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FORSCHUNG/697: Transformationsforschung muß weiter ausgebaut werden (idw)


Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa - 24.06.2009

Transformationsforschung muss weiter ausgebaut werden

Fast 170 Agrarexperten trafen sich zum IAMO Forum 2009 in Halle (Saale)


Zum IAMO Forum 2009, dass vom 17. bis 19. Juni 2009, vom Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) ausgerichtet wurde, kamen in diesem Jahr fast 170 Agrarexperten in Halle (Saale) zusammen. Die Teilnehmer, Wissenschaftler, Politiker und Wirtschaftsvertreter aus ganz Europa, u. a. der Ukraine, Polen, Tschechien, Ungarn, Russland, Großbritannien, Italien, Frankreich, Spanien und Finnland, tauschten sich über Bedingungen, Auswirkungen und Erfahrungen von 20 Jahren Transformation in der Landwirtschaft Mittel- und Osteuropas aus. Ausgangspunkt war dabei der Berliner Mauerfall von 1989, der in besonderer Weise den "Anfang vom Ende" der zentral gelenkten planwirtschaftlichen Systeme Mittel- und Osteuropas und der ehemaligen Sowjetunion symbolisiert. Höhepunkte der Konferenz waren u. a. die am 18. Juni gemeinsam mit dem European Review of Agricultural Economics (ERAE) und der European Association of Agricultural Economists (EAAE) veranstalteten Sondersitzungen. In vier Vorträge gaben renommierte Wissenschaftler aufschlussreiche Einblicke in bedeutende Aspekte der Transformationsforschung. Diese Beiträge werden im Frühjahr 2010, zusammen mit einer Auswahl der besten Beiträge des gesamten IAMO Forum, in einer Sonderausgabe des ERAE veröffentlicht.

Vertreter von Bund und Land Sachsen-Anhalt eröffneten die Konferenz

Die Konferenz wurde von Dr. Rudolf Wendt vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), von Hans-Jürgen Schulz vom Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt des Landes Sachsen-Anhalt sowie von IAMO-Direktor Prof. Dr. Alfons Balmann eröffnet. Die Redner sprachen insbesondere den Transformationsprozess in den neuen Bundesländern an, der durch einige Besonderheiten gekennzeichnet ist. Dazu zählen einerseits umfangreichen Finanzmittel aus den alten Bundesländern und andererseits die umgehende Grenzöffnung verbunden mit der Mitgliedschaft im EU-Binnenmarkt sowie der Einführung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU. Dies bedingte enorme Anpassungserfordernisse und führte unmittelbar zu einem drastischen Arbeitsplatzabbau und Einbruch der Tierproduktion und Verarbeitung. Mittlerweile habe sich hier jedoch eine äußerst produktive und rentable Landwirtschaft entwickelt, die aber nicht zuletzt infolge der insgesamt nach wie vor geringen Eigenkapitalausstattung der Unternehmen anfälliger in Krisensituationen ist und nicht alle Wertschöpfungspotentiale nutzen kann.

Forschung zu Transformationsprozessen der Agrarwirtschaft muss weiter ausgebaut werden

Erster Referent der ERAE/EAAE-Sondersitzung war Prof. Dr. Stephan von Cramon-Taubadel von der Georg-August-Universität Göttingen. In seinem Vortrag ging er auf die Rolle der Transformationsforschung innerhalb der Agrarwirtschaft ein. Er analysierte und kategorisierte dazu die im Zeitraum 1989 bis 2000 in den elf bedeutendsten englischsprachigen Wissenschaftsjournalen der Agrar- und Ernährungswirtschaft erschienenen Beiträge zu Transformationsprozessen in der Landwirtschaft. Um die 200 Beiträge, das entspricht gerade einmal 2,3 % aller publizierter Artikel, beschäftigen sich mit der Thematik. Von Cramon-Taubadel wies auf die insgesamt dünne Lage bei der vorhandenen Literatur zu Transformationsprozessen hin. Besonders hinsichtlich der Entwicklung einer übergeordneten Theorie von Transformationsprozessen fehlt es an einschlägigen Publikationen. Dies ist um so bedauerlicher, da Fragen nach der Bewältigung massiver institutioneller, wirtschaftlicher, politischer und sozialer Reorganisationsprozesse auch weiterhin von großer Bedeutung für die zukünftige Entwicklung der Länder Mittel- und Osteuropas sind, auch wenn die Transformationsprozesse in einigen dieser Länder bereits abgeschlossen sind.

Kein allgemeingültiges Rezept für erfolgreiche Umstrukturierung

Prof. Dr. Eugenia Serova von der FAO, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, gab in ihrem Vortrag einen Überblick über den Stand der Entwicklung in den 27 post-kommunistischen Ländern. Sie machte deutlich, dass sich nicht von dem EINEN Transformationsprozess sprechen lässt, sondern einzelne Länder und darüber hinaus einzelne Regionen innerhalb dieser Ländern sehr unterschiedliche Entwicklungen zurückgelegt haben. Nach Serova ist dies vor allem auf die unterschiedlichen Bedingungen vor der Transformation zurückzuführen, das betrifft sowohl historische, ökonomische, natürliche, kulturelle und geopolitische Voraussetzungen als auch Unterschiede bei Zuwendungen, Förderungen und finanziellen Möglichkeiten. Daraus lässt sich schließen, dass es kein allgemeingültiges Rezept für funktionierende Transformationsprozesse gibt und dass Erfolg oder Misserfolg zum großen Teil in den unterschiedlichen Voraussetzungen und nicht in den Umstrukturierungsprozessen selbst zu suchen sind.

Step by Step oder Big Bang

Weitere Einblicke in Transformationsprozesse der Agrarwirtschaft lieferte Prof. Dr. Johan Swinnen von der Katholieke Universiteit Leuven, Belgien. In seinem Vortrag ging er neben Mittel- und Osteuropa auch auf Entwicklungen in China, Vietnam und Afrika ein. Swinnen erläuterte, dass sich vor allem nicht funktionierende Faktormärkte, also Märkte für Produktionsfaktoren wie Boden, Arbeit oder Kapital, als größtes Hemmnis für eine erfolgreiche Umstrukturierung erweisen. Außerdem stellte er Unterschiede in Transformationsprozessen vor. Diese können sowohl graduell verlaufen wie in China oder treten als "Big Bang" auf, wie es beim Zusammenbruch der sozialistischen Gesellschaftssysteme in vielen Ländern Mittel- und Osteuropas zu beobachten war.

Ländliche Bevölkerung Verlierer der Transformationsprozesse

Prof. Dr. Csaba Csßki von der Corvinus Universität Budapest, Ungarn, letzter Referent in der ERAE/EAAE-Sondersitzung, ging noch einmal auf die Auswirkungen der Transformation auf die ländlichen Räume in mittel- und osteuropäischen Staaten ein. Die ländliche Bevölkerung zählt für Csßki eindeutig zu den Verlierern der gesamtgesellschaftlichen Umstrukturierungen. Die Kluft zwischen urbanen und ländlichen Regionen werde immer größer. Vor allem in den neuen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union sei die Landwirtschaft nicht wettbewerbsstark genug. Den Mangel an Unternehmertum und Beratungsangeboten identifizierte Csßki als wichtigstes Problem.

Landreformen und Landnutzung

Weiterer Höhepunkt neben den ERAE/EAAE-Sondersitzungen waren zwei Plenary Sessions, die sich zum einen mit Sozial- und Umweltauswirkungen politischer Maßnahmen und Entscheidungen und zum anderen mit allgemeinen ökonomischen Fragestellungen auseinandersetzten. Dr. Thomas Sikor von der University of East Anglia, Großbritannien, ging der Frage erfolgreicher Landreformen anhand dreier Beispiele aus Albanien, Rumänien und Vietnam nach. Sikor machte deutlich, dass der Erfolg von Landreformen nicht selbstverständlich ist, sondern maßgeblich davon abhängt inwieweit Situation und Verhalten der beteiligten Akteure, institutionelle und politische Rahmenbedingungen sowie Größe, Lage und Wert des zu verteilenden Bodens berücksichtigt werden können. Außerdem wies er darauf hin, dass Landreformen nicht auf Mittel- und Osteuropa beschränkt sind, sondern als weltweites Phänomen betrachtet werden müssen. Dr. Daniel Müller (IAMO) stellte in seinem Vortrag die Auswirkungen von Transformationsprozessen auf die Landnutzung ausgewählter Länder anhand von Satellitenbildern dar. Er betrachtet dabei die Umstrukturierungsprozesse als Quasi-Experiment ("natural experiment") welches ein besseres Verständnis der zugrunde liegenden Triebkräfte von Landnutzungsveränderungen ermöglicht. Besonders grenzüberschreitende Vergleiche erlauben Rückschlüsse auf länderspezifische Veränderungen in der Landnutzung, welche auf die Wahl der Reformpolitiken und spezifische postsozialistische Entwicklungen zurückgeführt werden können. Auf diese Weise tragen länderspezifische Vergleiche mittels Satellitenbildvergleichen zu einem besseren Verständnis der Auswirkungen von Politiken auf Landnutzung bei und können das Verständnis der Mensch-Umwelt-Beziehungen in Transformationssituationen verbessern.

Ostdeutschland mangelt es an Konzerzentralen

Allgemeine wirtschaftliche Aspekte von Transformationsprozessen beleuchteten Prof. Dr. Ulrich Blum vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle, Prof. Dr. Jan Hanousek vom Prager Center for Economic Research and Graduate Education sowie Prof. Dr. Konrad Hagedorn und Dr. Volker Beckmann von der Humboldt-Universität zu Berlin. Blum beschrieb die gesamtwirtschaftliche Entwicklung in Ostdeutschland im Kontext der Nachwirkungen der sozialistischen Planwirtschaft. Als größte Schwierigkeit identifizierte er fehlende Konzernzentralen und Hauptgeschäftsstellen großer Untenehmen im Osten. Seine Prognose: Ostdeutschland bräuchte um die 30 Konzernzentralen, um sich wirtschaftlich erfolgreich zu entwickeln. Derzeit hat kein einziges DAX 100 notiertes Unternehmen seine Zentrale in den fünf neuen Bundesländern. Strategisch empfiehlt Blum auf neue Technologien wie die Solarindustrie zu setzen, die Abwanderung erfolgreicher Firmen zu verhindern und Privateigentum und Existenzgründung zu fördern. Hanousek erläuterte in seinem Vortrag die Auswirkungen von Privatisierung, denn gerade Transformationsökonomien seien eher durch ein Überangebot an Humankapital und einem Mangel an Privatbesitz gekennzeichnet. Hagedorn und Beckmann präsentierten wie mittel- und osteuropäische Länder die Umstrukturierungsprozesse bewältigt haben und ob dabei nachhaltige Entwicklungen angestoßen werden konnten. Dabei gingen sie auch auf Aspekte wie Umweltverträglichkeit ein. Ihre Untersuchungen haben ergeben, dass Transformationsprozesse den Ländern zumeist mehr Möglichkeiten eröffnet habe und keine Bedrohung sind. Besonders trifft dies auf die Länder zu, die der EU beigetreten sind.

Wettbewerbsfähigkeit, Klimaverträglichkeit und Agrarpolitik

Über zukünftige Trends und Herausforderungen verständigten sich die Konferenzteilnehmer noch einmal zum Abschluss des IAMO Forum 2009. Moderiert von Prof. Csßki diskutierten Prof. Dr. Monika Hartmann von der Universität Bonn, Dr. Alex Lissitsa, Präsident des "Ukrainian Agribusiness Club", Prof. Dr. Michel Petit, emeritierter Professor vom Institut Agronomique Méditerranéen de Montpellier, Frankreich, und Prof. Dr. Harald von Witzke von der Humboldt-Universität zu Berlin welchen Zukunftsfragen sich der Agrar- und Ernährungssektor stellen muss. Entscheidend ist dabei nicht nur wie sich angesichts globaler Märkte die Wettbewerbsfähigkeit mittel- und osteuropäischer Agrarwirtschaften stärken lässt, sondern auch wie der Sektor den zunehmenden Qualitätsanforderungen der Verbraucher gerecht werden kann. Dies schließt Aspekte wie Nachhaltigkeit und Klimaverträglichkeit von landwirtschaftlichen Produkten ein. Ausschlaggebend wird außerdem sein, welchen Weg die europäische Agrarpolitik nach 2013 einschlagen wird. Dann nämlich laufen die bisherigen Regelungen zur Förderung und Subventionierung der Agrarwirtschaft aus. Auch in Zukunft wird die Bewältigung von Transformationsprozessen eine große Rolle in der Agrarwirtschaft spielen und das IAMO, mit seiner Ausrichtung auf die Agrarentwicklung Mittel- und Osteuropas, leistet hier nicht zuletzt mit dem IAMO Forum einen wichtigen Teil bei der weiteren wissenschaftlichen Erforschung dieser Thematik.

Weitere Informationen zum IAMO Forum 2009 unter:
www.iamo.de/forum0/forum2009

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution418


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa,
Britta Paasche M.A., 24.06.2009
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009