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BERICHT/163: Kritischer Agrarbericht 2013 (DER RABE RALF)


DER RABE RALF
Nr. 173 - April/Mai 2013
Die Berliner Umweltzeitung

Kritischer Agrarbericht 2013
Betrachtungen abseits des Schwerpunktthemas gemeinsame europäische Agrarpolitik (GAP)

von Jörg Parsiegla



Auch in diesem Jahr gab das Agrarbündnis e.V. - eine Vereinigung von derzeit 25 unabhängigen Organisationen aus Landwirtschaft, Natur- und Tierschutz sowie Verbraucherschutz- und Entwicklungspolitik - wieder seinen Kritischen Agrarbericht heraus. In 47 Beiträgen analysieren Autorinnen und Autoren aus Wissenschaft und Praxis sowie aus Verbänden und Politik die agrarpolitischen Ereignisse des Vorjahres und diskutieren Weichenstellungen für die Zukunft. Schwerpunkt der diesjährigen Berichterstattung ist aus aktuellem Anlass die Reform der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP) ab 2014 - DER RABE RALF informierte in seiner letzten Ausgabe (Februar/März 2013) ausführlich über das Thema. Da im Augenblick in Brüssel und Dublin (irische Ratspräsidentschaft) aufgrund der Bestandswahrungsversuche der Mitgliedsländer im Wochentakt immer neue Kompromisse zur Ausgestaltung der GAP verhandelt werden und eine Einigung frühestens zur Jahresmitte zu erwarten ist, soll es heute um Berichtsthemen aus der Agrarwelt gehen, die normalerweise weniger im Fokus der Medien stehen.

Entwicklungen und Trends 2012

Wer sich einen Überblick über Witterung, Bodennutzung, Tierhaltung und Preise im abgelaufenen Landwirtschaftsjahr 2012 informieren möchte, den macht Agrarwissenschaftler und Mitbegründer der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) Onno Poppinga mit den entsprechenden Entwicklungen und Trends bekannt (S. 109 ff.). Der langjährige Mitautor des Kritischen Agrarberichts, seit 2009 im akademischen Ruhestand, beackert noch immer einen eigenen Hof und kennt sich hervorragend in der deutschen und europäischen Agrarszene aus. Aufhorchen lassen insbesondere seine Anmerkungen über weitere Landverluste beim Grünland, die anhaltende Zunahme des Einsatzes fossiler Energieträger oder aber den Wandel von immer mehr Landwirtschaftsbetrieben hin zu "eigentümergeführten Kleinindustrieunternehmen". Weiterhin macht Poppinga einen zunehmenden Einsatz von Totalherbiziden (insbesondere Glyphosat-haltige Mittel, unter anderem Roundup) aus. Deren Einsatz hätte sich in den letzten 15 Jahren verdreifacht. Glyphosat beziehungsweise Roundup stand erneut in der wissenschaftlichen Kritik, "weil es - wenn auch unterhalb der Grenzwerte - in Mehlen aus Getreide und in Linsen nachgewiesen wurde." Besonders heftig kritisiert Poppinga die Sikkation genannte Spritzpraxis, die in Fachzeitschriften als "Ernteerleichterung in Getreide, Raps, Leguminosen" beworben wurde. Darunter ist der Einsatz von Totalherbiziden zwei Wochen bis zehn Tage vor der Ernte zu verstehen. Durch die Frostschäden an den Getreidepflanzen hätten Unkräuter gute Wachstumsbedingungen gehabt, unbehandelt sei mit Schwierigkeiten bei der Mähdrescherernte zu rechnen - so die Begründung. Poppinga hierzu: "Totalherbizide ins reife Getreide spritzen - da kann man nur entsetzt fragen: Rationalisierung ... über alles?" Und weiter: "Wenn das öffentlich kommuniziert würde - zum Beispiel bei Backwaren aus Getreide, das eine Sikkation über sich hat ergehen lassen müssen ..., so würden wohl vielen Menschen Brot und Brötchen im Halse stecken bleiben."

Wie viel Lohn ist fair?

Ein bisher kaum medial beachtetes Thema hat Leo Frühschütz für seinen Beitrag gewählt. Frühschütz, freier Fachjournalist zu Themen wie Ökolandbau und Bio-Lebensmittel, fragt: Wie viel Lohn ist fair? Und er meint damit die Auseinandersetzung über Tarife in der Biobranche (S. 98 ff.). "Niedrige Löhne und Selbstausbeutung sind in der Biobranche keine Seltenheit", heißt es da. Dass der Biofachhandel in weiten Teilen unter Tarif zahlt, wäre kein Geheimnis, das täten auch andere Einzelhändler. "Doch die nehmen für sich nicht in Anspruch, fair, partnerschaftlich, sozial und nachhaltig zu handeln." An Begründungen der Betreiber für diese Praxis mangelt es nicht. Frühschütz lässt beispielsweise den Mitgeschäftsführer der Berliner Bio Company, Hubert Bopp, zu Wort kommen. Der weist darauf hin, dass die Bio Company keinen Großhandel im Hintergrund hat, "sondern aus eigener Kraft wachsen muss." An anderer Stelle heißt es, dass die Personalkosten im Biofachhandel ohnehin schon sehr hoch seien - geschuldet der Tatsache, dass der Naturkostfachhandel ab 2011 deutlich in Personal investiert hat.

So oder so, Frühschütz plädiert für einen offensiven Umgang mit dem Thema.

Raumpioniere

Raumpioniere sind Menschen, die sich in dünn besiedelten Regionen gemeinschaftsorientiert engagieren und die in Selbstverantwortung individuelle Lösungen im Sinne der Aufrechterhaltung der Daseinsfürsorge entwickeln. Kerstin Faber, Dozentin für Städtebau, stellt in ihrem gleichnamigen Beitrag (S. 161 ff.) einige solcher Lösungen, bei denen es auch um neue Formen der Kooperation zwischen Bürgergesellschaft und staatlichen Instanzen geht, exemplarisch vor.

Beschrieben werden beispielsweise Dörfer in der Altmark im Norden Sachsen-Anhalts, in denen "der Briefkasten ... die einzige vorzeigbare Infrastruktur (ist), der Friedhof Treffpunkt." Zwar würden die gleichen Schrumpfungsprognosen wie in anderen Regionen Deutschlands auch gelten, "nur sind die Auswirkungen auf dem Land aufgrund der geringen (Bevölkerungs-)Dichte größer, weil die Wege länger sind." Und so sind rollende Läden, Bürgerbusse (Hoher Fläming), Projekte wie "Hilfe zur Selbsthilfe" (Stendal) oder Arbeitgeberzusammenschlüsse (Spreewald Forum) eigentlich aus der Not heraus entstanden. Die Konzepte, die von Akteuren vor Ort entwickelt werden, reichen aber noch weiter: von der medizinischen Versorgung über Schulbildung, Angebote aus Kunst und Kultur bis hin zur Energieversorgung. Die Politiker in den Landesverwaltungen würden derweil seit Jahren debattieren, ob das verfassungsrechtliche Gebot der "Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse" aufrechterhalten werden kann, oder ob es neue Konzepte braucht. Hallo?

Zum Abschluss dann doch noch eine Empfehlung zum Thema GAP: Wieder kommt Poppinga, diesmal mit Koautor Frieder Thomas, zu Wort. Beide werfen in ihrem Beitrag "Kontinuität und Wandel" (S. 21 ff.) einen kurzen historischen Blick auf über 50 Jahre europäische Agrarpolitik. Da kommen dann so geschichtsträchtige Begriffe wie Weihnachtsbutter, Milchpfennig oder Differentialrente vor. Und wer erinnert sich nicht noch an Butterberge und Milchseen? Der Beitrag bietet auch für den Laien eine gut verständliche Annäherung an das Thema GAP.

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Quelle:
DER RABE RALF - 23. Jahrgang, Nr. 173 - April/Mai 2013, S. 20
Herausgeber:
GRÜNE LIGA Berlin e.V. - Netzwerk ökologischer Bewegungen
Prenzlauer Allee 8, 10405 Berlin-Prenzlauer Berg
Redaktion DER RABE RALF:
Tel.: 030/44 33 91-47, Fax: 030/44 33 91-33
E-mail: raberalf@grueneliga.de
Internet: www.raberalf.grueneliga-berlin.de
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Mai 2013