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NAHOST/928: Iran - US-Experten warnen vor Präventivschlag gegen Teherans Atomfabriken (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Juni 2012

Iran: US-Experten warnen vor Präventivschlag gegen Teherans Atomfabriken

von Jim Lobe



Washington, 7. Juni (IPS) - Obwohl ein mit Atomwaffen ausgerüsteter Iran für die USA und Israel eine erhebliche Bedrohung darstellen würde, rät eine US-amerikanische Denkfabrik dringend von einem Militärschlag gegen Teheran ab. Ein solcher Vorstoß könnte sich als kontraproduktiv herausstellen, warnte das 'Center for a New American Security' (CNAS), das der Regierung von Präsident Barack Obama nahe steht.

Sowohl die USA als auch Israel sollten alle Schritte vermeiden, die die Aussichten auf eine Einigung am Verhandlungstisch über einen Verzicht des Irans auf Kernwaffen schmälern könnten, heißt es in dem CNAS-Bericht 'Risk and Rivalry: Iran, Israel and the Bomb'.

Nach Ansicht der Autoren sollten USA und Israel vom Iran nicht die komplette Aufgabe der Uran-Anreicherung auf seinem Staatsgebiet verlangen. Diese Forderung Israels und seiner Verbündeten im US-Kongress stehe jeder friedlichen Übereinkunft im Wege, heißt es in dem Report, dessen Hauptautor Colin Kahl bis Januar der oberste Nahost-Stratege im Pentagon war.

Der Iran verfolge offensichtlich eine Strategie der "nuklearen Absicherung". Nach dem derzeitigen Stand würde das Land aber mindestens noch ein Jahr für den Bau einer Atombombe brauchen. Dem Bericht zufolge könnte sich Teheran aber auch damit zufrieden geben, eine "Schwelle" zu erreichen, die unterhalb einer voll entwickelten atomaren Bewaffnung liegt.


"Teheran wird keinen Selbstmord begehen"

Sollte der Iran tatsächlich Atomsprengköpfe herstellen, sei es dennoch unwahrscheinlich, dass er sie verwende oder Terroristen zuspiele. "Das iranische Regime wird keinen Selbstmord begehen und versteht die grundlegende Logik der nuklearen Abschreckung", heißt es in dem Bericht, zu dessen Verfassern außerdem Melissa Dalton und Matthew Irvine gehören. Allerdings wäre ein mit Atomwaffen ausgestatteter Iran wahrscheinlich "aggressiver und gefährlicher" als ein Land ohne Kernwaffen. Außerdem werde sich in einem solchen Fall die Rivalität zwischen dem Iran und Israel verschärfen, womit ein Risiko für einen "unbeabsichtigten Atomkrieg" entstünde.

Der Report kommt zu einer Zeit, in der ungefähr die Hälfte der zweiten Gesprächsrunde in Bagdad zwischen dem Iran und der sogenannten Gruppe der P5+1 - der fünf ständigen Mitglieder des UN-Sicherheitsrats und Deutschlands - erreicht ist. Die dritte Verhandlungsrunde soll am 18. und 19. Juni in Moskau stattfinden.

Iranische Regierungsvertreter zeigten sich enttäuscht über das Versäumnis der P5+1, ihrem Land größere Zugeständnisse zu machen, sollte Teheran die Anreicherung von Uran auf bis zu 20 Prozent aussetzen und zu einem späteren Zeitpunkt dem Abtransport eines Teils oder des gesamten bis zu 20 Prozent seines angereicherten Urans zustimmen.

Der Iran will vor allem erreichen, dass die Finanzsanktionen der Staatengemeinschaft, die die iranische Wirtschaft zunehmend belasten, gelockert werden. Er erwartet außerdem, dass die USA und ihre Verbündeten formal das Recht des Irans auf eine Urananreicherung von bis zu fünf Prozent als Teil des zivilen Atomprogramms anerkennen.

Die USA und die Europäische Union haben in den vergangenen Monaten angedeutet, dass sie unter den richtigen Umständen solchen Konzessionen offen gegenüberstünden. Während der jüngsten Verhandlungsrunde wurde darüber aber offensichtlich nicht diskutiert.

Die scheinbare Pattsituation hat den erbitterten Iran-Gegnern in den USA und in Israel Auftrieb gegeben. Sie argumentierten damit, dass der Iran die Gespräche dazu ausnutzen würde, genug Zeit herauszuschlagen, um eine Atomwaffe zu entwickeln. Die 'Falken' bestanden zudem darauf, dass Teheran im Rahmen einer Verhandlungslösung das Anreicherungsprogramm gänzlich aufgeben soll.


Bolton wirbt für Angriff gegen Iran

John Bolton, der zur Amtszeit von Präsident George W. Bush US-Botschafter bei den Vereinten Nationen war und zurzeit den republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney berät, äußerte sich in der 'Washington Times' erleichtert darüber, dass in Bagdad keine Einigung erzielt worden sei. Bolton, der für das neokonservative 'American Enterprise Institute' (AEI) tätig ist, hat die USA seit 2008 mehrfach dazu aufgefordert, einen israelischen Angriff auf iranische Nukleareinrichtungen zu unterstützen.

Vor dem CNAS-Bericht sind bereits andere Studien veröffentlicht worden, die vor einem Präventivschlag gegen den Iran warnen, vor allem wenn er von Israel käme. Vertreter des dem Pentagon nahe stehenden Thinktanks 'Rand Corporation', kamen im Mai zu dem Schluss, "ein israelischer oder US-Angriff auf iranische Atomeinrichtungen würde die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass das iranische Regime Kernwaffen produziert und aufstellt." Der internationale Einfluss des Landes wäre damit noch schwieriger zu begrenzen.

Der Report beschreibt die zu erwartenden negativen Folgen eines militärischen Angriffs gegen Teheran. Ein mit Atomwaffen ausgerüsteter Iran wäre entschlossener denn je, Israel herauszufordern, und würde dabei auf wesentlich weniger regionale und internationale Hindernisse stoßen, heißt es. Washington sollte die Einschätzungen früherer und amtierender israelischer Regierungsvertreter ernst nehmen, die sich gegen einen Militärschlag ausgesprochen hätten.

Laut der CNAS-Studie müssten gewisse Bedingungen erfüllt sein, bevor nach dem Ausschöpfen aller friedlichen Mittel ein Angriff tatsächlich gerechtfertigt wäre. Zum einen müsste sich der Iran deutlich in Richtung einer Bewaffnung bewegt haben. Außerdem müsste es eine ausreichend starke internationale Koalition geben, die mit daran arbeiten würde, die destabilisierenden Folgen eines solchen Angriffs möglichst klein zu halten. Die Staatengemeinschaft müsste zusammenarbeiten, um den Iran im Folgenden daran zu hindern, sein Nuklearprogramm wieder aufzubauen. (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://cnas.org/files/documents/publications/CNAS_RiskandRivalry_Kahl_0.pdf
http://www.rand.org/content/dam/rand/pubs/corporate_pubs/2012/RAND_CP22-2012-04.pdf
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=108063

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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Juni 2012