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NAHOST/827: Nordafrika - Den Arabischen Frühling gibt es nicht umsonst, Geber stellen Bedingungen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 1. Juni 2011

Nordafrika: Den Arabischen Frühling gibt es nicht umsonst - Bedingungen der Geber

Von Cam McGrath


Kairo, 1. Juni (IPS) - Die internationalen Geber stellen Tunesien und Ägypten, den nordafrikanischen Ländern, in denen der so genannte Arabische Frühling begonnen hat, umfassende Wirtschaftshilfen in Aussicht. Skeptische Beobachter warnen vor dem möglichen Preis der bereitwillig geschnürten Hilfspakete und fordern die Empfänger auf, das Kleingedruckte in den Verträgen sorgfältig zu lesen.

"Bei solchen Hilfsangeboten steckt der Teufel im Detail", erklärte der Experte Amr Hassanein. Der Direktor von MERIS, einer regionalen Tochter der Rating-Agentur Moody's, betonte: "Detaillierte Angaben über die an die großzügigen Hilfen geknüpften Bedingungen lassen bislang auf sich warten."

Die G-8-Industriestaaten erklärten auf ihrem Treffen im französischen Deauville Ende Mai, dass die internationalen Entwicklungsbanken Ägypten und Tunesien in den kommenden drei Jahren bis zu 20 Milliarden US-Dollar auszahlen könnten. Weltbank und Internationaler Währungsfonds (IWF) wollen Ägypten 4,5 Milliarden Dollar an zinsgünstigen Krediten und Tunesien Hilfen in Höhe von 1,5 Milliarden Dollar zur Verfügung stellen. Die US-Regierung bietet Ägypten Kreditgarantien und Umschuldungen in Höhe von jeweils einer Milliarde Dollar, und auch Frankreich, Katar und Saudi-Arabien haben Hilfsangebote auf den Weg gebracht.


Misstrauen begründet

Hassanein zufolge ist zu befürchten, dass die jetzt angebotene Hilfe an Bedingungen geknüpft wird, die Ägypten und Tunesien zu Maßnahmen und Gesetzen zwingen könnten, die den Absichten und Zielen der Volksaufstände zuwider laufen. Weniger diplomatisch meinte der ägyptische Aktivist Mohamed Mansour: "Es wäre ein Verrat an den Märtyrern der Revolution, wenn wir ausländische Hilfe annehmen, die an Bedingungen geknüpft ist."

Viele Araber werfen westlichen Regierungen und internationalen Finanzinstituten vor, sie hätten Jahrzehnte lang mit politischem Druck und wirtschaftlichen Repressalien die Zustände geschaffen, die die Volksaufstände schließlich auslösten. So ließ Washington dem Mubarak-Regime jährlich zwei Milliarden Dollar an Militär- und Wirtschaftshilfe zukommen, und in Tunesien floss viel Geld europäischer Staaten in Staatspräsident Ben Alis gefürchteten Geheimdienst.

Scharf kritisiert werden auch Weltbank und IWF, weil nur Großkonzerne und Banken von vielen der von ihnen finanzierten Projekte profitierten. Nicht vergessen sind auch die vom IWF durchgesetzten repressiven Strukturanpassungsprogramme. Sie zwangen Regierungen, die ihre Schulden nicht zurückzahlen konnten, zur Privatisierung von staatlichem Vermögen und zu schmerzhaften Einschnitten in Sozialprogramme.

Inzwischen hat Ägypten ausgerechnet, dass die Revolution das Land 3,5 Milliarden Dollar gekostet hat. Die höchsten Verluste hat die Tourismusindustrie zu verkraften. Vor Beginn des neuen Haushaltsjahrs im Juli bezifferte Finanzminister Samir Radwan das zu erwartende Haushaltsdefizit auf 31 Milliarden Dollar beziehungsweise elf Prozent des Bruttoinlandsproduktes und forderte Hilfen von zwölf Milliarden Dollar.

Tunesiens Übergangsregierung braucht in den nächsten fünf Jahren 25 Milliarden Dollar. Mit den Hilfsgeldern sollen vorrangig Maßnahmen zur Bekämpfung der hohen Jugendarbeitslosigkeit, einem wesentlichen Auslöser der Revolution, finanziert werden. In Tunesien haben 30 Prozent der jungen Leute keinen Job.


Aktivisten fordern: Sparen statt Geld leihen

In Tunesien und Ägypten haben sich bereits Aktivistengruppen zu Wort gemeldet, die ihren Übergangsregierungen das Recht absprechen, Verträge über ausländische Hilfen abzuschließen. Dazu seien sie nicht autorisiert, heißt es. "Das Parlament muss jeder Entscheidung über Kredite zustimmen, doch bislang haben wir kein Parlament", stellte Hassanein fest.

Ägyptens regierender Militärrat will im September ein neues Parlament wählen lassen. In Tunesien soll es bereits im Juli Parlamentswahlen geben, wegen der erforderlichen Vorbereitungen wird die Wahl möglicherweise auf Oktober verschoben.

"Anstatt auf ausländische Kredite zu warten, sollten Ägypten und Tunesien zur Lösung ihrer Finanzprobleme zunächst einmal eigene Ressourcen mobilisieren, die Haushaltspläne überarbeiten und nicht länger Geld verschwenden", empfahl Alia El-Mahdi, Dekanin der Fakultät für Wirtschafts- und Politische Wissenschaften (FEPS) der Universität in Kairo. "Wir können es uns nicht leisten, bis nach den Wahlen auf ausländische Liquiditätsspritzen zu warten", warnte sie. (Ende/IPS/mp/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 2. Juni 2011