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NAHOST/935: Palästinenser sehen politische Ziele hinter israelischen Archäologie-Projekten (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 16. August 2012

Nahost: Palästinenser sehen politische Ziele hinter israelischen Archäologie-Projekten

von Pierre Klochendler


Die Givaty-Ausgrabungsstätte in Ostjerusalem - Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Die Givaty-Ausgrabungsstätte in Ostjerusalem
Bild: © Pierre Klochendler/IPS

Ostjerusalem, 16. August (IPS) - "Das ist der Palast von König David!", verkündet ein israelischer Reiseführer aus voller Brust. Er ignoriert dabei das Fragezeichen, das auf einem Schild an der Ausgrabungsstätte zu sehen ist, und zitiert eine Bibelstelle aus dem Zweiten Buch Samuel: "Und als die Lade des Herrn in die Stadt Davids kam ..."

"Alles passt so gut zu der Beschreibung in der Bibel", meint der israelische Wachmann Amir Brightman, der die Touristen zu dem Gelände führt. "Ich fühle mich mit diesem Ort so verbunden." Die Heilige Schrift gilt vielen Israelis immer noch als das unangefochtene archäologische Handbuch, auch wenn dies in Fachkreisen kritisiert wird.

Die archäologische Stätte liegt mitten in dem palästinensischen Bezirk Silwan am Rand der Altstadt von Ostjerusalem. Daneben befindet sich die Ausgrabungsstätte Givaty. Auf dem ehemaligen Parkplatz wird seit fünf Jahren rund um die Uhr nach historischen Überresten gesucht. Es ist das umfangreichste Grabungsprojekt dieser Art in ganz Israel.

Die Palästinenser werfen Israel vor, durch die Suche nach dem biblischen Jerusalem seine Machtposition in der Stadt weiter ausbauen zu wollen. "Die Besucher, die in die Stadt Davids kommen, machen sich nicht klar, dass wir hier leben", beschwert sich Ahmad Qaraein, dessen Familie seit Generationen in einem dreistöckigen Haus gegenüber von Givaty wohnt.


Palästinenser fürchten Verdrängung

Qaraein arbeitet als freiwilliger Berater für das Sommercamp 'Wir lieben Silwan', das auf einem anderen Parkplatz in der Nähe stattfindet. Wie viele Palästinenser ist er davon überzeugt, dass Israel weniger durch ein archäologisches Interesse angetrieben wird, sondern in erster Linie seinen biblischen Anspruch auf Ostjerusalem untermauern will. "Nicht nur König David lebte hier", sagt er. "Sie haben einen 1.200 Jahre alten muslimischen Friedhof zerstört, der sich im oberen Geschoss befand."

Der Archäologe Doron Ben-Ami, der für die israelische Behörde für Altertümer arbeitet, weist die Anschuldigungen zurück. "Archäologie ist ein zerstörerischer Beruf", meint er. "Man trägt jüngere Schichten ab, um die älteren zum Vorschein zu bringen. Da Jerusalem ein sensibler Ort ist, haben wir entschieden, aus jeder Epoche etwas zu erhalten."

Ben-Ami ist der Grabungsleiter in Givaty. "Hier ist Jerusalem entstanden. Man erkennt die jüngste Periode der Muslime durch die byzantinische und die römische Zeit sowie durch die beiden Tempelperioden." Er weist auf verschiedene Mosaiken, Säulen und Mauern hin, die in den unterschiedlichen Schichten erkennbar sind.

"Die Kanaanitische Zeit begann tausende Jahre vor der von König David, im frühen Bronzezeitalter", erklärt er, indem er auf mehrere Gruben zeigt. "Wenn man beim Grundgestein anlangt, endet die Archäologie und die Geologie beginnt."

Auch die Politik kommt an diesem Punkt ins Spiel. Israelis und Palästinenser sind sich immerhin in einem Punkt einig: Der Kampf um die Souveränität über Jerusalem ist die Wurzel ihres Konflikts. Die Palästinenser beanspruchen Ostjerusalem als Hauptstadt ihres künftigen Staates.

"Dieses Gebäude bleibt in Palästina" ist in der Nähe von Givaty auf einem Graffiti in den palästinensischen Nationalfarben zu lesen. "Silwan ist unser Dorf - Jerusalem unser Land, unsere Geschichte", betont Qaraein.

Insgesamt 88 Häuser von Palästinensern in Silwan sollen abgerissen werden, weil sie ohne Genehmigung Israels gebaut wurden. Auch die beiden oberen Geschosse von Qaraeins Haus sind betroffen. "Seit 1997 zahlen wir jährlich hohe Gebühren, um den Abriss hinauszuzögern", erklärt er.


Ausgrabungen bringen palästinensische Häuser zum Einsturz

Die Palästinenser werfen den israelischen Behörden vor, dass sie zu wenige Baugenehmigungen erteilen und zahlreiche Häuser zerstört haben. Qaraein beklagt sich außerdem über eine hohe Einsturzgefahr infolge der Ausgrabungen. Vor drei Jahren wurden 17 palästinensische Kinder verletzt, als ihre Schule einstürzte. Die Anrainer führen den Unfall auf die unterirdischen Tunnel zurück, die die Archäologen unter dem Dorf Silwan gegraben haben.

In Givaty sind unterdessen Studenten und andere Freiwillige emsig damit beschäftigt, den Boden abzutragen, Tonscherben zu sortieren und antike Kunstgegenstände zu bergen. Die Geschichte des Ortes wird charakterisiert durch Eroberungen und Wiedereroberungen, Heilige Kriege und Kreuzzüge. Allein in den vergangenen 2.000 Jahren wurde Jerusalem 13 Mal eingenommen.

Übrig geblieben sei nur noch eine Besatzungsmacht - nämlich Israel, betont Qaraein. "Türken, Briten, Jordanier haben den Ort verlassen, doch wir sind geblieben. Auch Israel wird abziehen müssen", ist er überzeugt. "Seit 1967 werden wir von Israel okkupiert. Und seit 1991 sind israelische Siedler als zweite Besatzer hinzugekommen."

Givaty wird von der ultra-rechten israelischen Vereinigung 'Elad' verwaltet, die neben den Ausgrabungen auch den jüdischen Siedlungsbau nahe Silwan und in Ostjerusalem finanziert. Unter etwa 50.000 Palästinensern leben inzwischen rund 400 Siedler. Spannungen liegen in der Luft.

Qaraein wurde bereits zwei Mal von einem jüdischen Nachbarn ins Bein geschossen. "Elad ist ein Staat im Staat", kritisiert er. "Sie nehmen sich alle Rechte, man kann sie nicht aufhalten." Hinter den Ausgrabungen der Stadt Davids sei eine Strategie der Siedler zu erkennen, die Palästinenser aus Jerusalem zu vertreiben. "Sie wollen uns hier nicht haben."

Auch der palästinensische Reiseführer Yonatan Mizrahi sieht die Archäologie als "politisches Werkzeug", mit dem Israel seinen Anspruch auf Ostjerusalem festigen wolle. "Dabei bringt die Archäologie Spuren unterschiedlicher Zivilisationen zutage. Wie kann ein solcher Ort also einem einzigen Volk gehören? Jerusalem ist nicht ausschließlich jüdisch, andererseits kann auch nicht behauptet werden, dass es zu keinem Zeitpunkt jüdisch war. Darin liegt das Dilemma." (Ende/IPS/ck/2012)


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http://www.ipsnews.net/2012/08/in-jerusalem-the-past-is-alike-and-alive/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. August 2012