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IPS-Inter Press Service Deutschland GmbH
IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2014

Syrien: 'Das ist keine Revolution' - Bewohner von Homs berichten über religiöse Intoleranz und Gewalt

von Eva Bartlett


Bild: © Eva Bartlett/IPS

Von Freiwilligen angelegter Garten im Hof der zerstörten Marienkirche in Homs
Bild: © Eva Bartlett/IPS

Homs, Syrien, 9. Juli (IPS) - Im dicht besiedelten Viertel Al-Waer, der letzten Rebellenhochburg in der syrischen Stadt Homs, könnten schon bald die Waffen schweigen.

Zurzeit leben hier mehr als 200.000 Menschen, darunter viele Binnenflüchtlinge, die der Bürgerkrieg aus anderen Teilen Syriens vertrieben hat. Während die syrische Armee ihren Vernichtungsfeldzug gegen die bewaffneten Rebellen fortsetzt, sitzen sie in Homs fest.

Homs, die drittgrößte Stadt des Landes, ist in den Medien als 'Hauptstadt der Revolution' bekannt geworden. Seit fast drei Jahren kämpft das syrische Militär hier gegen die Aufständischen. Viele Teile der Stadt wurden durch Bomben der Armee, Raketen der Rebellen und Autobomben zerstört.

Am 9. Mai hatte der Gouverneur von Homs, Talal Barazi, verkündet, die Stadt sei "frei von Gewehren und Kämpfern". Im Rahmen eines Waffenstillstandabkommens hatten etwa 1.200 Rebellen, die Anfang 2012 einen Großteil der Altstadt unter ihre Kontrolle gebracht hatten, das Viertel verlassen, sodass die ehemaligen Bewohner in ihre Häuser zurückkehren konnten.

Diejenigen Menschen, die während der Belagerung in der Altstadt geblieben waren, berichten von dem Horror, den sie unter der Herrschaft von Gruppen wie den Nusra- und Farooq-Brigaden erlebt und beobachtet haben. Viele von ihnen erklärten, dass von einer 'Revolution' nicht die Rede sein könne. Ähnlich hatte sich der niederländische Jesuitenpater Frans van der Lugt ausgedrückt, der einen Monat vor der Befreiung von Homs ermordet worden war.


Rebellen zerstörten Kirchen

"In dieser Kirche wurde ich getauft, habe ich geheiratet und ließ auch später meine Kinder taufen", sagt Abu Nabeel, ein Altstadtbewohner. Die Kirche St. Georg mit ihren bröckelnden Mauern gehört zu den elf christlichen Gotteshäusern, die in dem Viertel zu Zielscheiben von Angriffen wurden. Die Holzdecke und die geschnitzten Verzierungen sind vernichtet. "Der größte Schaden entstand wenige Tage, bevor die Rebellen abzogen", berichtet er. "Wir werden alles wieder aufbauen."

Im Innenraum der Marienkirche (Um al-Zinmar) sind noch die Spuren des Feuers zu sehen, das die Rebellen gelegt hatten. Wie andere Kirchen wurde auch diese ausgeplündert und mutwillig beschädigt. An einigen Wänden sieht man Graffiti aufgemalt. "Christliche Symbole wurden entfernt, und die Rebellen nahmen alle Marienbilder mit", erzählt Abu Nabeel.

Im Hof der Kirche haben Freiwillige einen Garten angelegt, um "etwas Schönheit nach Homs zurückzubringen". Auf einem blumengeschmückten Plastikstuhl steht ein Bild des am 7. April dieses Jahres ermordeten Jesuitenpaters.

Nazim Kanawati, der Frans van der Lugt kannte und respektierte, war nur wenige Augenblicke, nachdem dem 75-Jährigen in den Hinterkopf geschossen worden war, an Ort und Stelle. "Wir waren umzingelt und wurden belagert. Dies war der einzige Ort, zu dem wir gehen konnten. Jeder von uns war gern hier." Wie Pater Frans wollte auch Kanawati Homs nicht verlassen.

Auch wenn er in der Altstadt blieb, stand Pater Frans den Rebellen kritisch gegenüber. Im Januar 2012 schrieb er: "Von Anfang an habe ich in den Protestmärschen bewaffnete Demonstranten ausgemacht, die zuerst auf die Polizei geschossen haben. Sehr häufig reagierten die Sicherheitskräfte mit Gewalt auf die Brutalität dieser bewaffneten Rebellen."

Abu Nabeel zufolge sind Christen nicht nur aus dem Stadtteil Hamidiyeh geflohen, sondern auch aus anderen von den Aufständischen besetzten Vierteln von Homs. "Vor der Einnahme durch die Terroristen lebten in der Altstadt schätzungsweise 100.000 Christen. Die meisten von ihnen flohen im Februar 2012. Im März waren es dann nur noch 800 und schließlich nur noch 100."


Hunger und Not

Die Belagerung der Stadt durch die syrische Armee hatte einschneidende Folgen für den Alltag der Zivilisten. Vor der Befreiung von Homs war dort ein Leben nicht mehr möglich. "Am Anfang gab es noch Lebensmittel, dann wurde es knapp. Schließlich hatten wir nichts mehr und ernährten uns von dem, was wir bekommen konnten", erzählt Kanawati.

Mohammed, ein Syrer aus dem Homs-Viertel Qussoor, gehört zu den etwa 6,5 Millionen syrischen Binnenflüchtlingen. "Ich arbeite zwei Tage die Woche in Homs und wohne ansonsten im Haus eines Freundes in Latakia. Mein eigenes Haus habe ich Ende 2011 verlassen, als das Gebiet von den Al-Nusra- und Al-Farooq-Brigaden erobert wurde", berichtet er.

Von Anfang an sei es bei den Protesten um religiösen Fanatismus gegangen, erläutert er. "Ich wohnte damals in einem anderen Viertel von Homs zur Miete, während mein Haus renoviert wurde. Unter meinem Balkon zogen Demonstranten vorbei, die nicht etwa 'Freiheit' einforderten oder zum Sturz des 'Regimes' aufriefen, sondern Hassparolen gegen Andersgläubige von sich gaben und ankündigten, in den von Alawiten und teils auch von Christen bewohnten Vierteln ein Blutbad anzurichten."

Am Haus von Aymen und Zeinat al-Akhras fehlen nur die Tür- und Fenstergriffe, der Rest ist intakt geblieben. Die Apothekerin Zeinat und der Chemieingenieur Aymen haben die Anwesenheit der Aufständischen in der umkämpften Altstadt überlebt, allerdings sind beide stark abgemagert.

"Ich wog nur noch 34 Kilo und mein Mann 43 Kilo", erzählt die Frau. "38 Mal kamen sie, um unser Essen zu stehlen. Die ersten Male klopften sie noch an, danach kamen sie einfach mit ihren Gewehren herein. Zum Schluss nahmen sie unsere Hülsenfrüchte, Oliven, unseren Weizenschrot und schließlich unseren wilden Thymian mit", berichtet Zeinat. "Im Februar 2012 ernährten wir uns von Gras und allem Grünzeug, das wir sonst noch finden konnten. Mehr hatten wir nicht, als Homs befreit wurde."

In die Altstadt ist inzwischen wieder Ruhe eingekehrt, doch die Rebellen zünden weiterhin Autobomben in anderen von Zivilisten bewohnten Vierteln. Allein im Juni wurden Dutzende Menschen durch Sprengsätze und Raketen getötet.

Berichten zufolge haben sich die Al-Nusra-Brigaden, die dem Terrornetzwerk Al Qaeda nahestehen, auf die Seite der berüchtigten ISIS-Extremisten geschlagen, die im Irak und in Syrien ein 'islamisches Kalifat' ausgerufen haben. Dieses Bekenntnis zu einer Gruppe, die nachweislich Syrer und Iraker gekreuzigt, ausgepeitscht, geköpft und verstümmelt hat, bestärkt die Einwohner von Homs darin, dass in ihrem Land keine 'Revolution' stattfindet. (Ende/IPS/ck/2014)


Link:

http://www.ipsnews.net/2014/07/liberated-homs-residents-challenge-notion-of-revolution/

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IPS-Tagesdienst vom 9. Juli 2014
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. Juli 2014