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NAHOST/905: Israel zerstört, was Europa aufbaut - Auch deutsche Projekte betroffen (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. April 2012

Nahost: Israel zerstört, was Europa aufbaut - Auch deutsche Projekte betroffen

von Charlotte Silver und Karina Böckmann



Ramallah, Berlin, 5. April (IPS) - Die Europäische Kommission hat in einem Papier 82 Projekte aufgelistet, die von den israelischen Streitkräften zwischen Mai 2001 und Dezember 2011 beschädigt oder zerstört wurden. Die gesamten materiellen Verluste beliefen sich demnach auf 49,2 Millionen Euro, von denen 30 Millionen als Direkthilfe aus der EU kamen.

Der britische Europaabgeordnete Chris Davies veröffentlichte die Ergebnisse der Untersuchung auf seiner Website und erklärte, es handele sich "um die detaillierteste Antwort, die ich jemals von der Europäischen Kommission erhalten habe".

Die Liste wird als weiterer Hinweis darauf gewertet, wie Israel die Aktivitäten seiner europäischen Verbündeten in den Palästinensergebieten missachtet. Berechnungen von 2011 zufolge kosten allein die von Israel auferlegten Reisebeschränkungen internationale Hilfsorganisationen jährlich 4,5 Millionen US-Dollar.

Im weiteren Kontext des Nahostkonflikts sei der wirtschaftliche Schaden zwar nicht erheblich, merkte Davies an. Dennoch sei die akribische Aufstellung der Kommission erhellend. Der meiste Schaden entstand demnach während des zweiten Palästinenseraufstands (Intifada) zwischen 2000 und 2005 sowie bei den israelischen Angriffen auf den belagerten Gaza-Streifen im Winter 2008/09.

Im Winter 2001 wurde der Flughafen von Gaza-Stadt zerstört. Die Geberländer Deutschland, Spanien und Schweden verloren dadurch 9,5 Millionen Euro. Verheerende Schäden entstanden auch dort, wo kleinere Projekte betroffen waren. Während der zweiten Intifada attackierte Israel eine Flotte von Krankenwagen des Roten Halbmonds, die von der Europäischen Kommission bezahlt worden waren.

Bei den Angriffen auf den Gazastreifen vor mehr als drei Jahren wurden ebenfalls von der EU finanzierte Projekte im Wert von fast zwei Millionen Euro vernichtet, darunter Anlagen zur Müllverwertung und Wasseraufbereitung.

Außerdem werden in einem bestimmten Teil des Westjordanlands regelmäßig Privathäuser, Schulen und Wasserreservoirs zerstört. Es handelt sich um das so genannte Gebiet C, das 62 Prozent des Westjordanlandes umfasst und unter vollständiger militärischer und ziviler Kontrolle Israels steht. Dort leben etwa 150.000 Palästinenser und 300.000 jüdische Siedler.


Keine Baugenehmigungen für Palästinenser in Gebiet C

Die israelischen Streitkräfte und die zivile Verwaltung behalten sich das Recht vor, alle Gebäude zu zerstören, die ohne Genehmigung gebaut werden. Auf internationaler Ebene sind sich israelische und palästinensische Menschenrechtsorganisationen darin einig, dass es für Palästinenser praktisch unmöglich ist, dort Baugenehmigungen zu erhalten.

Allein 2011 zerbombte die israelische Luftwaffe 746 Privathäuser und andere Gebäude von Palästinensern sowie 46 Regenwasserreservoirs. Hunderte weitere Häuser im Gebiet C sind noch vom Abriss bedroht.

Palästinenser und Menschenrechtsaktivisten sind der Meinung, dass den palästinensischen Bewohnern von Gebiet C geholfen werden muss, dort auch bleiben zu können. Das 'Jordan Valley Solidarity Project' hat den Spruch 'Existieren heißt Widerstand leisten' zu seinem Motto gemacht. Die Organisation unterstützt die Palästinenser dabei, Häuser, Schulen und andere notwendige Einrichtungen zu bauen, auch wenn diese zerstört werden könnten.

Das Papier der Europäischen Kommission legt nahe, dass die EU-Mitgliedsstaaten keine Projekte in Gebiet C mehr finanzieren sollten. Gerade dort leben aber Menschen, die Hilfe am meisten nötig haben. Dies bestätigte im vergangenen Jahr eine Studie der palästinensischen Birzeit-Universität über die Effizienz von Entwicklungshilfe. Dazu wurden sowohl Geber als auch Empfänger solcher Hilfen befragt.

Die Untersuchung der Universität, die nahe Ramallah im Westjordanland gelegen ist, kam zu dem Schluss, dass die meisten internationalen Hilfsorganisationen in den Palästinensergebieten keine Bauten ohne Genehmigung unterstützen wollten, um sich nicht auf politischen Konfrontationskurs zu Israel zu begeben. Außerdem scheuten sie den großen bürokratischen Aufwand.

Ausnahmen gibt es allerdings auch. In zwei Fällen finanzierten die Regierungen von Spanien und Deutschland Solaranlagen in Dörfern im Gebiet C auf den Hügeln von Hebron. Für beide Projekte hat Israel Abrissgenehmigungen erteilt.


Deutsche Solaranlagen vom Abriss bedroht

Das Auswärtige Amt war gegenüber IPS nicht zu einer Stellungnahme und Auskünften über Kosten und Umfang dieser Projekte bereit, teilte jedoch in einer E-Mail mit, dass "die Bundesregierung die bestehenden Einstellungs- bzw. Abrissverfügungen gegenüber mit deutschen Geldern finanzierten Anlagen regenerativer Energien mit großer Sorge sieht". Man stehe in engem Kontakt mit der israelischen Regierung, um eine Lösung zu finden.

Ferner hieß es in der Mail, "die Projekte waren ebenso wie ihre Lage in den C-Gebieten insgesamt Thema der Gespräche des Bundesaußenministers anlässlich seiner jüngsten Nahost-Reise nach Israel und in die Palästinensischen Gebiete".

Peter Lundbergh von der schwedischen Entwicklungshilfebehörde SIDA kritisierte die Art und Weise, in der den Palästinensern Hilfe geleistet wird. "Die Entwicklung sollte den Menschen helfen, auf ihrem Land zu bleiben. Stattdessen haben zu viele von ihnen Gebiet C verlassen." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://chrisdaviesmep.org.uk/?p=1079
http://www.jordanvalleysolidarity.org/index.php?option=com_content&limitstart=30
http://www.sida.se/English/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=107292

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. April 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. April 2012