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USA/324: USA und Pakistan - Stunde der Wahrheit, Beziehungen beider Länder am Scheideweg (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 4. Mai 2011

USA/Pakistan: Stunde der Wahrheit - Beziehungen beider Länder am Scheideweg

Von Barbara Slavin


Washington, 4. Mai (IPS) - Die Entdeckung und Tötung von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden durch ein US-Kommando im pakistanischen Abbottabad stellen das Verhältnis zwischen USA und Pakistan auf eine harte Probe. Befürchtet wird, dass sich die Hoffnung auf langfristige stabile Beziehungen nicht erfüllen wird, die sich die USA in den letzten zehn Jahren 7,5 Milliarden US-Dollar kosten ließen.

US-Vertreter haben Pakistan zwar nicht direkt vorgeworfen, Bin Laden ein Versteck gewährt zu haben. Allerdings äußerten sie Zweifel, dass der saudische Top-Terrorist, auf dessen Kopf 25 Millionen Dollar ausgesetzt waren, ohne Wissen Pakistans in nächster Nachbarschaft einer pakistanischen Militärakademie gelebt hatte. Dem Geheimdienstberater von US-Präsident Barack Obama, John Brennan, zufolge muss es "eine Art Unterstützungssystem" gegeben haben.

Carl Levin, demokratischer US-Senator für Michigan und Vorsitzender des US-Senatsausschusses für die US-amerikanischen Streitkräfte, erklärte am 3. Mai gegenüber Journalisten: "Es ist nur sehr schwer vorstellbar, dass weder das (pakistanische) Militär noch die Polizei nicht gewusst haben, was sich da drinnen (in der Osama-Villa) abgespielt hat."

Der pakistanische Präsident Asif Ali Zardari wies die Vorwürfe gegenüber der 'Washington Post' als "substanzlose Spekulationen" zurück. Doch in Anbetracht der Macht, die Pakistans Militär und Geheimdienste im Vergleich zu den gewählten zivilen Regierungen innehaben, ist es durchaus möglich, wenn nicht gar wahrscheinlich, dass Zardari und die Mehrheit seiner Kabinettsmitglieder über den Verbleib bin Ladens im Bilde waren.

Der ehemalige pakistanische Regierungschef Shaukat Aziz erklärte am 3. Mai auf einer Konferenz des 'Atlantic Council' in Washington, dass die Beziehungen beider Länder an einem "entscheidenden Punkt" angekommen seien. Pakistan empfahl er, der Bin-Laden-Affäre auf den Grund zu gehen, um herauszufinden, "was richtig und was schief gelaufen ist".


Vertrauensdefizit

Aziz zufolge hat das Vertrauensdefizit zwischen beiden Ländern mit der Entdeckung des Al-Qaida-Chefs auf pakistanischem Boden einen vorläufigen Höhepunkt seit der Unabhängigkeit des südasiatischen Landes 1947 erreicht. Es sei wichtig, die Beziehungen zu reparieren, da Pakistan ansonsten seine enormen wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen nicht bewältigen könne.

Das südasiatische Land, in dem 100 Millionen der 170 Millionen Menschen unter 25 Jahre alt sind, ist Aziz zufolge auf ein Wirtschaftswachstum von sechs bis acht Prozent angewiesen, um genügend Arbeitsplätze schaffen zu können. Das derzeitige Wachstum liegt hingegen bei nur drei Prozent. Auch sah sich das südasiatische Land in den letzten Jahren von einer verheerenden Flutkatastrophe und Terroranschlägen heimgesucht.

Die Obama-Administration hatte zwar versucht, die Beziehungen zwischen beiden Staaten mit einem dauerhaften Hilfsprogramm zu stärken. Doch Dov Zakheim, ein ehemaliger US-Staatssekretär für Verteidigung und Rechungsprüfer des Pentagon der Regierung von Ex-Präsident George W. Bush erklärte am 3. Mai, dass der Kongress die Gelder kürzen werde, sollte Pakistan im Kampf gegen die Al-Qaida in Pakistan und Afghanistan nicht mehr Kooperationsbereitschaft zeigen. "Der Kongress hat die Pakistaner nie wirklich gemocht", sagte Zakheim gegenüber der Washingtoner Denkfabrik 'Center for the National Interest'.

Zakheim schilderte, wie er nach den Anschlägen vom 11. September von dem damaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld aufgefordert worden war, einen Weg zu finden, Pakistan Finanzierungshilfe zukommen zu lassen. Hintergrund sei der Wunsch gewesen, Pakistan als Basis für einen Angriff auf die Taliban in Afghanistan zu nutzen, die den Al-Qaida-Kämpfern einem sicheren Hafen gegeben hätten.

Zakheim hatte nach eigenen Angaben beim jordanischen Botschafter in Washington Marwan Muasher nachgehakt, ob Hilfsgelder für Pakistan auf der Grundlage von Gesetzen bereitgestellt werden könnten, die die Bereitstellung US-amerikanischer Gelder für Jordanien regeln. Jordanien genießt bei der Mehrheit der US-Kongressabgeordneten deutlich mehr Vertrauen als Pakistan.

Ohne den Umweg über Jordanien wäre es Zahkheim zufolge zu keiner Annäherung an Pakistan gekommen. Der US-Kongress könnte jetzt allerdings zu dem Schluss kommen, dass Pakistan Teil des Terrorismusproblems ist und die Hilfe kürzen. In diesem Fall würden die USA auf das alte Muster ihrer Zuckerbrot- und Peitsche-Strategie zurückgreifen, die den bilateralen Beziehungen in der Vergangenheit jedoch nicht förderlich gewesen waren. Zudem wären die US-Rückzugspläne aus Afghanistan gefährdet.

Die USA waren Pakistans wichtigster ausländischer Verbündeter seit dessen Unabhängigkeit. Das Land erhielt Militärhilfe, um militärisch mit Indien mithalten zu können, das wiederum lange Zeit Alliierter der ehemaligen Sowjetunion war. Die USA unterstützten Pakistan im Krieg von 1971 gegen Indien. Der Konflikt führte zur Abspaltung von Ostpakistan, die zur Gründung des Staates Bangladesch führte. Die US-Hilfe wurde jedoch zurückgefahren, als Pakistan versuchte, wie Indien Atomwaffen zu entwickeln.


"Sanktioniertester aller alliierten Alliierten"

In den 1980er Jahren bemühten sich die USA um eine Wiederbelebung der Beziehungen mit Pakistan, um das Land als Basis zur Finanzierung der Dschihadisten zu nutzen, die gegen die sowjetischen Besatzer Afghanistans kämpften. Als Pakistan in die Fußstapfen der Atommacht Indien trat und 1998 Atomtests durchführte, verhängte Washington Sanktionen, die jedoch nach dem 11. September 2001 abrupt aufgehoben wurden. Pakistans Ex-Regierungschef Aziz nannte Pakistan "den größten und sanktioniertesten aller alliierten Allierten".

Der ehemalige CIA-Analyst Paul Pillar ist der Meinung, dass sich die Entdeckung Osama bin Ladens in Pakistan als Druckmittel verwenden lasse, um Islamabad dazu zu zwingen, ein größeres Engagement bei der Bekämpfung der restlichen Al-Qaida-Führer an den Tag zu legen. Dazu gehören bin Ladens mutmaßlicher Nachfolger Ayman al-Zawahiri und Mitglieder der Haqqani-Gruppe, die den US-Streitkräften in Afghanistan schwere Verluste zugefügt haben.

"Sie (die Pakistaner) schulden uns etwas", sagte Pillar, eine ehemaliger Geheimdienstler der Bush-Regierung. Er räumte zwar die Möglichkeit ein, dass pakistanische Regierungsvertreter nichts über den Verbleib bin Ladens gewusst haben könnten, allerdings nur, "weil sie nichts wissen wollten oder ihn auch nicht finden wollten". (Ende/IPS/kb/2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. Mai 2011