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FRAGEN/004: Junge Menschen schnell aus der Warteschleife herausholen (highlights - Uni Bremen)


"highlights" - Heft 23 / Dezember 2010
Informationsmagazin der Universität Bremen

"Junge Menschen schnell aus der Warteschleife herausholen"


Das Problem des Fachkräftemangels bestimmt immer wieder die Schlagzeilen. Es fehle Deutschland an Ingenieuren, Facharbeitern, Gesundheitsexperten und weiteren Spezialisten. Es gibt aber auch Studien, die den Fachkräftemangel relativieren oder ihn sogar anzweifeln. Ein Interview zum Thema mit Professor Georg Spöttl, dem Leiter des Instituts Technik und Bildung (ITB) an der Universität Bremen.


highlights: Herr Spöttl, gibt es einen Fachkräftemangel in Deutschland - und wenn ja, wie ernst ist die Lage?

Prof. Spöttl: Es gibt diesen Mangel, aber die Lage ist noch nicht prekär. Sie wird es jedoch, wenn man die rückläufige Bevölkerungsentwicklung betrachtet. Wenn Deutschland eine führende Industrienation bleiben will, braucht man weiter eine große Zahl gut qualifizierter Fachkräfte. Rationalisiert hat man vorrangig bei den Geringqualifizierten. Gut ausgebildete Menschen sind bei uns indes stets gefragt.

highlights: Freie Stellen können nicht besetzt werden. Gleichzeitig gibt es rund drei Millionen Arbeitslose ...

Prof. Spöttl: ... und dazu kommt noch eine halbe bis dreiviertel Million junger Menschen bis zu 25 Jahren, die in diversen berufsvorbereitenden Maßnahmen steckt. Das ist eine sehr interessante Gruppe, über die bislang wenig gesprochen wurde. Demnächst finden in Osnabrück die Hochschultage "Berufliche Bildung" statt. 15 von 18 Workshops beschäftigen sich dort mit dieser Gruppe - wo die Defizite dieser Personen liegen und wie sie zu qualifizieren sind, um sie schnell in Beschäftigung zu bringen. Unternehmen, die heute Fachkräfte fordern, haben diese Gruppe überhaupt nicht im Visier. Das sind alles junge Menschen, die noch keinen Lehrvertrag bekommen haben.

highlights: Gesucht werden ja auch Ingenieure, Meister und Facharbeiter. Sie reden aber von möglichen Auszubildenden. Bis die Meister sind, vergehen zehn Jahre und mehr.

Prof. Spöttl: Man muss dabei mehrere Ebenen im Blick haben. Anfang der 1990er-Jahre hat die Industrie kaum Ingenieure eingestellt, ja sogar viele entlassen. Folge waren zurückgehende Studierendenzahlen und weniger Absolventen ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge. Jetzt, 20 Jahre später, muss die Industrie ausbaden, was sie damals angerichtet hat. Auf lange Sicht ist es also absolut statthaft, jetzt die Qualifizierung einer großen Gruppe junger Menschen anzumahnen, die ein Potenzial darstellen. Zur Frage, woher denn aber jetzt die Ingenieure kommen sollen: Die wird man aktuell nicht finden - selbst im Ausland nicht. Sehr gut qualifizierte Menschen bleiben nämlich in der Regel in ihren Heimatländern.

highlights: Fachkräfte aus dem Ausland sind Ihrer Meinung nach nicht die nächstliegende Option, um den Bedarf auf höheren Ebenen schnell zu decken?

Prof. Spöttl: Ich sag's mal so: Ein Tee-Boy kommt sicherlich gerne nach Deutschland und kocht hier auch gerne Tee. Aber hochqualifizierte Personen zu bekommen, ist nicht so einfach - und wenn es gelingt, müssen wir sie doch trotzdem erst qualifizieren: Sprache, Kultur, Arbeitsverhalten und so weiter. Unser Institut hat enge Kontakte nach Malaysia, Indonesien, China, Oman. Ich bin oft dort. Glauben Sie mir: Asiatische Ingenieure arbeiten anders als deutsche Ingenieure. So leicht, wie es Unternehmensverbände manchmal postulieren, ist das alles nicht.

highlights: Ihre These ist also: Wenn man sowieso qualifizieren muss, kann man doch auch den Pool der 500.000 bis 750.000 jungen Menschen nehmen, die schon hier sind?

Prof. Spöttl: Genau. Im Moment werden sehr viele davon in einem weitgehend ineffizienten Übergangssystem geparkt. Da gibt es ein riesiges Portfolio von berufsvorbereitenden Maßnahmen, die wenig miteinander abgestimmt und selten 'zielführend' sind. Schön für die Politik ist nur, dass diese Personen nicht in der Arbeitslosenstatistik auftauchen. Zwar haben zwei Drittel dieser Menschen einen schlechten oder gar keinen Hauptschulabschluss; aber ich bin überzeugt, dass sie bei richtiger Förderung mindestens das Niveau eines Facharbeiters erreichen können. Dazu ist es aber nötig, die vielen Maßnahmen der Warteschleife radikal zu straffen oder gar abzuschaffen. Und natürlich müssen die Betriebe vermehrt Ausbildungsplätze für diese Menschen zur Verfügung stellen.

highlights: Das klingt so, als müssten ganz dicke Bretter gebohrt werden ...

Prof. Spöttl: Wenn man es wirklich ernst meint: Ja. Ein Beispiel: In Bremerhaven gibt es rund 60 Bildungsträger, die sich um diese Gruppe kümmern. Viele konkurrieren sogar miteinander, anstatt zusammenzuarbeiten. Wenn man das System effizienter gestaltet, könnten rund 40 Einrichtungen dicht machen - die ihrerseits natürlich auch Arbeitsplätze bieten und Interessen haben. Auf der anderen Seite muss die deutsche Wirtschaft von ihrer großen Erwartungshaltung runterkommen, perfekt vorbereitete Auszubildende zu bekommen. Vielmehr müsste sie eng mit den Bildungsträgern zusammenarbeiten, um diese jungen Menschen schnell aus der Warteschleife herauszuholen und sie so gut wie möglich zu qualifizieren. Das vermitteln Sie mal beiden Seiten - und der Politik. Nur: Mit weiterem Jammern wird nicht eine Fachkraft zusätzlich gewonnen. Soviel ist sicher.


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Quelle:
highlights - Informationsmagazin der Universität Bremen
Heft 23 / Dezember 2010, Seite 6-7
Herausgeber: Rektor der Universität Bremen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Februar 2011