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NAHOST/886: Nach der Euphorie verharrt Palästinenser-Behörde in der Reglosigkeit (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 2. Januar 2012

Nahost: Nach der Euphorie verharrt Palästinenser-Behörde in der Reglosigkeit

von Thalif Deen


New York, 2. Januar (IPS) - Als der Palästinenserpräsident Mahmud Abbas im September vor die UN-Vollversammlung trat, war ihm der Rückhalt der überwiegenden Mehrheit der 193 Mitgliedsländer im Sinne eines unabhängigen palästinensischen Staates gewiss. Doch seitdem hat er nichts unternommen, um die UN-Vollversammlung und den -Sicherheitsrat zum Handeln zu bewegen.

Wie Samir Sanbar, ein ehemaliger beigeordneter UN-Generalsekretär und Nahostexperte, erklärte, hat die Palästinensische Autonomiebehörde vor und nach der "beeindruckenden und willkommenen" Rede von Abbas vor der UN-Vollversammlung keine ernsthaften Lobby-Anstrengungen unternommen, um die Mitglieder des UN-Sicherheitsrats für sich einzunehmen. "Jede andere Partei hätte dies in einer solchen Situation getan."

Seitdem die Palästinenserbehörde die Vereinten Nationen 1992 als wichtigste Plattform für Friedensverhandlungen verlassen und sich anderweitig Hilfe gesucht hätte, sei sie noch nicht vollständig zu den Vereinten Nationen zurückgekehrt, sagte er. "Den Preis für das Patt zahlt das palästinensische Volk, das Opfer der israelischen Besatzung", betonte Sanbar, einstiger Leiter der UN-Hauptabteilung für Presse und Information. Palästina wird derzeit von mindestens 125 Ländern als unabhängiger Staat anerkannt.

Im September hatte Abbas trotz des massiven Widerstands der USA offiziell um die UN-Mitgliedschaft seines Landes angesucht. Das Mitgliedschaftskomitee des UN-Sicherheitsrats blieb in der Frage zerstritten, ein Konsens wurde nicht erzielt. Sollte die Palästinenserbehörde eine entsprechende Resolution einreichen, würden die USA mit Sicherheit von ihrem Vetorecht Gebrauch machen. Doch bisher wurde die Regierung von US-Präsident Barack Obama einem solchen Test nicht ausgesetzt.


Guter Zeitpunkt, um aufgewerteten Beobachterstatus zu beantragen

Alternativ können die Palästinenser vor die UN-Vollversammlung ziehen, um einen aufgewerteten Beobachterstatus zu beantragen, der ihnen ähnliche Vorrechte verschaffen würde, wie sie der Vatikan besitzt. Doch laut dem Präsidenten der UN-Vollversammlung, Botschafter Nassir Abdelaziz al-Nasser aus Katar, will Abbas zunächst seine Regierung reorganisieren. "Würden die Palästinenser mich fragen, ich würde sie ermutigen, jetzt zur Vollversammlung zu kommen", sagte er. Die Chancen auf die erforderliche einfache Mehrheit für den besonderen Status seien "sehr gut".

Am 31. Oktober hatte die Weltkulturorganisation (UNESCO) Palästina als volles Mitglied zugelassen. Nur Stunden später kündigte Washington an, die Zahlung seiner UNESCO-Beiträge zu stoppen.

Auch wenn die Palästina-Frage die regionale und internationale Agenda der letzten fünf Monate dominiert hatte, ist die Diskussion über die volle Mitgliedschaft oder den aufgewerteten Beobachterstatus inzwischen eingeschlafen, wie Naseer Aruri, emeritierter Professor an der Universität von Massachusetts in den USA, erläutert.

Wie der russische Botschafter und derzeitige Präsident des UN-Sicherheitsrats, Vitali Tschurkin, Anfang Dezember erklärte, sollten die Palästinenser zwei Fragen klären, um den UN-Sicherheitsrat doch noch zum Handeln zu bewegen. Ersten sollten sie ein Datum für die Wahl zugunsten ihrer UN-Mitgliedschaft nennen. Zweitens müssten sie dem UN-Sicherheitsrat den Entwurf einer entsprechenden Resolution vorlegen. Doch bisher haben sie keinen dieser beiden Schritte unternommen.

Aruri zufolge kann davon ausgegangen werden, dass weder Russland als derzeitiger Präsident des UN-Sicherheitsrats, noch Katar, das der UN-Vollversammlung vorsitzt, die palästinensischen Delegationen enttäuschen würden, die eine Aufwertung ihres Status durch die UN-Vollversammlung anstreben. Russland habe zu diesem Zeitpunkt kein Interesse daran, eine Herausforderung des US-Vetos im Sicherheitsrat zu verhindern.


Palästinenserpräsident vorsichtig

Der reine Akt, Washington erneut zu einer Einlage seines Vetos zugunsten Israels "herauszufordern", reiche schon aus, um Obama in eine schwierige Position zu bringen, sagte Aruri. "Tatsache ist jedoch, dass viel von der aus dem vergangenen Sommer herrührenden palästinensischen Euphorie verschwunden ist, Die Palästinenser haben inzwischen die diplomatischen und wirtschaftlichen Kosten berechnet, die ihnen entstehen würden, sollten sie USA herausfordern."

Die USA sind weder gewillt noch in der Lage, Israel während der US-Präsidentschaftswahlen 2012 zu einer Beilegung des Streits mit den Palästinensern zu bewegen. Fast alle von Obama an Israel gestellten Erwartungen haben sich 2010/2011 nicht erfüllt. "Die Israel-Lobby in Washington hat ganz klar den Kurs vorgegeben, dem Obama wie kein anderer seiner Amtsvorgänger gefolgt ist", meinte Aruri.

Die derzeitige diplomatische Pattsituation ist für Abbas eine dornige Angelegenheit, zumal dieser ungern in trüben Gewässern fischt. Der Palästinenserpräsident hatte unlängst zu einer Metapher gegriffen, um die Palästinenserpolitik Obamas zu umschreiben. Der US-Präsident habe ihn auf einen Baum gelotst, sei allein mit einer Leiter wieder heruntergeklettert und habe ihn dann aufgefordert, zu springen. (Ende/IPS/kb/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. Januar 2012