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NAHOST/790: Libyen - Religionsführer gegen Gaddafi (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 14. März 2011

Libyen: Religionsführer gegen Gaddafi

Von Mike Elkin

Salem Geber - Bild: © Mike Elkin/IPS

Salem Geber
Bild: © Mike Elkin/IPS

Bengasi, Libyen, 14. März (IPS) - Für Libyens Staatspräsident Muammar Gaddafi steht fest, wem er die Volkserhebung zu verdanken hat: dem Terrornetzwerk Al Kaida und anderen islamischen Fundamentalisten. Doch wie Salem Geber, ein prominenter muslimischer Religionsführer der zweitgrößten libyschen Stadt Bengasi betont, ist die Schuldzuweisung nicht nur falsch, sondern eine Taktik, um Angst zu verbreiten.

Solche Äußerungen seien nicht neu, berichtet der Imam, der in der Hochburg der Anti-Gaddafi-Proteste Moscheen und andere Kulturdenkmäler betreut. "Gaddafi hat uns auch immer wieder vor den ölgierigen US-Amerikanern und Europäern und der Al Kaida gewarnt. Das klang dann immer so, als ob Al Kaida und USA gemeinsame Sache machten und einen Anschlag auf Libyen planten, was natürlich völlig absurd ist. Und außerdem: Sehen Sie hier irgendwo Amerikaner oder Al-Kaida-Kämpfer?"

Seit Jahrzehnten verunglimpft Gaddafi gläubige Muslime als Al-Kaida-Mitglieder und Unruhestifter. Die Islam-Feindlichkeit führte dazu, dass dem Imam in den vergangenen fünf Jahren lediglich gestattet wurde, Heiratsurkunden zu unterzeichnen. Die islamischen Religionsführer unterstanden zudem einem nicht-religiösen staatlichen Büro, und ihre Gebete für die wichtigsten muslimischen Feiertage wurden zensiert.

"Unter Gaddafi war es uns nicht erlaubt, offen über unsere eigene Religion zu sprechen", erläutert Geber. "Wir durften keine Zahlen aus der Geschichte des Islam nennen und nicht über die Armut im Land und die Probleme junger Leute reden. Erlaubt war nur, über Gaddafis Ferien und die positiven Dinge zu sprechen, die er für Libyen getan hat."


Folter und Schikane

Immer wieder wurde der Imam nachts von der Polizei geweckt, aus Schikane oder aber um ihn zum Verhör mit auf Revier zu nehmen. "Gaddafi wollte nicht, dass wir Libyer zum Nachdenken verleiten. Seine Kontrolle war überall: in Wirtschaft, Kultur, Fußball und Religion. Er versuchte sogar, einige Worte im Koran zu ändern."

Obwohl die regierungstreue Armee in den letzten Tagen etliche Städte in der Hand der Rebellen zurückerobert hat und auf Bengasi zu marschieren, sind die Menschen hier überzeugt, dass sie die Ära Gaddafi hinter sich gelassen haben. Auch der 28-jährige Ihab Jaswe gehört dazu. Der Imam trägt eine Kappe, die die Narben auf seinem kahl geschorenen Kopf jedoch nicht verbergen kann. Er war bei dem jüngsten Aufstand von einem Soldaten Gaddafis mit einer Machete angegriffen und angeschossen worden. Die erlittenen Verletzungen seien den Preis - die Befreiung Bengasis - auf jeden Fall wert gewesen, sagt er.

Vor vier Jahren hatten ihm Gaddafis Wachen zum Verhör ins Sika-Zentrum nach Tripolis verschleppt. Dort habe man ihn nackt ausgezogen und mit Elektrokabeln und Ledergürteln traktiert. Das schlimmste, was er je erlebt habe, sei eine Foltermethode namens Hyundai' gewesen: Er wurde mit seinen Händen an eine unter seinen Knien befestigte Stange gebunden dann mit dem Kopf nach unten solange aufgehängt, bis er das Bewusstsein verlor.


Schläge, bis Blut kam

Als Libyer im letzten Monat die Stadt Bengasi aus der Hand des Gaddafi-Regimes befreiten, strömten viele Menschen zu den Ruinen der ehemaligen Folter- und Gefängniszentren. Auch der 42-Jährige Mansur Jabel Bedri kam, um sich die Zelle anzusehen, in der er 1997 einen Monat lang festgehalten worden war. "Sie droschen solange auf unsere Beine ein, bis Blut kam", erinnert er sich an seine Wärter. "Wenn sich unsere Wunden infizierten, wurden sie von den Soldaten mit Salz eingerieben

Doch auch der der Freilassung waren die Übergriffe nicht vorbei, berichtet Bedri. "Immer, wenn wir die Stadt für mehr als zwei Tage verlassen wollten, wurden wir verhört, und wenn jemand an unsere Türen klopfte, blieb uns fast das Herz stehen." Bedri wurde vorgeworfen, Mitglied der Al Kaida zu sein. "Doch das ist eine Lüge, die den US-Amerikanern und Europäern erzählt wird, um ihnen Angst zu machen."

Angesichts der Landgewinne der Gaddafi-Truppen betet der Imam Salem Geber dafür, dass die Revolution siegt. "Es wird ein harter Kampf werden, doch eine Umkehr wird es nicht geben", ist er überzeugt. "Wir müssen die Menschen ermutigen, für ihre Menschenrechte einzutreten", sagt er. "Dieses Land wird, sobald Gaddafi verschwindet, der Welt zum Vorbild gereichen." (Ende/IPS/kb/2010)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. März 2011