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BERUF/1277: Brücke ins Berufsleben (DJI)


DJI Bulletin 3/2009, Heft 87
Deutsches Jugendinstitut e.V.

Brücke ins Berufsleben

Von Frank Braun und Jan Skrobanek


Die Erwartung, dass alleine der demografisch bedingte Rückgang der Ausbildungssuchenden die Probleme auf dem Lehrstellenmarkt lösen wird, ist verfehlt. Denn die hohen Anforderungen der Wirtschaft machen lernschwachen Schülern den Berufseinstieg zunehmend schwer. Wie die Kluft zwischen Schule und Arbeitswelt überwunden werden kann.


Seit einiger Zeit häufen sich die Alarmmeldungen mit Blick auf den Ausbildungsstellenmarkt in Ost- und Westdeutschland. Die einen erwarten in der Wirtschaftskrise ein Wegbrechen von Ausbildungsplätzen und eine Zunahme der Zahl der unversorgten Bewerberinnen und Bewerber, die anderen sehen einen demografisch bedingten Lehrlingsmangel auf die Ausbildungsbetriebe zukommen. Wieder andere meinen, Angebot und Nachfrage werden sich zwischen Demografie und Ausbildungsstellenverlusten nahezu ausgleichen. Als ein Indikator für einen drohenden Rückgang der Zahl der angebotenen betrieblichen Ausbildungsplätze gilt die wachsende Arbeitslosigkeit von jungen Menschen, denen nach der Ausbildung - an der »zweiten Schwelle« - der Übergang in die Erwerbsarbeit misslingt (Deutscher Gewerkschaftsbund 2009, S. 4). Die Sorge ist: Wenn Betriebe fertig ausgebildete Jugendliche nicht als Fachkräfte übernehmen, weil sie für sie keine Arbeit haben, warum sollten sie sich dann in der Ausbildung engagieren?

Nach den Ergebnissen einer aktuellen Online-Befragung des Deutschen Industrie- und Handelskammertages (DIHK 2009), an der sich 13.784 Unternehmen beteiligt hatten, wollen 73 Prozent der Unternehmen im Jahr 2009 ihr Ausbildungsengagement aufrechterhalten oder sogar steigern. Weniger ausbilden wollen 27 Prozent. Prognostiziert wird für 2009 ein Rückgang der Zahl der angebotenen Ausbildungsplätze gegenüber 2008 zwischen fünf und zehn Prozent. Da demografiebedingt ein Rückgang der Zahl der Bewerbenden um mehr als fünf Prozent erwartet wird und voriges Jahr 30.000 Ausbildungsplätze unbesetzt blieben, müssten - so die Prognose des DIHK - in diesem Jahr die Chancen der Jugendlichen auf einen Ausbildungsplatz »nicht wesentlich schlechter sein als in den vergangenen Jahren« (DIHK 2009, S. 1).

Hinsichtlich der Entwicklung der Nachfrage nach Ausbildung zeigen sich aber deutliche regionale Unterschiede: Während in den neuen Bundesländern 40 Prozent der Betriebe rückläufige Bewerberzahlen melden, sind es in den alten Bundesländern nur 15 Prozent. Auf die Frage, ob das Unternehmen derzeit alle angebotenen Ausbildungsplätze vergeben konnte, antwortete jedes fünfte mit Nein. Von 2004 bis 2006 gab nur jedes zehnte Unternehmen an, Probleme mit der Besetzung seiner Ausbildungsstellen zu haben (DIHK 2009, S. 8).


Viele Jugendliche landen in Überbrückungsangeboten

Die Folgerung, der demografische Wandel habe den Ausbildungsmarkt bereits erreicht und es gebe schon jetzt nicht mehr genügend Bewerberinnen und Bewerber für die vorhandenen Ausbildungsstellen, lässt allerdings die Tatsache unberücksichtigt, dass viele Schulabgängerinnen und -abgänger trotz eindeutiger Ausbildungsziele in Überbrückungsmaßnahmen einmünden, weil sie keinen Ausbildungsplatz ihrer Wahl finden. So trat nach den Ergebnissen des Übergangspanels des Deutschen Jugendinstituts (DJI) im Jahr 2004 jeder vierte Hauptschulabsolvierende in ein berufsvorbereitendes Lernangebot ein (Reißig/Gaupp/Lex 2008, S. 65). Und auch für jede Zehnte und jeden Zehnten von denen, die nach der Hauptschule weiter zur Schule gingen, um bessere oder höhere allgemeinbildende Abschlüsse zu erwerben, war dies eine Notlösung, weil sich ursprüngliche Ausbildungsziele als nicht realisierbar erwiesen (Gaupp/Lex/Reißig/Braun 2008, S. 27).

Einerseits gibt es also eine wachsende Zahl von Unternehmen, die beklagen, sie könnten ihre Ausbildungsplätze nicht besetzen, anderseits aber auch eine große Zahl von Jugendlichen, die keine Lehrstelle finden. Offenbar gibt es ein Passungsproblem zwischen Angebot und Nachfrage. In der oben genannten Befragung des DIHK antworteten die Unternehmen auf die Frage, warum Ausbildungsstellen frei blieben, wie folgt: 60 Prozent gaben an, es hätten keine geeigneten Bewerbungen vorgelegen. Fünf Prozent berichteten, es seien überhaupt keine Bewerbungen eingetroffen. Knapp 18 Prozent sagten, dass die Stellen nicht angetreten wurden, und in 15 Prozent der Fälle wurde das Ausbildungsverhältnis noch während der Probezeit aufgelöst (DIHK 2009, S. 15).

Als eine mögliche Ursache von Passungsproblemen zwischen Angebot und Nachfrage wird häufig eine fehlende Flexibilität der Bewerbenden genannt. Allerdings entsprechen die »Wunschberufe«, die Hauptschülerinnen und -schüler im letzten Schuljahr beim DJI-Übergangspanel am häufigsten nannten, weitgehend den Berufen, die Jugendliche mit ihrer Bildung tatsächlich auch ergreifen können. Die Jugendlichen orientieren sich bei ihren Berufsvorstellungen also durchaus am vorhandenen Angebot an Ausbildungsplätzen (Gaupp/Lex/Reißig/Braun 2008, S. 18).


Wie sich Gewinner und Verlierer unterscheiden

Stellt ein geringes Niveau der Vorbildung von Bewerberinnen und Bewerbern generell ein unüberwindbares Ausbildungshindernis dar? Das DJI-Übergangspanel ist dieser Frage nachgegangen, indem es die Übergangsverläufe nach dem Besuch von bayerischen Praxisklassen analysiert hat. Die Absolventinnen und Absolventen, die die Praxisklassen ohne Hauptschulabschluss verließen, spalteten sich demnach in zwei Gruppen auf: Die erste Gruppe - etwa zwei Drittel der Jugendlichen - hatte trotz einer schwierigen schulischen Ausgangssituation den Weg in die Berufsausbildung gefunden. Dagegen waren die jungen Menschen in der zweiten Gruppe entweder arbeitslos oder als Ungelernte tätig.

Worin unterscheiden sich nun Erfolgreiche und Verlierer? Einmal ist die Dauer der Praktikumserfahrungen ein wichtiger Einflussfaktor. Zweitens wirkt sich Unterstützung durch die Eltern positiv auf die Einmündung in Ausbildung aus. Weiterhin spielt das Geschlecht eine Rolle: Mädchen ohne Hauptschulabschluss haben gegenüber den Jungen geringere Aussichten, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Schließlich ist die Lage auf den regionalen Arbeitsmärkten wichtig: Je höher die Arbeitslosigkeit in der Region, desto geringer sind die Chancen der Jugendlichen ohne Schulabschluss, eine Ausbildung zu beginnen und abzuschließen. Umgekehrt heißt das aber auch: Ein aufnahmefähiger Arbeitsmarkt verbessert auch die Qualifizierungschancen von bildungsbenachteiligten Jugendlichen (Gaupp/Hofmann-Lun 2008; Gaupp/Lex/Reißig 2008). Die demografische Entwicklung könnte also die Ausbildungschancen bildungsbenachteiligter Jugendlicher zumindest verbessern.

Hinweise auf Passungsprobleme zwischen der Vorbildung von Bewerberinnen und Bewerbern und Anforderungen von Ausbildungsbetrieben liefern die lokalen Längsschnittstudien des DJI: Obwohl die Absolventinnen und Absolventen der Hauptschulzüge von Leipziger Mittelschulen nur etwa zehn Prozent eines Altersjahrgangs stellen und damit eine stark ausgelesene Schülerpopulation darstellen, gelangen sie auf schnelleren Wegen in die Ausbildung als die Betroffenen in einer vergleichbaren westdeutschen Großstadt mit prosperierender Wirtschaft, in der 30 Prozent eines Altersjahrgangs die Hauptschule besuchen. Eine mögliche Erklärung ist, dass in dieser Region die Zahl der Jugendlichen, welche die Schule »nur mit dem Hauptschulabschluss« verlässt, deutlich größer ist als die Zahl der Ausbildungsplätze, die die Unternehmen mit solchen Bewerberinnen und Bewerbern besetzen können oder wollen. Folgerichtig streben hier die meisten Betroffenen - insbesondere jene mit guten Leistungen - am Ende der Pflichtschulzeit an, weiter zur Schule zu gehen, um (mindestens) einen mittleren Bildungsabschluss zu erwerben.


Die schwierige Balance zwischen Theorie und Praxis

Allerdings wäre die Erwartung verfehlt, die Demografie allein würde alle Probleme des Ausbildungsmarktes lösen. Eine Antwort auf die skizzierten Passungsprobleme liefern vielmehr die Jugendlichen selbst (beziehungsweise ihre Eltern), indem sie in wachsender Zahl zumindest den Mittleren Bildungsabschluss anstreben. Eine zweite Antwort sind Förderstrategien zum Erreichen des Schulabschlusses und der Ausbildungsreife. Dabei zeichnen sich zwei unterschiedliche Entwicklungslinien ab: Eine erste Entwicklungslinie ist geprägt von der Vorstellung, dass bildungsbenachteiligte Jugendliche die Grenzen ihrer kognitiven Möglichkeiten in der Regel bereits erreicht haben. Praxiserfahrungen in Betriebspraktika sind in dieser Option eine Alternative zum theoretischen Lernen. Der starke Berufsbezug während der Schulzeit bedeutet dann die Vorbereitung auf eine Qualifizierung für einfache Arbeit.

In der zweiten Entwicklungslinie spielt der Praxisbezug der Schulbildung ebenfalls eine bedeutende Rolle. Allerdings werden hier die Praxiserfahrungen nicht als Alternative zu theoretischem Lernen verstanden, sondern sollen es vielmehr unterstützen. Das Lernen im Arbeitsprozess wird zu einem didaktischen Prinzip eines Unterrichts, der Praxiserfahrungen nicht als Alternative zu theoretischem Lernen versteht, sondern praktisches und theoretisches Lernen zu verbinden sucht. Dabei werden die Möglichkeiten des ganztägigen Lernens genutzt, um ausreichend Raum für Betriebspraktika, Schulunterricht und für eine ergänzende Förderung in kleinen Lerngruppen zu gewinnen. Das Ziel ist, alle Jugendlichen auf ein Kompetenzniveau zu bringen, das eine Basis für eine Berufsausbildung darstellt.

Dass letztere Entwicklungslinie erfolgreich sein kann, zeigen die Schulen, die in den vergangenen Jahren mit dem Deutschen Hauptschulpreis ausgezeichnet wurden: Sie setzen auf eine individualisierte Förderung ihrer Schülerinnen und Schüler, verknüpfen Arbeitsleben und Schule, engagieren sich im künstlerischen und kulturellen Bereich, fördern ehrenamtliches Engagement und ein gutes Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft. Kurzum: Sie holen das Leben in die Schule und schicken die Jugendlichen hinaus in das Leben, so dass sie vielfältige Lernpotenziale nutzen können.


Literatur:

Deutscher Gewerkschaftsbund (DGB) (2009): Krise trifft Junge und Ältere besonders stark. DGB Bundesvorstand, Arbeitsmarkt aktuell. Berlin

Deutscher Industrie- und Handelskammertag (DIHK) (2009): Ausbildung 2009. Ergebnisse einer Online-Unternehmensbefragung. Berlin

Gaupp, Nora / Lex, Tilly / Reißig, Birgit (2008): Ohne Schulabschluss in die Berufsausbildung. In: Zeitschrift für Erziehungswissenschaft, Heft 3, S. 388-405

Gaupp, Nora / Lex, Tilly / Reißig, Birgit / Braun, Frank (2008): Von der Hauptschule in Ausbildung und Erwerbsarbeit. Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF). Berlin/Bonn

Gaupp, Nora / Hofmann-Lun, Irene (2008): Absolventinnen und Absolventen der bayerischen Praxisklassen auf dem Weg in die Berufsausbildung. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung. In: Zeitschrift für Betriebs- und Wirtschaftspädagogik, Heft 2, S. 235-250

Reißig, Birgit / Gaupp, Nora / Lex, Tilly (2008): Hauptschüler und Hauptschülerinnen auf dem Weg von der Schule in die Arbeitswelt. Deutsches Jugendinstitut. München


Das DJI-Übergangspanel ist eine bundesweite Studie zu den Bildungs- und Ausbildungsverläufen von Hauptschulabsolventinnen und -absolventen. Das Deutsche Jugendinstitut (DJI) führt die auf sechs Jahre angelegte Längsschnittuntersuchung mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch. An der Basiserhebung im März 2004 beteiligten sich rund 4.000 junge Menschen. Frank Braun leitet seit vielen Jahren den Forschungsschwerpunkt »Übergänge in Arbeit« am DJI in München. Nach seiner Verabschiedung in den Ruhestand wird dieser Bereich unter der neuen Leitung von Jan Skrobanek stärker ins Zentrum der Forschungsarbeiten der DJI-Außenstelle in Halle (Saale) rücken.

Kontakt: schier@dji.de


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Quelle:
DJI-Bulletin Heft 3/2009, Heft 87, S. 24-26
Herausgeber:
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2009