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BERICHT/057: Nachholende Bildung auf dem Vormarsch (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 3/2014 - Nr. 107

Nachholende Bildung auf dem Vormarsch

Von Iris Gönsch, Heinz-Werner Hetmeier und Hans-Werner Freitag



Ein Zehntel der 18- bis 24-Jährigen in Deutschland sind frühzeitige Schulabgänger. Es sind vor allem männliche Jugendliche mit Migrationshintergrund - Frauen mit Migrationshintergrund dagegen schaffen immer häufiger ihren Abschluss. Hoffnung macht die große Gruppe der jungen Menschen, die ihren Abschluss nach dem 25. Lebensjahr nachholen.


Die Europäische Kommission sieht einen hohen Bildungsstand der Bevölkerung als Voraussetzung dafür, dass alle Menschen an der Gesellschaft teilhaben können und eine gewisse Chancengleichheit herrscht. Dafür ist es wichtig, alle Personengruppen einzubeziehen und sie ungeachtet ihres sozialen, wirtschaftlichen oder kulturellen Hintergrunds an Bildung zu beteiligen. Auch für die beruflichen Chancen jedes Menschen ist eine möglichst gute (Aus-)Bildung eine unabdingbare Grundlage. Bildung ist heute noch wichtiger, da die Anforderungen des Arbeitsmarkts an die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wegen der Globalisierung und der technologischen Entwicklung gestiegen sind. Aus volkswirtschaftlicher Sicht stellt die Bevölkerung eine Humanressource dar, deren Bildungsstand für die wirtschaftliche Entwicklung zentral ist.

Der Stellenwert von Bildung wird durch die "Europa 2020-Strategie" der Europäischen Union unterstrichen. In dieser Wachstumsstrategie legten die Mitgliedsstaaten der EU im Jahr 2010 fest, dass die europäische Wirtschaft in den fünf Bereichen Beschäftigung, Innovation, Bildung, soziale Integration, Klima und Energie bis 2020 nachhaltiger und integrativer werden soll. Zu den konkreten Zielen zählen beispielsweise die Verringerung der Treibhausgas-Emissionen um 20 Prozent oder die Bekämpfung von Armut und sozialer Ausgrenzung. Im Bildungsbereich wird angestrebt, bis 2020 den Anteil der 30- bis unter 35-Jährigen mit einem Hochschulabschluss auf mindestens 40 Prozent zu steigern und den Anteil der frühzeitigen Schulabgängerinnen und -abgänger auf unter 10 Prozent zu reduzieren (Europäische Kommission 2014).

Als frühzeitige Schulabgängerinnen und -abgänger gelten 18- bis unter 25-Jährige, die keinen Abschluss des Sekundarbereichs II aufweisen und sich nicht in einer Aus- und Weiterbildung befinden. Hierzu zählen Jugendliche ohne Schulabschluss, aber auch diejenigen mit Haupt- oder Realschulabschluss, die keine Lehr- oder berufliche Ausbildung abgeschlossen haben. Abschlüsse des Sekundarbereichs II sind sowohl berufliche Abschlüsse, die in der dualen oder vollzeitschulischen Berufsausbildung erlangt werden können, als auch die allgemeine oder fachgebundene (Fach-)Hochschulreife. Das Bildungssystem bietet frühzeitigen Schulabgängerinnen und -abgängern verschiedene Möglichkeiten, einen Abschluss des Sekundarbereichs II zu erwerben oder nachzuholen


Vor allem Jungen mit Migrationshintergrund gehen vorzeitig von der Schule ab

Der Anteil frühzeitiger Schulabgängerinnen und -abgänger lag in Deutschland 2012 bei 10,4 Prozent, sodass der Zielwert der EU 2020-Strategie bis heute knapp verpasst wurde (siehe Abbildung 1[*]). Dennoch wies Deutschland einen geringeren Anteil auf als der Durchschnitt der EU (12,8 Prozent).

Diese Werte täuschen allerdings darüber hinweg, dass es in Deutschland innerhalb der Bevölkerung erhebliche Unterschiede gibt: 11 Prozent der Männer und 9,7 Prozent der Frauen zwischen 18 und unter 25 Jahren verlassen die Schule frühzeitig. Bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist der Anteil deutlich höher und liegt bei 17,2 Prozent, wobei auch hier Männer einen höheren Anteil aufweisen als Frauen. Junge Menschen in Deutschland ohne Migrationshintergrund, die momentan keine Bildungseinrichtung besuchen, verfügen fast immer über einen Abschluss des Sekundarbereichs II - nur 8,2 Prozent haben keinen Abschluss. Die Entwicklung von 2005 bis 2012 zeigt allerdings, dass der Anteil frühzeitiger Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit oder ohne Migrationshintergrund stark gesunken ist: 2005 zählten noch 11 Prozent bei den Jugendlichen ohne beziehungsweise 22,9 Prozent bei denen mit Migrationshintergrund zu den frühzeitigen Schulabgängerinnen und -abgängern.

Im Jahr 2012 verließen knapp 48.000 Schülerinnen und Schüler die allgemeinbildenden Schulen ohne Hauptschulabschluss, 157.500 mit Hauptschulabschluss. Diese Jugendlichen finden häufig keine Ausbildungsstelle im dualen System und können größtenteils auch nicht in ein anderes Bildungsprogramm des Sekundarbereichs II (zum Beispiel an eine berufsbildende Schule) wechseln. Sie sind jedoch oft noch schulpflichtig und haben die Möglichkeit, verschiedene Bildungsgänge des Übergangssystems zu besuchen, die auf den Erwerb beruflicher Grundkenntnisse oder das Nachholen eines Haupt- oder Realschulabschlusses abzielen.

Im Jahr 2012 schlossen über 12.200 Schülerinnen und Schüler eine berufliche Schule mit dem Hauptschulabschluss ab, fast 31.000 mit einem mittleren Schulabschluss. Im Vergleich dazu erreichten an allgemeinbildenden Schulen 157.500 den Hauptschulabschluss und 344.500 Schülerinnen und Schüler den mittleren Abschluss. Fachgymnasien, Fachoberschulen, Teile der Berufsfachschulen und weitere berufliche Schulen bieten außerdem Bildungsprogramme an, in denen die (Fach-)Hochschulreife erreicht werden kann. 2012 erlangte über ein Drittel (36,4 Prozent) aller Absolventinnen und Absolventen mit (Fach-)Hochschulreife diesen Abschluss an einer beruflichen Schule. Von denjenigen, die die Studienberechtigung an einer beruflichen Schule erwarben, war ein beträchtlicher Anteil 24 Jahre alt oder älter (14,7 Prozent), sodass man in diesen Fällen von einem Nachholen des Abschlusses sprechen kann. 2012 waren auch 2 Prozent der Studienberechtigten aus allgemeinbildenden Schulen - vor allem aus Abendgymnasien und Kollegs - 24 Jahre alt oder älter.


Mehr junge Frauen türkischer Herkunft schaffen einen beruflichen Abschluss

Die Daten des Mikrozensus geben Aufschluss über den Bildungsstand der Bevölkerung in Deutschland. 2012 hatten 17,2 Prozent der 30- bis unter 35-Jährigen keinen beruflichen Abschluss. Auch dabei trat wieder eine Kluft zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zutage: Mehr als ein Drittel der 30 bis unter 35-Jährigen mit Migrationshintergrund verfügen nicht über einen beruflichen Abschluss (35,4 Prozent), bei der Bevölkerungsgruppe ohne Migrationshintergrund sind es nur 10,8 Prozent. Dabei bestehen allerdings große Unterschiede je nach Herkunftsregion der Personen mit Migrationshintergrund (siehe Abbildung 2[*]). Seit 2005 ist der Anteil der Personen mit Migrationshintergrund, die keinen beruflichen Abschluss erworben haben, gesunken. Besonders deutliche Verbesserungen gab es bei Frauen türkischer Herkunft.

Es ist nicht möglich, bei der Betrachtung des Bildungsstands der erwachsenen Bevölkerung zu unterscheiden, auf welchem Weg Bildungsabschlüsse erreicht wurden. Die Analyse unterschiedlicher Altersgruppen und unterschiedlicher Befragungen des Mikrozensus ermöglicht es jedoch, Tendenzen sichtbar zu machen.

Im Jahr 2007 wiesen 26,1 Prozent der 25- bis unter 30-Jährigen keinen beruflichen Bildungsabschluss auf. Fünf Jahre später (im Jahr 2012) verfügen von den dann 30- bis unter 35-Jährigen 17,2 Prozent über keinen beruflichen Bildungsabschluss. 2007 gaben bei den 20- bis unter 25-Jährigen 38,7 Prozent an, die (Fach-)Hochschulreife erreicht zu haben. Im Jahr 2012 gaben 45,5 Prozent der 25- bis unter 30-Jährigen an, diesen Abschluss erreicht zu haben. Dies zeigt, dass ein erheblicher Anteil der Bevölkerung auch nach dem 25. Lebensjahr noch Bildungsabschlüsse erwirbt. Im Bereich der dualen Berufsausbildung liegt das vor allem am hohen Eintrittsalter. Die Auszubildenden sind bei Beginn der Ausbildung im Durchschnitt 19,5 Jahre alt, 9 Prozent sind 24 Jahre und älter (Stand 2011). Über dem Durchschnitt liegen nicht nur Auszubildende, die zuvor eine Fach- beziehungsweise Hochschulreife erlangt haben, sondern mit 19,9 Jahren auch Auszubildende, die über keinen Hauptschulabschluss verfügen. Das steigende Alter der Auszubildenden zu Beginn der Ausbildung ist also auf zwei Faktoren zurückzuführen: erstens auf die Tendenz zu höheren allgemeinbildenden Schulabschlüssen und zweitens darauf, dass viele junge Menschen eine längere Zeit im Übergangssystem verbringen (Statistisches Bundesamt 2013).

Der Bildungsstand der Bevölkerung ist in den letzten Jahren gestiegen, was insbesondere auf das Bildungsverhalten von Frauen mit oder ohne Migrationshintergrund zurückzuführen ist. Wichtig für die Erhöhung des Bildungsstands ist die Durchlässigkeit des Bildungswesens: Diese erlaubt den Wechsel der Schulart, aber auch den Erwerb verschiedener Bildungsabschlüsse innerhalb einer Schulart und den Erwerb allgemeinbildender Schulabschlüsse an beruflichen Schulen. Letzteres ist für das Nachholen von Bildungsabschlüssen von besonderer Bedeutung.


DIE AUTORIN, DIE AUTOREN

Dr. Iris Gönsch ist wissenschaftliche Mitarbeiterin im Referat "Querschnittsfragen der Bildungsstatistik, Weiterbildung, Ausbildungsförderun" am Statistischen Bundesamt. Die Schwerpunkte ihrer Arbeit liegen in der nationalen Bildungsberichterstattung sowie im Bereich der internationalen Bildungsstatistik.

Heinz-Werner Hetmeier, Diplom-Kaufmann, ist Leiter der Gruppe "Bildung, Forschung und Entwicklung, Kultur, Rechtspflege" am Statistischen Bundesamt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Bildungsberichterstattung, Bildungs- und Wissenschaftsindikatoren sowie Bildungsfinanzen.

Hans-Werner Freitag, Diplom-Verwaltungswirt (FH), arbeitet im Referat "Querschnittsfragen der Bildungsstatistik, Weiterbildung, Ausbildungsförderung" am Statistischen Bundesamt. Seine Arbeitsschwerpunkte sind die nicht-monetäre internationale Bildungsberichterstattung sowie Bildungsfragen im Mikrozensus.
Kontakt: Iris.goensch@destatis.de


LITERATUR

Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2014):

Bildung in Deutschland 2014. Bielefeld

Europäische Kommission (2014):
Europa-2020-Ziele. Im Internet verfügbar unter:
http://ec.europa.eu/europe2020/europe-2020-in-a-nutshell/targets/index_de.htm
(Zugriff: 28.07.2014)

Statistisches Bundesamt (2013):

Berufsbildung auf einen Blick. Wiesbaden

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www.dji.de/impulse
Dort finden Sie auch im Schattenblick nicht veröffentlichte Tabellen und Graphiken der Printausgabe unter
http://www.dji.de/fileadmin/user_upload/bulletin/d_bull_d/bull107_d/DJI_3_14_WEB.pdf

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 3/2014
- Nr. 107, S. 22-25
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. November 2014