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SYRIEN/097: Dominostein Damaskus - Spielsteine ... (german-foreign-policy.com)


Informationen zur Deutschen Außenpolitik - 11. September 2015
(german-foreign-policy.com)

Machtkampf in Nahost


BERLIN/MOSKAU/DAMASKUS - Der deutsche Außenminister spricht sich gegen etwaige militärische Aktivitäten Russlands im Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS) in Syrien aus. "Es kann nicht sein, dass jetzt wichtige Partner ... auf die militärische Karte setzen", äußerte Frank-Walter Steinmeier zu Berichten, denen zufolge Moskau seine Lieferungen von Kriegsgerät an die syrische Regierung stark ausweite und womöglich eigene Militäroperationen gegen den IS plane. Russland, das in der Weltpolitik zur Zeit allgemein seine Positionen stärkt, hat in den vergangenen Monaten auch seine Syrien-Aktivitäten beträchtlich ausgeweitet und ist jetzt dabei, eine Allianz gegen den IS unter Einschluss der Regierung von Bashar al Assad zu schmieden. Sollten die Bemühungen erfolgreich sein, würde Moskau dem Westen damit eine empfindliche diplomatische Niederlage bereiten. Westliche Gegenaktivitäten haben entsprechend begonnen. So hat etwa Bulgarien auf Druck der USA seinen Luftraum für russische Versorgungsflüge gesperrt. Griechenland wird aufgefordert, dasselbe zu tun. Der Konflikt zwischen dem Westen und Russland verschärft sich damit nun auch im Nahen Osten. In Deutschland werden Forderungen laut, den Krieg gegen den IS zurückzustellen und dem Sturz Assads Vorrang zu geben.


Militärberater und Waffen

Medienberichte über eine mögliche russische Militärintervention in Syrien haben in den letzten Tagen lebhafte Debatten im deutschen Establishment ausgelöst. Wie es unter Berufung auf nicht näher erläuterte "Erkenntnisse" aus den USA heißt, habe Russland zwei Landungsschiffe nach Syrien geschickt, auf denen auch Panzer transportiert werden könnten. Zudem habe es Flugzeuge und einige Marineinfanteristen entsandt. Womöglich solle ein Flugfeld in der Nähe der Hafenstadt Latakia, einer Hochburg von Präsident Bashar al Assad, errichtet werden. Es sei unklar, ob Moskau eigene Militäroperationen größeren Stils plane.[1] Die russische Regierung weist die Berichte zurück. Wie Außenminister Sergej Lawrow gestern bestätigte, halten sich russische Militärberater zwar schon seit Jahren in Syrien auf, um die Lieferung von Schusswaffen und anderem Militärgerät an die syrische Armee abzuwickeln, da diese "die größte Last bei der Bekämpfung des Terrorismus in Form des IS und anderer extremistischer Gruppierungen" trage, erklärte Lawrow.[2] Russischen Medienberichten zufolge handelt es sich bei dem Militärgerät vor allem um Gewehre, Granatwerfer, aber auch Schützenpanzer und Truppentransporter.


Angekratzte Hegemonie

Jenseits der Frage, ob die russische Regierung umfassendere militärische Aktivitäten plant, hat die aktuelle Debatte im deutschen Establishment ihren eigentlichen Hintergrund in einem gewissen Erstarken Russlands. Moskau ist es in den letzten Monaten gelungen, weltpolitisch wieder stärker aufzutreten und auch im Nahen und Mittleren Osten bedeutendere Aktivitäten zu entfalten - den Syrien-Krieg inklusive. Russland kratzt an der globalen westlichen Hegemonie.


Westlicher Einflussverlust

Russlands weltpolitisches Auftreten ist inzwischen wieder weit gespannt. Das lockere Bündnis der "BRICS" (Brasilien, Russland, Indien, China, Südafrika) wird stärker und hat im Juli mit der "New Development Bank" die erste Alternative zur westlich dominierten Weltbank gegründet.[3] Es baut seine Kooperation mit mehreren Staaten Lateinamerikas aus, darunter nicht nur Venezuela und Kuba, sondern zum Beispiel auch Nicaragua. Dass Moskau mit dem kleinen Land militärisch kooperiert, hat erhebliche Bedeutung: Nicaragua baut zur Zeit einen Schiffsweg alternativ zum Panama-Kanal, dem eine eminente strategische Bedeutung zugeschrieben wird; laut Auskunft eines russischen Spezialisten wird Russlands Marine "Funktionen in Sachen Sicherheit und Verteidigung" dafür übernehmen.[4] Moskau arbeitet immer enger mit verschiedenen Staaten Asiens zusammen, darunter nicht nur China und Indien, sondern beispielsweise auch Vietnam, das Ende Mai ein Freihandelsabkommen mit der von Russland geführten Eurasischen Wirtschaftsunion geschlossen hat. Die russischen Aktivitäten richten sich auch auf die arabische Welt. "Der Westen verliert immer mehr an Einfluss im Nahen Osten", urteilte kürzlich ein Kairoer Experte: "Das führt dazu, dass mehr Raum entsteht für andere internationale Akteure wie Russland".[5]


Ziel: Friedensgespräche

Mittlerweile zeichnet sich dies auch im Syrien-Krieg ab. Seit Januar organisiert Russland immer wieder Gespräche mit der syrischen Opposition, darunter zunächst vor allem Organisationen, die in Syrien selbst tätig sind, den bewaffneten Aufstand jedoch ablehnen. Inzwischen haben sich auch Vertreter der zerstrittenen Exilopposition, die bislang recht eng mit dem Westen kooperierten und den Bürgerkrieg befeuern [6], zu Verhandlungen in Moskau aufgehalten. Man versuche "alle einflussreichen Oppositionskräfte auf einer konstruktiven Basis zu konsolidieren" [7], erläuterte im August Michail Bogdanow, Vizeaußenminister für den Nahen Osten und Afrika. Ende August forderte der russische Außenminister Sergej Lawrow offiziell, "das breite Spektrum der Opposition" in Syrien und im Exil müsse sich endlich enger zusammenschließen, um Friedensgespräche zu ermöglichen.[8] Parallel bemüht sich Moskau um Verhandlungen mit Saudi-Arabien sowie um einen wirkungsvollen Kampf gegen den "Islamischen Staat" (IS); an ihm soll die Regierung von Bashar al Assad teilnehmen. Berichtet wird etwa von syrisch-saudischen Geheimdiensttreffen in Moskau; anschließend sei "der syrische nationale Sicherheitschef Ali Mamluk ... vom wichtigsten Mann in Saudi-Arabien, Vizekronprinz Mohammed bin Salman, empfangen worden", heißt es.[9] Mitte August hielt sich der Außenminister Saudi-Arabiens, Adel al Jubeir, zu Gesprächen in Moskau auf. Man habe "praktische Schritte abgesprochen ..., die darauf gerichtet sind, optimale Bedingungen für die Wiederaufnahme eines Dialogs zwischen der Regierung und der ganzen syrischen Opposition unter der Schirmherrschaft eines speziellen UN-Vertreters zu schaffen", berichtete anschließend Außenminister Lawrow.[10]


"Alle Kräfte bündeln"

Wenngleich unklar ist, ob die russischen Bemühungen zum Erfolg führen, ist das Establishment der westlichen Mächte alarmiert - besonders nach der Mitteilung des russischen Präsidenten Wladimir Putin vom vergangenen Freitag, "eine internationale Koalition im Kampf gegen den Terrorismus und Extremismus gründen" zu wollen.[11] Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums wird mit der Aussage zitiert: "Unser Vorschlag ist es, alle Kräfte zu bündeln: die internationalen Akteure, die syrischen Nachbarn, die oppositionellen Kräfte - alle Beteiligten."[12] "Noch" sei es allerdings zu früh, über einen russischen Militäreinsatz gegen den IS zu sprechen, erklärte Putin vergangene Woche. Seither werden allerlei Spekulationen über russische Aktivitäten in Syrien in die Welt gesetzt - womöglich auch, um Gegenaktivitäten gegen die russischen Bemühungen zu legitimieren, die nicht nur den syrischen Präsidenten Assad, sondern auch Moskaus Stellung stärken.


Gegenaktivitäten

Derlei Gegenaktivitäten haben inzwischen begonnen. Frankreich und Großbritannien haben ihre Luftangriffe im Rahmen des Krieges gegen den IS vor wenigen Tagen auf Syrien ausgeweitet. Der britische Finanzminister George Osborne hat in diesem Zusammenhang erklärt, man müsse früher oder später auch gegen die "böse" Regierung von Präsident al Assad vorgehen.[13] Bulgarien hat auf Druck aus den USA seinen Luftraum für russische Versorgungsflüge gesperrt. Griechenland, aufgefordert, dasselbe zu tun, verweigert sich dem Ansinnen bislang. Der Machtkampf zwischen Russland und dem Westen verschärft sich damit nun auch im Nahen Osten.


Bestürzt über Moskau

Berlin gibt sich scheinneutral, positioniert sich letztlich aber klar im Rahmen des westlichen Pakts. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat Russland, Frankreich und Großbritannien vor neuen militärischen Operationen in Syrien gewarnt. "Es kann nicht sein, dass jetzt wichtige Partner, die wir brauchen, auf die militärische Karte setzen", erklärte Steinmeier am Mittwoch, um seine Kritik sogleich auf Moskau zu fokussieren. Sie richte sich nicht gegen "EU-Partner" oder das Bündnis, das gegen den IS kämpfe, erklärte Steinmeier: "Vor allem" bestürzt sei er über Berichte, dass Russland die Lieferung von Militärgerät ausweite - "zu welchem Zweck auch immer".[14]


"Eine hysterische Angst"

Gleichzeitig kursiert in liberalen deutschen Medien unter dem Titel "Erst Assad, dann der Islamische Staat" ein Appell, dem Sturz Assads Priorität vor dem Krieg gegen den IS einzuräumen. Es gebe derzeit "eine hysterische Angst vor dem 'Islamischen Staat' (IS), die alles dominiert", heißt es in dem Text.[15] Das sei ein schwerer Fehler. Es müsse zunächst darum gehen, die Regierung von Bashar al Assad zu entmachten. In der Tat wäre damit russischer Einflussnahme in Syrien in erheblichem Maß die Grundlage entzogen. Freilich hätten zugleich nicht nur der IS, sondern auch salafistisch-jihadistische Milizen, insbesondere der Al Qaida-Ableger Al Nusra, freie Bahn - 14 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 und dem Beginn des Krieges gegen Afghanistan, der mit der Aussage legitimiert wurde, man müsse Al Qaida am Hindukusch den Garaus machen. Bombte der Westen Assad aus dem Amt und damit zumindest indirekt Al Nusra und ihre Kooperationspartner an die Macht, dann fiele die allerletzte Fassade der westlichen Machtpolitik in Nah- und Mittelost.


Anmerkungen:

[1] USA alarmiert über russischen Truppenaufmarsch.
www.tagesspiegel.de 10.09.2015.

[2] Lawrow: Russisches Militär seit Jahren in Syrien - keine Verstärkung.
de.sputniknews.com 10.09.2015.

[3] S. dazu Der Überlegenheitsanspruch des Westens:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59130

[4] Russlands Beitrag zum Nicaragua-Kanal.
de.sputniknews.com 13.01.2015.

[5] Khalid El Kaoutit: Keine russischen Waffen für Ägypten.
www.dw.de 09.02.2015.
S. dazu Sisi in Berlin (II).
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59129

[6] S. dazu The Day After
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58386
The Day After (II)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58394
The Day After (III)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58409
und The Day After (IV)
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58411

[7] Moskau: Jüngste Treffen der syrischen Opposition bilden Basis für Genf III.
de.sputniknews.com 19.08.2015.

[8] Russia Urges Syrian Opposition to Unite for Sake of Peace Talks.
www.haaretz.com 31.08.2015.

[9] Gudrun Harrer: Schmerzliche Erkenntnis für syrische Opposition.
derstandard.at 05.08.2015.

[10] Russland und Saudi-Arabien einig: Assad und Opposition müssen miteinander reden.
de.sputniknews.com 11.08.2015.

[11] Claudia von Salzen: Wladimir Putin plant eigene internationale Koalition mit Assad.
www.tagesspiegel.de 04.09.2015.

[12] Jekaterina Tschulkowskaja: Startet Russland eine Militäroffensive in Syrien?
de.rbth.com 09.09.2015.

[13] Jane Merrick: George Osborne hints at military strikes in Syria to stem exodus of refugees.
www.independent.co.uk 05.09.2015.

[14] USA alarmiert über russischen Truppenaufmarsch.
www.tagesspiegel.de 10.09.2015.

[15] Kristin Helberg: Erst Assad, dann der "Islamische Staat".
www.qantara.de 31.08.2015.
Kristin Helberg: Erst Assad, dann der Islamische Staat.
www.taz.de 04.09.2015.

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Quelle:
www.german-foreign-policy.com
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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. September 2015

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