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RUSSLAND/134: Die GUS - ein Auslaufmodell? (UZ)


UZ - Unsere Zeit, Nr. 37 vom 16. September 2011
Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP

Die GUS - ein Auslaufmodell?
Russland setzt auf Zollunion und OVKS

von Willi Gerns


Am 8. Dezember 1991 wurde von Boris Jelzin, dem Präsidenten der Russischen Föderativen Sowjetrepublik, Leonid Krawtschuk, dem Präsidenten der Ukrainischen SSR, und Stanislaw Schuschkjewitsch, dem Vorsitzenden des Obersten Sowjets der Belorussischen SSR, in einer Nacht-und-Nebel-Aktion mit der "Beloweshsker Übereinkunft" die Sowjetunion für aufgelöst erklärt und zugleich die "Gemeinschaft Unabhängiger Staaten" (GUS) aus der Taufe gehoben. Zwei Wochen später schlossen sich acht weitere Republiken der GUS an, die kurz vorher ihre Unabhängigkeit erklärt hatten (Armenien, Aserbaidschan, Kasachstan, Kirgisien, Moldawien, Turkmenistan, Usbekistan sowie später Georgien).

Für die Auflösung der Sowjetunion hat die große Mehrheit der Menschen in den Nachfolgerepubliken einen hohen Preis zahlen müssen. Blutige Kriege und Nationalitätenkonflikte haben Zehntausenden das Leben gekostet. Millionen Sowjetbürger, die nicht zur jeweiligen Stammnationalität gehörten, wurden über Nacht zu Ausländern, die nicht selten ihrer Bürger- und Menschenrechte beraubt wurden. Das von den Völkern der Sowjetunion in sieben Jahrzehnten gemeinsamer Arbeit geschaffene Volksvermögen haben Oligarchen und Familienclans an sich gerissen. Die große Masse des Volkes wurde in bittere Armut gestürzt. Für sie kann das diesjährige zwanzigjährige Jubiläum der GUS absolut kein Anlass zum Feiern sein.


Sinkende Bedeutung der GUS

Von den Staatschefs der GUS-Staaten wurde dieses Ereignis dagegen Anfang September mit einem Jubiläumsgipfel in der tadschikischen Hauptstadt Duschanbe begangen. Allerdings stellt sich die Frage, ob es selbst für sie etwas zu feiern gibt? Ist die Bilanz der zwei Jahrzehnte GUS doch äußerst dürftig. Mehr noch, seit Jahren verliert die GUS an Bedeutung und es gibt Auflösungserscheinungen. So ist Turkmenistan seit 2005 nur noch "beigeordnetes Mitglied" und Georgien hat 2008 im Zusammenhang mit dem Krieg um Südossetien seinen Austritt aus der Gemeinschaft erklärt. Die Mitgliedstaaten kommen zwar noch gelegentlich zu Konsultationen zusammen. Gipfeltreffen, an denen alle Staatsoberhäupter teilnehmen, hat es allerdings schon lange nicht mehr gegeben. Und das war auch in Duschanbe nicht anders. Usbekistans Präsident Karimow und sein aserbaidschanischer Amtskollege Alijew hatten ihre Teilnahme abgesagt. Der russische Präsident Medwedjew beklagte sich in Duschanbe darüber, dass die Strukturen der GUS "amorph" seien und Vereinbarungen oft nicht eingehalten würden.

Hinzu kommt, dass die Mitgliedstaaten inzwischen unterschiedliche außenpolitische Orientierungen haben. So weist z.B. Innokenti Adjassow, Mitglied des Expertenrats der russischen Staatsduma, in einem RIA-Novosti-Beitrag darauf hin, dass Usbekistan in den vergangenen Monaten immer wieder davon spreche, nach dem Truppenabzug aus Afghanistan wieder US-Truppen ins Land zu lassen. Im Kontext mit Karimows Abstinenz bei den Treffen in Duschanbe schlussfolgert er daraus: "Karimow setzt anscheinend größere Hoffnungen auf die USA als auf die GUS oder die OVKS." Auch die im Mai 2009 beim EU-Gipfel in Prag von den GUS-Mitgliedern Armenien, Aserbaidschan, Georgien, Moldawien, Ukraine und Belarus vereinbarte "Östliche Partnerschaft" mit der EU muss wohl als Ausdruck dieser unterschiedlichen außenpolitischen Orientierungen gesehen werden.

Nach alledem sieht Adjassow die Zukunft der GUS nur noch in einer Art "Commonwealth of Nations", die zwar formell die weltweit größte zwischenstaatliche Vereinigung darstellt, aber keine tatsächlichen Vollmachten hat. Auch die russische Wirtschaftszeitung "Kommersant" gibt der GUS keine große Perspektive, wenn sie feststellt: "Der GUS-Gipfel in Duschanbe machte deutlich, dass diese Struktur fortan für Moskau keine Priorität mehr hat. Es wird vielmehr auf die Zollunion (ZU) und die Organisation des Vertrages über kollektive Sicherheit (OVKS) setzen, die ernsthaft reformiert werden sollen."


Neue Prioritäten Moskaus

Im Falle der OVKS - der Armenien, Belarus, Kasachstan, Kirgisien, Russland, Tadschikistan und Usbekistan angehören - geht es dabei um die Erhöhung der Effektivität dieses Bündnisses. Nach den Worten Nikolai Bordjushas, des Generalsekretärs der Organisation - handelt es sich u. a. "um Maßnahmen, die mit der Vervollkommnung der normativen Basis verbunden sind, um die Möglichkeit Beschlüsse zu fassen und das Potential der Organisation zur Verteidigung der verfassungsmäßigen Ordnung der Mitgliedsländer zu nutzen". Die Aufgabe bestehe darin, festzulegen, welche Beschlüsse im Konsens gefasst werden, was gegenwärtig für beliebige Entscheidungen verbindlich sei, und für welche künftig eine qualifizierte Mehrheit ausreichen solle.

Hinsichtlich der Zollunion, der bisher Russland, Belarus und Kasachstan angehören, geht es u.a. um eine Reform der Leitungsorgane. Wie "Kommersant" schreibt, wurde bereits der Entwurf eines Vertrages über die Kommission der ZU vorbereitet, an die (wie bei der der Kommission der EU) nationale Vollmachten delegiert werden sollen. Weiter sind Vereinbarungen über die technische Abwicklung der Beziehungen zu Drittländern in Arbeit. Dies werde dazu führen - so ein namentlich nicht genannter "hochgestellter" russischer Diplomat gegenüber der Zeitung - dass ein drittes Land, das die Vorzüge der Zollunion genießen wolle, eine Übereinkunft unterzeichnen müsse, in der es sich verpflichtet, seine Gesetzgebung in Übereinstimmung mit den Regelungen der Zollunion zu bringen. Mit Blick auf die Ukraine und Moldawien, die die Regelungen der EU übernommen haben, schaffe dies Probleme.

Wörtlich: "Die Ukrainer wollen Vorteile von zwei Seiten - sowohl von der EU, mit der sie eine Freihandelszone wollen, wie von der GUS. Wir sehen darin ein Problem. Wenn es eine Freihandelszone zwischen der Ukraine und der EU gibt, werden die ukrainischen Waren vom ukrainischen Markt verdrängt und in die Russische Föderation strömen. Und eine Abwehr dagegen wird im Falle der Einrichtung einer analogen Zone in der GUS nicht möglich sein. Offiziell setzen wir die Gespräche (über eine Freihandelszone im Rahmen der GUS - W. G.) fort. Inoffiziell bremsen wir jedoch. Wir haben kein Interesse mehr daran weil die Zollunion Priorität genießt."

Als Resümee kann festgehalten werden: Mit den sich abzeichnenden Veränderungen der Prioritäten Moskaus im postsowjetischen Raum sollen neben der weiter an Bedeutung verlierenden GUS in dieser Region zumindest auf wirtschaftlichem und sicherheitspolitischem Gebiet effektivere Integrationsstrukturen mit Russland als Gravitationszentrum entwickelt werden. Die GUS könnte zu einem Auslaufmodell werden.

Manche russischen Kommentatoren sehen in den jüngsten Maßnahmen, besonders mit Blick auf die Zollunion und den aktuellen Streit um den Gaspreis zwischen Kiew und Moskau zugleich ein russisches Druckmittel auf die schwankende Position Kiews zwischen EU und Russland. Wenn die Ukraine Privilegien bei den Preisen für Energieträger wolle, solle sie sich der Zollunion anschließen und deren Regelwerk akzeptieren.

Zu welchen Ergebnissen der Druck führt, ist offen. Die Möglichkeit, dass dieser zum Gegenteil des Angestrebten führt, ist nicht völlig auszuschließen. Schließlich wirkt im Hintergrund die EU als dritter Spieler mit, die großes Interesse daran hat, die Ukraine so weit wie möglich aus dem Einflussbereich Russlands zu lösen und stärker in ihren Bannkreis zu ziehen.


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Quelle:
Unsere Zeit (UZ) - Zeitung der DKP, 43. Jahrgang, 37 vom 16. September 2011, S. 11
Herausgeber: Parteivorstand der DKP
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. September 2011