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GAZA/064: Waffengang und Widerstand - Kriegsverbrechen ... (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. August 2014

Nahost: 'Schutzverantwortung' im Gaza-Konflikt weggebombt

von Thalif Deen


Bild: © Shareef Sarhan/UN

Ein Palästinenser schaut sich den Schaden an einer UN-Schule im Jabalia-Flüchtlingslager im Norden des Gazastreifens nach dem israelischen Raketeneinschlag vom 30. Juli 2014 an. Mindestens 16 Zivilisten einschließlich etlicher Kinder kamen ums Leben, mehr als 100 wurden verletzt
Bild: © Shareef Sarhan/UN

New York, 5. August (IPS) - Auf dem Treffen von Staats- und Regierungschefs im Jahr 2005 bei den Vereinten Nationen wurde einstimmig eine Resolution angenommen, die dem Prinzip der Schutzverantwortung besonders verpflichtet ist. Diese Schutzverantwortung, auch als R2P ('Responsibility to Protect') bekannt, zielt in erster Linie darauf ab, unschuldige Zivilisten vor Kriegsverbrechen, Völkermord, Massengräueln und ethnischen Säuberungen zu schützen.

Seit 2006 hat sich der 15 Staaten zählende UN-Sicherheitsrat (UNSC), der als einziges internationales Gremium über Krieg und Frieden entscheiden kann, in verschiedenen militärischen Konflikten, unter anderem im Sudan, Jemen, in Mali, Libyen, im Südsudan, in Côte d'Ivoire und in der Zentralafrikanischen Republik, zu diesem Prinzip bekannt und in einigen Fällen sogar Militärinterventionen genehmigt.

Doch im derzeitigen Gazakonflikt, der bereits 1.800 mehrheitlich palästinensischen Zivilisten das Leben kostete, hält sich der UNSC bedeckt. So hat er sich bislang darauf beschränkt, eine 'präsidentielle Mitteilung' auszugeben. Diese Maßnahme kann einer rechtsverbindlichen Resolution, die entweder das Töten von Zivilisten verbietet oder aber die beiden Kriegsparteien auffordert, den Konflikt zu beenden, in keiner Weise das Wasser reichen.

Dazu meinte Simon Adams vom Globalen Zentrum für die Schutzverantwortung am Ralph-Bunche-Institut für internationale Studien gegenüber IPS, dass die USA zwar häufig von ihrer besonderen Beziehung zu Israel redeten, "dass sie aber eine besondere Verantwortung tragen, sicherzustellen, dass mutmaßliche Kriegsverbrechen geahndet werden".

Die US-Botschafterin bei den Vereinten Nationen, Samantha Power, habe sich sehr stark für Maßnahmen zur Prävention von Massengräueln engagiert, erklärte der Experte. Nun müsse sie den UN-Sicherheitsrat dazu bewegen, dass den Zivilisten im Gazastreifen der Schutz gewährt werde, der ihnen nach internationalem Recht zustehe.


"UN-Schulen den Krieg erklärt"

"Es sieht danach aus, als habe die israelische Regierung den UN-Schulen und -Schutzhäusern, in denen vertriebene Zivilisten Zuflucht suchen, den Krieg erklärt", sagte Adams. Der UNSC müsse seiner Schutzverantwortung nachkommen.

Zahlen des Gesundheitsministeriums des Gaza-Streifens zufolge sind fast 1.810 Palästinenser, mehrheitlich Zivilisten, in dem am 8. Juli ausgebrochenen Konflikt ums Leben gekommen. Auf israelischer Seite starben 64 Soldaten und drei Zivilisten. Israel wird vorgeworfen, sechs UN-Herbergen einschließlich drei UN-Schulen bombardiert zu haben, in denen Palästinenser Schutz gesucht haben.

Israel rechtfertigt die Bombardements als Antwort auf die Raketen, die die radikale palästinensische Gruppe Hamas von nahe gelegenen Schulen aus gezündet habe. Der UN-Generalsekretär Ban Ki-moon, der sich mit Kommentaren lange zurückgehalten hatte, verurteilte den jüngsten Angriff auf eine UN-Schule als "moralischen Skandal" und "verbrecherischen Akt". Er könne sich nichts Schändlicheres vorstellen, als schlafende Kinder anzugreifen.

Das US-Außenamt bezog ebenso deutlich Stellung. So erklärte die Sprecherin, dass "der Verdacht, dass Kämpfer in der Nähe agierten, keine Angriffe rechtfertigt, die das Leben so vieler unschuldiger Zivilisten gefährden".

Adams erklärte gegenüber IPS, dass die Schutzverantwortung überall und jederzeit Gültigkeit habe. "Ein staatenloses Palästinenserkind hat das gleiche Recht, vor Kriegsverbrechen geschützt zu werden, wie ein israelischer Bürger in Tel Aviv oder Jerusalem", unterstrich er.

In einem Meinungsbeitrag hatte Adams zuvor betont, dass die Unterscheidung zwischen militärischen und zivilen Zielen ein fester Bestandteil des geltenden internationalen humanitären Rechts und als solches zu garantieren sei, unabhängig davon, wo und zwischen wem ein Konflikt stattfinde.

Mit den fortgesetzten Raketenangriffen auf Israel und den unermüdlichen Vergeltungsschlägen auf den dicht bevölkerten Gazastreifen würden sowohl die Hamas als auch die israelische Regierung gegen das grundlegende Kriegsrecht verstoßen.

"Wenn Zivilisten noch nicht einmal in UN-Schulen Zuflucht finden, wo sonst sind sie sicher?", fragte die UN-Menschenrechtshochkommissarin Navi Pillay. "Sie flüchten aus ihren Häusern, um sich in Sicherheit zu bringen und werden dann an den Orten angegriffen, an denen sie Schutz suchen. Das ist eine groteske Situation."

In einer am 4. August verbreiteten Mitteilung verurteilte der Sprecher des UN-Generalsekretärs den Angriff auf die UN-Schule durch das israelische Militär als einen weiteren groben Verstoß gegen internationales humanitäres Recht. UN-Schutzräume dürften nicht zu Kriegsschauplätzen werden.


Verantwortliche zur Rechenschaft ziehen

Die israelischen Verteidigungskräfte (IDF) sind wiederholt auf die genauen Standorte der UN-Einrichtungen hingewiesen worden. "Dieser Angriff und die vielen anderen Verstöße gegen internationales Recht müssen unverzüglich untersucht und die Verantwortlichen haftbar gemacht werden. Es handelt sich um einen moralischen Skandal und einen verbrecherischen Akt", so der Sprecher.

Ferner meinte der Sprecher, dass die schreckliche Eskalation der Gewalt und der Verlust hunderter palästinensischer Menschenleben seit dem Bruch der humanitären Feuerpause am 1. August beim UN-Chef tiefe Bestürzung ausgelöst hätten. Die Wiederaufnahme der Kämpfe habe nur die menschengemachte humanitäre und Gesundheitskrise im Gazastreifen verschlimmert. Die Wiederherstellung der Ruhe müsse durch eine Feuerpause und Verhandlungen der Parteien in Kairo über die dem Konflikt zugrunde liegenden Probleme erreicht werden. (Ende/IPS/kb/2014)


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http://www.ipsnews.net/2014/08/u-n-s-responsibility-to-protect-another-casualty-in-gaza/

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veröffentlicht im Schattenblick zum 5. August 2014