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NAHOST/534: Irak - Wer dreht am Rad? (jW)


junge Welt - Die Tageszeitung - Ausgabe vom 5. August 2009

Wer dreht am Rad?

Bagdad blockiert Investitionen im Energiesektor und arbeitet so den internationalen Ölmultis zu.
Deren unverschämte Forderungen und der Widerstand in der Bevölkerung verhindern vorerst die Plünderung des irakischen Reichtums

Von Joachim Guilliard


In einer live im Fernsehen übertragenen Auktion hatte die irakische Regierung am 30. Juni Serviceverträge für sechs Öl- und zwei Gasfelder angeboten. Es sollten dabei weder »Förderlizenzen vergeben« noch »Ölfelder versteigert« werden, wie es in den Medien hieß, sondern Aufträge für einen Ausbau der Ölförderung. Das ist einerseits ein Schritt in Richtung Privatisierung, anderseits weit von dem entfernt, was die internationalen Ölmultis seit 2003 anstreben.

Bis jetzt ist die US-amerikanische Besatzungsmacht in ihrem Bemühen, westlichen Konzernen Zugriff auf das irakische Öl zu verschaffen, nicht weit gekommen. Breiter Widerstand auf allen Ebenen, auch im Parlament, hat bisher alle wichtigen Maßnahmen diesbezüglich verhindert. Auch die Maliki-Regierung sah sich bisher gezwungen, der allgemein ablehnenden Haltung im Land Rechnung zu tragen. Das für die US-Pläne zentrale neue Ölgesetz ist blockiert, einige schon unterschriftsreife Verträge mit Shell, BP etc. mußten wieder verworfen werden.

Die Opposition gegen die Privatisierung gerät jedoch zunehmend in die Defensive. Nach sechs Jahren Mißmanagement durch die Besatzungsmacht und den von ihr kontrollierten Regierungen, und nach Verschleuderung von zig Milliarden Dollar setzt der Einbruch des Ölpreises die irakische Regierung erheblich unter Druck, den Ölkonzernen für ein paar schnelle Dollarmilliarden entgegenzukommen. Gleich acht Großaufträge für Iraks größte Lagerstätten sollen nun auf einen Schlag an ausländische Ölkonzerne vergeben werden. Das Ziel ist es, die Förderquote rasch von aktuell zwei bis 2,5 Millionen Barrel pro Tag auf über vier Millionen zu erhöhen (1Barrel = 159 Liter).

Den meisten Konzernen ging das irakische Entgegenkommen allerdings noch nicht weit genug. Nur das Konsortium aus dem britischen Ölgiganten BP und der staatlichen China National Petroleum Corporation (CNPC) war am Ende bereit, sich auf die aktuellen Bedingungen einzulassen und ein für die Iraker akzeptables Angebot zu unterbreiten. Es erhielt dafür den Zuschlag für Rumaila, das größte Ölfeld im Irak. Dieses Feld liefert aktuell schon fast die Hälfte des irakischen Öls und birgt mindestens weitere 17,8 Milliarden Barrel. Die anderen Konzerne und Konsortien haben jetzt noch Gelegenheit, ihre Gebote nachzubessern. Sieben trafen bereits am nächsten Tag ein und werden jetzt abseits der Kameras geprüft.


Durch den Dienstboteneingang

Mit BP kommt nun zwar einer der mächtigen Ölkonzerne, die vor gut 30 Jahren aus dem Land geworfen worden waren, wieder zurück in den Irak, allerdings durch den »Dienstboteneingang«: Der Irak bietet im Moment nur technische Dienstleistungs- oder Wartungsverträge für Lagerstätten an, aus denen längst gefördert wird. Über diese recht speziell gestalteten Verträge werden die ausländischen Konzerne beauftragt, die Fördermengen einzelner Ölfelder auf ein festgelegtes Niveau zu bringen, indem die bestehenden Förderanlagen repariert, modernisiert und ausgebaut werden. Die Auftragnehmer übernehmen dabei zunächst die vollen Investitionskosten, bekommen diese aber ab dem Zeitpunkt zurückerstattet, ab dem die anvisierte Produktionssteigerung erreicht ist. Dasselbe gilt für alle anfallenden Zusatzkosten wie Minenräumung, Sicherheitsfirmen etc. Bei Vertragsabschluß werden zudem noch happige Zeichnungsgebühren in Höhe von mehreren hundert Millionen Dollar fällig. Auch diese Gebühr wird jedoch später mit Zinsen erstattet. Versüßt wird den Konzernen dieser limitierte Einstieg ins irakische Ölgeschäft durch Vertragslaufzeiten von mindestens 20 Jahren.

Die Ölkonzerne erhalten als Gegenleistung für ihr Engagement einen fixen Betrag für jedes Barrel, das über der Fördermenge liegt, die ohne die Investitionen zu erwarten wäre (in den meisten Ölfeldern sinkt diese im Moment). Sie erhalten zudem noch ein Vorrecht auf Folgeverträge zur Erschließung und Ausbeutung bereits bekannter, aber noch unerschlossener Lagerstätten in dem betroffenen Ölfeld.

BP und CNPC hatten für Rumaila zunächst eine Förderprämie von 3,99 US-Dollar pro Barrel verlangt, ließen sich jedoch schließlich auf die zwei Dollar herunterhandeln, die Bagdad als Obergrenze nannte. Ein von ExxonMobil geführtes Konsortium wollte dafür 4,80 Dollar, für andere Ölfelder wurden bis zu 21,40 Dollar verlangt. Das BP-CNPC-Konsortium verpflichtete sich bei seinem Gebot, den Output der vereinten Ölfelder Nord- und Süd-Rumaila von einer Million Barrel pro Tag auf 2,85 Millionen zu steigern. Die Zeichnungsgebühr beträgt 500 Millionen Dollar.

Thamir Al-Ghadban, Ölminister in der ersten Interimsregierung und aktuell Chefberater des irakischen Premiers, sieht die Verträge daher auch als eine Form von Kredit, bei denen die Ölvorräte als Sicherheit dienen und der mit den späteren Öleinnahmen inklusive Zinsen abbezahlt wird.

Die irakische Regierung und ihre US-amerikanischen »Berater« wußten, wie unpopulär Verträge mit den westlichen Ölmultis sind und waren daher peinlich bemüht, jeden Anschein eines Ausverkaufs irakischer Ressourcen zu vermeiden. Auch die ungewöhnliche Transparenz durch eine öffentliche Übertragung der Auktion sollte die Akzeptanz erhöhen. Das Erdöl und die Ölquellen bleiben in der Tat vorerst vollständig in der Hand des Landes, alle Anlagen werden Eigentum der regionalen staatlichen Ölfirma. Auch die Leitung des operativen Geschäfts wird nicht den ausländischen Konzernen überlassen. Der Produktionsbetrieb soll von speziellen Betriebsabteilungen, Field Operating Divisions, gesteuert werden, in denen der regionale Staatskonzern und die ausländische Firmen zusammenarbeiten.

Aufgrund dieses beschränkten Angebots reagierte »Big Oil«, das seit 2003 mit aller Kraft darauf hinarbeitet, Ölfelder in eigener Regie ausbeuten und einen Anteil an den Reserven in ihren Büchern verbuchen zu können, sehr verhalten auf die irakischen Angebote. »Ans Schwarze Gold kommen sie zur Zeit ohnehin noch nicht heran«, monierte auch die Financial Times Deutschland vom 1. Juli 2009 ziemlich verschnupft. »Die jetzt versteigerten Lizenzverträge sehen lediglich vor, daß die Konzerne den Irakis helfen, die Ausbeute der jeweiligen Felder zu steigern. Dafür bekommen sie im Gegenzug eine Geldprämie sowie das Versprechen eines privilegierten Zugangs zu noch nicht erschlossenen Vorkommen - nicht aber einen Tropfen Öl.«


Schritte in die Privatisierung

Serviceverträge mit ausländischen Konzernen, bei denen eine Regierung oder eine staatliche Firma für einen festen Preis Aufträge für bestimmte Aufgaben vergibt, sind völlig normal im Ölgeschäft. Dies wird in den vollständig nationalisierten Industrien Saudi-Arabiens oder Kuwaits so praktiziert, und auch im Irak wurden solche Aufträge früher schon vergeben.

Dennoch bedeuten die nun angebotenen Verträge, sollten sie wirklich zustande kommen, einen großen Schritt in Richtung Privatisierung der irakischen Ölproduktion und sind mit erheblichen Nachteilen und Gefahren für die Zukunft des Landes verbunden. Im Irak regt sich daher massiver Widerstand dagegen.

Äußerst problematisch sind allein schon die langen Laufzeiten. So verpflichtet eine Vertragsklausel den Irak, die finanziellen Interessen der Auftragnehmer zu schützen, d.h., die irakische Seite muß alles vermeiden, was deren Profite schmälern könnte. Dazu zählen auch neue Gesetze und Verordnungen. Würde z. B. das alte, noch unter Saddam Hussein eingeführte Gesetz 150 abgeschafft, das Angestellten im Ölsektor durch die Gleichstellung mit Beamten die gewerkschaftliche Betätigung untersagt, und erkämpften sich die legalisierten Ölgewerkschaften anschließend bessere Tarifverträge, so könnten die Ölmultis verlangen, daß die Betriebe, an denen sie beteiligt sind, davon ausgenommen werden.

Für die Führungskräfte der staatlichen Ölindustrie, die öffentlich gegen die Auktion opponierten, besteht auch kein Zweifel, daß durch die Vergabe solcher Verträge irakisches Vermögen verschleudert wird: »Wir von der South Oil Company, die gesamte Führung, lehnen die erste Bieterrunde ab. Sie ist gegen die Interessen der irakischen Ölindustrie«, erklärte Konzernchef Fayal Al-Nema. »Die Dienstleistungsverträge werden die irakische Wirtschaft in Ketten legen und ihre Unabhängigkeit für die kommenden 20 Jahre einschränken. Leichtfertig verschleudern sie irakische Einkünfte.«

Al-Nema, der erst vor kurzem die Führung des Unternehmens übernommen hat und loyal zu Ölminister Hussein Al-Shahristani stand, schloß sich damit seinen Vorgängern Jabbar Al-Luaibi und Kifah Numan an, die wegen Beharrens auf einer eigenständigen, an den nationalen Interessen orientierten Ölproduktion ihren Hut nehmen mußten.

Der Irak hat seit 2003 über acht Milliarden Dollar für neues Equipment, Rohölverarbeitungsanlagen und neue Ölbohrungen ausgegeben, so Al-Nema weiter. Das Land sollte nichts aus der Hand geben, bevor die Früchte dieser Investitionen geerntet wurden. »Warum sollen wir diese bereits produzierenden Felder zu einer Zeit an internationale Ölkonzerne abgeben, in der wir dabei sind, (...) die Fördermenge in den nächsten zwei Jahren um 500000 Barrels pro Tag zu steigern?«

Der Chefingenieur der South Oil Co., Mahmoud Abbas, teilte Reuters mit, daß er über 100 Unterschriften unter den leitenden Ingenieuren der Ölindustrie gegen die Auktion gesammelt habe. Und auch im irakischen Parlament herrscht Unmut über die »Einmischung« der ausländischen Konzerne. Der Ölausschuß besteht darauf, daß solche Verträge nach dem aktuell noch gültigen Recht vom Parlament gebilligt werden müssen und hatte Al-Shahristani aufgefordert, die Bieterrunde zu verschieben.


Trotzdem satte Gewinne

Die irakischen Ölgewerkschaften, die in der Vergangenheit schon oft gegen Maßnahmen mobil gemacht haben, die die nationale Kontrolle des Ölreichtums beeinträchtigen könnten, protestierten ebenfalls gegen die Bieterrunde. Sie befürchten einen Rückfall »in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts, als ausländische Ölfirmen die Ölressourcen des irakischen Volkes auszubeuten und zu manipulieren« pflegten. Durch die Verträge werde die irakische Wirtschaft der Lust und Laune ausländischer Konzerne ausgesetzt sowie den Schwankungen und Spekulationen des Weltmarktes, heißt es in der Erklärung der Iraqi Federation of Oil Unions. Dies werde die Kontrolle der irakischen Regierung über den Ölreichtum schwächen und diesen Konzernen ermöglichen, einen erheblichen Einfluß auf das politische und wirtschaftliche Leben Iraks zu nehmen.

Die Gewerkschafter und die anderen nationalistischen Kräfte haben noch einen weiteren Grund, einen Ausbau der Fördermengen zum jetzigen Zeitpunkt abzulehnen: fallen doch im Moment alle Einnahmen in die Verfügungsgewalt der amtierenden korrupten und sektiererischen Regierung und der Besatzungsmacht. Die Sorge, die Öleinnahmen würden dort versacken, ist, so der Iraq Oil Report, weit verbreitet. »Wir befürchten, daß die Gelder aus den Investitionen in neue Ölquellen in die Taschen der Beamten der irakischen Regierung wandern werden und der Irak daher seine Wirtschaft nicht entwickeln kann«, so der Bagdader Professor der Wirtschaftswissenschaften Ghanim Mohieddin. Die Öleinnahmen machen 95 Prozent der gesamten Staatseinnahmen aus, 2008 waren das ungefähr 62 Milliarden Dollar.

Breites Mißtrauen schlägt auch den großen westlichen Ölkonzernen entgegen, die nach Ansicht der meisten Iraker nur darauf aus sind, »die irakischen Ölressourcen zu stehlen«. Die Ölgewerkschaft sieht auch keinen Grund, ausgerechnet die Dienste dieser Firmen anzufordern. Weit besser wäre dem Irak durch Serviceverträge gedient, mit denen gezielt moderne Technologie und Ausbildung eingekauft werden könne.

Normalerweise werden solche Dienstleistungs- und Wartungsverträge mit Firmen abgeschlossen, die auf bestimmte Aufgaben spezialisiert sind, stellte auch Greg Muttitt von der privatisierungskritischen Nichtregierungsorganisation »Platform« fest. Die großen Ölkonzerne haben sonst überhaupt kein Interesse daran. Weder BP noch ExxonMobil führten jemals solche Aufträge in irgendeinem anderen Land aus. Sie streben Produktionsteilungsabkommen an, bei denen sie zwar das Risiko durch ihren Kapitaleinsatz voll übernehmen, dafür jedoch die Förderung kontrollieren und über einen saftigen Anteil am Ölexport wesentlich höhere Gewinne erzielen können. Im Irak geht es ihnen momentan, wo aufgrund der Blockade des neuen Ölgesetzes bessere Abkommen nicht zu bekommen sind, nur darum, einen Fuß in die Tür zu bekommen. BP wollte beim größten irakischen Ölfeld nichts anbrennen lassen und hat zugegriffen. Die anderen setzen darauf, daß Washington und die leeren Kassen die irakische Regierung dazu nötigen werden, ihre Angebote nachzubessern.

Ungeachtet des Gemaules einschlägiger Zeitungen wie Wallstreet Journal, Financial Times oder Handelsblatt über das miserable Angebot der Iraker sind auch unter den Bedingungen, die nun BP und CNPC akzeptiert haben, satte Gewinne zu machen. Wenn sie die zugesicherte Steigerung des Outputs erreichen, fließen Einnahmen in Höhe von zehn Milliarden Dollar auf ihre Konten - und dies, angesichts der ungeheuren Reserven von leicht zugänglichem Öl, mit geringen Risiken. Das Volumen aller angebotenen Verträge zusammen beträgt zirka 16 Milliarden Dollar.


Kollaboration der Regierung

BP, Exxon Mobil, Royal Dutch Shell, Total, Chevron etc. lauern schon lange auf die Chance zur Rückkehr in das Land, in dem nach Saudi-Arabien die weltgrößten Reserven des schwarzen Gold liegen (115 bis 220 Milliarden Barrel), das zudem von bester Qualität und enorm preisgünstig zu fördern ist. Seit 2004 beraten sie bereits die diversen irakischen Regierungen kostenfrei, und Mitte 2008 standen sie schon kurz davor, ohne Ausschreibungen die ersten Verträge zu erhalten. Aufgrund heftiger Kritik im Irak und unverschämter Forderungen der Multis wurden sie schließlich jedoch wieder annulliert.

Der Einbruch des Ölpreises jedoch brachte die irakische Regierung in massiven Zugzwang. Im aktuellen Haushalt werden dadurch voraussichtlich 25 bis 30 Milliarden Dollar fehlen. Das Parlament ging bei der Verabschiedung des Haushalts davon aus, daß die Löcher mit Mitteln aus den beträchtlichen Reserven gestopft werden können, die sich zwischen 2005 und 2008 aufgrund hoher Ölpreise und der Unfähigkeit der Regierung, die Mehreinnahmen nutzbringend zu investieren, bei der irakischen Zentralbank angesammelt haben - nach Schätzungen des US-amerikanischen Rechnungshofs stolze 47 Milliarden Dollar. Die Zentralbank jedoch, der das von der Besatzungsbehörde unter Paul Bremer erlassene Zentralbankgesetz Nr. 56 nach neoliberaler Manier völlige Unabhängigkeit von Regierung und Parlament verschaffte, weigert sich strikt, Mittel daraus freizugeben.

Die finanzielle Zwangslage ist im wesentlichen eine hausgemachte Folge der Mißwirtschaft der US-Besatzungsmacht und der von ihr installierten Regierungen in den letzten sechs Jahren. Wäre nur ein Teil der für den »Wiederaufbau« bestimmten Gelder, die spurlos verschwunden oder wirkungslos versackt sind, auf effektive Weise in die Reparatur und Modernisierung der Erdölförderung und -verarbeitung investiert worden, wären die Förderkapazitäten längst bedeutend höher. Auch die überschüssigen Öleinnahmen zwischen 2005 bis 2008 hätten dafür verwendet werden können.

Kritiker, wie die Ölgewerkschaften, sehen daher hinter dem mangelnden Ausbau der Ölförderung nicht nur Unfähigkeit, sondern die Absicht, das Engagement ausländischer Firmen als unvermeidlich erscheinen zu lassen. »Wir machen das Ölministerium für die aktuelle Situation verantwortlich«, sagte Hassan Juma'a Awad, der Präsident der Iraqi Federation of Oil Unions. Die Verzögerung staatlicher Investitionen habe erst den Zwang geschaffen, ausländische Ölfirmen einzuladen.

Dies kann der vorige Chef der South Oil Company bestätigen. Jabbar Al-Luaibi, der sich erfolgreich bemüht hatte, mit den eigenen bescheidenen Mitteln eine Steigerung der Förderung zu erreichen, kritisiert das Ölministerium in einem jüngst erschienenen Interview vernichtend: Es war die ganzen Jahre über entweder nicht willens oder nicht fähig, in vernünftiger Zeit dringend benötigte Reparaturmaßnahmen und Ausrüstungen zu bewilligen. So verloren sie z.B. beim Bazargan-Ölfeld durch das Mißmanagement monatelang 30 000 Barrel Öl am Tag, weil das Ministerium erst nach über einem Jahr genötigt werden konnte, die Anschaffung neuer Durchlauftanks zu genehmigen. Die Tanks kosteten nur drei bis vier Millionen Dollar, also gerade soviel, wie durch ihr Fehlen pro Tag an Einnahmen verlorenging. Der Gesamtverlust summierte sich schließlich auf über eine Milliarde Dollar.

Nicht einmal die allernötigste Ausrüstung für die Kontrolle und das Management der angezapften Ölfelder sei ihnen bewilligt worden, so Al-Luaibi weiter: Erdölförderung ohne Lagerstättenmanagement sei aber wie Autofahren ohne Armaturen und führte zum aktuellen Einbruch der Förderung. Seit 2006 beträgt der Rückgang 400000 Barrel pro Tag, falls nichts geschieht, rechnet er mit dem Verlust weiterer 200000 Barrel täglich in den nächsten zwei Jahren. »Wenn das so weitergeht, (...) müssen wir demnächst womöglich beginnen, Rohöl zu importieren.«

Das Ölministerium wird vorwiegend von Leuten geführt, die ihr Amt nicht wegen ihrer fachlichen Qualifikation, sondern aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit oder Patronage erhielten. Diese stehen zudem unter dem massiven Einfluß der »Berater« der US-Regierung und der Ölkonzerne. Die Arbeit des Ölministeriums wird zusätzlich gelähmt durch den Konflikt mit den kurdischen Parteien, die die Quellen auf dem von ihnen kontrollierten Territorium in eigener Regie und mit Hilfe ausländischer Konzerne ausbeuten möchten.

Die Ölindustrie selbst leidet unter dem Verlust eines guten Teils ihrer besten Experten, die ins Ausland gingen oder auch gekidnappt und ermordet wurden. Dieser durch die Besatzung verursachte Mangel an erfahrenen Fachleuten dient nun neben dem dringenden Bedarf an Öleinnahmen als Argument dafür, daß ausländische Konzerne den Job übernehmen müssen.


Eigenständige Entwicklung

Al-Luaibi kann jedoch zahlreiche Beispiele nennen, nach denen irakische Firmen dennoch mit relativ wenig Aufwand die Förderquote allein steigern könnten. So wie beim Rattawi-Ölfeld, wo sie 2007 für acht Millionen Dollar eine neue Anlage mit einer Fördermenge von 30000 Barrel pro Tag hingestellt haben. Hätte man den Auftrag ausländischen Firmen überlassen, hätte dies nach seiner Schätzung rund vier Milliarden Dollar gekostet. Er hat dem Ölminister einen Zweijahresplan unterbreitet, der durch den Ausbau geeigneter Quellen eine problemlose Steigerung des Outputs um insgesamt 300000 bis 350000 Barrel pro Tag ermöglichen würde und dies für nicht mehr als 500 Millionen Dollar - soviel wie diese Menge nach aktuellen Preisen in einem Monat an Mehreinnahmen einspielen würde. Er sieht daher so wenig wie die aktuelle Führung der staatlichen Ölkonzerne eine zwingende Notwendigkeit, jetzt im großen Stil Ölmultis ins Land zu holen und dafür Milliarden aus den Öleinnahmen auf deren Konten umzuleiten.

Auch unabhängige Experten wie Greg Muttitt sehen große Nachteile darin, ausgerechnet jetzt, wo die irakische Regierung schwach ist, in massiver Finanznot steckt und keine Erfahrung mit juristisch ausgefuchsten Ölfirmen hat, langfristige Verträge abzuschließen. Sie raten ebenfalls, die Fördermengen langsamer zu erhöhen und sich dabei auf die Restaurierung der bereits produzierenden Ölfelder Rumaila und Kirkuk und die erst teilweise erschlossenen »Supergiant«-Felder Majnoon und West Qurna zu konzentrieren. Diese Arbeit liegt auch ihrer Ansicht nach völlig innerhalb der Möglichkeiten irakischer Betriebe, in einzelnen Fällen unterstützt durch spezialisierte ausländische Wartungsfirmen.


Widerstand bleibt stark

Die Gegner eines breiten Einstiegs von »Big Oil« haben jedenfalls gute Argumente; die weitere Entwicklung ist nicht ausgemacht. Selbst der Vertrag mit dem von BP geführten Konsortium ist noch nicht unter Dach und Fach. BP drängt auf einen Vertragsabschluß im August. Der anhaltende Widerstand aus der Ölindustrie und dem Parlament dürfte ihn jedoch noch weiter verzögern. Doch auch dann wäre noch nicht alles entschieden. Die Bewegung des schiitischen Klerikers Muqtada Al-Sadr hat angekündigt, es werde »eine starke entschlossene Reaktion unsererseits geben, und wir werden die Arbeit dieser Firmen stoppen«. Und auch die Union der Ölgewerkschaften droht mit physischem Widerstand: »Die Gewerkschaft wird Proteste und Streiks organisieren, sobald die ausländischen Firmen in Basra eintreffen«, versicherte Generalsekretär Faleh Abood Umara.

Einen Vorgeschmack auf massive Proteste von unten lieferte im April der Aufstand einiger Dörfer in der Provinz Wasit gegen CNPC. Der chinesische Staatskonzern hat als erste ausländische Firma seit der Invasion einen Auftrag im Irak erhalten, indem ein alter Servicevertrag aus der Saddam-Ära reaktiviert wurde. Er ist nun dabei, für drei Milliarden Dollar die Ölförderung aus dem Ahdad-Ölfeld in Wasit auszubauen. Wenige Monate nachdem er die Arbeit aufgenommen hatte, entlud sich jedoch die Wut der Dorfbewohner im Umkreis des Ölfelds durch Sabotage an Einrichtungen und Abtransport von Material und Maschinen. Sie wurden bei der Jobvergabe benachteiligt oder völlig übergangen. Die Leute sind zornig, daher stehlen sie Elektrizitätskabel und Generatoren vom Ölfeld, erklärte Abu Koraichi, ein Farmer, dessen Land nicht weit davon entfernt liegt. Ihnen seien Schulen, Straßen und Moscheen versprochen worden, sie hätten aber bisher nichts davon gesehen.

Alles in allem keine guten Bedingungen für die nächste Bieterrunde, bei der auch Verträge für noch unerschlossene Ölfelder angeboten werden sollen. Sie war ursprünglich für Dezember geplant, wird sich vermutlich jedoch hinauszögern. Die Besatzungsmacht und die Ölkonzerne haben offensichtlich noch ein weites Stück Weg vor sich. Ob sie je ankommen werden, bleibt offen.


Joachim Guilliard ist Verfasser zahlreicher Fachartikel zum Thema »Irak« und Mitherausgeber bzw. Koautor mehrerer Bücher


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Quelle:
junge Welt vom 05.08.2009
mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Redaktion
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. August 2009