Schattenblick →INFOPOOL →POLITIK → AUSLAND

OSTEUROPA/290: Ukraine - Den Präsidentschaftswahlen im Januar/Februar 2010 entgegen? (Falkenhagen/Queck)


Ukraine: Den Präsidentschaftswahlen im Januar/Februar 2010 entgegen?

Von Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen und Brigitte Queck, August 2009


Die Präsidentschaftswahlen sollen gemäß einem Parlamentsbeschluss in der ersten Runde am 17. Januar 2010 stattfinden. Anschließende Stichwahlen unter den beiden Erstplazierten finden dann eine Woche später statt ,falls keiner der Kandidaten die absolute Mehrheit von über 50% gewinnt. Das Datum ist aber dennoch ungewiss. Vorher muss noch ein Wahlgesetz über die Wahl des Staatspräsidenten beschlossen und endgültig bestätigt werden. Um dieses Wahlgesetz ist ein heftiger Streit entbrannt, der auch nach Verabschiedung einer Wahlgesetznovelle durch das Parlament am 24. Juli noch nicht beendet ist, da hier höchstwahrscheinlich noch das Verfassungsgericht auf Grund einer Präsidentenklage über ihre Verfassungsmäßigkeit entscheiden muss.
Das bisherige Wahlgesetz über die Wahl des Staatspräsidenten ist veraltet. Dabei geht es um Fragen wie die Überprüfbarkeit des Wahlergebnisses. Insbesondere die "Partei der Regionen" will die Bestimmung aus dem Wahlgesetz gestrichen haben, nachdem das Oberste Gericht bei einer Anfechtung des Wahlergebnisses und z. B. infolge der Organisierung von Massendemonstrationen ohne Nachzählung der Stimmen eine Wahl für ungültig erklären kann. Zu klären ist die Frage: Dürfen z. B. Straßenunruhen über die Gültigkeit einer Wahl den Ausschlag geben und eine Wahl ungültig machen und Anlass für Wiederholungswahlen unter den beiden Erstplazierten geben.
Im Dezember 2004 wurde die Wahl von Viktor Janukowitsch zum ukrainischen Präsidenten ohne klare Beweislage für ungültig erklärt. Eine Wahlfälschung ist in der Tat nie nachgewiesen worden. Das Urteil des Obersten Gerichts, eine dritte Tour der Präsidentschaftswahl anzusetzen, war ein reines Ermessensurteil. Es kam unter dem Druck der Opposition, des Westens und der Straßenmobs zustande. Ein Gericht hat sich im Grunde der Gewalt, dem Druck der Straße und der EU-Oberen gebeugt. Außerdem war das Urteil verfassungswidrig, was man mit dem Zeitdruck begründete. Nach der ukrainischen Verfassung hätte das Oberste Gericht bei nachgewiesener Ungewissheit oder gar Fälschungen des Wahlergebnisses anordnen müssen, dass die gesamte Wahlprozedere wiederholt wird. Alle Bewerber hätten noch einmal antreten müssen. Dass Juschtschenko das natürlich 2004 keineswegs wollte, ergab sich daraus, dass schon beim ersten Wahlgang nicht einmal sicher gewesen wäre, ob er noch einmal unter die beiden Erstplazierten gekommen wäre.
Eine solche Situation darf sich nicht wiederholen, fordern die demokratischen Kräfte der Ukraine zurecht. Kurzsichtigkeit von Politikern, Denken in egoistischen Kategorien, darf nicht dominieren.

Zu dem Vorwurf der Wahlfälschungen: 2004 veranstalteten Juschtschenko und sein Kommando einen großen Lärm um die sog. Zusatzwähler. Damit auch Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können, die sich nicht am Wahlort, in dem sie registriert waren, aufhalten, hatte man Wähler-Talons eingeführt. Und damit auch Wahlberechtigte ihre Stimme abgeben können, die sich z. B. aus gesundheitlichen Gründen nicht in die Wahllokale begeben können, z. B. bettlägerigen Kranken hatte man die Möglichkeit gegeben, fliegende Wahlurnen zu benutzen. Der Vorwurf der Juschtschenko-Leute lautete nun, dass man insbesondere damit die Wahlen massiv gefälscht habe. Am Wahltag konnten Inhaber solcher Talons zu Wahllokalen fahren, wo sie nicht eingetragen waren, dabei hätten sie mehrfach wählen können, wurde angeführt. Und mit fliegenden Wahlurnen sei auch gemogelt worden, wurde behauptet. Alles das konnte aber nicht mal in Einzelfällen und schon gar nicht in die Wahlergebnisse beeinflussenden Größenordnungen nachgewiesen werden. Dass Bürger und Bürgerinnen mehrfach wählen konnten, mag stimmen, aber das wäre nur möglich gewesen, wenn ihnen der Talon nicht vorschriftsmäßig abgenommen worden ist. Da gab es aber strenge Anweisungen der Wahlleitungen zur Sicherstellung der Korrektheit der Wahlergebnisse. Die Juschtschenko-Leute beanstandeten auch die fliegenden Wahlurnen, durch die auch z. B. Bettlägerige wählen konnten. Das Wahlrecht aber Bettlägerigen zu verweigern liefe auf eine Wählerdiskriminierung hinaus.
Streitpunkt war tatsächlich die Abschaffung der Talons und auch der fliegenden Wahlurnen. Man müsste mindestens die Möglichkeit einer kontrollierbaren Briefwahl schaffen, wie sie in allen westlichen Demokratien bestünde.

Wahlfälschungen sind also 2004 nie nachgewiesen worden und sie wurden auch von Janukowitsch-Lager nicht, wie verleumderisch behauptet, organisiert. Deswegen konnten gegen ihn und seine Wahlunterstützer auch nie ernsthafte Vorwürfe bezüglich Wahlfälschungen geltend gemacht werden, geschweige denn Gerichtsverfahren angestrengt werden. Das weiß heute jeder Ukrainer und jede Ukrainerin. Darauf konnte und kann sich auch Janukowitsch mit Fug und Recht berufen, wenn er von den Verleumdungen sprach, die gegen ihn wegen angeblicher Wahlfälschungen ins Feld geführt wurden. Trotzdem wurde ihm der Wahlsieg bei der Stichwahl geraubt, indem im Dezember 2004 unter Janukowitsch und Juschtschenko als den beiden Erstplatzierten der ersten Wahlrunde eine dritte Wahlrunde verfügt wurde, bei der dann diesmal in einer Atmosphäre der politischen Aufgewühltheit und Hysterie unter Anwendung allerlei Tricks Juschtschenko als Sieger hervorging. Dass der Westen und die von ihm bezahlten, bzw. angeleiteten Kräfte dieses Wahlspektakel kürzlich bei den Wahlen im Iran wiederholen wollten, liegt auf der Hand!!
Ein entscheidender Vorteil bestand im Dezember 2004 für die pro-westlichen Kräfte darin, dass Juschtschenko die Unterstützung von Frau Timoschenko und ihres Blocks, aber auch von Moros und seiner Sozialistischen Partei hatte. Ein großer Teil der ukrainischen Bevölkerung besaß zu dieser Zeit nicht den politischen Scharfblick und Durchblick, um beurteilen zu können, worum es bei diesen Wahlen eigentlich ging. Der NATO-Beitritt und die Unterwerfung der Ukraine unter die USA-Dominanz und Dominanz Brüssels, aber auch die Frage der Frontstellung der Ukraine gegen Russland und den Großteil Asiens sowie die islamische Welt, insbesondere gegen den Iran und Syrien, wurden zu dieser Zeit gar nicht thematisiert. Es ging im Jahre 2004 gegen den früheren Präsidenten Kutschma, dem man politisches und wirtschaftliches Versagen und Korruption vorwarf und Janukowitsch wurde als Ziehsohn von Kutschma und als ein Mann Moskaus hingestellt, was er damals nicht war und auch heute nicht ist. Janukowitsch hielt und hält nur eine Frontstellung der Ukraine gegen Russland für eine tödliche Gefahr für den Frieden und die Völkerfreundschaft. Er trat schon 2004 für eine militärische Bündnisfreiheit oder Nichtpaktgebundenheit der Ukraine ein. Eine wichtige Rolle spielte auch die Nutzung ochlokratischer Elemente (Elemente der Pöbelherrschaft) bei Straßendemonstrationen durch rechte reaktionäre Kräfte, wie sie das bei allen "bunten" Revolutionen der letzten Jahre praktizierten. Denn eine demokratische Volksrevolution im Interesse des ukrainischen Volkes war auch die "orange" Revolution im Dezember 2004 in Kiew gewiss nicht.

Die Forderung für ein neues Wahlgesetz lautet nun, Wählerregister einzuführen, die Stimmabgabe anhand der Wählerlisten zu kontrollieren und auch die Talons oder Wählerbriefe einer strengeren Kontrolle zu unterwerfen. Eine weitere Forderung läuft auf die Einschränkung der Befugnisse des Obersten Gerichts hinaus. 2004 spielte, wie gesagt, das Oberste Gericht die Schlüsselrolle bei der Festlegung der dritten Wahlrunde. Das soll sich diesmal nicht wiederholen. Die "Partei der Regionen" hat auch Befürchtungen, dass es zu Parteienfilz kommen könnte. Derzeit steht dem Obersten Gericht Wasilij Onopenko vor, der Frau Timoschenko und der BJUT nahe steht. Innerhalb der BJUT gibt es aber auch eine Juristengruppe, die Onopenko das Amt des Vorsitzenden des Obersten Gerichts streitig macht. Es besteht nun der Verdacht, dass Frau Timoschenko als Premierministerin über das ihr unterstellte Justizministerium und Präsident Juschtschenko über die Präsidialkanzlei (das Sekretariat) das Oberste Gericht und andere Gerichte kontrollieren und gängeln könnten.
Bei begründeter Anfechtung des Wahlergebnisses muss eine Neuauszählung der Stimmen erfolgen, wurde gefordert. Führt auch das zu keinem Ergebnis, ist eine Neuwahl des Präsidenten von Beginn an anzuordnen. Das gibt auch den Anreiz zu juristischen Spiegelfechtereien.
Umstritten war ebenso die Möglichkeit der Wählerinnen und Wähler, gegen alle Kandidaten zu stimmen, Würden jetzt Präsidentschaftswahlen stattfinden würden immerhin 3,1 % gegen alle stimmen. Diese entsprechende Fassung sollte im Wahlgesetz möglichst gestrichen werden, wurde gefordert. Andere sind für die Beibehaltung dieses Passus, da sie in der Stimmabgabe gegen alle nicht das Gleiche sehen wie eine Nichtteilnahme an der Wahl.
Die BJUT arbeitete weiter daran, die Bewerberzahl für die Präsidentschaftswahlen zu begrenzen, indem die Summe der Geldhinterlegung je Kandidat erhöht wird, nämlich von 500 000 Hrywnja auf z. B. 10 Millionen Hrywnja. Auch sollen die Wahlkampfzeiten von 120 Tagen auf 90 Tage verkürzt werden. Das rief wiederum den Protest der sonstigen Bewerber von Frau Timoschenko, nämlich von Janukowitsch und Jasenjuks hervor. Man will auch das Geld der Wahlkampfinvestoren schonen, die unter der Krise leiden würden. Eingeschränkt werden soll, so eine weitere Forderung, der Einfluss von Geldgebern aus dem Ausland. Der Wahlkampf sei einer strengen Kontrolle zur Sicherung der Transparenz von Geldspenden zu unterstellen.
Die Wahlmüdigkeit ist ein weiteres Problem der bevorstehenden Wahlen.


Wie sind nun für einzelne Kandidaten die Aussichten auf den Sieg bei den Präsidentschaftswahlen im Jahre 2010?

Das Wahlrating für die erste Wahlrunde einer Präsidentenwahl betrug Mitte Juli 2009 für:
Viktor Janukowitsch 34,7 %, Julija Timoschenko 21,5 %, den Führer der Front der Veränderungen, Arsenij Jazenjuk 17,6 %. Letzterer könnte aber im Wahlkampf noch weitere Stimmen gewinnen. Auch die in den Umfragewerten derzeit abgeschlagen hinten liegenden Kandidaten wie Juschtschenko, Litwin und der Kommunist Simonenko könnten dabei noch nach vorne rücken und die drei derzeit vorne liegenden Bewerber überflügeln. Andere unerwartete "Shootingstars", werden dabei nicht ausgeschlossen, denn bis zum 17. Januar 2010 sind noch über fünf Monate Zeit.
Das derzeitige Rating der weiteren Präsidentenamtsbewerber liegt bei: Juschtschenko, den amtierenden Präsidenten, bei 3,5 %, bei Petr Simonenko bei 5,7 %, dem Parlamentsvorsitzenden (Parlamentssprecher) Litwin bei 3,8 %, bei Olega Tjakniboka bei 2 %, bei Anatolij Grizenko 1,3 % und bei Sergej Tigipko bei 1 %. Weitere Bewerber liegen in den Wählerumfragen unter 1% Es gibt andere Umfragewerte vom Juli, die Janukowitsch einen Stimmenanteil z. B. von 23,4 %, Frau Timoschenko von 14,5 % und Juschtschenko von nur 2,3 % voraussagen. Bei einigen Umfragen liegt auch Frau Timoschenko vorne.
Auch weitere Kandidaten können noch dazukommen. Wenn auch Simonenko z. B. derzeit nur bei 5,7 % und Litwin bei 3,8 % liegt, könnte sich das noch ändern.
Präsident der Ukraine kann jeder ukrainische Bürger und jede ukrainische Bürgerin werden, die das 35. Lebensjahr vollendet haben. Janukowitsch wollte dieses Alter auf 40 Jahre bzw. sogar auf 50 Jahre anheben.


Wofür stehen die einzelnen Präsidentschaftskandidaten?

Viktor Janukowitsch steht für eine soziale Marktwirtschaft und enge wirtschaftliche Anlehnung an Russland. Er ist gegen die Integration der Ukraine in Militärbündnisse.
Jazenjuk, tritt für eine neoliberale Marktwirtschaft oder Marktwirtschaftsradikalismus sowie für ein enges NATO-Bündnis ein, spricht sich aber für die stärkere Heranziehung russischer Fachleute in der ukrainischen Wirtschaft aus.
Timoschenko steht für soziale Marktwirtschaft mit starker Betonung der sozialen Komponenten und eine neutrale Ukraine, als Staat zwischen Ost und West. Sie will - wie sie selber sagt - "eine europäische Präsidentin der Ukraine",Präsidentin einer Ukraine als Vermittlerin zwischen Ost und West werden. Einen eventuellen Nato-Beitritt will sie von einem Referendum abhängig machen.
Juschtschenko hingegen lehnt Volksabstimmungen dieser Art entschieden ab.
Litwin und Simonenko treten für einen militärisch neutralen Status der Ukraine ein.
Im Rating könnte insbesondere Frau Timoschenko mit den zunehmenden wirtschaftlichen und sozialen Misserfolgen bis Januar 2010 noch an Boden verlieren und sogar einbrechen (sie wird an ihren Versprechungen gemessen und das könnte nicht gut gehen, da man bei allen ihren Bemühungen dennoch bestimmte Defizite feststellen kann, obgleich der wirtschaftliche Absturz der Ukraine ab Anfang 2009 natürlich vorwiegend auf das Konto des Präsidenten Juschtschenko kommt, der wirksame Krisenbekämpfungsmaßnahmen blockiert, um die Regierung von Frau Timoschenko und das Parlament in den Augen der Bevölkerung in ein schlechtes Licht zu rücken).


Nach den derzeitigen Umfragewerten könnte es bei den Wahlen im Jahr 2010 zu einer Stichwahl zwischen Frau Timoschenko und Janukowitsch kommen. Bei der Stichwahl würden sich nach den Prognosen eng beieinander liegende Wahlergebnisse ergeben.

Ein sehr knapper Unterschied könnte problematisch werden, wird vorausgesagt. Die absolute Mehrheit würden beide nicht im ersten Wahlgang erzielen. Es könnte aber auch Jazenjuk unter die beiden Erstplazierten kommen und dann auch gegen Janukowitsch Überraschungssieger werden. Das wäre z. B. auch durch Wahlmanipulationen und raffiniert eingefädelte Wahlfälschungen möglich.
Arsenij Jazenjuk ist im Grunde nur der Abklatsch von Juschtschenko, nur jünger und intelligenter als dieser.

Nun liegt nach den Wahlprognosen der amtierende Präsident der Ukraine, Juschtschenko, hoffnungslos hinten. Ihm werden nach dem Stand von Ende Juli 2010 gerade Mal maximal bis zu 3 % der Wählerstimmen prognostiziert. Er läge damit noch hinter Litwin und Simonenko. Hat er demnach keine Chancen mehr?
Staatspräsident Juschtschenko hat aber noch alle Optionen in der Hand, durch Wählermanipulation, gestützt auf seine Partei "Unsere Ukraine". wieder stark nach vorne zu kommen und die anderen Kandidaten abzuhängen. Die Unterstützung des Westens wäre ihm dabei sicher. Er könnte seinen Präsidentenamtsbonus und seine Machtfülle als ukrainischer Präsident ausspielen. Juschtschenko hat auch seinen Staatsstreichplan noch lange nicht aufgegeben und er könnte den Wahltermin 17. Januar 2010 oder dann die anschließende Stichwahl zwischen den beiden Erstplazierten kraft seines noch ausgeübten Präsidentenamtes blockieren, z. B. mit dem Argument, dass das Parlament nicht die erforderlichen Gesetze auf den Weg gebracht habe oder dass sogar die Wahlen einschließlich einer Stichwahl auf falschen Vorraussetzungen basieren würden.
Sein negatives Verhältnis zur echten Demokratie als Vollstreckung des freien Willens des Volkes, zu Wahlen allgemein und auch zum Parlamentarismus ist bekannt. Er sprach z. B. schon vom Parlaments-Absolutismus, der Mehrheitsdiktatur im Parlament, auch von einer "Mehrheitsdiktatur unmündiger Bürger", usw. Juschtschenko strebt nach wie vor ein autoritäres Präsidialregime an. Die Befugnisse des Parlaments sollen seiner Meinung nach weitgehend reduziert werden und der Staatspräsident letztlich - auch bei legislativen und exekutiven Befugnissen - über der Regierung und dem Parlament stehen. Die Regierung soll letztlich nur noch Befehlempfänger des Präsidenten sein. Auch aus diesem Grunde verweist Juschtschenko ständig auf seinen Verfassungsentwurf, mit dem er das Parlament mit Hilfe eines Zweikammersystems zu Gunsten einer Präsidialherrschaft entmachten will.

Juschtschenko denkt dabei - auch nach westlichen Maßstäben - natürlich völlig logisch, weil eine Ukraine unter der Fuchtel der NATO und der Brüsseler Bürokratie nur auf diese Weise, mit straffer Hand und diktatorischer Gewalt geführt, funktionieren kann.
Dabei nimmt Juschtschenko immer mehr politische Anleihen bei den faschistischen Kräften der Ukraine auf, die in der Tradition von Petljura, Bandera und Schuchewitsch stehen und die von Juschtschenko wieder voll "rehabilitiert" wurden, ungeachtet ihrer Hunderttausendfachen Morde an der ukrainischen Zivilbevölkerung im Zusammengehen mit den faschistischen Naziverbrechern während des 2. Weltkrieges.
Deswegen hat Juschtschenko allen schlechten Wahlprognosen für ihn zum Trotz auch offiziell am Sonnabend, den 18. Juli, den Hut in den Ring der Präsidentschaftswahl geworfen.
Er erklärte vor seiner jubelnden Anhängerschaft:"Ich trete zu den Präsidentschaftswahlen im Januar 2010 an und ich werde im Geiste der 'orange' Revolution siegen".
Symbolträchtig bestieg er anschließend den Gowerla (Howerla), das höchste Bergmassiv der Ukraine, das in den Waldkarpaten (der Karpato-Ukraine) liegt. Dass ihm noch viel politisch-kriminelle Energie innewohnt, beweist Juschtschenko nach wie vor in seinen Reden, die im Wochen-Rhythmus über die Bühnen gehen. Die letzten flammenden nationalistischen und chauvinistischen Reden hielt er anlässlich des 19. Jahrestags der "Erklärung der Unabhängigkeit der Ukraine am 16. Juli 1990, und er treibt sich als Star-Marionette und Lieblingsgast des Westens großsprecherisch auf internationalen Parketts herum, trifft am laufenden Band Staatsmänner des Westens, wie zuletzt Joe Biden, den Vizepräsidenten der USA.
Von Biden ließ er sich erneut Rückendeckung für sein Präsidentenamt und seinen Westkurs geben.
"Die USA treten dafür ein, dass die Ukraine das Recht hat, sich seine Bündnispartner frei zu wählen", erklärte Biden bei seinem Besuch in Kiew am 21. Juli 2009. Natürlich muss das das euroatlantische Bündnissystem sein, was die Ukraine zu wählen hat: Daran ließ Biden keinen Zweifel. Deswegen lehnt Joe Biden im Einklang mit Juschtschenko in dieser Frage auch ein Volksreferendum ab, weil hier das Risiko einer Ablehnung eines NATO- und EU-Beitritts viel zu hoch wären. Einflusssphären von Großmächten in der Ukraine wollen die USA nicht anerkennen, sagte Biden in Kiew auch noch. Damit meint er natürlich nicht die amerikanische Supermacht und ihr Herrschaftsgebiet sowie ihr Streben nach der absoluten Weltherrschaft, sondern den als Gegengewicht dazu bestehenden russischen oder chinesischen Einfluss. Die Floskel von Biden, dass die USA keine Beziehungen zu Russland zu Lasten der Ukraine oder anderer Nachbarländer Russlands pflegen werden, hätte er sich abschminken können, denn Russland als Großmacht steht nach wie vor auf der Abschussliste der USA. Das wurde am nächsten Besuchsort von Joe Biden, nämlich in Tiflis (Tbilissi), wo er den USA-Vasallen Saakaschwili traf, besonders deutlich. Hier hob er die USA-Unterstützung für den Beitritt Georgiens in die NATO, sowie den territorialen Anspruch von Tbilissi auf Südossetien und Abchasien hervor. "Die USA werden auch weiter militärischer Bündnispartner Georgiens sein und ihm bei der Aufrüstung der Armee intensiv helfen", erklärte Joe Biden. Er ließ sich sogar zu der Bemerkung hinreißen, dass Russland eine immer schwächer werdende Großmacht sei und in naher Zukunft schon zu weiteren beträchtlichen Zugeständnissen gezwungen werden könnte. Das sorgte in Moskau für großen Unwillen!
Den Besuch von Joe Biden in Kiew nutzte Juschtschenko wiederum, sich hilfeflehend an westliche Investoren zu wenden, sie mögen der Ukraine doch bei der Sicherung der Energieunabhängigkeit von Russland helfen. Ersucht wurde auch um die Modernisierung der ukrainischen Gasleitungen mit USA-Hilfe. Was auch immer mit Rücksicht auf Russland an diplomatischen Floskeln gewechselt wurde, Juschtschenko betonte immer wieder, dass die Beziehungen der Ukraine zu den USA strategischen Charakter haben, nicht dagegen die zu Russland oder zur VR China.

Juschtschenko hat also auch für seinen Präsidentenwahlkampf noch alle Pfeile im Köcher! Juschtschenko ist auch deswegen nicht zu unterschätzen, weil er ein Meister des Intrigantentums ist und noch besondere Überraschungen auf Lager haben könnte. So ordnete er nach 9 Jahren an, einen gewissen Exgeneral im Innenministerium, namens Pukatsch, zu verhaften, der jetzt unter Mordanklage an den Journalisten Gongadse gestellt werden soll (Gongadse wurde im Jahre 2000 tot aufgefunden), obwohl die Beweislage nach jetzt bald 10 Jahren wohl schwieriger denn je geworden ist. Es gibt hier in der Tat bislang keine handfesten Beweise. Auf die Bestrafung des wirklichen Täters kommt es Juschtschenko allem Anschein ohnehin nicht an. Er will den Fall Gongadse vielmehr ergebniswirksam zu seinen Gunsten auch gegen Widersacher beim aktuellen Präsidentenwahlkampf nutzen. Der Fall Gongadse ist genau so mysteriös geblieben wie der angebliche Dioxin-Giftmordanschlag auf Juschtschenko im Herbst 2004. Das Mysteriöse im Fall des Exgeneralleutnants Pugatsch ist nun in der Tat, dass dieser sich jetzt vor den Präsidentenwahlen selbst freiwillig gestellt und sich schuldig erklärt hat, in den Mord von Gongadse verwickelt gewesen zu sein. Er kenne die Hintermänner dieses Mordes, deutete er an. Das Ganze läuft offensichtlich auf eine Kampagne gegen unliebsame Politiker von Juschtschenko hinaus und das hat den Anschein eines organisierten Intrigenspiels! Darauf wiesen u.a. der Parlamentsvorsitzende Litwin und der Stellvertretende Parlamentsvorsitzende Tomenko am 23. Juli in gesonderten Statements hin. (Tomenko gehört der Fraktion der BJUT an). Sie warnten vor dem politischen Missbrauch des Falls Pukatsch und des Falls Gongadse.
Es stellt sich die Frage: Ist dieser Exgeneral Pugatsch für eine hinterhältige Intrige gekauft worden, die sich gegen die Widersacher von Juschtschenko und Jazenuk im Präsidentenwahlkampf richten soll?

Juschtschenko indes betrügt das ukrainische Volk meisterhaft mit der Beschwörung des nationalistischen Ukrainertums, obgleich er die Souveränität des ukrainischen Volkes an Washington und Brüssel verschachert und skrupellos das ukrainische Volk zum neoliberalen EU-Hinterhof, zum Arbeitssklavenreservoir der EU und die Söhne der Ukraine zu billigen Kanonenfutter und Schlachtvieh der aggressiven USA- und NATO-Politik machen will. Es gab bei einem Hubschrauberabschuss in Afghanistan im Juli 2009 wieder 6 tote ukrainische Soldaten zu vermelden. Sechs gefallene Ukrainer allein im Juli 2009! Das ficht aber Juschtschenko und seine "importierte" Ehefrau aus den USA, Kateryna Tschumatschenko, jetzt Kateryna Juschtschenko, für die er nach in der Ukraine umlaufenden Gerüchten sogar seine Vorgängerehefrau ermorden ließ, nicht an.

"Krieg gehört zur intelligenten Macht" erklärte US-Außenministerin Clinton unlängst. Man setzt verstärkt auf die Kriegskarte und das im Zeitalter, wo der Menschheit der Atomtod droht (s. u.a. "Welt kompakt" vom 17. Juli 2009, Seite 8). Bei dieser gefährlichen Abenteuerpolitik hat Washington in Viktor Juschtschenko einen treuen Gefährten. Die USA rüstet Indien als Atommacht auf, obwohl Indien nicht einmal dem Atomwaffensperrvertrag beigetreten ist. Um so mehr Tamtam machen die USA wegen dem Iran in der Atomfrage, obwohl das Land die Atomenergie nur für friedliche Zwecke nutzt und auch in Zukunft nutzen will.


Wie verhält sich das ukrainische Parlament?

1. Im Grunde hat es seine Möglichkeiten und Chancen zur Herstellung wirklich demokratischer Verhältnisse in der Ukraine bis jetzt verpasst.
So ist ein über Monate diskutiertes Impeachment-Verfahren gegen Juschtschenko wegen tatsächlichem und versuchtem Verfassungsbruch nicht zustande gekommen.
2. Trotz reger Gesetzgebungsarbeit ließ es das Parlament zu, dass Präsident Juschtschenko in seinen Entscheidungen und Dekreten die oberste Volksvertretung häufig übergeht sowie auch die legislative Arbeit durch seine Vetos in wesentlichen Fragen zu blockieren vermochte.
Auch aus diesem Grunde haben sich die Finanz- und Wirtschaftkrise in der Ukraine dramatisch verschärft.
3. Das Parlament (die Werchowna Rada) hat die Chance der Bildung einer großen Koalition zwischen der Partei der Regionen und der BJUT als den beiden stärksten Fraktionen im Parlament verpasst.
Die Regierungskrise schwelt weiter.
4. Es konnten noch nicht einmal die schon längere Zeit vakanten Ministerposten - Minister für Verteidigung, Außenminister, Finanzminister und Minister für Verkehrswesen und Kommunikation - neu besetzt werden.
Die "Partei der Regionen" und der Block von Julija Timoschenko (BJUT) verfügen zusammen über 329 Abgeordnetensitze und damit über eine satte Zweidrittelmehrheit (diese liegt bei 300 Abgeordneten), mit der alle Vetos des Präsidenten und auch Dekrete (Präsidenten-Ukase) verfassungsgemäß außer Kraft gesetzt werden können.
Unterstützung hätte diese Koalition noch vom Litwin-Block (20 Abgeordnetensitze) und von den Kommunisten (27 Abgeordnetensitze) bekommen. Der Block "Unsere Ukraine - Selbstverteidigung des Volkes" mit 72 Abgeordnetensitzen ist in der absoluten parlamentarischen Minderzahl und zudem auch in sich gespalten. Es gibt außerdem starke Differenzen zwischen den beiden Flügeln dieser Fraktion "Unsere Ukraine" und "Selbstverteidigung des Volkes". Es gab und gibt ebenso Risse innerhalb der Juschtschenko-Partei "Unsere Ukraine".

Das ukrainische Parlament (die Werchowna Rada) ist Mitte Juli in heftigen Streit in die Parlamentsferien gegangen. Zuletzt konnte es sich nicht einmal mehr auf dringend notwendige Gesetzeswerke einigen, z. B. auf eine neue gesetzliche Regelung des Mindestlohns. Es beschloss, turnusgemäß ab September wieder zu tagen.
Am Freitag den 24. Juli wurde aber auf Antrag der BJUT noch eine außerordentliche Sitzung des Parlaments anberaumt.
Dabei wurden doch noch einige Änderungen im Gesetz über die Wahl des Präsidenten der Ukraine beschlossen. Auf der Tagesordnung standen ferner Änderungen im Staatshaushalt im Zusammenhang mit der Erhöhung des gesetzlichen Lebensminimums und Mindestlohns, Änderungen in einigen Gesetzen zur Minimierung des Einflusses der Finanzkrise auf die Entwicklung der inländischen Industrie und Gesetzesänderungen bezüglich der Vollmachten des Verfassungsgerichts und bezüglich der Einreichung von Verfassungsklagen sowie Gesetzgebungsakte zur Durchführung von Verfahren zur Sanierung der Banken, ferner ein Beschlussprojekt zur unverzüglichen Stabilisierung der Lage des Agrarindustriekomplexes.
Diskutiert wurden die Auswirkungen der Auflage des IWF, ab September 2009 die Gaspreise für die Bevölkerung um 20 % anzuheben sowie ab Januar 2010 auch die Mieten für kommunale Wohnungen und die Preise für andere kommunale Dienstleistungen zu erhöhen. Dies stieß auf die Ablehnung der "Partei der Regionen" und der Kommunisten. Auch der BJUT als Regierungspartei ist klar geworden, dass diese Vorhaben viel böses Blut in der ukrainischen Bevölkerung gegen die Timoschenko-Regierung hervorrufen kann. Indes findet die IWF-Auflage die Unterstützung von Präsident Juschtschenko. Viele Ukrainer und Ukrainerinnen sagen, er speziell hätte das beim IWF eingefädelt, um Frau Timoschenko zu schaden.

Auf ihrer letzten Außerordentlichen Sitzung ist das ukrainische Parlament doch noch in wichtigen Fragen vorangekommen, wobei es auch wieder einen Schulterschluss zwischen der BJUT von Julija Timoschenko und der "Partei der Regionen" von Viktor Janukowitsch gab. So wurden beschlossen:
1. das Projekt zur unverzüglichen Stabilisierung der Lage des Agrarindustriekomplexes mit 361 Stimmen;
2. das Gesetz für Änderungen im Gesetz über die Wahl des Präsidenten der Ukraine in erster und zweiter Lesung mit 316 Stimmen;
3. die Gesetzgebungsakte zur Durchführung von Verfahren zur finanziellen Sanierung der Banken mit 322 Stimmen;
4. Gesetzesänderungen bezüglich der Vollmachten des Verfassungsgerichts und über die Anrufung des Verfassungsgerichts mit 320 Stimmen.

Der Parlamentsvorsitzende Litwin wies aber darauf hin, dass damit zu rechnen sei, dass Präsident Juschtschenko gegen einige der beschlossenen Gesetze Verfassungsklagen anstrengen wird, da er diese Gesetze wegen den Über-Zwei-Drittelmehrheiten im Parlament nicht durch sein Veto blockieren kann.
Die Obstruktionspolitik des Präsidenten schwebt somit weiter wie ein Damoklesschwert über dem Parlament der Ukraine.


Quellen: rada.kiev.ua; Kazman Vladimir, Veränderung der Summen, initiiert durch Summanden (russ.), in EVROPA-EKSPRESS, Nr. 28 vom 12.07.2007, Seiten 16-17; www.president.gov.ua/news/14520.html usw. www,vjesník.hr/html/2009/07/20/Clanak.asp?r=van&c=6.


Über die Autoren

Brigitte Queck ist ausgebildete Wissenschaftlerin auf dem Gebiet Außenpolitik und als Fachübersetzer Russisch und Englisch sowie publizistisch tätig. Seit 10 Jahren leitet sie den Verein "Mütter gegen den Krieg Berlin-Brandenburg".
Brigitte Queck hat zwei erwachsene Kinder und vier Enkel.

Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen wurde 1932 in Köln geboren und lebte ab 1936 in Radebeul bei Dresden. 1943 trat er in ein Gymnasium ein. Im Februar 1945 erlebte er die drei aufeinander folgenden Bombenangriffe auf Dresden.
Nach dem Abitur 1951 in Rostock studierte er Ökonomie und slawische Sprachen und war seit 1957 bis 1995 im öffentlichen Dienst tätig, insbesondere als Übersetzer, Dokumentalist und Länderbearbeiter. Er arbeitete in Auslandsinformationsabteilungen von Ministerien der ehemaligen DDR, zuletzt im Ministerium der Finanzen und für die Staatsbank der DDR. Seine Arbeitssprachen sind auch Englisch, Französisch und Rumänisch. Übersetzt hat er aus 12 Fremdsprachen, davon 9 slawische Sprachen. Er hat auch als Buchübersetzer für Verlage und als Journalist für Wirtschaftszeitungen gearbeitet. Seine Promotion erfolgte in diesem Rahmen.
Von 1990 bis 1995 war er Referent in einem Referat für ausländische Finanzen und Steuern des Bundesministeriums für Finanzen und dabei zuständig für sog. postkommunistische Staaten.
Nach Eintritt in das Rentenalter 1997 suchte er sich neue Interessengebiete und arbeitete als Sprachmittler und Journalist weiter für Zeitungen, Fachzeitschriften für Osteuropa und für Steuerrecht und ist Mitbetreiber der Homepage Goethe-Stübchen. Seit den 70er Jahren bekennt er sich zum Islam.
Dr. Falkenhagen ist verheiratet und hat zwei Kinder.


*


Quelle:
Copyright 2009 by Brigitte Queck und Dr. Hans-Jürgen Falkenhagen
mit freundlicher Genehmigung der Autoren
      


veröffentlicht im Schattenblick zum 4. August 2009