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FORSCHUNG/749: Tigerstärke für Chinas Jüngste (idw)


Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa - 04.02.2010

Tigerstärke für Chinas Jüngste

Hallenser Wissenschaftler an Forschungsprojekt zur Förderung der aktiven Teilhabe chinesischer Schüler aus armen, ländlichen Regionen an Bildung und Lernerfolgen beteiligt


Noch wenige Tage dann wird auch in China das Neujahrsfest begangen, am 14. Februar beginnt das Jahr des Tigers. In vielen Teilen Asiens gilt das Neujahrsfest als wichtigster Feiertag im Jahr. Auch die Schüler und Schülerinnen der CuiMu Zhen Grundschule im Landkreis Linyou, einer Region in der Provinz Shaanxi, im Herzen Chinas, werden dann in das neue Jahr feiern. Dass sie im Jahr des Tigers - und darüber hinaus - an Stärke und Kraft gewinnen, dafür will ein Forschungsprojekt sorgen, an dem seit kurzem auch das Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) beteiligt ist.


NACHHALTIGE FÖRDERUNG LÄNDLICHER REGIONEN DURCH VERBESSERUNG DES SCHULWESENS

Knapp 300 Schüler lernen an der CuiMu Zhen, 117 von ihnen wohnen auch unter der Woche in der Schule. Gerade für ländliche Regionen Chinas keine ungewöhnliche Situation. Laut offizieller Statistik ging die Zahl der Grundschulen in dem Land zwischen 2001 und 2005 um 25 Prozent zurück. Ursache ist u. a. die rigide Ein-Kind-Politik der Regierung. Sinkende Schülerzahlen führten in vielen abgelegenen, ländlichen Regionen zu Schulschließungen. Im Gegenzug wurde die Zahl der Schulinternate massiv erhöht. Mittlerweile lernen und leben mehr als 30 Millionen chinesische Grundschüler in solchen Schulinternaten. Trotz Schulpflicht und Gebührenfreiheit bis zur neunten Klasse ist die Rate der Abbrecher in armen, ländlichen Regionen sehr hoch. Nur 5 Prozent der hier Heranwachsenden (gegenüber 70 Prozent in den Städten) besuchen im Anschluss kostenpflichtige weiterführende Bildungseinrichtungen, die für Berufe qualifizieren. Die chinesische Regierung hat das Schulwesen als wichtige Ansatzstelle zur nachhaltigen Förderung ländlicher Regionen identifiziert, deren sozioökonomischer Rückstand gegenüber den Städten dramatisch ist.


BESSERE SCHULSPEISUNG SORGT FÜR BESSERE LEISTUNGSFÄHIGKEIT

Wie können die massiven Steuermittel, die in den nächsten zehn Jahren für das ländliche Bildungssystem vorgesehen sind, am effizientesten eingesetzt werden? Das ist eine der zentralen Fragen, die mit dem Forschungsprojekt, in das das IAMO nun einsteigt, beantwortet werden sollen. Das Spektrum der Möglichkeiten umfasst beispielsweise zusätzliche Sach- und Personalmittel für die verschiedenen (Vor-)Schultypen, finanzielle Anreize für Lehrer und Internatsleiter bessere Schulerfolge sicherzustellen, Stipendienprogramme mit Vergabekriterien wie Bedürftigkeit, schulischem und sozialem Engagement oder Programmen zur Verbesserung der Schulspeisung. Wie gut nämlich die Kinder schulisch abschneiden, hängt auch davon ab, wie gut ihre Ernährung ist. Oftmals ist eine ungenügende Versorgung mit Vitaminen und Mineralstoffen der Grund für mangelnde Konzentrationsfähigkeit und schlechtere Leistungen der Schüler. Gerade auch im Hinblick auf die Vielzahl der Schulinternate, reicht es also nicht aus, allein die Eltern über gesunde Ernährung zu informieren, genauso entscheidend ist die Qualität der Schulspeisung.


IAMO IST PROJEKTPARTNER IM AKTIONSPROGRAMM LÄNDLICHE BILDUNG

Die CuiMu Zhen Grundschule ist eine von 144 Schulen, deren Schüler seit 2007 von einem interna-tionalen Forscherteam im Rahmen des Aktionsprogramms Ländliche Bildung (Rural Education Action Project REAP) im Hinblick auf Ernährung, Gesundheit und Schulerfolge analysiert und betreut werden. Beteiligt sind u. a. Wissenschaftler der amerikanischen Stanford University, Experten des Zentrums für Chinesische Agrarpolitik der Chinesischen Akademie der Wissenschaften (CCAP), und der Nordwest Universität in Xi'an, China. Seit Ende Dezember 2009 gehört das IAMO offiziell zum Projektteam. Um sich vor Ort ein Bild zu machen, waren IAMO-Wissenschaftler Dr. Stephan Brosig und Dr. Kelly Labar zuletzt eine Woche in China unterwegs. Vom 14. bis 20. Dezember trafen sie die Projektpartner in Peking und Xi'an. Sie sprachen unter anderem mit Prof. Zhang Lin-xiu, Direktorin des CCAP, und Prof. Shi Yaojiang und seinem Team von der Nordwest Universität.


FRISCHES OBST FEHLT VOLLSTÄNDIG AUF DEM SCHULSPEISUNGSPLAN

Wichtiges Teilprojekt von REAP ist die wissenschaftliche Bewertung alternativer Ernährungsprogramme in ihren Auswirkungen auf Gesundheit und Schulerfolg von Grundschülern. Von den 144 untersuchten Grundschulen sind 65 Internatsschulen, die bis auf drei alle eine Schulkantine haben. Insgesamt sehen die Zahlen aber nicht so gut aus: 74 der 144 Schulen haben keine Schulkantine. Hinzu kommt, dass nur ein Drittel der Kantinen mit Tischen und Stühlen ausgestattet ist. Die Kinder essen also zumeist im Freien, auf dem Boden sitzend. Woran es außerdem mangelt: Kühlschränke und sogar heißes Wasser zum Abwaschen fehlt teilweise. Darüber hinaus ist das angebotene Schulessen oftmals unzureichend, nur 27 Prozent der Mahlzeiten enthalten überhaupt Proteine und frisches Obst stand bei keiner Schulspeisung auf dem Speiseplan. An der CuiMu Zhen Grundschule, die Brosig und Labar im Rahmen ihres Aufenthalts besuchten, gibt es eine Kantine. Hier werden für Internatsschüler drei Mahlzeiten am Tag angeboten. Besonders arme oder kinderreiche Familien können staatliche Zuwendungen für die Schulspeisungskosten bekommen. Auch auf dem Boden oder im Freien muss an der CuiMu Zhen Grundschule niemand sitzen. Allerdings ist das Schulgebäude nicht ausreichend beheizbar. Dick eingepackt in ihre Wintersachen nehmen die Schüler ihre Mahlzeiten ein.


ES MANGELT AN FINANZIELLEN RESSOURCEN UND AN WISSEN

Vorläufiges Ergebnis des Forschungsprojektes: Als Ursache für eine schlechte Schulspeisung kommen nicht nur mangelnde finanzielle Ressourcen infrage. Die Wissenschaftler mussten feststellen, dass das in den Schulkantinen tätige Personal oftmals schlecht ausgebildet ist. Es fehlt an Basiswissen über gesunde Ernährung und an Wissen darüber, wie man eine Kantine erfolgreich leitet. Seit Ende 2008 erproben die Wissenschaftler, welche Maßnahmen im Kampf gegen Mangelerscheinungen wie Anämie besonders erfolgreich sind. Hier, wie in den übrigen REAP-Teilprojekten, kommt erstmals in diesem Zusammenhang das Forschungsinstrument des randomized control trial zum Einsatz: Von den 70 Internatsgrundschulen in der Provinz Shaanxi erhalten per Zufallsauswahl 15 umfangreiches Informationsmaterial über gesunde Ernährung, 15 bekommen zur täglichen Verabreichung Vitaminpräparate und 15 weitere Vitameal, ein proteinreiches Nahrungsergänzungsmittel, das neben Vitaminen auch Mineralstoffe enthält. Die restlichen 25 Schulen fungieren als Kontrollgruppe. An der CuiMu Zhen Grundschule wird die Schulspeisung nun täglich mit Vitameal angereichert.


FORSCHUNGSERGEBNISSE ALS GRUNDLAGE FÜR POLITIKENTSCHEIDUNGEN

Anhand der Ergebnisse formulieren die Forscher kompakte Zusammenfassungen und Handlungsempfehlungen für die Politik. Das entsprechende "Policy Brief" zum Thema Anämie ist Ende letzten Jahres vom chinesischen Premierminister Wen Jiabao und Li Keqiang, Vizepremier für Erziehung, als Grundlage für weitere Politikentscheidungen offiziell angenommen worden. Ein großer Erfolg für das REAP Team und ein weiterer Schritt auf dem Weg, mit einer gesunden, ausgewogenen Ernährung die Bildungserfolge vor allem von Kindern aus ländlichen Regionen zu verbessern. Gezielt will man die Jüngsten fördern und stärken, und ihnen zu einer aktiveren Teilhabe am Unterricht verhelfen.


CHINAFORSCHUNG EIN SCHWERPUNKTTHEMA AM IAMO

Die Beteilung der IAMO-Wissenschaftler am Aktionsprogramm ländliche Bildung verstetigt die Aktivitäten des Instituts auf dem Gebiet der Chinaforschung. Das Land ist schon seit längerem ein Forschungsschwerpunkt der Hallenser. 2008 wurde am IAMO die Internationale Forschergruppe China gegründet, die mittlerweile neun Forschungsvorhaben zu unterschiedlichsten Fragestellungen im Hinblick auf wirtschaftliche und soziale Entwicklungen im ländlichen China bearbeitet. Das Themenspektrum reicht dabei von einer Analyse der Auswirkungen staatlicher chinesischer Agrarumweltprogramme auf Lebensbedingungen und Landnutzung bis hin zur Bewertung von Einkommensmöglichkeiten ethnischer Minderheiten. Die Forschergruppe wird durch die Leibniz-Gemeinschaft im Rahmen der Initiative "Pakt für Forschung und Innovation" des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert.

Weitere Informationen
http://reap.stanford.edu
www.iamo.de/china-group/home.html

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/pages/de/institution418


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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Leibniz-Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa,
Britta Paasche M.A., 04.02.2010
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Februar 2010