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AKTION/021: Kampagne "Meine Landwirtschaft - unsere Wahl" (UBS)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 340 - Januar 2011,
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Meine Landwirtschaft - unsere Wahl
Weshalb es sich lohnt und sogar dringend notwendig ist zu wissen, wo das eigene Essen produziert wird

Von Benny Haerlin


Die Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik wird 2011 das wichtigste Agrarthema sein, keine Frage. Aber wird sie auch jenseits der Landwirtschaft diskutiert werden und wenn ja mit welchem Zungenschlag? Noch ist die GAP für die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger eine Schlacht von Lobbyisten um mehr oder weniger überflüssige Subventionen für Bauern und Agrarkonzerne, weit weg. Die Kampagne "Meine Landwirtschaft" will das ändern. Nach der Auftakt-Demonstration "Wir haben es satt!" gegen Gentechnik, Tierfabriken und Export-Dumping bei der Grünen Woche in Berlin will ein breites Bündnis von Umwelt-, Bauern-, Entwicklungs- und Verbraucherschutzorganisationen über den Rest des Jahres die Frage, welche Landwirtschaft wir in Zukunft brauchen, so breit wie möglich in die Gesellschaft tragen.

Dass die EU-Agrareform nicht nur über die Existenz von Millionen Bauern entscheidet, sondern auch das vielleicht wichtigste Gesetzesvorhaben der Union für den Klima- und Ressourcenschutz, für die Artenvielfalt und für Europas Beitrag zur Bekämpfung des Hungers sein wird, das Aussehen unserer Landschaften und die Entwicklung unserer Regionen prägt und von enormer Bedeutung für unsere Gesundheit ist, ist bisher kaum bekannt.

Wenn EU-Agarkommissar Ciolos davon spricht, die GAP müsse grüner, gerechter, effektiver und transparenter werden, freut dies Viele, die mit dem Thema vertraut sind. Aber was meint er konkret? Wenn Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner dagegenhält, die Agrarpolitik bedürfe eigentlich keiner wesentlichen Änderungen und dafür selbst von der FAZ gefragt wird, wie bequem es sich denn so sitzt auf dem Schoß des Deutschen Bauernverbandes, weiß der gemeine Städter damit wenig anzufangen.


Informieren, mobilisieren

Hier will "Meine Landwirtschaft" ansetzen: Was hat die GAP mit ihren Säulen und Ausfuhrerstattungen, Quoten und Cross Compliance Vorschriften mit mir zu tun? Ich will doch nur möglichst preiswert und gut essen.

Da fängt es an: Preiswert und billig sind zweierlei. Was bei Discountern verramscht wird ist weder preiswert noch gut. Billigfleisch geht nicht nur auf Kosten unserer Gesundheit, sondern auch auf Kosten des Klimas, der Artenvielfalt, des Wasserhaushaltes, und der Existenz von Landwirten, die mit Tierfabriken nicht mithalten können, von denen wir am liebsten gar nichts wissen wollen, weil uns die Wurst sonst nicht mehr schmeckt.


Rund um die Welt

Weshalb das so ist, ist eine längere Geschichte. Sie handelt von gentechnischen Soja-Monokulturen in Brasilien und Argentinien und der Unmöglichkeit, Eiweissfutter in Deutschland zu konkurrenzfähigen Preisen anzubauen. Sie führt zu afrikanischen Kleinbauern, deren Hühner mit der Tiefkühlware aus Vechta oder der Bretagne nicht mithalten können, und deren Kinder deshalb nicht genug zu essen haben und nicht zur Schule gehen können. Sie hat auch etwas mit Schwarzarbeit in Schlachthöfen zu tun, mit Gammelfleisch, Salmonellen und dem Salzwasser, mit dem heute fast jedes Hähnchen auf Gewicht und Geschmack präpariert wird.

Solche Geschichten sollen Verbraucher nicht hören und wollen es vielleicht auch gar nicht. Längst schwant ihnen, welche Abgründe sich hinter der Idylle auf der Verpackung auftun. Aber auch Landwirten sind diese Geschichten unangenehm, weil ja auch auf ihrem Hof nicht alles Gold ist was glänzt; aber auch, weil unbedarfte Verbraucher ja so vieles missverstehen können. Am Ende stehen Schweigen, Angst und Ekel und die Überzeugung, daran sei eh nichts zu ändern. Ist das die Landwirtschaft, die wir wollen? Ist das meine Landwirtschaft, unsere Wahl?

Schweigen zu durchbrechen, Fakten auf den Tisch zu legen und Tatsachen ins Auge zu sehen, ist vielleicht die wichtigste Aufgabe der Kampagne "Meine Landwirtschaft". Wo Landwirte mit ihren Kunden und Nachbarn darüber reden, was sich ändern ließe, haben Fastfood-Ketten und Billigheimer schon ein wichtiges Stückchen Macht verloren. Die "faire Milch" hat uns davon eine erste Idee gegeben. Deshalb will die Kampagne Landwirte unterstützen, die bereit sind, "Hof zu halten", ihre Kunden und Steuerzahler einzuladen, um offen darüber zu sprechen, wie es heute aussieht und wie es aussehen könnte, wenn sich die Agrarpolitik, die ja in erster Linie in der EU gemacht wird, ändert. Herauskommen sollen dabei ganz konkrete Vorschläge und Forderungen an die Politik. Ihr überzeugender Vorteil wäre, dass sie nicht von einer Interessensgruppe vorgebracht werden, sondern gemeinsam getragen werden.

Wenn wir als Steuerzahler fordern, selbst zu bestimmen, wohin unsere Milliarden fließen, wird für manchen Agrarlobbyisten das Geschäft ein wenig eng. Wenn dieses Geld nicht mehr als Subvention für fremde Taschen, sondern als öffentliche Finanzierung einer umwelt- und artgerechten Landwirtschaft wahrgenommen wird, hat die Debatte über die EU-Agrarreform schon eine ganze Menge verändert.

Auf der Webseite der Kampagne sollen deshalb alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler die ca. 100 Euro, die jede/r von uns pro Jahr für die Agrarmittel der EU aufbringt, selbst verteilen und auf diese Weise mitteilen: So sieht meine Landwirtschaft aus.


Wussten Sie es?

Am Anfang aber stehen erst einmal einfache Fragen: Wie viele Höfe gibt es eigentlich in Deutschland? Laut statistischem Bundesamt waren es 2008 etwa 360.000, davon über die Hälfte im Nebenerwerb. Welchen Anteil haben Landwirtschaft und Lebensmittelproduktion an der Erderwärmung? Mehr als ein Drittel. Wieviel geht davon direkt in den Abfall? Ebenfalls gut ein Drittel. Wieviel von dieser Produktion geht direkt in unsere Ernährung? Weniger als die Hälfte. Wenn es stimmt, dass wir zehn Kalorien fossiler Energie in eine Lebensmittelkalorie stecken, ist dann nicht der Umstieg in eine solare Landwirtschaft das Gebot der Stunde, statt Steuererleichterungen für Agrardiesel? Wie weit sollte unser Joghurt eigentlich fahren und wieviel bekommt ein Saisonarbeiter pro Stunde? Warum gibt es da keine Mindestlöhne? Ist milliardenschwere Werbung für ungesunde Lebensmittel wirklich eine Errungenschaft unserer freien Marktwirtschaft, die es um jeden Preis zu erhalten gilt; selbst wenn uns Mediziner sagen, dass Fehlernährung zu den wichtigsten Todesursachen und teuersten Versicherungsposten gehört?

Wer bekommt eigentlich die vielbeschworenen Subventionen? Wir lesen 20 Prozent der Höfe bekämen 80 Prozent der Gelder. Wir lesen außerdem, ein Großteil der öffentlichen Mittel komme überhaupt nicht bei den Bauern an, sondern bei Grossunternehmen wie Müller-Milch, Südzucker und Nordmilch. Wir lesen, Millionen gingen in den Bau von Großanlagen, die kleine Höfe in den Konkurs treiben. Wieviel von einem Euro, den wir an der Supermarktkasse bezahlen, landet eigentlich bei den Erzeugern und wo bleibt der Rest? Stimmt es, dass in Gentechnikforschung, die jetzt als "wissensbasierte Biotechnologie" firmiert, Milliarden öffentlicher Mittel fließen, während selbst die 16 Millionen zur Erforschung der Biolandwirtschaft kürzlich noch der Industrie geöffnet wurden, wenn sie sich nur "nachhaltig" nennt? Wie passt das zu Umfragen, nach denen überall in Europa klare Mehrheiten gegen Gentechnik sind und für die Ausweitung des Biolandbaus?

Vielleicht haben wir uns ja verhört, vielleicht stimmt das ja alles gar nicht. Aber wenn das stimmt, dann lässt sich das ja zügig ändern - wozu sonst haben wir denn eine EU-Agrarreform?


Benny Haerlin, Zukunftsstiftung Landwirtschaft

Wer sich beteiligen will an "Meine Landwirtschaft - Unsere Wahl", kann uns schreiben, anrufen oder mailen. Ab Mitte Januar ist die webseite www.meine-landwirtschaft.de in Betrieb.

E-Mail: info@meine-landwirtschaft.de


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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 340 - Januar 2011, S. 12
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
Bahnhofstr. 31, 59065 Hamm
Telefon: 02381/49 22 20, Fax: 02381/49 22 21
E-Mail: redaktion@bauernstimme.de
Internet: www.bauernstimme.de

Erscheinungsweise: monatlich (11 x jährlich)
Einzelausgabe: 3,00 Euro
Abonnementpreis: 36,00 Euro jährlich
(verbilligt auf Antrag 26,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. April 2011