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FRAGEN/008: Prof. Hanno Hortsch - Ein Hochschulstudium soll keine Berufsausbildung sein (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 12. vom 30. Juni 2015

Ein Hochschulstudium soll keine Berufsausbildung sein
UJ im Gespräch mit Professor Hanno Hortsch, Professor für Berufliche Didaktik des beruflichen Lernens

Von Beate Diederichs


Etwa die Hälfte der deutschen Schulabgänger der letzten Jahre hat ein Studium begonnen. Gleichzeitig fehlen für viele Ausbildungsberufe Bewerber. Oder die Bewerber können die Anforderungen, die die Berufe an sie stellen, nicht erfüllen. Das sind Probleme, denen sich die Berufsausbildung stellen muss. Dies thematisierten die 18. Hochschultage Berufliche Bildung, die im März an der TU Dresden stattfanden. UJ sprach mit dem Koordinator, Prof. Hanno Hortsch, über Gesichter der Akademisierung, die Risiken, die sie für die Berufsausbildung mitbringt, und Wege, mit diesem Problem umzugehen. Hanno Hortsch ist Professor für Didaktik des beruflichen Lernens am Institut für Berufspädagogik und Berufliche Didaktiken der TUD.


TUD: Herr Professor Hortsch, was versteht man eigentlich genau unter Akademisierung?

Professor Hortsch: Um dies zu erläutern, muss man den Hintergrund verstehen: Momentan verändern viele Unternehmen gerade ihre Arbeitsorganisation. Das, was wir in der Wissenschaft als tayloristische oder neo-tayloristische Strukturen bezeichnen, dass also beispielsweise den Arbeitenden genau vorgegeben wird, wann, wo und wie sie eine bestimmte Leistung zu erbringen haben, wird durch das sogenannte Lean Management ersetzt - oder zumindest Elemente davon: Übersetzt heißt das "schlankes Management" und bedeutet zum Beispiel, dass Arbeitnehmer eigenverantwortlich arbeiten, im Team, mit dezentralen Strukturen. Die Hierarchie ändert sich, vor allem im mittleren Management. Das hat Konsequenzen für die Ausbildung von Facharbeitern, Technikern, Meistern und Ingenieuren. Dies heißt unter anderem, dass viele Unternehmen meinen, dass Berufe, für die früher eine Lehre reichte, heute ein Studium voraussetzen sollten. So war der Physiotherapeut bis vor einigen Jahren ein normaler Ausbildungsberuf. Jetzt geht die Tendenz zum Bachelorstudium, oft an Fachhochschulen. Das liegt beispielsweise daran, dass in diesem Beruf heute mehr mathematisch-naturwissenschaftliche Grundlagen vermittelt werden.


TUD: Was ist daran problematisch, dass der
Trend zum Studium geht?

Professor Hortsch: Für die Berufsausbildung ist es ein kritisches Phänomen. Dadurch können viele Ausbildungsplätze nicht mehr besetzt werden. Das Handwerk trifft das momentan besonders. Die Bewerber, die kommen, bringen zudem oft Defizite mit, was ihre Kenntnisse und Fähigkeiten betrifft, aber vor allem ihr Verhalten. Es mangelt ihnen häufig an Disziplin, Pünktlichkeit, Genauigkeit. Diese Bewerber müssen dann die Anforderungen erfüllen, die in vielen Ausbildungsberufen gestiegen sind. In mehreren Berufsfeldern wurden die Ausbildungspläne den neuen Arbeitsorganisationsstrukturen angepasst. Da, wie gesagt, von den Lernenden mehr erwartet wird als früher, suchen Unternehmen häufig explizit Abiturienten, um ihre Lehrstellen zu besetzen. Ein gut ausgebildeter Mechatroniker beispielsweise kann dann auch viele Prozesse gestalten, für die früher der Ingenieur zuständig war.


TUD: Um geeignete Bewerber für eine Ausbildung zu gewinnen, hat Sachsen auch etwas reaktiviert, was es zu DDR-Zeiten schon gab.

Professor Hortsch: Ja, wir starteten vor drei Jahren gemeinsam mit dem Sächsischen Staatsministerium für Kultus einen Schulversuch zur Berufsausbildung mit Abitur. Dabei bilden ausgewählte Berufsschulzentren in Dresden, Leipzig und Bautzen junge Menschen für Berufe aus, die momentan benötigt werden, wie Fachinformatiker oder Industriemechaniker, und führen sie parallel zur Hochschulreife. Demnächst soll noch eine Schule in Chemnitz dazukommen. Für 2016 ist geplant, das Modell regulär sachsenweit einzuführen. Baden-Württemberg hat es in modifizierter Form übernommen, andere Bundesländer signalisierten bereits Interesse. Der erste Jahrgang hat mittlerweile seinen Abschluss in der Tasche. Fast alle, die anfingen, haben durchgehalten. Langfristig möchten wir gern erforschen, was diese Abiturienten nach ihrem Examen machen. Ich könnte mir gut vorstellen, dass sie in Zukunft beispielsweise bei ihrem Ausbildungsunternehmen bleiben und dort die Praxisanteile eines dualen Studiums absolvieren und danach im Unternehmen aufsteigen. So kann diese Ausbildung zur langfristigen Personalentwicklung des Unternehmens beitragen.


TUD: Sie plädieren für eine strikte Trennung von Berufsausbildung und Hochschulstudium.

Professor Hortsch: Wir haben in Deutschland ein staatlich geregeltes duales System aus praktischer Berufsausbildung vor Ort und Unterricht in den Berufsschulen, das gut funktioniert. Andere Länder nicht. Dort übernimmt in manchen Berufen ein grundständiges Hochschulstudium die Rolle der Berufsausbildung. Ich finde es besser, zunächst eine Ausbildung nach dem dualen System zu machen und auf dieser Basis gegebenenfalls ein Studium anzuschließen. Die Hochschule sollte nicht der Ort der beruflichen Ausbildung sein.


TUD: Ihre Studenten sind die zukünftigen Berufsschullehrer. Was tun Sie, um diese auf die Anforderungen vorzubereiten, die eine Ausbildungswelt an sie stellen wird, die sich wandelt?

Professor Hortsch: Wir setzen uns dafür ein, die erste und zweite Ausbildungsphase besser miteinander zu verschränken, also Studium und Referendariat. Außerdem betreuen Lehrer, die von einem Beruflichen Schulzentrum zu uns abgeordnet wurden, die Schulpraktika unserer Studenten und helfen ihnen mit Tipps aus der Praxis. Das ist ein wichtiger Schritt, um unsere Lehramtsstudenten für ihren späteren Einsatz fit zu machen.

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 26. Jg., Nr. 12 vom 30.06.2015, S. 5
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. Juli 2015

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