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NAHOST/733: Irak - Gleiche Rechte für Frauen noch eine Utopie, Häusliche Gewalt verbreitet (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2010

Irak: Gleiche Rechte für Frauen noch eine Utopie - Häusliche Gewalt verbreitet

Von Corina Kolbe


Berlin, 29. November (IPS) - Auf politischer Ebene haben Frauen im Irak an Einfluss gewonnen, gesellschaftlich jedoch ist es um ihre Rechte schlecht bestellt. Wie ein neuer Bericht des UN-Informationsdienstes IAU belegt, sind in dem Golfstaat häusliche Gewalt gegen Frauen und früh arrangierte Hochzeiten nach wie vor Realität.

Mehr als 20 Prozent aller Irakerinnen im Alter zwischen 15 und 49 Jahren seien bereits von ihren Ehemännern körperlich misshandelt worden, heißt es in dem Report 'Gewalt gegen Frauen im Irak". 14 Prozent waren zum Zeitpunkt der Übergriffe schwanger. 33 Prozent sind Opfer seelischer Gewalt: Sie wurden beleidigt, bedroht und in der Öffentlichkeit gedemütigt. 83 Prozent aller Frauen stünden unter der Kontrolle ihrer Männer.

Frauen, die Gewalt ausgesetzt seien, könnten ihre sozialen, politischen und wirtschaftlichen Rechte nicht mehr ausüben, warnte IAU. Um die Millenniumsentwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen, müsse die Regierung weiter darauf hinarbeiten, Frauen in allen Bereichen des Lebens die gleichen Rechte wie Männer zu garantieren.

Der Anteil weiblicher Mitglieder im irakischen Ministerrat ist von 13 Prozent 1990 auf mittlerweile 27 Prozent gestiegen. Obwohl Frauen in der Politik somit stärker vertreten sind, wird laut IAU die Gleichberechtigung der Geschlechter bisher weder von den Behörden noch von der Gesellschaft voll anerkannt.

Auch bei der Wahl ihrer Ehepartner können Irakerinnen oftmals nicht mitreden. Die Zahl der Mädchen, die in früher Jugend verheiratet werden, hat mittlerweile zwar abgenommen. Dennoch wurden vier Prozent aller Irakerinnen, die heute zwischen 15 und 19 sind, zu einer Ehe vor ihrem 15. Lebensjahr gezwungen. Dabei dürfen im Irak unter 15-Jährige offiziell gar nicht heiraten. Junge Frauen zwischen 15 und 18 benötigen eine Sondergenehmigung eines Richters.


Nur wenige Frauen mit bezahltem Job

Bei der Schulbildung sind Mädchen gegenüber Jungen im Irak kaum benachteiligt. Auf jeweils hundert Grundschüler kommen statistisch gesehen 94 Schülerinnen. Vor 20 Jahren hatte das Verhältnis bei 100 zu 80 gelegen. Dafür ist der Anteil der Frauen, die außerhalb des Agrarsektors bezahlte Arbeit leisten, von elf Prozent 1990 auf derzeit sieben Prozent gesunken. Die Millenniumsziele sehen jedoch vor, dass mindestens die Hälfte der Frauen die Möglichkeit erhalten sollte, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen.

Nach Angaben von IAU sind viele Irakerinnen nicht über ihre Rechte aufgeklärt. 59 Prozent der Frauen im Alter von 15 bis 49 sind demnach der Ansicht, dass ein Mann seine Frau in bestimmten Situationen schlagen dürfe. Diese Meinung teilen sogar rund 70 Prozent aller Frauen in den ländlichen Gegenden. Selbst in der Altersgruppe zwischen 15 und 24 Jahren ist die Toleranz gegenüber Gewalt genauso hoch wie bei älteren Frauen.

Trotz der rechtlichen Hürden, die frühe Eheschließungen verhindern sollen, ist jede zehnte Irakerin zwischen zwölf und 30 Jahren davon überzeugt, dass ein Mädchen spätestens mit 18 verheiratet sein sollte. Obwohl Zwangsheiraten in dem Land verboten ist, meint ein Drittel der Befragten, dass eine Frau auch einen Verwandten zum Mann nehmen müsse, wenn ihr Vormund dies wolle.

Die irakischen Behörden hätten aufgrund fehlender Gesetze nur eingeschränkte Möglichkeiten, Gewalt gegen Frauen zu verhindern oder zu ahnden, berichtete IAU. Polizei und medizinisches Personal seien nur unzureichend auf den Umgang mit Gewaltopfern vorbereitet. Viele Frauen würden zudem gesellschaftlich geächtet und von ihren Familien schikaniert, wenn sie die Übergriffe zur Anzeige brächten. Heime, in denen Misshandelte Zuflucht finden könnten, gebe es kaum.


Mehrheit der Männer akzeptiert Ehrenmorde

Wie Umfragen unter jungen Irakerinnen und Irakern ergaben, halten 40 Prozent die Erziehung in der Familie, 37 Prozent die Religion und 35 Prozent das Rechtssystem für die wichtigsten Voraussetzungen zur Prävention von Übergriffen gegen Frauen.

57 Prozent der männlichen Jugendlichen erklärten, Gewalt sei kein Mittel zur Lösung von Konflikten. 63 Prozent sind der Meinung, dass eine Frau genauso viel wert sei wie ein Mann. Unter den Hochschulabsolventen sind sogar 75 Prozent dieser Ansicht.

Nichtsdestotrotz sehen es immer noch 68 Prozent der jungen Männer als gerechtfertigt, dass ein Mädchen, das die Familienehre beschmutzt hat, getötet werden kann. Etwa die Hälfte der Befragten hält außerdem daran fest, dass ein Ehemann seine Frau prügeln darf. (Ende/IPS/ck/2010)


Link:
http://www.iauiraq.org/documents/1149/Violence%20against%20women%20Factsheet_Final.pdf


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 30. November 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Dezember 2010