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OSTEUROPA/002: Ukrainekrieg - die Stimme der UN ... (OHCHR)


Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights
Büro der Hohen Kommissarin für Menschenrechte

Pressemitteilung - 29. August 2014

Pillay bestürzt über getötete Zivilisten in der Ukraine



Kiew/Genf (29. August 2014). Intensive Kämpfe - auch unter Gebrauch schwerer Waffen auf beiden Seiten - in dicht besiedelten Regionen der Ostukraine haben vermehrt zivile Opfer gefordert, wobei jeden Tag im Durchschnitt etwa 36 Menschen getötet wurden, meldet ein Bericht, der am Freitag vom Büro der Hohen Kommissarin für Menschenrechte veröffentlicht wurde.

Der Bericht, der den Zeitraum vom 16. Juli bis zum 17. August umfaßt, bringt Bestürzung zum Ausdruck über die Tötung und Verletzung von Zivilisten, die in urbanen Regionen festsitzen oder über von der Regierung eingerichtete, "sichere" Korridore vor den Kämpfen in der Ostukraine zu fliehen versuchten.

"Mit Absicht auf Zivilisten zu schießen, verletzt das humanitäre Völkerrecht und es muß mehr getan werden, um diese zu schützen," erklärte die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay.

"Alle, die an den Feindseligkeiten in den betroffenen östlichen Gebieten beteiligt sind, müssen sich zu jeder Zeit an die Grundsätze der Unterscheidung, der Verhältnismäßigkeit und der Umsicht halten. Das ist in dichtbewohnten Gebieten besonders wichtig."

"Es ist dringend erforderlich, die Kämpfe und die Gewalt in den östlichen Regionen zu beenden, bevor weitere Zivilisten, die in der Konfliktzone eingeschlossen sind, Schaden nehmen, zur Flucht gezwungen werden oder nicht zu tolerierende Not erleiden," setzte sie hinzu.

Der vom UNO-Menschenrechtsbüro erstellte Bericht dokumentiert eine große Bandbreite schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen, die in erster Linie von den bewaffneten Gruppen verübt wurden, die seit Mitte April die Kontrolle über weite Bereiche der Regionen Donezk und Luhansk in der Ostukraine übernommen haben. Er dokumentiert auch die Verstöße, die von der ukrainischen Armee bei ihrem Versuch verübt wurden, Territorium zurückzugewinnen, von dem aus bewaffnete Gruppen Operationen durchführen und auf dem sie militärische Ziele ausgemacht haben.

Dem Bericht zufolge wurde auf Zivilisten, die vor den intensiven und anhaltenden Kämpfen in der Ostukraine flohen, geschossen und diese getötet; andere wurden von bewaffneten Gruppen daran gehindert, die Städte Donezk und Luhansk zu verlassen, als die ukrainische Regierung ihre Blockade um die beiden wichtigsten Hochburgen der bewaffneten Gruppe verschärfte. Angeblich "sichere" Korridore, die von der ukrainischen Armee eingerichtet wurden, um Bewohnern die Flucht aus diesen Städten zu ermöglichen, führten durch Gebiete, in denen Kämpfe stattfanden. Zivilisten, die diese Korridore benutzten, wurden daraufhin getötet oder verwundet.

Auch wenn jetzt mehr als die Hälfte der Bevölkerung die Städte Luhansk und Donezk verlassen hat, wurde nicht rechtzeitig genügend unternommen, um die Menschen aus den umkämpften Regionen zu evakuieren, lautet der Bericht, und insbesondere nicht für die Wehrlosesten, wie in Einrichtungen untergebrachte Kinder, alte Menschen und Behinderte. Die Evakuierung vieler Kinder in andere Teile der Ukraine wurde von bewaffneten Gruppen verhindert.

Berichte über schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen durch die bewaffneten Gruppen halten an, darunter sind Entführungsfälle in Verbindung mit physischer und mentaler Folter sowie Mißhandlung der Gefangenen, die vielfach Zwangsarbeit leisten müssen. Es ist nicht genau bekannt, wieviele Menschen sich noch immer in Gefangenschaft befinden. Laut Bericht ging man am 17. August von mindestens 468 Menschen aus, die nach wie vor von verschiedenen bewaffneten Gruppen gefangengehalten werden.

Darüber hinaus gab es Berichte über von den ukrainischen Territorial- und Spezialbataillonen begangene Menschenrechtsverletzungen wie willkürliche Verhaftungen, Verschwindenlassen und Folter. Es sollte mehr Kontrolle über diese Bataillone ausgeübt werden, "insbesondere sollten sie über das humanitäre Völkerrecht instruiert werden". Die Regierung hat über 1.000 Menschen in der Ostukraine verhaftet aufgrund von laut ihrer Aussage "unwiderlegbaren Beweisen für ihre Beteiligung an terroristischen Aktivitäten". Aber dem Bericht zufolge wurde das Recht bei diesen Verfahren "nicht immer eingehalten, und es gibt Angaben über Mißhandlungen bei der Festnahme oder während des Arrests".

Über 1.500 Fälle, in denen lokale Behördenvertreter oder Bürger im Osten mutmaßlich Verstöße begangen haben, wurden bereits von den ukrainischen Behörden untersucht und mehr als 150 Menschen angeklagt. Die Polizei in den von der Regierung zurückeroberten Gebieten der Regionen Donezk und Luhansk mußte nachweisen, daß sie sich, während sie unter Kontrolle der bewaffneten Gruppen stand, nicht an Verbrechen beteiligt hat. Dennoch "berichten Bewohner dieser Regionen, die sich wieder unter Regierungskontrolle befinden, von Furcht vor Vergeltung und mangelndem Vertrauen, daß ihre eigenen Fälle untersucht werden, und der Furcht, daß die Straflosigkeit anhält und niemand zur Verantwortung gezogen wird", konstatiert der Bericht.

Das ukrainische Parlament verabschiedete drei Gesetze, die die Befugnisse der Strafverfolgungsbehörden in Verbindung mit der Sicherheitsoperation der Regierung im Osten bedeutend erweitern und "im Widerspruch zu den Normen und Standards der internationalen Menschenrechte zu stehen scheinen. Auch wenn man einräume, daß die Einschränkung bestimmter Garantien in Zeiten des Notstandes erforderlich sein könne, müßten sich solche Maßnahmen unter allen Umständen an die Normen des Völkerrechts halten", erklärt der Bericht.

"Rechtmäßigkeit und Rechenschaft müssen die Straflosigkeit für Menschenrechtsverletzungen, die in den vergangenen vier Monaten geschehen sind, ersetzen," erklärte die Hohe Kommissarin. "Und Gerechtigkeit muß allen zuteil werden. Es ist von grundlegender Bedeutung, daß die Regierung strikte Maßnahmen ergreift, um Racheakte und alle anderen Formen unrechtmäßiger Vergeltung zu verhindern. Die Anwendung des Rechts muß mit aller Sorgfalt geschehen und in voller Übereinstimmung mit den internationalen Standards, wenn das öffentliche Vertrauen in die staatlichen Institutionen wiederhergestellt werden soll."

Der Bericht merkt zudem an, daß Schikanen und Diskriminierung gegen Ukrainer, Krimtartaren und andere Minderheiten in der Autonomen Republik Krim andauern. "Es wurden keine ernsthaften Versuche unternommen (von den Behörden auf der Krim), Vorwürfen nachzugehen, daß die sogenannten Krim-Selbstverteidigungskräfte nach dem März-'Referendum' Menschenrechtsverletzungen begangen haben. Mittlerweile halten die Beschwerden gegen die Selbstverteidigungskräfte an", stellt er fest und setzt hinzu, daß im vergangenen Monat über 2.800 Menschen die Krim in Richtung Festland-Ukraine verlassen haben, womit sich die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen von der Krim in der Ukraine auf über 16.000 Menschen beläuft. Die Zahl der Vertriebenen in der gesamten Ukraine belief sich am 20. August auf 190.000.

Von Mitte April bis zum 27. August 2014 wurden mindestens 2.593 (*) Menschen in der Ukraine getötet.

Ende

(*) Diese von der UN-Menschenrechtsbeobachtungsmission und der Weltgesundheitheitsorganisation zusammengetragene Gesamtzahl umfaßt Mitglieder der bewaffneten Streitkräfte der Ukraine, wie vom Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung berichtet, sowie Zivilisten und einige Mitglieder der bewaffneten Gruppen (für die keine Gesamtzahl der Verluste bekannt ist), wie berichtet von medizinischen Einrichtungen und örtlichen Verwaltungen.


Der vollständige Bericht ist zugänglich unter:
http://www.ohchr.org/Documents/Countries/UA/UkraineReport28August2014.pdf

Frühere Berichte sind zugänglich unter:
http://www.ohchr.org/en/countries/ENACARegion/Pages/UAIndex.aspx

Das Mandat der Hohen Kommissarin für Menschnrechte endet, nach sechs Jahren, am Sonntag, den 31. August. Ihr Nachfolger, Zeid Ra'ad Al Hussein, wird den Posten des Hohen Kommissars offiziell am 4. September antreten.

Globaler Menschenrechtsindex:
http://uhri.ohchr.org/en


Link zum englischen Original der Pressemeldung:
http://www.ohchr.org/EN/NewsEvents/Pages/Media.aspx?IsMediaPage=true&LangID=

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Quelle:
OHCHR-Pressemitteilung, 29.08.2014
Office of the United Nations High Commissioner for Human Rights
Büro der Hohen Kommissarin für Menschenrechte (OHCHR)
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E-Mail: InfoDesk@ohchr.org
Internet: www.ohchr.org
in einer Übersetzung des Schattenblick aus dem Englischen


veröffentlicht im Schattenblick zum 30. August 2014