundhypothese über den Krieg in Gaza besagt, die HAMAS [2] habe den Krieg durch die Aufkündigung des Waffenstillstandes mit Israel, der am 19. Juni 2008 in Kraft getreten war, provoziert. Die Begründung: Die HAMAS habe israelische Orte ständig mit Qassam-Raketen beschossen. Deswegen hätte Israel sich wehren müssen. Die Ausschaltung des militärischen Potentials der HAMAS sei eine Voraussetzung für den Frieden in der Region. Alle anderen Hypothesen, wie die, dass die HAMAS bewusst Zivilisten als menschliches Schild benutze, dass sie den Tod von Zivilisten bewusst einkalkuliere, erscheinen dann ganz logisch als Konsequenz ihrer Friedensunwilligkeit und fanatischen Militanz.


Die Dämonisierung der HAMAS, die Konstruktion einer vermeintlichen Dichotomie zwischen der ("bösen") "radikal-islamistischen" HAMAS und der ("guten") "moderaten" al-Fatah oder die vor allem in den USA verbreitete These einer strategischen "Achse des Bösen" aus Iran, Hizbu Allah und HAMAS sind weder hilfreich für eine politische Analyse, da sie die Kontexte des Handelns unberücksichtigt lassen, noch entsprechen sie den empirischen Tatsachen.

Erstens: Die HAMAS ist eine konservative islamistische Organisation, die ihre Basis vor allem ihrer Sozialarbeit zu verdanken hat und die bereit ist, sich in den politischen Prozess zu integrieren, wie sie bei den Wahlen im Januar 2006 gezeigt hat, aus denen sie als Sieger hervorgegangen ist. Sie hat nichts zu tun mit terroristischen Organisationen wie al-Qaida oder der ägyptischen Jama`at al-Islamiya, wie die verbreitete Kategorisierung "radikal-islamistisch" evoziert. [3] Im Gegenteil wurde die HAMAS immer wieder von der al-Qaida auf deren Websites angegriffen, weil sie angeblich durch ihre Kompromissbereitschaft, ihren Pragmatismus und vor allem die Beteiligung an der Wahl zum palästinensischen Legislativrat die Prinzipien des Islam hintergangen hätte. Die de-facto-HAMAS-Regierung im Gazastreifen soll den ägyptischen Behörden sogar Qaida-Mitglieder, die von Ägypten nach Gaza geflohen waren, ausgeliefert haben - einer der Gründe, warum die Ägypter in der Tunnelfrage immer wieder die Augen zudrückten. [4]

Zweitens: Aufgrund regionalpolitischer Konstellationen, vor allem im Verhältnis zu Israel, gibt es sicherlich gemeinsame Interessen zwischen Hizbu Allah und HAMAS. Von einer von Iran gesteuerten Achse zu sprechen, ist jedoch völlig überspannt. HAMAS steht moderaten sunnitischen Kräften ideologisch und politisch sehr viel näher als dem schiitischen Islamismus iranischer Prägung. In anderen Regionalkonflikten - zum Beispiel in der Irakfrage - haben HAMAS und Hizbu Allah große Differenzen und sind in völlig verschiedene regionale Allianzen eingebunden. HAMAS ist aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen - wie übrigens die Fatah in den 50er Jahren auch. Die Muslimbruderschaft lehnt außer als Form des Widerstandes gegen Besatzung und Fremdherrschaft Gewalt als Mittel der Politik ab und ist in vielen arabischen Parlamenten (Ägypten, Jemen, Sudan, Kuwait, Bahrain, Irak, Algerien) und einigen arabischen Regierungen (Irak, Algerien, die somalische Übergangsregierung) vertreten, im Irak stellt sie mit Tariq al-Hashimi sogar den stellvertretenden Präsidenten.

Drittens: Sowohl in der HAMAS wie auch in der Fatah gibt es militante Kräfte, die dem bewaffneten Kampf gegen die Besatzung Priorität einräumen, und politisch-pragmatische Flügel, die Verhandlungen vorziehen. Auch in der Fatah-Führung gibt es einen Flügel, der die Oslo-Verträge und die Road-Map ablehnt, weil sie die Palästinenser in eine Sackgasse geführt hätten, die nur der Stabilisierung der Besatzung der Westbank gedient habe. Dies ist z.B. die Position des Vorsitzenden des politischen Komitees der PLO und Mitglied des Zentralkomitees der Fatah, Faruq al-Qaddumi. [5] Die Tatsache, dass nie so viele jüdische Siedlungen in der Westbank gebaut wurden wie während des Oslo-Prozesses, macht die Argumentation Qaddumis glaubwürdig. Denn während über die Gründung eines palästinensischen Staates verhandelt wurde, wurden die infrastrukturellen Voraussetzungen dieses Staates systematisch zerstört. Niemand würde Qaddumi deswegen als Extremisten bezeichnen oder seinen Rücktritt fordern. Gleichzeitig wurde mit dem Argument, die HAMAS lehne die Osloer Verträge und die Road-Map ab, der HAMAS jahrelang die Aufnahme in die PLO verweigert, während die internationale Staatengemeinschaft ihr die Regierungsfähigkeit absprach.

Viertens: Der Konflikt zwischen der Fatah und der HAMAS ist vor allem ein politischer Konflikt um Macht. Jahrelang beanspruchten Teile der Fatah ein Monopol auf die Führung des palästinensischen Volkes (in der PLO und in der Autonomiebehörde). Kleineren Organisationen wurde nur die Rolle eines Juniorpartners zugestanden.

Fünftens: Der Konflikt zwischen der HAMAS und der Fatah ist vor allem Ausdruck der erwähnten Sackgasse des Friedensprozesses. Die Kritik der HAMAS an der Verhandlungsführung der Autonomiebehörde und der Kooperation der palästinensischen Sicherheitsorgane mit der Besatzungsmacht - die ja den Ausschlag für die Ausschaltung der von Muhammad Dahlan geführten Preventive Security im Gazastreifen gab - wird auch von anderen politischen Organisationen und Teilen der Fatah geteilt. [6]

Dem 6-monatigen Waffenstillstand im Gazastreifen waren viele Dilemmata immanent, die letztlich sein Scheitern vorprogrammierten. Im Folgenden sollen diese Dilemmata benannt und die Entfaltung des Waffenstillstandes empirisch nachgezeichnet werden, um so zu einer differenzierteren Diskussion über die Verantwortung des Bruchs dieses Waffenstillstandes beizutragen. Eine solche Bestandsaufnahme ist dringend notwendig, damit zukünftiges Konfliktmanagement nicht dieselben Fehler wiederholt. Es gibt sicherlich viele andere Faktoren und Akteure, die zu der Krise beigetragen haben: die innerpalästinensischen Differenzen, die schon erwähnte Sackgasse des Friedensprozesses, die Nichtanerkennung der HAMAS-Regierung durch die USA und die Europäische Gemeinschaft, um nur einige zu nennen. Diese wurden an anderer Stelle diskutiert und müssen sicherlich weiter diskutiert werden.

Insofern beansprucht das folgende Papier keinen Anspruch auf eine vollständige Krisenanalyse, sondern will nur exemplarisch an einem Punkt Anstoß zu einer Debatte geben. [7]


Nur die HAMAS? Zur Frage der Verantwortung für den Raketenbeschuss

Allgemein wird allein die HAMAS für den Raketenbeschuss auf israelische Ortschaften aus dem Gazastreifen verantwortlich gemacht. Dies deckt sich jedoch nicht mit den empirischen Tatsachen. Eine Auswertung der Meldungen der Nachrichtenagentur Ma`an [8] aus dem Gazastreifen vom 1. bis zum 19.Juni 2008 - also der drei Wochen vor Beginn des Waffenstillstands - ergibt, dass alle palästinensischen Widerstandsorganisationen an dem Raketenbeschuss beteiligt waren: die Nasr al-Din-Brigaden der Volkskomitees, [9] die Volkswiderstandsbrigaden der Demokratische Front für die Befreiung Palästinas (DFLP), die Abu-Ali-Mustafa-Brigaden der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), die Volksfront für die Befreiung Palästina-Generalkommando (PFLP-GC), die Quds-Bridgaden des Jihad al-Islami, die Qassam-Brigaden der HAMAS und die Aqsa-Brigaden sowie andere kleinere Widerstandsorganisationen der al-Fatah (!!!). [10] Die Annahme, dass die bewaffneten Fatah-Einheiten im Sommer 2007 durch HAMAS ausgeschaltet wurden, ist unrichtig. Der HAMAS-Coup galt der von Muhammad Dahlan geleiteten Preventive Security, der vorgeworfen wurde in Zusammenarbeit mit dem Weißen Haus und mit Unterstützung israelischer und ägyptischer Geheimdienstkreise einen Coup gegen die gewählte HAMAS-Regierung geplant zu haben. [11] Die Widerstandsorganisationen der Fatah, von denen viele Mitglieder selber Vorbehalte gegen Dahlan wegen dessen langjähriger Beziehung zu CIA und israelischen Sicherheitsorganen haben, existierten weiter, wenn es auch immer wieder zu Spannungen und Zusammenstößen mit der de-facto-Regierung des Gazastreifens kam. [12]

Nur 15 % der bewaffneten Operationen in diesem Zeitraum gingen auf das Konto der HAMAS, wobei sich von diesen wiederum die Hälfte gegen in den Gazastreifen eindringende israelische Militärfahrzeuge und gegen militärische Ziele, z.B. Armeeposten entlang des Sicherheitszaunes, und Militärcamps auf der anderen Seite der Grenze richtete. Die meisten Angriffe auf Sederot gingen auf Beschuss durch die Aqsa-Brigaden zurück, die eine sehr starke Präsenz im nördlichen Gaza-Streifen haben.

Die Zeitschrift al-Hurriya, das Parteiorgan der DFLP, wendet sich in ihrer Ausgabe vom 13.Januar 2008 gegen einen Monopolanspruch der HAMAS auf Widerstand. Auch in den ersten sechs Monaten nach der Machtübernahme der HAMAS im Gazastreifen seien die meisten bewaffneten Widerstandsaktionen von den Aqsa-Brigaden durchgeführt worden. An zweiter Stelle stände der Jihad al-Islami, dann kämen die Volkskomitees. HAMAS stände erst an vierter Stelle - gefolgt von der kleineren DFLP und der PFLP. [13]

Daran wird deutlich: Der Raketenbeschuss auf israelische Siedlungen hat strukturelle Gründe. Er ist das Ergebnis der über 40 Jahre währenden Besatzung und der fortgesetzten Blockade des Gazastreifens und nicht das Resultat der politischen Option einzelner Gruppen. Das bedeutet aber auch, dass sich eine Befriedung Südisraels nicht durch die Ausschaltung der HAMAS lösen lässt, sondern nur durch die Behebung der strukturellen Ursachen, die der Gewalt zugrunde liegen. Auch ohne HAMAS wird sich andernfalls der Widerstand immer wieder neu formieren. Es ist im Gegenteil zu befürchten, dass eine Nicht-Behebung der strukturellen Krise zu immer radikaleren Formen des Widerstandes - sei es durch eine Radikalisierung der existierenden Organisationen, sei es in Form der Bildung neuer radikalerer Organisationen - führen wird. Man mag sich in diesem Zusammenhang in Erinnerung rufen, dass zwei Drittel der Menschen im Gazastreifen Flüchtlinge aus dem heutigen Südisrael sind, die seit 60 Jahren von der Weltöffentlichkeit vergessen in einer "closed zone" leben. Ohne positive Lebensperspektiven und die Wiederherstellung von Gerechtigkeit für die Menschen in Gaza wird das historisch an ihnen begangene Unrecht der Vertreibung gerade wegen der großen Nähe zu ihrer ehemaligen Heimat ständig im kollektiven Gedächtnis reproduziert werden und neuen Hass und Gewaltbereitschaft generieren.


Ein Gefängnis namens Gaza und die Logik der Tunnelwirtschaft

Der Gazastreifen ist eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Welt: Auf einem Gebiet, das etwa so groß wie das Bundesland Bremen ist, leben 1,5 Millionen Menschen. Anders als die Palästinenser in der Westbank, die bis zur Etablierung der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) einen Anspruch auf jordanische Pässe hatten, waren die Bewohner des Gazastreifens immer Staatenlose.

Seit Israel das Gebiet 1967 besetzte, wurde die Entwicklung der Wirtschaft und der Infrastruktur des Gazastreifens systematisch behindert. Die amerikanische Ökonomin Sara Roy spricht sogar von einem Prozess der Ent-Entwicklung (de-development). [14] Verantwortlich für diesen Prozess sind die völlige Kontrolle des Im- und Exports, der Zölle und Währung, der Wasserrechte und der Bewegungsfreiheit der Bewohner sowie die Enteignung von 40 % des Bodens durch israelische Siedler und die Zerstörung weiterer Anbauflächen für Checkpoints und Militäranlagen. Heute sind etwa 80 % der Menschen in Gaza arbeitslos und müssen durch die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) und das World Food Program alimentiert werden. [15]

2005 haben sich die Israelis aus dem Gazastreifen zurückgezogen und die Siedlungen abgebaut. Trotzdem hat sich Israel weit reichende Kontrollrechte über die Wirtschaft und das gesellschaftliche Leben Gazas vorbehalten: [16]

1) Kontrolle des Luftraums: Die israelische Luftwaffe hat sich weiterhin die Souveränität über den Luftraum von Gaza vorbehalten. Sie observiert das Gebiet durch Aufklärungsdrohnen und hat jederzeit die Möglichkeit Radiofrequenzen zu manipulieren. Durch Raketenbeschuss aus der Luft wurden wiederholt Funktionäre von Widerstandsorganisationen ermordet. Auch eine zurzeit sicherlich rein hypothetische Wiedereröffnung des im Dezember 2001 durch israelische Bombardements zerstörten Flughafens ist nur mit israelischer Zustimmung möglich.

2) Kontrolle der palästinensischen Hoheitsgewässer: Jeder Palästinenser aus Gaza, der mit einem Boot auf das Meer fahren möchte, benötigt zuvor eine israelische Erlaubnis, selbst wenn er sich nur in palästinensischen Hoheitsgewässern bewegt. Internationale Gewässer dürfen durch Boote aus Gaza nicht befahren werden. Wer ohne eine solche Genehmigung die Anker lichtet, riskiert sein Leben. Immer wieder werden Fischerboote von israelischen Marineschiffen beschossen. Nach dem als OsloII bezeichneten Interim-Abkommen zwischen der israelischen Regierung und der PA von 1995 durften sich Boote aus dem Gazastreifen in einer 20 Meilen-Zone (37 km) frei bewegen. Diese Zone wurde nach dem Rückzug der israelischen Armee aus Gaza einseitig auf 10 Meilen, im Juni 2008 auf drei Meilen reduziert. Dies bedeutet einen harten Schlag für die Fischereiindustrie Gazas. Fisch ist gerade angesichts der Nahrungsmittelknappheit eine wichtige Proteinquelle. Außerdem gingen durch die Behinderung des Fischfangs Arbeitsplätze verloren. Auch für den Bau und Ausbau von Hafenanlagen brauchen die Behörden in Gaza die Erlaubnis der Israelis.

3) Kontrolle des Außenhandels: Israel kontrolliert den Warenverkehr von und nach Gaza über die dafür vorgesehenen Grenzübergänge Karni, Sufa und Kerem Shalom. Über Rafah, das den Gazastreifen mit Ägypten verbindet, darf nur exportiert, aber nicht importiert werden. Dies gibt den Israelis weit reichende Interventionsmöglichkeiten in die Wirtschaft Gazas: "Israels Beschluss, die Grenzen zu schließen - was häufig passiert - paralysiert die Wirtschaft des Gazastreifens und hat zu einem Mangel an Grundbedarfsgütern beigetragen." [17] Dadurch entsteht ein negatives Investitionsklima, obwohl viele Auslandspalästinenser oder Golfaraber unter anderen Voraussetzungen sehr wohl bereit wären, in Gaza zu investieren und Arbeitsplätze zu schaffen.

4) Kontrolle der Geburten- und Personenstandsregister: Israel behielt sich auch nach dem Rückzug die Kontrolle des Personenstandsregisters von Westbank und Gazastreifen vor, das im Rahmen des Interimsabkommens formal der Autonomiebehörde übergeben wurde. Jede Änderung von Einträgen - die einzige Ausnahme ist die Registrierung von Neugeborenen, vorausgesetzt beide Eltern sind Bewohner der Besetzten Gebiete - setzt das israelische Einverständnis voraus. Dadurch hat Israel die Definitionsmacht zu bestimmen, wer als "Bewohner der Besetzten Gebiete" und wer als "Ausländer" gilt. Das betrifft vor allem Palästinenser mit ausländischen Pässen

5) Kontrolle des Zugangs zum Gazastreifen: Obwohl die Kontrolle des Übergangs von Rafah der Autonomiebehörde übergeben wurde, dürfen nur solche Palästinenser, die im palästinensischen Bevölkerungsregister registriert sind, den Gazastreifen über Ägypten betreten. Israel kontrolliert den Rafah-Übergang über Videoschaltungen und kann die Schließung von Rafah anordnen. Alle "Ausländer" - seien es in Israel lebende Palästinenser, Palästinenser mit ausländischer Staatsangehörigkeit oder Personal von Hilfsorganisationen - dürfen nur über Israel nach Gaza einreisen. Israel kontrolliert dadurch die Familienzusammenführung und indirekt die Wirtschafts- und Sozialplanung, die weitgehend von ausländischen Experten abhängig ist. Dadurch, dass die Westbank eine "geschlossene Militärzone" ist, benötigen Menschen aus Gaza, die in der Westbank verheiratet sind oder dort arbeiten, eine israelische Aufenthaltsgenehmigung. Diese wird in vielen Fällen verweigert, so dass die Betroffenen sich "illegal" in der Westbank aufhalten und jederzeit nach Gaza ausgewiesen werden können. Dadurch wird die Abtrennung des Gazastreifens von der Westbank weiter vertieft.

6) Kontrolle der Steuer- und Zolleinnahmen: Israel zieht die Import- und Exportzölle, sowie die Mehrwertsteuer für importierte und exportierte Waren ein und transferiert diese monatlich an die Autonomiebehörde. Diese Gelder werden immer wieder als politisches Druckmittel eingesetzt. Wiederholt blieben die Überweisungen aus, wodurch Löhne und Gehälter der Angestellten der palästinensischen Verwaltung, der Lehrer und der Ärzte an staatlichen Krankenhäusern nicht ausgezahlt werden konnten.

Nach der Haager Konvention (1907) sowie der Vierten Genfer Konvention (1949) definiert sich Besatzung nicht durch die physische, militärische Präsenz, sondern durch "effektive Kontrolle" die ein Staat über ein bestimmtes Gebiet ausübt. Dies ist im Falle des Gazastreifens eindeutig der Fall. Der Gazastreifen ist deswegen trotz des israelischen Truppenrückzugs weiterhin als "Besetztes Gebiet" zu betrachten. Israel ist völkerrechtlich für die Sicherheit und das soziale Wohlergehen der Bevölkerung verantwortlich. [18]

Seit Juni 2006 - also bereits ein Jahr vor der Machtübernahme der HAMAS in Gaza - ist der Gazastreifen faktisch abgeriegelt. Nur sporadisch werden Lieferungen ins Land gelassen. Seitdem wird ein Teil des Außenhandels über ein System von Tunneln zwischen dem ägyptischen und dem palästinensischen Rafah abgewickelt, das sich zu einem eigenen lukrativen Industriezweig entwickelt hat, der unter der Hand von der ägyptischen Seite faktisch, wenn auch nicht offiziell toleriert wurde. Erst unter internationalem Druck - vor allem aufgrund der Intervention Israels bei der US-Administration - begann Ägypten im Verlaufe des Jahres 2008 einen Teil der Tunnel zu zerstören. [19] Von israelischer Seite wurde dies damit begründet, dass Iran über die Tunnel Waffen nach Gaza exportieren würde. Dieses Argument scheint sehr überzogen. Es ist sicherlich nicht ausgeschlossen, dass durch die Tunnel Kleinwaffen aus ägyptischen Beständen und Material, das für das Basteln von Projektilen verwendet wird, geschmuggelt wird. Aber Iran und Ägypten unterhalten weder diplomatische Beziehungen, noch bestehen irgendwelche direkten Verbindungen zwischen beiden Ländern. Bewegungen auf dem Sinai, einem reinen Wüstengebiet, werden seit den Anschlägen auf die Touristenzentren Dahab und Sharm al-Shaikh streng kontrolliert. Aus diesem Grund ist die Hypothese einer Versorgung der HAMAS mit iranischen Waffen durch die Tunnel wenig glaubhaft.

Die Tunnel dienten angesichts der totalen Wirtschaftsblockade vor allem für den Import von Grundbedarfsgütern wie Lebensmitteln, Kleidung, Windeln, Hühnern und Kälbern nach Gaza. Mit Ausnahme der von der UNRWA und dem World Food Program verteilten Lebensmittel stammen die meisten auf dem Freien Markt erhältlichen Waren in Gaza inzwischen aus ägyptischer Produktion. Deswegen kann die Tunnelfrage nicht losgelöst von internationalen Garantien eines freien Warenverkehrs von und nach Gaza diskutiert werden. Würde man die Tunnel ohne die Öffnung der Grenzen des Gazastreifens zerstören, würde man die humanitäre Krise noch weiter verschärfen.


Der Waffenstillstand und seine Dilemmata

Die von Ägypten vermittelte Waffenstillstandsvereinbarung zwischen Israel und der HAMAS-Regierung, die am 19.6. 2008 in Kraft trat, war von vornherein brüchig, da sie mit vielen Dilemmata behaftet war. Man muss der HAMAS zugute halten, dass sie sich bis zum 5.November - in der Nacht vom 4. zum 5.November wurden sechs HAMAS-Funktionäre ermordet - konsequent an die Vereinbarungen gehalten hat. Für die HAMAS-Regierung in Gaza war die Aufhebung der Wirtschafts-Blockade eine politische Überlebensfrage, um die Versorgung der Bevölkerung zu garantieren und die Wirtschaft anzukurbeln. Die Normalisierung der Lebensbedingungen war in den Augen der HAMAS die Voraussetzung für die Konsolidierung ihrer Kontrolle über den Gazastreifen.

Das erste Dilemma der Vereinbarung bestand darin, dass es keine schriftliche Version gab. Die israelische Seite befürchtete, ein offizielles Abkommen würde der HAMAS-Regierung Legitimität verleihen.

Nach Angaben der ägyptischen Vermittler sah die Vereinbarung eine sofortige Waffenruhe vor. Nach drei Tagen sollten Grundbedarfsgüter in den Gazastreifen gelassen werden. Nach zehn Tagen sollte die Blockade vollständig aufgehoben werden und der Warenverkehr - mit Ausnahme von Materialien, die zur Waffenproduktion verwendet werden könnten - freigegeben werden. HAMAS unterbreitete ihrerseits dem Carter Center, das die Verhandlungen im Hintergrund verfolgt hatte, eine schriftliche Niederschrift der Verhandlungsergebnisse. Danach bestand das Abkommen aus sechs Punkten:

1) Einstellung aller gegenseitigen Militäraktionen ab dem 19.6.2008, 0:00 Uhr.

2) Das Abkommen gilt in Absprache mit den (palästinensischen) nationalen Parteien zunächst für 6 Monate.

3) Der Waffenstillstand beruht auf dem Konsens aller nationalen Parteien und steht unter ägyptischem Schirm.

4) Nach 72 Stunden sollen die Grenzen geöffnet und zunächst 30 % mehr Waren die Grenzen passieren dürfen.

5) Nach 10 Tagen soll ein unbegrenzter Warenverkehr möglich sein.

6) Ägypten wird sich dafür einsetzen, dass das Abkommen auf die Westbank ausgedehnt wird. [20]

Die Tatsache, dass es keine verbindliche schriftliche Form gab, führte automatisch zu dem zweiten Dilemma. Statt nach drei Tagen beschränkte Lebensmittel nach Gaza zu lassen und nach 10 Tagen die Blockade aufzuheben, stellten die Israelis neue Bedingungen für einen freien Warenverkehr und versuchten dadurch die Verhandlungsgrundlagen im Nachhinein zu verändern. Die neue Vorbedingung war die Freilassung des israelischen Soldaten Gilad Shalit, der am 25.6.2006 in einer gemeinsamen Operation der Popular Resistance Commitees, der Qassam-Brigaden und einer lokalen Gruppe, der Army of Islam, aus einem Armee-Camp jenseits der Grenze in den Gazastreifen entführt worden war, um palästinensische Gefangene freipressen zu können. Zu dem Zeitpunkt der Entführung gab es ca. 9000 Palästinenser in israelischen Gefängnissen, ein Drittel davon ohne Gerichtsverfahren. [21] Die israelische Seite hatte die Freilassung Shalits als Teil des Waffenstillstandes gefordert. Da jedoch die HAMAS ihrerseits die Freilassung politischer Gefangener - einschließlich von 300 Kindern und Jugendlichen und der 33 der HAMAS angehörenden Parlamentsabgeordneten - forderte, hatte man beschlossen, die Frage eines möglichen Gefangenenaustausches unabhängig vom Waffenstillstand zu einem spätern Zeitpunkt zu verhandeln.

Das dritte Dilemma bestand darin, dass sowohl auf palästinensischer wie auch auf israelischer Seite kein Konsens über das Waffenstillstandsabkommen bestand. Gerade in der Anfangsphase geriet die HAMAS unter den Druck der anderen Widerstands-Organisationen, die an den Verhandlungen nicht teilgenommen hatten. So forderte die PFLP, dass die HAMAS mehr für die Freilassung politischer Gefangener unternehmen müsse. Der Jihad al-Islami stimmte dem Waffenstillstand mit dem Vorbehalt zu, dass er die Zustimmung zurückziehen werde, sollte die israelische Seite sich ihrerseits nicht an die Abmachungen halten. Die DFLP kritisierte, dass der Waffenstillstand zeitlich nicht an die Öffnung der Grenzen gekoppelt sei. Die Aqsa-Brigaden forderten die Ausdehnung des Abkommens auf die Westbank. Und die Qassam-Brigaden, der bewaffnete Arm der HAMAS, unterstützen zwar die Vereinbarung, machten der politischen Führung der HAMAS jedoch deutlich, dass sie auf jeden israelischen Angriff reagieren werden. [Ma`an 18.6.2008]

Am 24. Juni werden zwei junge Funktionäre des Jihad in ihrer Wohnung in Nablus durch Einheiten der IDF (Israeli Defence Forces) ermordet. Noch am selben Tag schießen die Quds-Brigaden als Vergeltung drei Raketen auf Sederot. [Ma`an 24.6.2008

Hier liegt das vierte Dilemma: die Entkopplung eines Waffenstillstandes in Gaza und in der Westbank, die einerseits auf die Trennung des Einflussgebietes der HAMAS-Regierung und der PA zurückzuführen ist, andererseits aber auch von den Israelis gewollt ist, um diese Spaltung zu vertiefen. Denn eigentlich scheint es unlogisch, dass die israelische Seite mit der HAMAS-Regierung, deren Legitimität sie ja infrage stellt, ein Abkommen über einen Waffenstillstand abschließt, während sie sich gleichzeitig weigert, die Westbank, die ja von der Autonomiebehörde verwaltet wird, mit der Israel auf der Basis der Oslo-Verträge über eine Gesamtlösung verhandelt, in das Waffenstillstandsabkommen einzubeziehen.

Der Druck auf die palästinensischen Organisationen in der Westbank nimmt jedoch nach Beginn des Waffenstillstands in Gaza noch zu. Der israelische Stabschef Gabi Ashkenazi erklärt einen Tag vor dem Beginn der Waffenruhe explizit, dass Israel seine Militäraktionen (Verhaftungen, gezielte Tötungen) in der Westbank fortsetzen werde - eine Äußerung, die sicherlich für einen Prozess der Deeskalation nicht förderlich ist. [Ma`an 18.6.2008].

Am 24. Juni verurteilt der HAMAS-Ministerpräsident Ismail Haniya zwar die Morde in Nablus, richtet aber gleichzeitig einen dramatischen Appell an die anderen Fraktionen, den Waffenstillstand zu respektieren. [Ma`an 24.6.2008] Die israelische Seite nimmt ihrerseits die Aktion des Jihad zum Anlass, die Grenzübergänge wieder zu schließen. Zwei Tage später schießen die Aqsa-Brigaden eine Rakete auf Sederot, nachdem mehrere Fatah-Mitglieder in der Westbank bei Razzien der israelischen Armee verhaftet wurden. Die Aqsa-Brigaden wollen damit die Ausweitung des Waffenstillstandes auf die Westbank erzwingen. Der Sprecher der HAMAS-Regierung in Gaza warnt die Aqsa-Brigaden, sie würden mit ihrer Aktion die Aufhebung der Blockade zugunsten enger organisationspolitischer Interessen verhindern. Dies würde nur den Interessen der Besatzungsmacht in die Hände spielen. Das HAMAS-Innenministerium warnt, es werde diejenigen, die sich nicht an die Waffenstillstandsvereinbarungen halten, zur Verantwortung ziehen. In den folgenden Wochen werden immer wieder Mitglieder der Aqsa-Brigaden durch die HAMAS verhaftet, was ihr wiederum den Vorwurf seitens der Aqsa-Brigaden einbringt, sie wolle den berechtigten Widerstand des palästinensischen Volkes unterbinden. Die HAMAS vermutet, dass die Autonomiebehörde über die Militäraktionen der Aqsa-Brigaden den Druck auf die HAMAS-Regierung im Gazastreifen erhöhen will. [Ma`an 26.6.2008] Sowohl in israelischen Medien, wie in der Weltöffentlichkeit wird trotz anderer empirischer Sachverhalte die HAMAS für den Raketenbeschuss verantwortlich gemacht. Dies ist Teil einer Strategie der medialen Dämonisierung der HAMAS, die sechs Monate später zur Begründung der Bombardierung des Gazastreifens herhalten wird.

Das fünfte Dilemma: Während es auf der palästinensischen Seite unterschiedliche Positionen zu den konkreten Konditionen des Abkommens gibt, gibt es auf der israelischen Seite Differenzen über das Prinzip des Waffenstillstandes selber. Der stellvertretende Ministerpräsident Haim Ramon war von vornherein gegen ein Abkommen mit der HAMAS: "Der Waffenstillstand (tahdiya) stellt eine Anerkennung der HAMAS dar und ist ein ernstzunehmender Schlag gegen die Palästinensische Autonomiebehörde und ihre Führer. Jetzt werden sie wohl über die Bildung einer gemeinsamen Regierung mit HAMAS verhandeln." [18.6.2008] Dies deckt sich mit Äußerungen von Condoleeza Rice. Rice weist in Berlin die Erklärung des Generalsekretärs der arabischen Liga Amr Musa zurück, es könne keinen israelisch-palästinensischen Frieden geben, wenn nicht zuvor die nationale Einheit der Palästinenser wiederhergestellt sei. Es dürfe keinen innerpalästinensischen Dialog und keine Regierung der nationalen Einheit geben, solange die HAMAS Israels Existenzrecht nicht anerkannt habe, erklärt ihrerseits Frau Rice. [26.6.2008]. Auch israelische Militärkreise äußern ihre Skepsis, dass das Abkommen von langer Dauer sein werde und kündigen an, sie würden sich auf eine Militäroperation vorbereiten. [18.6.2008]. Trotz der Einhaltung der Waffenruhe durch die HAMAS droht der israelische Verteidigungsminister Ehud Barak am 4.August auf einer Sitzung der israelischen Arbeiterpartei mit einem Truppeneinmarsch im Gazastreifen. Boaz Haetzni, einer der Führer der Siedlerbewegung Homesh First erklärt daraufhin gegenüber der israelischen Zeitung Haaretz: "Eine große Operation ist nur eine Frage der Zeit. Wir werden ihnen [der Armee] dann [in den Gazastreifen] folgen. Wir werden niemanden um Erlaubnis fragen." [5.8.2008] Trotz dieser Äußerungen schätzt die IDF-Führung den Waffenstillstand zwei Monate nach dessen Beginn positiv ein, weil er zu einer Beruhigung der Situation in den an den Gaza-Streifen grenzenden Gebieten geführt habe. Anders der innere Geheimdienst Shin Bet, dessen Direktor Yuval Diskin der Ansicht ist, ein Waffenstillstand würde den Druck auf die HAMAS Shalit freizulassen verringern. Er ruft die Armee auf, sich auf einen größeren Militärschlag vorzubereiten. [Ma`an 8.8.2008] Diese Äußerungen verstärken unter den Palästinensern den Eindruck, dass der Waffenstillstand seitens der israelischen Militärführung nur dem Zeitgewinn zur Vorbereitung einer Offensive dient.

Ein sechstes Dilemma sind die asymmetrischen Durchsetzungsmechanismen. Während die israelische Seite durch die Kontrolle der Grenzen und die militärische Drohkulisse über effektive Druckinstrumente verfügt, um die HAMAS zur Einhaltung ihrer aus dem Abkommen resultierenden Verpflichtungen - Einstellung des Raketenbeschusses - zu zwingen, sind der HAMAS-Regierung gegenüber israelischen Verletzungen die Hände gebunden. Aufgrund ihrer internationalen Isolation kann sie allein auf ägyptische Vermittlungsbemühungen hoffen, die wie wir sehen werden, wenig effektiv sind und schließlich ganz ausbleiben.

Das siebte Dilemma: Es gab kein internationales, neutrales Monitoring. Zwar hatte sich das Carter Center unter Zustimmung der HAMAS als Beobachterinstanz angeboten - seit er als Wahlbeobachter an den palästinensischen Legislativwahlen teilgenommen hatte, unterhält der ehemalige US-Präsident Jimmy Carter Kontakte zur HAMAS - war aber bei den Israelis auf taube Ohren gestoßen. [22] Die Tatsache, dass es keine Beobachtung gab, hatte eine asymmetrische Berichterstattung zur Folge. Die unzähligen israelischen Verletzungen des Abkommens auch schon vor den Ereignissen des 4. November blieben von der Weltöffentlichkeit und der internationalen Politik unbeachtet, während andererseits jede palästinensische Rakete ohne jeden Kontextbezug und ohne die Urheberschaft zu verifizieren medial überproportional als Angriff der "radikal-islamistischen" HAMAS ausgeschlachtet wurde. Dieses Bild sollte später dazu führen, dass europäische und amerikanische Politiker und Medien einseitig der HAMAS die Verantwortung für den Bruch des Waffenstillstandes zuschrieben und den israelischen Krieg als Verteidigungskrieg bewerteten und teilweise rechtfertigten.

Die empirischen Daten ergeben ein anderes Bild: Bereits am 19. Juni, also am ersten Tag des Waffenstillstandes schießen israelische Kriegsschiffe vier Raketen auf palästinensische Fischer in den palästinensischen Hoheitsgewässern. Am selben Tag lassen Kampfflugzeuge, die über Gaza-Stadt kreisen, Schall-Bomben explodieren und lösen eine Panik unter der Bevölkerung aus. In der Gegend von Khan Yunis schießen israelische Patrouillen über den Grenzzaun hinweg auf Bauern, die jenseits der Grenzbefestigungen auf ihren Äckern arbeiten. [Ma`an 26.6.2008]. Dieses Szenario - Beschuss der Fischer unter Verletzung der palästinensischen Hoheitsgewässer, Beschuss von Farmern und Schäfern, deren Felder und Häuser hinter dem Grenzzaun liegen, Verletzung des Luftraumes, Militärpatrouillen, die in das Gebiet des Gazastreifens eindringen - wiederholt sich fast täglich. [23] Am 29.Juni beschwert sich eine Delegation von Farmern bei dem HAMAS-Landwirtschaftsminister, sie könnten wegen des Beschusses nicht mehr die Äcker entlang des Grenzzaunes bestellen. Sie fordern die Regierung auf, etwas zu ihrem Schutz zu unternehmen. Dieser sind jedoch die Hände gebunden [Ma`an 29.6.2008]. In den nächsten Monaten werden mehrere Fischerboote durch Beschuss und durch gewollt herbeigeführte Kollisionen durch die israelische Marine beschädigt, am 29. September wird ein Boot versenkt. [24] Da es kaum noch Ersatzteile gibt, können die Boote nicht repariert werden. Am 18. November verhaften israelische Marine-Soldaten 15 Fischer und drei ausländische Solidaritätsaktivisten vor der Küste Gazas. Die "Internationals" hatten die Fischer in der Hoffnung begleitet, dass ihre Anwesenheit ein Mindestmaß an Schutz gewähren würde. Sie werden nach Israel verschleppt und nach sechs Tagen Isolationshaft ausgewiesen. [Ma`an 18.11.2008] [25] Durch die Angriffe werden die Fischereikapazitäten in Gaza erheblich reduziert. Im November schlagen israelische Bulldozer auf dem Gebiet des Gazastreifens eine 150 m breite Schneise für Militärpatrouillen und zerstörten dabei etwa 750 ha Agrarland. [Ma`an 12.11.2008].


Abu Dawabah und der Anfang des Endes

Ende September wird der Tunnelbauer Abu Dawabah in Israel verhaftet. Abu Dawabah ist eine dubiose Figur. Er war früher im Rauschgiftschmuggel tätig, bevor er im Tunnelgeschäft ein Vermögen machte. Dawabah behauptet beim Verhör, dass ihm sowohl von der HAMAS wie auch von den Aqsa-Brigaden Geld für die Entführung eines israelischen Soldaten geboten worden sei. [Ma`an 3.11.2008] Einen Tag später erfolgt ein Dementi aus dem HAMAS-Innenministerium. Ziel einer solchen Behauptung sei es, die innere Sicherheit, die sich mit der Einstellung neuer, vom Parteiapparat der HAMAS und von den Qassam-Brigaden unabhängigen Polizisten [26] deutlich verbessert hatte, zu unterminieren. Die Erklärung warnt unter Anspielung auf Dawabah vor israelischen Kollaborateuren.

Statt zu versuchen den Fall über die Vermittlung ägyptischer Sicherheitsdienste - das Waffenstillstandsabkommen wurde immerhin vom ägyptischen Geheimdienstchef und Staatsminister Umar Sulaiman vermittelt - aufzuklären, dringen am Abend des 4. November israelische Truppen nach Khan Yunis ein. Gezielt eingesetzte Projektile töten sechs HAMAS-Mitglieder und verwunden mehrere Menschen, darunter eine Frau. In Deir al-Balah werden mehrere Raketen auf Wohngebiete abgeschossen. In der Nähe von Wadi Salqa werden zwei Häuser der Hawaidi-Familie zerstört und sieben Familienmitglieder - darunter drei Frauen - nach Israel verschleppt. Am gleichen Tag verbieten israelische Grenzposten französischen Konsulatsbeamten, die sich ein Bild von der Lage machen wollen, den Gazastreifen zu betreten. Am folgenden Tag werden Wohngebiete im Norden des Gazastreifens und in Khan Yunis beschossen. Israelische Truppen töten einen Führer des Jihad. Daraufhin schießen die HAMAS, die Aqsa-Brigaden und der Jihad Raketen auf Israel. Der Jihad und die Aqsa-Brigaden erklären, der Waffenstillstand werde sie nicht davon abhalten, auf israelische Verletzungen des Abkommens zu reagieren. Die Volkskomitees erklären, Israel habe das Abkommen zerbombt.

Trotzdem will die HAMAS am Waffenstillstand festhalten und bittet Ägypten um Vermittlung. Die HAMAS warnt vor einer neuen Runde der Gewalt, sollte die Blockade nicht aufgehoben werden. Am 8.November dringen an mehreren Stellen israelische Bulldozer in den Streifen ein. Es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen mit Einheiten der DFLP. Am 12.November werden vier weitere HAMAS-Mitglieder getötet. Israelische Flugzeuge schießen Raketen auf Wohngebiete. Die palästinensischen Fraktionen werden dem Waffenstillstand gegenüber immer skeptischer. Am 13.November erklärt die DFLP, es gehe Israel nicht um einen Waffenstillstand, sondern darum, den Widerstand gegen die Besatzung zu brechen. Am selben Tag verbieten israelische Grenzer einem UN-Lebensmittelkonvoi, die Grenze zu passieren.

Die Situation eskaliert: In den nächsten Tagen schießen die PFLP, die DFLP, die Volkskomitees und die HAMAS Projektile auf israelische Orte, während israelische Flugzeuge den Norden des Gazastreifens bombardieren. Am 16.November ruft der israelische Transportminister dazu auf, die gesamte HAMAS-Führung umzubringen. Bei neuen Angriffen werden vier Mitglieder der Volkskomitees getötet. Inzwischen sind 15 Menschen bei den Luftangriffen der letzten Tage ums Leben gekommen. Die Volkskomitees erklären den Waffenstillstand für beendet. Ihr Sprecher gibt Israel die Verantwortung. Am 17. November schießen die DFLP und der Jihad Raketen nach Israel. Am 18.November dringen israelische Panzer in den Streifen ein, es kommt zu bewaffneten Zusammenstößen mit der PFLP und den Mujahedin, einer weiteren Widerstandsgruppe der Fatah.

Die Lebensmittelkrise spitzt sich immer weiter zu. 50 % der Bäckereien können wegen Mangels an Mehl nicht mehr arbeiten. Andere verwenden Tierfutter zum Brotbacken. Am 20. November wird erneut ein HAMAS-Mitglied durch gezielten Raketenbeschuss ermordet. Die HAMAS gerät zunehmend unter Druck der anderen Gruppen, aber auch der eigenen Basis, die fordert, sie solle die israelische Seite zur Einhaltung des Waffenstillstandes zwingen. Aber wie?

Am 23. November heißt es aus diplomatischen Quellen, die Ägypter hätten sich eingeschaltet und zwischen der HAMAS und der israelischen Regierung die Rückkehr zum Waffenstillstand zu den ursprünglich ausgehandelten Bedingungen vereinbart. Dies wird von der HAMAS bestätigt. HAMAS-Sprecher Ayman Taha erklärt außerdem, dass sich auch die anderen Widerstandsgruppen zur Fortsetzung des Waffenstillstandes bereit erklären - unter der Bedingung, dass die Blockade aufgehoben wird. Die israelische Seite äußert sich nicht dazu. Im Gegenteil - der israelische Verteidigungsminister Barak nimmt den Befehl, die Grenze für dringend benötigte Lebensmittellieferungen zu öffnen, wieder zurück, nachdem laut israelischer Angaben Raketen abgeschossen wurden, für die jedoch kein Bekennerschreiben vorliegt. Schon im August waren mehrfach Raketen ohne Bekennerschreiben aus dem Gaza-Streifen in die Negev-Wüste geschossen worden, woraufhin jeweils die Grenzen geschlossen wurden. HAMAS-Führer Mammud al-Zahhar warf damals israelischen Agenten vor, sie wollten den Vorwand für einen Truppeneinmarsch schaffen. [Ma`an 12.9.2008]. [27]

Am 24. November stirbt ein Mitglied der Volkskomitees durch eine israelische Rakete. Am 28.11. trifft es einen Mann aus Khan Yunis, der keiner Organisation angehört. Am selben Tag werden acht israelische Soldaten an einem Grenzposten durch Angriffe der Mujahedin verletzt. Die Israelis wollten keinen Waffenstillstand, schreiben sie in ihrem Bekennerschreiben, sondern nur Zeitgewinn zur Vorbereitung eines Angriffs. Es gehe den Israelis auch nicht um die Fatah oder die HAMAS, sondern um den palästinensischen Widerstand als ganzen. Der Waffenstillstand habe den Palästinensern nichts gebracht. Sie - die Mujahedin - würden keinen Quadratmeter Palästinas aufgeben. [Ma`an 28.11.2008]

Die Menschen in Gaza sind aufgrund der anhaltenden Blockade immer frustrierter, die Organisationen radikalisieren sich. Am 30.November erklärt der Jihad, er fühle sich nicht mehr an den Waffenstillstand gebunden. Die Aqsa-Brigaden schießen wieder Projektile auf Sederot. Über Vermittler aus Qatar werden die HAMAS und der Jihad gewarnt, dass Israel eine groß angelegte Militäroffensive in den Gazastreifen plane. Die politische HAMAS-Führung richtet einen dringenden Appell an die bewaffneten Gruppen einschließlich ihrer eigenen Qassam-Brigaden, den Feuerbeschuss auf israelische Orte einzustellen. Ihr scheint die Kontrolle immer mehr zu entgleiten und sie wendet sich an ihre Exilführung in Damaskus mit der Bitte, die Qassam-Brigaden zu drängen, den Beschuss israelischer Orte zu unterbinden. Dies Argument kann angesichts der Situation vor Ort jedoch kaum noch jemanden überzeugen.


Mit dem Rücken zur Wand: Die Diskussion über die Verlängerung des Waffenstillstandes

In dieser angespannten Atmosphäre beginnt die Diskussion über die Frage, wie man sich zu einer Verlängerung des Waffenstillstandes verhalten soll, der am 19. Dezember auslaufen wird. Die politische Führung der HAMAS ist unschlüssig. Einerseits will sie die Verlängerung, andererseits ist der Waffenstillstand in eine Sackgasse geraten. Hinzu kommt ihre regionale und internationale politische Isolierung. Sie will in dieser Situation auf alle Fälle einen Konsens aller Widerstandsorganisationen im Gazastreifen und bittet Anfang Dezember die anderen Gruppen um Stellungsnahmen.

Am 2. Dezember dringen wieder israelische Panzer in den Gazastreifen ein. Bei Luftangriffen werden zwei Teenager getötet. Diese Ereignisse spiegeln sich unmittelbar in den Stellungnahmen wieder. Noch am selben Tag erklärt der Jihad, dass allein die Besatzung vom Waffenstillstand profitiert habe. Die Israelis hätten sich an keine der Abmachungen gehalten. Auch die PFLP lehnt jetzt die Verlängerung des Waffenstillstandes ab. Sie lehnt es ab, sich zu Beratungen mit HAMAS-Vertretern zu treffen und wirft der HAMAS vor, sie wolle den Waffenstillstand verlängern, obwohl sie wüsste, dass die anderen Fraktionen dagegen seien. Stattdessen ruft die PFLP zur Bildung einer vereinten Widerstandsfront gegen die Besatzung auf. [Ma`an, 4.12.2008]

Die Positionierung der Aqsa-Brigaden ist nicht eindeutig. Die Fatah im Gazastreifen steht zwischen der Loyalität zu Präsident Abbas und dem zunehmenden Druck durch die Realitäten des Gazastreifens. Im September hatte die Fatah in Gaza mit der Wahl einer eigenen Führung gedroht, da sie sich von der Führung in Ramallah sowohl im Konflikt mit der HAMAS wie auch mit dem israelischen Druck auf Gaza allein gelassen fühlte. "Jeder weiß, dass die Drohungen gegen das palästinensische Volk, die palästinensische Heimat und die palästinensische Sache den Höhepunkt erreicht haben. Israels Aggression und die Unnachgiebigkeit des Besatzers hören nicht auf und wir haben die Folgen des schwarzen Coups [gemeint der Coup der HAMAS gegen Dahlan] zu tragen", heißt es in einer Erklärung an die Fatah-Führung. Die Organisation in Gaza wirft der Führung in Ramallah vor, alle "Instrumente der Standhaftigkeit" und alle "Säulen des nationalen Projekts" aufs Spiel gesetzt zu haben. [Ma`an, 22.9.2008] Zur Fortsetzung des Waffenstillstands gefragt, erklären sie einerseits, dass sie sich an die Beschlüsse der politischen Führung in Ramallah halten werden, selbst wenn diese im Widerspruch zu den Interessen des palästinensischen Volkes ständen, andererseits bekennen sich die Aqsa-Brigaden zu den Raketenangriffen auf Ashkelon am 4. Dezember.

Zu einer weiteren Eskalation im Gazastreifen kommt es nach den massiven Übergriffen von jüdischen Siedlern auf Palästinenser in Hebron am 5.Dezember. Die palästinensischen Organisationen sprechen von einem Versuch der "ethnischen Säuberung" [Ma`an 5.12.2008]. Während die Aqsa-Brigaden, die DFLP und die Quds-Brigaden des Jihad als Reaktion auf die Vorfälle in der Westbank Raketen auf israelische Orte schießen, organisiert die HAMAS Solidaritätsdemonstrationen mit den Palästinensern in Hebron, um das, was von dem Waffenstillstandabkommen übrig geblieben ist, nicht auch noch zu gefährden. Die Situation in der Westbank eskaliert weiter: Es kommt zu der größten Verhaftungswelle seit der zweiten Intifada: 390 Verhaftete, darunter 65 Minderjährige. Tzipi Livni heizt die Spannung weiter an, als sie am 13. Dezember erklärt, dass im Falle der Gründung eines palästinensischen Staates die in Israel lebenden Palästinenser aus Israel ausgebürgert würden. Die Palästinenser in Gaza sehen die Blockade, die Siedlungspolitik in der Westbank, die Äußerungen Livnis in dem Kontext der Kontinuität der "ethnischen Säuberung" des ehemaligen Palästinas und der Zerstörung aller materiellen Grundlagen für die Etablierung eines palästinensischen Staates.

Im Gazastreifen wird die Blockade immer enger. Ein Schiff mit Friedensaktivisten aus Israel, das Lebensmittel und Geschenke für Kinder anlässlich des Opferfestes nach Gaza bringen will, wird am 7. Dezember von israelischen Kriegsschiffen zur Umkehr gezwungen. Nicht anders ergeht es einem Schiff aus Qatar und einem weiteren aus Libyen, die Lebensmittel nach Gaza bringen wollen.

Seit dem 5. November ist der Gazastreifen komplett abgeriegelt. Selbst Lebensmittel, Medizin, Benzin, Ersatzteile für Generatoren und Wasserpumpen, Papier, Telefone und Schuhe werden nicht mehr oder nur in minimalen Mengen in den Gazastreifen gelassen. Mehrfach muss die UNRWA, von deren Lebensmittelunterstützung die Hälfte der Menschen in Gaza abhängig ist, die Verteilung von Lebensmitteln einstellen. Das World Food Program, die zweite internationale Organisation, die Lebensmittelhilfe leistet, berichtet, dass die israelischen Grenzbehörden im November nur noch 6 % der von ihm benötigten Warenlieferungen in den Gaza-Streifen gelassen hätten. Nicht nur das: Die Israelis verlangen auch noch Lagergebühren für die Lieferungen, die an den Grenzübergängen festgehalten werden. Das World Food Programm muss allein im November 215 000 $ zahlen. 30 der 47 Bäckereien müssen schließen, weil sie kein Heizöl mehr haben. Der Mangel an Heizöl zur Betreibung von Generatoren und an Futter hat die Betreiber von Legebatterien dazu gezwungen 70 Prozent der Hühner zu schlachten. Nach Angaben der FAO wird es im April überhaupt keine Hühner mehr in Gaza geben. Auch die Krankenhäuser können eine durchgehende Stromversorgung nicht mehr garantieren. Dadurch fallen lebensrettende Inkubatoren oder Beatmungsgeräte teilweise oder ganz aus. Auch die Abwasser- und Trinkwasserversorgung ist von den Stromausfällen betroffen. Die Wasserbehörde stellt im November einen Antrag auf den Import von 200 t Chlor zur Desinfektion des Trinkwassers. Aber nur 18 t werden genehmigt, wodurch sich die Seuchengefahr erhöht. [28]

Inzwischen sieht keine Organisation mehr einen Sinn in der Verlängerung des Waffenstillstandes. Regelmäßig beschießen Brigaden der DFLP, der Aqsa-Brigaden, der Volkskomitees und des Jihad israelische Orte. Die politische Führung der HAMAS in Gaza, vor allem der de-facto-Präsident Haniya hat keine Mittel, das zu unterbinden, da auch der eigene bewaffnete Flügel, die Qassam-Brigaden keinen Sinn mehr im Waffenstillstand sieht. Am 14.Dezember erklärt auch die HAMAS-Auslandsführung durch Khaled Mashaal, die HAMAS lehne eine Verlängerung ab, während Haniya immer noch hofft, dass es mit ägyptischer Vermittlung zu einer Verlängerung kommt. Am 19.Dezember, am Tag an dem das sechsmonatige Waffenstillstandsabkommen ausläuft, erklären alle Fraktionen auf getrennten Massenveranstaltungen, dass sie den Waffenstillstand für beendet halten - auch die Fatah, obwohl aus Ramallah verlautet, der Sprecher des Gaza-Streifens, Abu Harun, sei nicht autorisiert im Namen der Fatah zu sprechen. Die Fatah-Organisation in Gaza ignoriert dies. Die Führung in Ramallah hat kaum noch Einfluss auf die Organisation im Gaza.

Am 20. Dezember ruft schließlich Fawzi Barhum, der Sprecher der HAMAS, alle Fraktionen zur Bildung einer gemeinsamen Widerstandsfront auf. Auf die russische Forderung, die HAMAS möge die Erneuerung des Waffenstillstandes erwägen, antwortet er verbittert, dass es an der internationalen Gemeinschaft sei, Druck auf Israel auszuüben, seine Angriffe auf das palästinensische Volk einzustellen, anstatt die Opfer dieser Angriffe zu beschuldigen. [Ma`an 21.12.2008]. Aber die Ägypter reagieren nicht. Die HAMAS zeigt sich verwundert, weil Kairo sie noch nicht einmal von den Gesprächen mit Gilad Amos, dem Leiter der politisch-militärischen Abteilung im israelischen Verteidigungsministerium und Verantwortlichen für die Verhandlungen auf israelischer Seite, informiert hat. Am 23.Dezember erklärt der ehemalige Außenminister der HAMAS-Regierung, Mahmud al-Zahhar, noch einmal, dass die HAMAS zur Fortsetzung des Waffenstillstandsabkommens bereit sei, wenn sich Israel an die im Juni vereinbarten Bedingungen - also vor allem die Aufhebung der Blockade - hält. Allerdings ist der Diskurs der Qassam-Brigaden gedämpfter. Abu Ubaida, Sprecher der Qassam-Brigaden, spricht lediglich von der Möglichkeit der Aussetzung der Kampfhandlungen, nicht mehr von einem Waffenstillstand und will auch Aktionen in Israel nicht ausschließen, falls dieses mit seiner Aggression in Gaza, nicht aufhört [Ma`an, 23.12.2008]. Aber da ist es schon zu spät. Die Kriegsvorbereitung ist längst angelaufen.


Worum es der HAMAS bei der Beendigung des Waffenstillstandes ging

Man kann der HAMAS sicherlich politische Fehlkalkulationen vorwerfen. Sie hatte trotz vieler Warnungen die Virulenz eines israelischen Angriffs unterschätzt. Sie hatte die Illusion, dass die Ägypter über diplomatische Kanäle das Waffenstillstandsabkommen retten würden. Und sie hat im November trotz der kritischen Situation im Gazastreifen die Verhandlungen mit der Fatah platzen lassen, wodurch sie das ägyptische Regime brüskierte und sich noch mehr isolierte. [29]

Aber der HAMAS vorzuwerfen, sie hätte die bewaffnete Konfrontation mit Israel gesucht, ist sachlich unrichtig. Die politische Führung der HAMAS hat, wie gezeigt wurde, bis zuletzt versucht das Waffenstillstandsabkommen zu retten. Mit der formalen Kündigung wollte HAMAS keine neue Runde der Gewalt einleiten. Die Kündigung stellte vielmehr einen verzweifelten Versuch dar, eine Neuverhandlung mit dem Ziel der Aufhebung der Blockade zu erzwingen - wozu sich Israel zwar verbal bei den Juni-Verhandlungen verpflichtet hatte, ohne jedoch jemals konkrete Schritte zur Umsetzung einzuleiten.

Dieses Ziel war jedoch unrealistisch, da sich die Verhandlungsposition der HAMAS im Vergleich zum Sommer weiter verschlechtert hatte. Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen der HAMAS und der Fatah war die palästinensische Front sowohl politisch (HAMAS-Fatah) wie auch geographisch (Westbank-Gaza) tief gespalten. Die HAMAS war international und regional isoliert.

Andererseits wurden der HAMAS durch die Ausweglosigkeit der Blockade, durch den Druck der eigenen Basis und durch die anderen Widerstandsorganisationen in Gaza - einschließlich großer Teile der lokalen Fatah und vor allem der Aqsa-Brigaden - und durch die Politik der Isolierung alle politischen Optionen aus der Hand geschlagen. Hierfür tragen viele Akteure die Verantwortung: die israelische Regierung, die sich ihrerseits an keine Bestimmung des Abkommens hielt; die Autonomiebehörde, die sich zunächst durch die israelischen Angriffe auf die HAMAS Positionsgewinne erhoffte, bis sie bemerkte, dass die israelischen Kriegsziele weit über die Ausschaltung der HAMAS hinausgingen; die "moderaten" arabischen Regime, die auch aus innenpolitischen Gründen an einer Schwächung der HAMAS interessiert waren und die internationale Staatengemeinschaft.

Sowohl die US-Administration wie auch die EU haben monatelang der Aushungerung des Gazastreifens tatenlos zugesehen. Sie haben unhinterfragt die HAMAS für alle Waffenstillstandsverletzungen verantwortlich gemacht, während sie vor den massiven israelischen Verletzungen des Abkommens den Kopf in den Sand gesteckt haben. Damit haben sie indirekt der israelischen Regierung "Grünes Licht" für ihren Angriff auf Gaza signalisiert. Die EU und die USA haben darüber hinaus durch die faktische Nicht-Anerkennung der Ergebnisse der palästinensischen Legislativwahlen und die internationale Isolierung der HAMAS zu der politischen Sackgasse in Gaza beigetragen. Dabei haben sie sich über alle Expertisen und über die Einschätzung des UN-Vertreters im Nahost-Quartett hinweggesetzt. [30] Und sie haben weiterhin die Rolle von Vermittlern für sich beansprucht in einem Friedensprozess, der sich ad absurdum geführt hatte, weil er seine eigenen Grundlagen unterlaufen hat.


Ist HAMAS zum Frieden bereit?

Entgegen dem gängigen Bild ist die HAMAS durchaus zu einer politischen Gesamtlösung des Nahostproblems bereit. Am 9.11. 2008 erklärte Ismail Haniya gegenüber Europaabgeordneten, die mit einem Schiff der Free-Gaza-Bewegung die Seeblockade durchbrochen und Gaza besucht hatten, die HAMAS könne mit einer Lösung des Palästinaproblems auf der Basis der UN-Resolutionen leben [Ma`an 9.11.2008]. Auch andere HAMAS-Führer haben wiederholt erklärt, dass sie der Resolution 242 des UN-Sicherheitsrates, die die Gründung eines palästinensischen Staates in den Grenzen von 1967 - also in der Westbank, dem Gazastreifen und Ostjerusalem - zustimmen würden. Allerdings ist die HAMAS nicht bereit, explizit das Existenzrecht Israels als Vorbedingungen für Verhandlungen anzuerkennen, solange umgekehrt Israel nicht bereit ist, das Recht der Palästinenser auf Gründung eines unabhängigen Staates in den Grenzen von 1967 anzuerkennen. Diese gegenseitige Anerkennung kann ihrer Meinung nach erst Teil oder Ergebnis eines Verhandlungsprozesses sein.

Diese Position der HAMAS ist nicht erst unter dem Druck der Blockade entstanden. Schon in den frühen 90er Jahren hat der HAMAS-Gründer Shaikh Yassin, der am 22.April 2004 durch eine israelische Rakete ermordet wurde, einen langfristigen Waffenstillstand (hudna) [31] mit einer Laufzeit zwischen 20 und 50 Jahren vorgeschlagen - vorausgesetzt Israel stelle seine Angriffe auf palästinensische Zivilisten ein, erlaube freie Wahlen und zöge sich auf die Grenzen von 1967 zurück. Eine endgültige Lösung müsse von späteren Generationen gefunden werden.

Das Konzept der hudna war die Brücke von dem theologischen Grundsatz, dass kein Muslim einen Quadratmeter muslimischen Bodens aufgeben dürfe, auf dem die HAMAS-Charta von 1988 beruht, zu einer pragmatischen Lösung des Palästina-Problems auf der Basis der UN-Beschlüsse.

Heute ist die Mehrheit der HAMAS-Kader der Ansicht, dass die Nationalcharta keine Relevanz mehr habe, da sie nicht mehr die politischen Realitäten reflektiert. [32] In einem Dokument der Gefangenen haben politische Gefangene der Fatah und der HAMAS am 28.6. 2006 gemeinsam die Gründung eines palästinensischen Staates auf der Basis der UN-Resolution 242 in den Grenzen von 1967 gefordert. Damit erkennen sie implizit das Existenzrecht Israels an. [33] In einem Interview mit der arabischen Zeitung al-Ayyam vom 2.4.2008 hat der Leiter der politischen Abteilung Khaled Masha`al betont, dass diese Position offizielle Politik der HAMAS sei.


Die mittelfristigen Folgen des Gazakrieges für den Friedensprozess

Es ist sicherlich noch zu früh, Prognosen darüber anzustellen, welche Folgen der Krieg für zukünftige regionale Konstellationen hat. Den Friedensprozess hat er um Jahre zurückgeworfen. Und auch Israel selber muss sich die Frage stellen, ob es sich mit dem Krieg einen Gefallen getan hat. Schon jetzt zeigt sich, dass viele Säulen der westlichen Nahostpolitik in sich zusammengebrochen sind:

1) Auf der palästinensischen Ebene: Der Krieg hat der internen Legitimation der Autonomiebehörde einen schweren Schlag versetzt. Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas, dessen Amtszeit offiziell am 9. Januar 2009 abgelaufen ist, kann es sich politisch nicht erlauben, auf dem Rücken israelischer Panzer die Macht im Gazastreifen zu übernehmen - wie sich die Israelis und einige der arabischen "moderaten" Regime vielleicht gewünscht hätten. Schon jetzt mehren sich die Stimmen auch innerhalb der Fatah, dass nicht die PA, sondern allein die PLO als Vertreterin des gesamten palästinensischen Volkes ein Mandat habe, im Namen des palästinensischen Volkes zu sprechen und über eine Lösung zu verhandeln. Fast alle palästinensischen Parteien fordern die Aktivierung und innere Demokratisierung der PLO und die Aufnahme auch derjenigen Widerstandsorganisationen, die bislang der Dachorganisation nicht angehörten. Das betrifft vor allem die HAMAS und den Jihad al-Islami. Palästinensische Stimmen, die das Experiment der Autonomiebehörde als gescheitert betrachten und stattdessen zu einer gemeinsamen Widerstandsstrategie gegen die Besatzung aufrufen, mehren sich. [34]

2) Auf der syrischen Ebene: Syrien hat aus Protest gegen den Krieg den Abbruch der israelisch-syrischen Geheimverhandlungen angekündigt, die in den letzten Monaten unter türkischer Vermittlung stattfanden. Israel habe alle Türen für den politischen Prozess geschlossen, heißt es aus syrischen Regierungskreisen. Die Türkei hat durch ihren Außenminister Babacan verkünden lassen, dass sie nicht länger bereit sei, im Interesse Israels zu vermitteln: "Krieg gegen die Palästinenser führen und mit Syrien über Frieden sprechen - das passt nicht zusammen", erklärte Babacan. [35]

3) Arabisch-israelische Beziehungen: Qatar und Mauretanien haben ihre Beziehungen zu Israel eingefroren - auch wenn dies aufgrund der marginalen Position der beiden Länder nur symbolische Bedeutung hat. Aber auch den sog. "moderaten" Regierungen fällt die Begründung für die Aufrechterhaltung der diplomatischen Beziehungen im Kontext ihrer eigenen Öffentlichkeiten zunehmend schwerer. Gerade das ägyptische Regime, das sowieso schon eine schwache Basis in der eigenen Bevölkerung hat, hat sich durch die anfängliche Duldung der Angriffe, die Boykottierung eines arabischen Gipfeltreffens und die streckenweise Aufrechterhaltung der Blockade von Hilfslieferungen für die Zivilbevölkerung in Gaza weiter delegitimiert.

4) In der arabischen Öffentlichkeit: Aus der Perspektive arabischer Medien und Intellektueller hat Israel mehr als in jedem anderen Konflikt gezeigt, dass es nicht friedenswillig ist, sondern unter Frieden eine Kapitulation der arabischen Welt zu israelischen Bedingungen will. Dies hat dazu geführt, dass angrenzende Länder begonnen haben, ihre nationalen Sicherheitsstrategien zu überdenken.

5) Im Libanon: Im Libanon dürfte die Entwaffnung der Hizbu Allah politisch nicht mehr durchsetzbar sein, da der Krieg in Gaza Bedrohungsszenarien durch Israel wieder wach gerufen hat. Statt die Hiszbu Allah zu entwaffnen, will der libanesische Präsident Sulaiman ihre Milizen nun in die reguläre libanesische Armee integrieren, was zwar einerseits die Unterordnung der Milzen unter die Staatsräson bedeutet, ihnen andererseits aber Legitimität verschafft. Hofften Europa und die USA über die Schwächung von Hizbu Allah den syrischen und vor allem den iranischen Einfluss im Libanon zu verringern, scheint sich das Gegenteil - nur zu für den Libanon vorteilhafteren Konditionen - abzuzeichnen. Staatspräsident Sulaiman strebt eine engere Verteidigungskooperation mit dem Iran und Russland an, einschließlich der Lieferung von Waffen. Die USA, der bisherige Hauptlieferant der libanesischen Armee, hatte die Lieferung schwerer Waffen, die die militärische Hegemonie Israels infrage stellen könnten, verweigert.

6) Ägypten: Selbst das ägyptische Regime, das anfangs noch versucht hatte, die HAMAS für den Bruch des Waffenstillstandes verantwortlich zu machen, hat seinen Diskurs geändert und bezeichnet Israel als "Aggressor", der für das "abscheuliche Blutvergießen in Gaza" verantwortlich ist. [36]

Es wäre falsch, dies nur als einen Versuch zu werten, interne und regionale Legitimität zurückzugewinnen. Ägypten, das als erstes Land einen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnet hat, sieht zunehmend seine eigenen Sicherheitsinteressen bedroht.

In einer ungewöhnlich scharfen Rede hat Präsident Mubarak am 17.Januar 2009 eine von Israel geforderte und von den USA und der EU unterstützte Kontrolle der ägyptisch-palästinensischen Grenze durch internationale Beobachter zurückgewiesen: "Ägypten wird niemals irgendeine Form von ausländischen Beobachtern auf seinem Territorium zulassen. Das ist eine Rote Linie, die nicht überschritten werden soll und darf." Auch unterstreicht Mubarak indirekt das Recht des palästinensischen Volkes auf Widerstand gegen die Besatzung - einschließlich des bewaffneten Widerstandes. "Die PLO wurde auf ägyptischem Boden gegründet und es war Ägypten, das sie mit Geld und Waffen unterstützt hat." Ägypten habe sich im Jahr 2000 geweigert, dem Druck nachzugeben, Arafat in Camp David zur Unterzeichnung eines ungerechten Friedensabkommens zu drängen. Im Gegenteil habe Ägypten Arafat während der ersten und der zweiten Intifada unterstützt. Mubarak warnt Israel: "Ich sage den israelischen Führern, dass diese Aggression den Widerstand nicht brechen und dem israelischen Volk keinen Frieden bringen wird. Die Aggression wird die Standhaftigkeit des palästinensischen Volkes stärken und sie wird das Gefühl von Wut und Hass gegenüber Israel verstärken. Die Aggression wird alle Friedensbemühungen torpedieren." Nur durch ein Ende der Besatzung und die Gründung eines unabhängigen palästinensischen Staates sei Frieden in der Region möglich. [37]

In den Augen der arabischen Öffentlichkeit haben sich Europäer und Amerikaner wegen ihrer einseitigen Unterstützung Israels als Vermittler für einen regionalen Frieden diskreditiert, während die Türkei als Regionalmacht enorm an Prestige gewonnen hat.


Über die Autorin

Ivesa Lübben ist Politologin und Journalistin. Sie arbeitet über islamistische und andere soziale Bewegungen sowie Reformprozesse in der arabischen Welt. Während der ersten Intifada war sie im Gazastreifen und hat über ihre Erlebnisse gemeinsam mit Käthe Jans in dem Buch Kinder der Steine, das 1988 bei rororo erschienen ist, berichtet. Neuere Veröffentlichungen: Junge Islamisten im Cyberspace - Die Bloggerszene der Muslimbrüderjugend. In: INAMO, Nr. 55, Jahrgang 14, Herbst 2008; Die ägyptische Muslimbruderschaft - auf dem Weg zur politischen Partei? In: Holger Albrecht und Kevin Köhler. Politischer Islam im Vorderen Orient - Zwischen Sozialbewegung, Opposition und Widerstand. Baden-Baden, 2008; Das Erwachen der ägyptischen Arbeiterbewegung. In: INAMO, Nr. 49, Frühjahr 2007; "Der Islam ist die Lösung" ? - Moderate islamistische Parteien in der MENA-Region und Fragen ihrer politischen Integration. (hrsg. von der Konrad-Adenauer-Stiftung), Sankt Augustin, 2006.



Anmerkungen

[1] Zitiert nach Avi Shlaim, The Iron Wall - Israel and the Arab World. London (Allen Lane The Pinguin Press) 2000. S. 21

[2] HAMAS ist die Abkürzung für harakat al-muqawama al-islamiya (Islamische Widerstandsbewegung)

[3] Siehe zur Geschichte der HAMAS u.a. Helga Baumgarten: HAMAS - Der politische Islam in Palästina. München (Heinrich Hugendubel Verlag) 2006; Beverly Milton-Edwards: Islamic Politics in Palestine. New York (I.B.Tauris) 1999; Joseph Croituru: Hamas - Der islamische Kampf um Palästina. München (C.H.Beck) 2007; Azzam Tamimi: Hamas - Unwritten Chapters. Lond (C.Hurst & Co.) 2007.

[4] Jeremy M.Sharp: The Egypt-Gaza Border and its Effect on Israeli-Egyptian Relations. Congressional Research Service. February 1, 2008.

[5] Qaddumi erklärte in einem Interview mit der Fatah-nahen Zeitschrift al-Sabah noch im Dezember 2008, dass die Verträge von Oslo im Widerspruch zu den nationalen Rechten der Palästinenser ständen. Jaridat al-Sabah, 9.12.2008.

[6] Zu dem Versuch Dahlans, mit amerikanischer und ägyptischer Unterstützung gegen die gewählte HAMAS-Regierung zu putschen siehe die detaillierte Recherche von David Rose: The Gaza Bombshell. In: Vanity Fair, April 2008.

[7] Siehe z.B. Muriel Asseburg: Nach den palästinensischen Parlamentswahlen: Wie mit HAMAS umgehen? Berlin (Stiftung Wissenschaft und Politik), Februar 2006. (swp aktuell 8). Dieselbe: Hamastan vs. Fatahland-Fortschritt in Nahost? Berlin (Stiftung Wissenschaft und Politik) Juli 2007, (swp aktuell 35). International Crisis Group: Enter HAMAS: The challenges of Political Integration. Middle East Report No. 49. 18 January 2006. Nathan J. Brown: The Road out of Gaza. Carnegie Policy Outlook No. 30, February 2008. Die Liste ließe sich fortsetzen.

[8] Ma`an ist die größte palästinensische Nachrichtenagentur, die aus allen Regionen der Besetzten Gebiete berichtet. Die Urheberschaft der Raketen ist leicht nachzuvollziehen, da keine Organisation einen Hehl daraus macht, sondern sich im Gegenteil offen zu dem Abschuss der Raketen bekennt. Stichprobenartige Vergleiche mit den Bekennerschreiben auf den Websites und mit offiziellen israelischen Statistiken, haben die Korrektheit der Ma`an-Angaben bestätigt. Wenn im folgenden Text auf Ereignisse mit Datumsangaben ohne die Nennung weiterer Quellen Bezug genommen wird, so beziehen sie sich auf die Ma`an-Nachrichten des jeweiligen Tages aus Gaza.

[9] Die Volkskomitees oder offiziell Volkswiderstandskomitees wurden 2000 von dem ehemaligen Fatah-Mitglied Jamal Abu Samhandana gegründet. Die meisten ihrer Mitglieder gehörten früher anderen Widerstandsorganisationen, vor allem der Fatah, der HAMAS und dem Jihad an. Ihre Hauptbasis ist der Gazastreifen.

[10] Dazu gehören die Abu-Rish-Brigaden, die Brigaden des Märtyrers Abu Ammar und die Mujahedin.

[11] Siehe: David Rose: The Gaza Bombshell. In: Vanity Fair, April 2008.

[12] Die Annahme, dass mit der Ausschaltung Dahlans durch die HAMAS die gesamte Fatah im Gazastreifen ausgeschaltet wurde, entspricht nicht den Tatsachen. Es gab im Gazastreifen immer mehrere Strömungen der Fatah: eine Strömung, deren Basis die traditionellen Clans des Gazastreifens sind, ein Flügel in den Flüchtlingslagern und ein Flügel, der eng mit der PA in Ramallah verbunden ist. Letztere bestand vor allem aus Fatah-Kadern, die nach der Rückkehr der PLO in die Besetzten Gebiete nach Gaza gekommen waren. Nicht nur die HAMAS, sondern auch viele Fatah-Mitglieder aus den Flüchtlingslagern waren über die Korruption und den luxuriösen Lebensstandard der Rückkehrer inmitten des Elends der Bevölkerung verbittert. Auch nach der Machtübernahme der HAMAS waren lokale Fatahgruppen weiter aktiv, wenngleich es wiederholt zu Zusammenstößen mit der HAMAS kam. Mit der Rückkehr des einflussreichen Fatah-nahen Clans der Hillis aus ihrem Exil in Jericho Ende November 2008 schien sich eine Entspannung zwischen den Gruppen anzubahnen.

[13] Al-Hurriya, 13.1.2008. Dabei beruft sich die Zeitschrift auf eine Studie des Zentrums für die Gesellschaftliche Entwicklung in Hebron.

[14] Sara Roy: The Gaza Strip: The Political Economy of De-development ( Institute for Palestinian Studies) 1995.

[15] Sarah Roy: The Economy of Gaza. October 2006: http://www.counterpunch.org/roy10042006.html

[16] Die Angaben zu den Rückzugsbedingungen beruhen auf dem Gaza-Dossier der israelischen Menschenrechtsorganisation Betselem:
http://www.btselem.org/English/Gaza_Strip/

[17] Ebenda. Israel kann die Registrierung von Neugeborenen verweigern, wenn nur ein Elterteil aus den Besetzten Gebieten stammt, das andere einen ausländischen Pass hat. Davon wird ausgiebig Gebrauch gemacht.

[18] Zu einer ausführlichen Beschreibung der völkerrechtlichen Pflichten der israelischen Besatzungsmacht gegenüber der Zivilbevölkerung des Gazastreifens, siehe ebenda.

[19] So behielten die USA 2008 auf israelisches Drängen zunächst 100 Mio. Dollar Militärhilfe ein, die erst ausgezahlt wurden, nachdem Ägypten mehrere Dutzend Tunnel zerstört hatte. Die Tunnel gibt es in Rafah seit sich Israel 1982 aus dem Sinai zurückzog. Damals wurden die Grenzen neu gezogen. Die neuen Grenzen teilten die Stadt Rafah in einen ägyptischen und einen palästinensischen Teil. Dadurch wurden viele Familien getrennt. Durch die Tunnel hielten sie den Kontakt aufrecht. Erst später und vor allem mit der immer engeren Wirtschaftsblockade entwickelte sich durch die Tunnel ein Schmuggelnetzwerk. Siehe Jeremy M.Sharp: The Egypt-Gaza Border and its Effect on Israeli-Egyptian Relations. Congressional Research Service. Feruary 1, 2008.

[20] International Crisis Group: Ending the War in Gaza. Middle East Briefing No. 26, 5.1.2009, S.3.

[21] Nach Angaben Betselems für den Juli 2006. Für den Juni liegen keine Zahlen vor. Vergl.:
http://www.btselem.org/English/Statistics/Detainees_and_Prisoners.asp

[22] Ma`an 11.7.2008.

[23] Vergleiche die täglichen Nachrichtenticker von Ma`an über den gesamten Zeitraum des Waffenstillstandsabkommens.

[24] Betselem: Testimonies: Murad al-Hasi, fisherman. Israeli naval vessel rams into boat of Palestinian fisherman and sails over it, opposite Gaza shoreline, Sept. '08
http://www.btselem.org/english/testimonies/20080910_israeli_navy_boat_charges_ into_a_fishing_boat_witness_al_hasi.asp

[25] Die drei Fischer-Boote wurden nach 9 Tagen wieder zurückgegeben, ein Boot war allerdings beschädigt, die GPS-Geräte fehlten. Den Solidaritätsaktivisten wurde während der Tage im Gefängnis der Kontakt zu Rechtsanwälten und ihren Botschaften verwehrt.
Siehe http://www.freegaza.org/de/home/547-three-palestinian-fishing-boats-returned und
http://www.freegaza.org/de/home/558-kidnapped-in-gaza

[26] International Crisis Group: Ending the War in Gaza. Middle East Briefing No. 26, 5.1.2009, S.5.

[27] Zeitgleich tauchen auch die Namen von Gruppen wie Ahrar al-Jalil, Tawhid-Brigaden, oder Hisb Allah-Einheiten auf, von denen zuvor niemand in Gaza gehört hat und die niemand kennt. Manche vernuten, dass es sich dabei um Kollaborateure handelt, die den Waffenstillstand korrumpieren wollen. Andere Stimmen meinen, dass es sich um kleine radikale Zellen handelt, die glauben, dass die HAMAS zu vielen Konzessionen gemacht hätte.

[28] Sara Roy: If Gaza falls..... 1.1.2009: http://www.lrb.co.uk/v31/n01/roy_01_.html

[29] HAMAS forderte als Vorbedingung für die Verhandlungen, dass die PA gefangene HAMAS-Mitglieder freilassen solle. Die PA bestritt, dass es in der Westbank politische Gefangene gäbe. Menschenrechtsorganisationen sprachen zu dem Zeitpunkt von 300 bis 400 politischen Gefangenen bei der PA, die meisten davon HAMAS-Mitglieder.

[30] Siehe den Bericht des UN-Vertreters im Nahost-Quartett. Alvaro de Soto. End of Mission Report. Mai 2007, S. 46ff. Vergleiche auch weiter oben Anmerkung 7. Der eigentlich vertrauliche Bericht wurde dem Guardian zugespielt, den dieser dann ins Netz stellte:
http://image.guardian.co.uk/sys-files/Guardian/documents/2007/06/12/DeSotoReport.pdf

[31] Unter Hudna wird ein langfristiger Waffenstillstand verstanden, der in eine friedliche Koexistenz münden soll. Mit dem Begriff der tahdiya (eigentlich: Beruhigung) wird ein kurzfristiger Waffenstillstand bezeichnet. Zu der Diskussion um die Hudna siehe Erik Mohns; HAMAS' Concept of the Hudna: De-facto recognition of Israels' right to exist? Vortrag auf dem Kongress der DAVO, Erfurt, 3.Oktober 2008.

[32] Ebenda, S.6

[33] http://www.jmcc.org/documents/prisoners2.htm
Israel hat bislang außer dem Teilungsplan von 1947 keine UN-Resolution anerkannt. Selbst der Teilungsplan wurde nur mit Vorbehalten angenommen. Diese richteten sich erstens gegen die Grenzziehung und zweitens gegen die Gründung eines palästinensischen Staates auf dem Boden des historischen Palästinas. Siehe dazu Simcha Flapan: Die Geburt Israels - Mythos und Wirklichkeit. München (Knesebeck und Schuler) 1988, S.

[34] Vergleiche dazu die Diskussionen auf den Websites der verschiedenen palästinensischen Organisationen und Parteien.

[35] Ali Babacan: Turkey is no longer mediating for Israel. Siehe:
http://www.indymedia-letzebuerg.net/index.php?option=com_content&task=view&id=15703&Itemid=28

[36] Address by President Mohammed Hosni Mubarak on Egypt's action to end Gaza' agression:
http://www.sis.gov.eg/En/Politics/Presidency/President/Speeshes/000001/0401050200000000000386.htm

[37] ebenda


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Quelle:
Warum der Waffenstillstand scheitern musste
Über die Hintergründe des Krieges im Gazastreifen
Von Ivesa Lübben, 21.01.2009
http://awis-islamforschung.eu/meinungen/warum-der-waffenstillstand-scheitern-musste/
Eine von der Autorin überarbeitete und autorisierte Fassung.
Mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
Averroes Institut für wissenschaftliche Islamforschung AWIS e.V., Darmstadt
E-Mail: awis-islamforschung@gmx.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 17. April 2009