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SCHULE/766: Die niedersächsische Schulinspektion auf dem Prüfstand (idw)


Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg - 03.04.2019

Wenn eine Reform reformiert wird: Die niedersächsische Schulinspektion auf dem Prüfstand

Oldenburger Forscher zeigen am Beispiel Schulreform, wie organisatorische Neuerungen eine Eigendynamik entwickeln


Oldenburg. Nach dem schlechten Abschneiden deutscher Schüler in internationalen Vergleichstests, dem so genannten "Pisa-Schock" im Jahr 2001, führten alle Bundesländer Schulinspektionen ein, um die Qualität des Unterrichts zu verbessern. Wieso diese Reform in Niedersachsen seit ihrer Einführung 2005 bereits zweimal reformiert wurde, ist das Thema einer historischen Analyse der Organisationsforscher Prof. Dr. Heinke Röbken, Marcel Schütz und Dr. Pia Lehmkuhl von der Universität Oldenburg. Im Fachmagazin Journal of Educational Administration and History blickt das Team aus organisationswissenschaftlicher Perspektive auf die niedersächsische Schulinspektion.

"Reformen stimulieren Entwicklungsprozesse, und sie befördern den Austausch über das jeweilige Thema", erläutert Röbken, die an der Universität Oldenburg den Arbeitsbereich Bildungsmanagement leitet. Eine solche Entwicklung beobachten sie und ihre Kollegen auch im Fall der niedersächsischen Schulinspektion. "Ein Ergebnis unserer Studie ist, dass man Reformen nicht so sehr allein an konkreten Ergebnissen bewerten kann, sondern daran, ob und wie sie überhaupt die Beschäftigung mit der Schule anstoßen", betont Röbken. Durch die Schulinspektion und ihre Reformschleifen sei die Debatte über die Qualität des Schulsystems in den vergangenen Jahren immer wieder auf die Agenda gesetzt worden.

Die Schulinspektion in Niedersachsen wurde 2005 als Folge des Pisa-Schocks eingeführt. Anfang der 2000er Jahre kam deutschlandweit eine gesellschaftliche Diskussion über Schulqualität, evidenzbasierte Schulpolitik und Bildungsstandards in Gang. Anschließend leiteten die Bundesländer eine ganze Reihe von Veränderungen ein. So führten die Behörden unter anderem zentrale Prüfungen und Schulinspektionen ein. Den Oldenburger Wissenschaftlern zufolge blieben radikale Reformen jedoch aus: Alle Bundesländer versuchten, die Qualität und Effizienz des Unterrichts zu verbessern, ohne die grundlegende Struktur des Schulsystems zu verändern.

Das Instrument der Schulinspektion erschien dem Team besonders interessant, da es sowohl Facetten der Beratung als auch der Kontrolle enthält. "Durch diese innere Spannung entstehen Spielräume, es werden verschiedene Deutungen möglich", berichtet Schütz. Als Folge kam es in allen Bundesländern mehrfach zu Veränderungen beim Ablauf der Inspektionen. In Niedersachsen begann 2005 die erste Runde der Schulinspektion. Bis 2012 besuchten Inspektoren rund 3.000 Schulen, überprüften sie anhand zuvor definierter Qualitätskriterien, interviewten Lehrer, Eltern und Schüler, evaluierten den Unterricht und verfassten einen Abschlussbericht mit Anregungen für die Entwicklung der jeweiligen Schule. Wie die Forscher schreiben, trugen die Inspektionen zwar große Datenmengen zusammen, doch zogen weder Politik noch Verwaltung aus den Ergebnissen weitergehende Schlüsse. Stattdessen beschloss das Ministerium, das Instrument der Schulinspektion grundlegend zu reformieren.

In der zweiten Runde der Schulinspektionen, die ab 2013 erfolgte, verringerte sich beispielsweise die Zahl der überprüften Qualitätskriterien deutlich, es wurde weniger Wert auf Kontrolle, sondern vielmehr auf Dialog zwischen dem Inspektionsteam und der Schule gelegt. Minimalstandards und Zweitinspektionen wurden abgeschafft. Anfang 2018 gab es eine weitere Reform: Das Kultusministerium beschloss, die Schulinspektion durch das neue Instrument der "Fokusevaluation" abzulösen. Die Inspektionsteams untersuchen nun, ob eine Schule selbst gesetzte Entwicklungsziele erreicht.

"Das Verfahren entwickelte sich nach und nach mit einer gewissen Eigendynamik", berichtet Schütz, "es kamen neue Punkte hinzu, die Prioritäten wechselten und man musste auf verschiedene Kritiker reagieren." Diese Entwicklung ist Röbken und Kollegen zufolge nicht untypisch für Reformen in größeren Organisationen. So zeige sich, dass Reformen zwar üblicherweise das Ziel haben, die Organisation zu verbessern, etwa Abläufe effizienter zu gestalten oder Defizite zu verringern. Meist bleiben die eingeleiteten Veränderungen allerdings an der Oberfläche, weshalb Reformen häufig ihr Ziel verfehlen und anschließend weitere Reformen folgen.

"Das heißt aber nicht, dass eine Reform versagt hat", betont Lehmkuhl. Reformen erprobten vielmehr, welche Änderungen möglich seien. Auch wenn sich die Initiatoren häufig gewiss sind, dass die erhoffte Besserung tatsächlich eintritt, seien Reformen als Experimente zu verstehen. Dieser Prozess fördere die Erneuerung einer Organisation: Bestehendes würde in Frage gestellt und auf Gültigkeit überprüft. "Die Schulinspektion in Niedersachen bildet dabei keine Ausnahme", sagt Röbken. Seit mehreren Jahren befördere sie die kritische Auseinandersetzung mit der Qualitätssicherung und Qualitätsentwicklung im Schulsektor.


Originalpublikation:
Heinke Röbken, Marcel Schütz & Pia Lehmkuhl:
"From reform to reform: how school reforms are motivated and interrupted - the case of 'school inspections' in Germany",
Journal of Educational Administration and History:
https://doi.org/10.1080/00220620.2019.1585336

Weitere Informationen unter:
https://uol.de/paedagogik/bildungsmanagement/

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution24

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg, 03.04.2019
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 5. April 2019

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