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BERUF/1523: Die Potenziale berufsvorbereitender Angebote (DJI Impulse)


DJI Impulse
Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2012 - Nr. 100

Die Potenziale berufsvorbereitender Angebote

Von Birgit Reißig



Rund 300.000 Jugendliche befinden sich nach ihrer Schulzeit im sogenannten Übergangssystem, das sie auf einen Beruf vorbereiten soll. Dennoch gibt es bisher kaum Studien darüber, welche Bildung und Kompetenzen die Jugendlichen in dieser Zeit erwerben.


Der Begriff »Übergangssystem« für junge Frauen und Männer zwischen Schule und Ausbildung ist in fachwissenschaftlichen Diskussionen spätestens seit dem ersten Bildungsbericht 2006 allgegenwärtig. Das Übergangssystem besteht aus einer Reihe unterschiedlicher berufsvorbereitender Angebote und Maßnahmen: etwa aus den Berufsvorbereitenden Bildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit (BvB), der Einstiegsqualifizierung, dem Berufsvorbereitungsjahr (BVJ) oder auch aus Bildungsgängen an Berufsfachschulen. Letztere ermöglichen Jugendlichen, einen allgemeinbildenden Schulabschluss nachzuholen oder zu verbessern. Sie hatten 2011 - nach den BvB - den zweithöchsten Anteil an Frauen und Männern, die berufsvorbereitende Angebote in Anspruch genommen haben (BIBB 2012).


INFOKASTEN

 

LEXIKON

Übergangssystem: Der Begriff Übergangssystem steht für schulische und berufsvorbereitende Maßnahmen, an denen Jugendliche teilnehmen, die nach der Schule keinen Ausbildungsplatz finden. Diese Angebote führen nicht zu einem Ausbildungsabschluss, sondern haben vorbereitenden Charakter. Aus diesem Grund werden unter diesem Label sehr unterschiedliche Angebote zusammengefasst, die nicht zwangsläufig in einem systematischen Zusammenhang zueinander stehen und verschiedene Funktionen erfüllen. Viele Jugendliche nutzen die Möglichkeit, in berufsbildenden Einrichtungen Schulabschlüsse nachzuholen oder zu verbessern. Dieser positive Effekt wird in der wissenschaftlichen Diskussion bisher nur zögerlich beachtet und oft vernachlässigt.


Der Bildungsbericht hat wiederholt darauf verwiesen, dass junge Menschen häufig berufliche Zwischenschritte im Übergangssystem verbringen. Das Übergangssystem ist ein dritter Grundpfeiler des Berufsausbildungssystems neben der dualen Ausbildung und dem Schulberufssystem. Die Zahl der Jugendlichen im Übergangssystem ist in den letzten Jahren zwar etwas geringer geworden. Dennoch befinden sich dem Bildungsbericht 2012 zufolge noch immer knapp 300.000 Jugendliche in diesen Angeboten (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2012).

Dem Übergangssystem gehören Angebote jenseits der qualifizierten Berufsausbildung an, die zu keinem anerkannten Ausbildungsabschluss führen (Konsortium Bildungsberichterstattung 2006). Sie haben eher ausbildungsvorbereitenden Charakter und zielen auf die Verbesserung der individuellen Kompetenzen von jungen Menschen (etwa soziale Kompetenzen oder fachliche Fähigkeiten), die eine Voraussetzung für die Aufnahme einer Berufsausbildung darstellen. Kritiker bemerken, dass beim Übergangssystem aus verschiedenen Gründen kaum von einem System gesprochen werden kann: Erstens seien die Angebote nicht aufeinander abgestimmt und zweitens folgten sie häufig eher einer institutionellen Logik als den individuellen Bedürfnissen der jungen Frauen und Männer, die ihre Chancen auf einen Ausbildungsplatz verbessern wollen.

Über die Wirkungen des Übergangssystems gibt es - gemessen an seinem Anteil im Berufsausbildungssystem - nach wie vor sehr wenig empirische Forschung. Auch die Motive, die Jugendliche damit verbinden, sind kaum wissenschaftlich untersucht worden. Eine Ausnahme ist zum Beispiel der gemeinsame Expertenmonitor des Bundesinstituts für Berufsbildung und der Bertelsmann Stiftung, der Jugendliche und Fachkräfte unter anderem die Angebote des Übergangssystems bewerten ließ. Auch das Deutsche Jugendinstitut hat in Studien zum Übergangsgeschehen Jugendliche mit Hauptschulbildung befragt, welche die Angebote des Übergangssystems genutzt haben.


INFOKASTEN

 

Das DJI-Übergangspanel

Das DJI-Übergangspanel ist eine bundesweite Studie zu den Bildungs- und Ausbildungsverläufen von Hauptschulabsolventinnen und -absolventen. Das Deutsche Jugendinstitut führte die Längsschnittuntersuchung zwischen 2004 und 2010 mit finanzieller Förderung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung durch. In der Basiserhebung 2004 wurden fast 4.000 Jugendliche befragt, mit einer Auswahl von ihnen wurden vertiefende Interviews durchgeführt.

Jugendliche und Fachleute halten das Übergangssystem für sinnvoll

Die Ergebnisse dieser Studien sind eindeutig: Expertinnen und Experten stimmen zu einem großen Teil (42 Prozent) ebenso wie Jugendliche (41 Prozent) der Aussage zu, dass in den Angeboten des Übergangssystems sinnvolle Qualifizierungen möglich sind (Autorengruppe BIBB/Bertelsmann Stiftung 2011). Bei Jugendlichen, die sich zum Zeitpunkt der Befragung im Übergangssystem befanden, wird dies noch deutlicher: Nur 37 Prozent von ihnen hatten den Eindruck, dass sie sich in einer nutzlosen Warteschleife befänden (ebd.). Jugendliche haben sehr klare Erwartungen an die Angebote des Übergangssystems: Sie möchten einerseits Einblicke in die Arbeitswelt erhalten (etwa durch Praktika), andererseits möchten sie die Chance erhalten, höhere Schulabschlüsse zu erwerben (ebd.).

Konnten Hauptschülerinnen und -schüler das Übergangssystem dazu nutzen, sich weiterzubilden? Zu dieser Frage kann das DJI-Übergangspanel erste Aufschlüsse geben. Etwa 40 Prozent der befragten Absolventinnen und Absolventen einer Hauptschule (oder eines Hauptschulgangs an Sekundarschulen) begannen nach ihrem Abschluss eine berufsvorbereitende Maßnahme oder einen berufsschulischen Bildungsgang. Ihre Motive dafür waren unterschiedlich: Die Jugendlichen betrachteten berufsvorbereitende Maßnahmen eher als eine Notlösung als Bildungsgänge an den Berufsfachschulen (Gaupp u.a. 2008). Ihre Motivation hatte entscheidenden Einfluss darauf, ob sie die Angebote erfolgreich durchlaufen und sich weitere Kompetenzen aneignen konnten.

Ihre Motivation hing von mehreren Faktoren ab: von der Qualität der Angebote, von der Art der Qualifizierungen, die Jugendliche erreichen konnten, und von den darauffolgenden Schritten im Ausbildungssystem. Die Motivation der Schülerinnen und Schüler blieb aber nicht stabil, sondern veränderte sich im Verlauf des Übergangs und war unter anderem von den Erwartungen, Chancen und Möglichkeiten für die eigene berufliche Zukunft abhängig. Jugendliche sahen diese Zwischenschritte dann als verlorene Zeit an, wenn sie - obwohl sie vielleicht etwas dazugelernt hatten - danach »wieder mit leeren Händen« dastanden und »wieder neu anfangen« mussten. Diese Haltung könnte »zu einem biografischen Motor der Übergänge« werden (Gaupp 2012, S. 36).

Das verdeutlichen auch die Aussagen der jungen Frauen und Männer, die nochmals vertiefend interviewt wurden: Sie berichteten zum Beispiel, dass »diese Berufsvorbereitungszeit, also die hat mir sehr viel geholfen (...) und das hat mir auch geholfen (...) bei meinen weiteren Plänen dann im Nachhinein«. Im Gegensatz dazu gab es auch negative Erfahrungen, bei denen die Jugendlichen nicht die Chance hatten, Kompetenzen zu erwerben. »Es war halt so eine Sache, das war eher so, wenn die halt die Jugendlichen so von der Straße holen wollen und dann (...) in irgend so ein Ding gesteckt haben. Also in eine Maßnahme, und die war (...) schon relativ sinnlos«.


Zeit dafür, die Persönlichkeit weiterzuentwickeln und Kontakte zu knüpfen

Als positive (Lern)Erfahrungen des Übergangssystems bewerten Jugendliche zum Beispiel, dass sie Planungen und Entscheidungen für den weiteren Bildungs- und Ausbildungsweg getroffen haben. Sie gaben zudem an, während dieser Auszeit ihre Persönlichkeit weiterentwickelt und soziale Netzwerke aufgebaut und genutzt zu haben. In betrieblichen Praxisphasen konnten sie wichtige fachliche, aber auch soziale Kompetenzen weiterentwickeln. So haben sie sich in Berufsfeldern konkret ausprobieren können und waren als Kolleginnen oder Kollegen Teil eines Arbeitsteams.

In den Interviews wird an vielen Stellen deutlich, dass die Jugendlichen besonders die Kombination von Qualifizierungs- und (praktischen) Lernmöglichkeiten in Angeboten des Übergangssystems schätzen. Ein Großteil der Jugendlichen hat sich das Ziel gesetzt, schulische Abschlüsse nachzuholen oder zu verbessern. Dies erfolgreich zu verwirklichen, streben sie aber nicht mehr in der allgemeinbildenden Schule an, sondern zum Beispiel in den Bildungsgängen der Berufsfachschulen. Diese anderen schulischen Rahmenbedingungen sowie die Möglichkeit, sich in Praktikumsphasen auszuprobieren und andere Fähigkeiten zu entwickeln, beurteilen eine Reihe von Jugendlichen als positive Effekte für ihren weiteren Bildungs- und Ausbildungsweg. »Hauptsächlich war ja nur der Realschulabschluss, die Möglichkeit, das zu machen. Diese Berufsvorbereitung war natürlich auch super, da ich dort auch viele Sachen gelernt habe.« Die Ergebnisse machen deutlich, dass zukünftig die unterschiedlichen Angebote mit ihren zum Teil verschiedenen Zielsetzungen einer differenzierteren Analyse bedürfen. Das schließt insbesondere auch die subjektive Bewertung der Angebote durch die Jugendlichen ein. Dies würde wichtige Hinweise für die Ausgestaltung der Angebote und Maßnahmen im Übergangssystem erbringen.


DIE AUTORIN

Dr. Birgit Reißig ist Leiterin des Forschungsschwerpunktes »Übergänge im Jugendalter« und der Außenstelle des Deutschen Jugendinstituts in Halle.
Kontakt: reissig@dji.de


LITERATUR

AUTORENGRUPPE BIBB / BERTELSMANN STIFTUNG (2011): Reform des Übergangs von der Schule in die Berufsausbildung. Aktuelle Vorschläge im Urteil von Berufsbildungsexperten und Jugendlichen. BIBB/Bertelsmann Stiftung. Bonn/Gütersloh

AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (Hrsg.; 2012): Bildung in Deutschland. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zur kulturellen Bildung im Lebenslauf. Bielefeld

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (BIBB; Hrsg.; 2012): Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2012. Bonn/Berlin

GAUPP, NORA (2012): Wege in Ausbildung und Ausbildungslosigkeit - Bedingungen gelingender und misslingender Übergänge in Ausbildung von Jugendlichen mit Hauptschulbildung. Unveröffentlichtes Manuskript

GAUPP, NORA / LEX, TILLY / REISSIG, BIRGIT / BRAUN, FRANK (2008): Von der Hauptschule in Ausbildung und Erwerbsarbeit. Ergebnisse des DJI-Übergangspanels. Bundesministerium für Bildung und Forschung. Berlin

KONSORTIUM BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG (Hrsg.; 2006): Bildung in Deutschland 2006. Bielefeld


DJI Impulse 4/2012 - Das komplette Heft finden Sie im Internet unter:
www.dji.de/impulse

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Quelle:
DJI Impulse - Das Bulletin des Deutschen Jugendinstituts 4/2012 - Nr. 100, S. 17-19
Herausgeber: Deutsches Jugendinstitut e.V.
Nockherstraße 2, 81541 München
Telefon: 089/623 06-140, Fax: 089/623 06-265
E-Mail: info@dji.de
Internet: www.dji.de
 
DJI Impulse erscheint viermal im Jahr.
Die Hefte können kostenlos unter www.dji.de/impulsebestellung.htm
abonniert oder unter vontz@dji.de schriftlich angefordert werden.


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Mai 2013