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NAHOST/934: Palästinensisches Westjordanland abhängig von internationaler Hilfe (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 10. August 2012

Nahost: Abhängig von internationaler Hilfe - 'Die Blase wird platzen'

von Jillian Kestler-D'Amours


Ramallah steuert auf eine Finanzkrise zu - Bild: © Jillian Kestler D'Amours/IPS

Ramallah steuert auf eine Finanzkrise zu
Bild: © Jillian Kestler D'Amours/IP

Ramallah, Westjordanland, 9. August (IPS) - Dem palästinensischen Westjordanland droht der Zusammenbruch. "Die Blase wird platzen", warnt Tareq Sadeq, Professor an der Birzeit Universität nahe Ramallah in Anspielung auf die zunehmende Geberabhängigkeit des von Israel besetzten Gebietes. "Je später, desto schlimmer der Kollaps."

"Die Menschen werden ihre Häuser, ihre Autos und ihr Land verlieren. Die gesamte Wirtschaft wird betroffen sein. Das wird auch auf die Palästinensische Autonomiebehörde (PA) abstrahlen und könnte ihren Zusammenbruch bedeuten", fürchtet Sadeq. "Die Menschen konsumieren, konsumieren, konsumieren - doch produziert wird nichts", erklärt er.

Die Regierung in Ramallah hat bereits eingeräumt, vor einer Finanzierungskrise zu stehen. Sie benötigt nun Hilfe von den Gebern, um ein Haushaltsloch von rund 1,1 Milliarden US-Dollar zu stopfen. Überdies drohen Liquiditätsengpässe im Umfang von 500 Millionen Dollar.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) hat Anfang Juli eine Bitte der israelischen Regierung um ein Darlehen in Höhe von einer Milliarde Dollar zur Finanzierung der PA abgelehnt. Die Wirtschaft im Westjordanland wird fast ausschließlich mit internationalen Hilfsgeldern aufrechterhalten. 2011 versprachen die Geber der palästinensischen Führung Unterstützung von einer Milliarde Dollar, von denen 800 Millionen Dollar transferiert wurden. Nach Ansicht von Sadeq ist die palästinensische Wirtschaft durch die Geberhilfe noch anfälliger geworden.

Um den Palästinensern die Unabhängigkeit zu sichern, treibt der palästinensische Regierungschef Salam Fayyad eine Politik der Wirtschaftsentwicklung und Investitionen im Privatsektor voran. Bisher haben die meisten internationalen Wirtschaftsorganisationen und Regierungen sein Vorgehen gelobt. Die Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts (BIP) galten als Gradmesser für Erfolg.

Das BIP im Westjordanland stieg zwischen 2008 und 2011 um 7,7 Prozent. Im Entwicklungsplan für den Zeitraum 2011 bis 2013 ging die Autonomiebehörde von einem weiteren Zuwachs von zwölf Prozent für das kommende Jahr aus.


Weltbank: Wirtschaft kann Palästinenser-Staat nicht tragen

Ein am 25. Juli veröffentlichter Bericht der Weltbank kam jedoch zu dem Schluss, dass die palästinensische Wirtschaft nicht aufrechtzuerhalten ist. "Die Autonomiebehörde hat stetige Fortschritte bei der Stärkung der Institutionen verzeichnet, die ein zukünftiger Staat braucht. Die Wirtschaft ist zurzeit aber nicht stark genug, um einen solchen Staat zu tragen", urteilte John Nasir, der Hauptautor der Studie 'Towards Economic Sustainability of a Future Palestinian State: Promoting Private Sector-Led Growth'.

Demnach wäre eine Aufhebung der Restriktionen Israels für einen Zugang zu Märkten und Rohstoffen der erste notwendige Schritt, um die Privatwirtschaft im Westjordanland expandieren zu lassen. Zudem müsse die Regierung aus der Abhängigkeit ausländischer Hilfe herausfinden.

"Wir sind uns im Klaren, dass die Wirtschaftsentwicklung nicht nachhaltig ist", sagt Sam Bahour, ein palästinensisch-US-amerikanischer Geschäftsmann. Seiner Meinung nach stellt die Kontrolle Israels über das palästinensische 'Humankapital' die größte Hürde für eine Genesung des Palästinensergebietes dar.

Das Problem für den Privatsektor sei doch, dass es zu wenige Arbeitskräfte gebe, meint er. Israel kontrolliert alle Ein- und Ausgänge des Westjordanlandes in Bezug auf Waren und Personen. "Durch die Blockade der Humanressourcen wird im Grunde die Geschwindigkeit unserer Entwicklung bestimmt."

Israel und die palästinensische Führung unterzeichneten im April 1994 das 'Pariser Protokoll' als Teil der Osloer Abkommen, die 1993 geschlossen wurden. Darin wurden die Beziehungen zwischen beiden Seiten definiert und die Gründung der palästinensischen Autonomiebehörde festgelegt. In dem Pariser Protokoll ist auch ein Rahmenwerk für die bilateralen Wirtschaftsbeziehungen enthalten.


Israelische Kontrolle hat einen hohen Preis

Das Protokoll erlaubt Israel, die PA mit Import- und Transfersteuern auf Güter zu belegen, die für die Palästinensergebiete bestimmt sind. Die Autonomiebehörde kann ihrerseits direkte und indirekte Steuern erheben, eine Industriestrategie entwerfen, Arbeitsplätze in der öffentlichen Verwaltung einrichten und eine Währungsbehörde ins Leben rufen. Der Handel der Palästinenser mit anderen Staaten wurde weiterhin über israelische Häfen oder von Israel kontrollierte Grenzübergänge abgewickelt. Nach wie vor müssen die Palästinenser im internationalen Warenaustausch erhebliche Verluste hinnehmen.

Nach Ansicht von Bahour hat die israelische Kontrolle über den palästinensischen Markt zu einer "Amerikanisierung der palästinensischen Bevölkerung" geführt. "Wenn es der Wirtschaft schlecht geht und sie vor allem durch Geber angetrieben wird, versucht jeder, allein für sich das Beste aus seiner Lage zu machen."

Die Arbeitslosenrate im Westjordanland betrug im ersten Quartal 2012 etwa 20 Prozent, wie das palästinensische Amt für Statistik mitteilte. Ein Viertel aller Einwohner lebte 2011 unterhalb der Armutsgrenze, 13 Prozent der 2,6 Millionen Menschen sogar im Elend. (Ende/IPS/ck/2012)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. August 2012