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BERICHT/060: Süßkartoffeln statt "goldenem Reis" (DGVN)


Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)

Süßkartoffeln statt "goldenem Reis"
Gentechnik treibt Kleinbauern in die Abhängigkeit

Von Carolin Callenius


Visionen einer Welt ohne Hunger und Krankheit werden derzeit von Biotechnologen und Agrarkonzernen verbreitet. Sie sehen in der Entwicklung und Nutzung von gentechnisch veränderten Pflanzen ein großes Potenzial zur Lösung der Nahrungsmittelkrise, versprechen höhere Ertragsleistungen und geringere Ernteverluste.

"Golden Rice" heißt die neue Reissorte, mit der weltweit der Vitamin-A-Mangel in Entwicklungsländern eingedämmt werden soll. An dem Mangel erblinden jedes Jahr bis zu 500.000 Kinder, die Hälfte von ihnen stirbt. Zusätzliche Gene von anderen Organismen (Transgene) werden eingebaut, die den Reis befähigen, Betacarotin und Aminosäuren zu bilden. Die indische Umweltaktivistin Vandana Shiva hält diesen Versprechungen entgegen: "Um den Tagesbedarf von 750 Mikrogramm Vitamin A aus Goldenem Reis zu decken, müsste ein Erwachsener 2,272 kg dieses Reises am Tag essen." Die wirklichen Ursachen von Hunger und Fehlernährung würden durch diese Strategie und die Abhängigkeit von Agrounternehmen eher gesteigert, so Shiva. Da wäre es schon weitaus einfacher, die Krankheit mit Vitamin A-Präparaten, die in Speiseöl gelöst werden können, sowie die Förderung des Gemüseanbaus - beispielsweise der Süßkartoffel - zu bekämpfen.

Die meisten Errungenschaften der Gentechnik bestehen in der Resistenz gegen Pflanzenschutzmittel und Insekten. Das gilt für die vier gentechnisch veränderten Pflanzenarten, die derzeit auf dem Markt sind: Soja, Baumwolle, Mais und Raps. Wirtschaftlich kann das ein großer Gewinn für jene Bauern sein, die sonst mit einem hohen Schädlings- und Unkrautbefall konfrontiert sind. Doch dieser Befall schwankt von Saison zu Saison und damit auch die Wirtschaftlichkeit.


"Neue Kolonien"

Stattdessen wird befürchtet, dass die Abhängigkeit der Kleinbauern von den Agrarkonzernen zunimmt. Die Gentechnologie sei nicht für kleinbäuerliche Familien konzipiert, sondern nütze vor allem industrialisierten Großbetrieben, betont Vandana Shiva. Sie spricht deutliche Worte: "Durch Patente und Gentechnik werden neue Kolonien geschaffen. Es trifft Kleinbauern besonders hart, wenn sie für jede Aussaat Lizenzgebühren an große Agrarkonzerne bezahlen müssen, auch dann, wenn die Ernte schlecht ausgefallen ist. Viele Baumwollbauern in Indien haben sich so verschuldet." Die Bauern benötigen Technologien, die auf die lokalen Verhältnisse zugeschnitten sind, und auf Sortenvielfalt und Arbeitskraft statt auf Kapital setzen. Die Vielfalt der Pflanzen muss auf den Äckern der Welt erhalten werden, nur so können Kulturpflanzen dem wandelnden Klima angepasst werden.

Die Hoffnungen, die mit der Gentechnik in der Landwirtschaft verbunden wurden, halten den Erfahrungen in der Praxis nicht stand. "Höhere Erträge sind mittels gentechnisch veränderter Organismen kaum zu erwarten", analysiert Bernhard Walter, verantwortlich für Ernährungssicherheit bei "Brot für die Welt". "Der Ertrag einer Pflanze ist nicht nur genetisch, sondern sehr stark durch Umweltfaktoren wie Wasser- und Nährstoffverfügbarkeit bestimmt. Genau diese Umweltfaktoren aber sind in Armutsgebieten in der Regel knapp bemessen."


Carolin Callenius koordiniert die Kampagne für Ernährungssicherheit "Niemand isst für sich allein" bei "Brot für die Welt".


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Quelle:
Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009, 26. Jahrgang, Seite 5
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)
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Eine-Welt-Presse erscheint in der Regel einmal jährlich
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Die Publikation wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. November 2009