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NAHOST/736: Libanon - Mordfall Hariri, Denkfabrik plädiert für inner-libanesische Einigung (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2010

Libanon: Mordfall Hariri - Denkfabrik fordert Einigung zwischen Regierung und Hisbollah

Von Jaya Ramachandran


Brüssel, 6. Dezember (IPS) - Fünf Jahre nach dem Mord an dem libanesischen Ministerpräsidenten Rafik Hariri bereitet ein von den Vereinten Nationen unterstütztes Sondertribunal die ersten Anklagen vor. Die Denkfabrik 'International Crisis Group' plädiert unterdessen für eine inner-libanesische Einigung, um das labile Machtgefüge in dem Land vor dem Zusammenbruch zu bewahren.

Politische Beobachter rechnen damit, dass das 'Sondertribunal für den Libanon' (STL) hochrangige Mitglieder der schiitischen Hisbollah-Miliz zur Rechenschaft ziehen will. Die Bewegung drängt nun die von Hariris Sohn geführte Regierung in Beirut dazu, sich von dem Gericht zu distanzieren.

Angesichts dieser Spannungen empfiehlt die 'International Crisis Group' (ICG) in dem Bericht 'Trial by Fire - The Politics of the Special Tribunal for Lebanon' einen Kompromiss zwischen der Regierung und der Hisbollah. Damit sollen der 2008 ausgehandelte Frieden ebenso wie Hariris Glaubwürdigkeit erhalten bleiben, ohne dass sich die schiitische Miliz provoziert sieht.

Ein "realistischer Ausweg" verlange jeder Seite etwas ab, sagte Peter Harling, der Projektdirektor der Organisation für Syrien und den Libanon. "Mit einem zahmen Verhalten der Hisbollah oder einer Kapitulation von Hariri zu rechnen, würde beide Seiten nur darin bestärken, auf unversöhnlichen Positionen zu beharren, die den Libanon weiter in Richtung Abgrund treiben würde."

Die in Brüssel ansässige Denkfabrik, die von der ehemaligen UN-Menschenrechtskommissarin Louise Arbour geleitet wird, hält es für notwendig, dass Menschen im Libanon darauf vertrauen können, nicht als die großen Verlierer aus dem Konflikt hervorzugehen.


Beide Seiten in der Zwickmühle

Sowohl die Regierung als auch die Hisbollah befinden sich den Experten zufolge in der Zwickmühle. Sollte sich Regierungschef Saad Hariri dem Druck der Hisbollah beugen, würden er und seine Weggefährten eine "verheerende politische Niederlage" erleiden, heißt es in dem Bericht. Bliebe Hariri dagegen standhaft, wären die Folgen für das Land möglicherweise aber noch schlimmer.

Die Hisbollah, die bereits vor einer "Katastrophe" gewarnt habe, drohe ihr Gesicht zu verlieren, wenn sie ihren Worten keine Taten folgen lasse. Sollte sie ihre Drohungen gegenüber der Regierung wahrmachen, riskiere sie aber ihren Ruf als Widerstandsbewegung weiter zu schädigen, geht aus dem Report hervor.

Die Hisbollah und ihre Verbündeten führen eine erbitterte Kampagne, mit der sie das Tribunal diskreditieren wollen. Viele Sympathisanten der Milizen dürften die Anklagen gegen die mutmaßlichen Mörder als ausschließlich politisch motiviert ansehen. Zahlreiche andere politische Morde im Libanon sind bis heute nicht untersucht worden.

Nach Einschätzung der ICG gibt es "keine guten Optionen". Ein inner-libanesischer Kompromiss und ein Rückzug der Regierung vom STL wäre in diesem Fall noch die beste Lösung. Offenbar arbeiten Saudi-Arabien und Syrien bereits an einem solchen Modell. Die Konfliktforscher appellierten an die Staatengemeinschaft, derartige Vorstöße zu unterstützen und eigene Ideen einzubringen.

"Eine rein libanesische Lösung, die von den entgegen gesetzten Lagern gemeinsam gefunden würde, wäre gesünder und nachhaltiger", so der Bericht. Angesichts des Verhältnisses zwischen beiden Seiten sei diese Alternative jedoch fast gänzlich außer Reichweite.

Die ICG hält mehrere Szenarien für möglich. Zum einen könnte der Libanon den UN-Sicherheitsrat auffordern, die Arbeit des Tribunals zugunsten der inneren Stabilität des Libanons zu stoppen, sobald die Anklagen verkündet worden sind. Andererseits wäre es denkbar, dass der Libanon seine Zusammenarbeit mit dem Gericht an bestimmte Bedingungen knüpft. So könnte dem Vorwurf der 'falschen Zeugen', wie ihn die Hisbollah erhoben hat, nachgegangen werden.


Unterstützer des Tribunals haben unterschiedliche Interessen

Allerdings wäre nach Einschätzung der Organisation eine Zusammenarbeit von Beirut und dem Gericht trotz ernster Vorbehalte des Libanons gegen die Arbeit des STL weiterhin vorstellbar. Ein Kompromiss sollte aber auf einer kollektiven Einigung beruhen, die dem Regierungschef eine effizientere Amtsführung ermöglichen würde.

Laut dem Bericht haben die in- und ausländischen Befürworter internationaler Untersuchungen im Mordfall Hariri von vornherein unterschiedliche Ziele verfolgt. Einige von ihnen hätten Rache gesucht, andere wollten weitere politische Verbrechen verhindern und die Souveränität des Libanons stärken.

Einige wenige Staaten - unter ihnen Frankreich und die USA - hätten durch den STL günstige Voraussetzungen für eine langfristige politische Neuausrichtung des Landes durch eine pro-westliche Allianz gesehen. Zugleich hätten sie gehofft, dadurch den Einfluss Syriens und seine Verbündeten auf den Libanon schmälern zu können. (Ende/IPS/ck/2010)


Links:
http://www.crisisgroup.org/en.aspx
http://www.stl-tsl.org/
http://www.indepthnews.net/news/news.php?key1=2010-12-05%2020:34:09&key2=1


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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 6. Dezember 2010
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Dezember 2010