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HUNGER/204: Entwicklungen, die den Hunger fördern (frauensolidarität)


frauensolidarität - Nr. 107, 1/09

Entwicklungen, die den Hunger fördern
Agrotreibstoffherstellung verknappt die Nahrungsmittelproduktion

Von Gertrude Klaffenböck


Landwirtschaft ist für Investoren zu einer attraktiven Wirtschaftsbranche geworden. Ein kaufkräftiger Markt für Agrartreibstoffe entstand, der nicht nur das schnelle Geld, sondern langfristig solide Gewinne für Unternehmen und weiteres Wachstum erwarten lässt. Künftig wird allerdings die Entwicklung von Nahrungsmittelpreisen eng verknüpft sein mit der Energiepreisentwicklung. Agrotreibstoffherstellung beeinflusst massiv die Nahrungsmittelproduktion und treibt ganze Bevölkerungen in Hunger und Armut, wie im Folgenden an einigen Beispielen ausführlich beschrieben wird.


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In Europa und zunehmend in den USA ist der Einsatz von Agrotreibstoffen sehr umstritten - nichtsdestotrotz hält die EU-Kommission in der neuen Richtlinie für erneuerbare Energie (Renewable Energy Directive/RED) an folgenden Zielen fest: 20% des Energieverbrauches in der EU sollen bis zum Jahr 2020 aus erneuerbaren Energiequellen kommen. Ebenfalls bis zum Jahr 2020 sollten alle EU-Mitgliedstaaten 10% der im Verkehr eingesetzten Kraftstoffe durch erneuerbare Energie ersetzt haben. Die erneuerbaren Energiequellen schließen neben Agrotreibstoffen auch Energie aus Biomasse, Biogas und/oder Wasserstoff- und Elektroantrieb mit ein. ExpertInnen gehen davon aus, dass ein Großteil der im Verkehr zu ersetzenden Energie aus Agrotreibstoffen bestehen wird. Bis 2010 will Österreich nach den Vorgaben im Regierungsprogramm einen Anteil von 10% an alternativen Kraftstoffen erreichen und 2020 die Marke von 20%.

Falls nicht rasch weitere Maßnahmen für effizientere Energienutzung und Mobilität getroffen werden, ist absehbar, dass in Europa zur Deckung des Bedarfs von erneuerbaren Energiequellen auf Ressourcen in anderen Ländern zurückgegriffen werden muss. Angesichts der sich abzeichnenden Konflikte um die lebenswichtigen Ressourcen wie Land und Wasser ist die Frage nach der Mitverantwortung von europäischen Regierungen an Verletzungen des Menschenrechts auf Nahrung, einen angemessenen Lebensunterhalt oder auf Gesundheit umso bedeutender geworden. Die ärmere ländliche Bevölkerung ist bedroht, ihre Überlebensgrundlagen zu verlieren, entstandene Arbeitsplätze kompensieren dafür kaum. Ein sehr viel größerer Teil von Menschen bleibt auf der Strecke, ohne dass für die Verletzung ihrer grundlegendsten Rechte - wie das Recht, sich selbst ernähren zu können oder einen angemessenen Lebensunterhalt zu haben - jemand zur Rechenschaft gezogen wird. Wieweit diese Investitionspolitik bereits fortgeschritten ist, soll an einigen Beispielen näher demonstriert werden.


Ghana

Im April 2008 wurde in Ghana die Unterstützung Brasiliens zum Ausbau der Ethanolproduktion gefeiert. Auf einer Fläche von etwa 30.000 ha sollen Zuckerrohrplantagen angelegt werden, der gewonnene Rohrzucker soll in einer Fabrik eines brasilianischen Unternehmens zu Ethanol verarbeitet werden. Ein schwedisches Unternehmen hat die Abnahme der Jahresproduktion von ca. 10.000 m3 Ethanol für die nächsten zehn Jahre zugesagt. Das Projekt wird u.a. von der Brasilianischen Entwicklungsbank BNDES mitfinanziert. Die Plantage soll in einer Region am Norden des Volta-Stausees angelegt werden, einem Gebiet, in dem bisher überwiegend Kulturpflanzen wie Reis und Hirse für die Selbstversorgung mit Nahrung angebaut wurden und wo etwa die Hälfte der dort lebenden Bevölkerung ständig unterernährt ist. Eine weitere Landverknappung würde diese Mangelsituation noch verschärfen. In Ghana ist dies kein Einzelfall: Etwa ein Jahr zuvor hatte ein Agrotreibstoff-Unternehmen aus Norwegen angekündigt, "die größte Jatropha-Plantage der Welt" in der Region Kusawgu im Norden Ghanas mit einer Fläche von etwa 38.000 ha errichten zu wollen. Das Unternehmen hatte mit dem örtlichen Dorfoberhaupt eine Vereinbarung getroffen, deren Gültigkeit von den BewohnerInnen später angefochten wurde, sie verlangten sich davon zurückzuziehen. Bis dahin waren bereits mehr als 2.500 ha Land gerodet worden und die dort ansässige Bevölkerung hatte ihre bescheidenen Einkommens- und Lebensgrundlagen verloren.


Tansania

ParlamentarierInnen, NGOs und Gemeinden waren empört, als Mitte des vorigen Jahres durch Medien bekannt wurde, dass mehr als 640.000 ha fruchtbaren Ackerlandes für den Anbau von Energiepflanzen freigegeben worden waren. An Unternehmen waren Lizenzen erteilt worden, noch bevor die entsprechenden Regelungen über Nutzungsprioritäten zwischen Nahrungs- und Energiepflanzen hatten in Kraft treten können. Wie sich zeigte, hatte die Regierung mehr oder minder die Übersicht über die Entwicklungen der Landnutzung durch internationale Unternehmen verloren, denen sie Lizenzen vergeben hatte.

Die sehr genügsame Pflanze Jatropha hätte ideale Voraussetzungen für die Bedingungen der afrikanischen Landwirtschaft. Sie wächst in trockenen Bodenverhältnissen, wird nicht als Nahrung verwendet und hat einen relativ hohen Ölgehalt. Die Vorstellung, Jatropha auf Brache- oder Ödflächen anzubauen, die nicht für die Nahrungsproduktion in Frage kommen, und so den Bauern und Bäuerinnen ein zusätzliches Einkommen zu verschaffen, klang für viele Verantwortliche lange Zeit sehr überzeugend. Doch die Praxis stellte sich als eine andere heraus: Beispielsweise hatte ein Unternehmen, das Vereinbarungen für den Anbau von Reis getroffen hatte, mittlerweile mehr als 80.000 ha fruchtbaren Landes auf den Anbau von Jatropha umgestellt. Die ins Kreuzfeuer der öffentlichen Kritik geratene Regierung sah sich folglich gezwungen, diesen Entwicklungen auf den Grund zu gehen und neue Bestimmungen dafür auszuarbeiten.


Paraguay

Innerhalb von nur sieben Jahren hatte sich in Paraguay die Anbaufläche für Soja verdoppelt und 2007 ein Ausmaß von 2,4 Mill. ha erreicht. Paraguay war in den letzten Jahren zu einem der weltweit größten Soja-Exporteure geworden, dies hatte wiederholt zu scharfen Konflikten zwischen landlosen Bauern/Bäuerinnen, fremden LandeigentümerInnen - viele unter ihnen BrasilianerInnen und der Polizei geführt. Die Lebensgrundlagen zahlreicher Gemeinden in den boomenden Regionen sind durch die einsetzende Intensivbewirtschaftung stark beeinträchtigt. Die großflächige Anwendung von Pestiziden hat weitreichende Folgen auf die Gesundheit der dort lebenden Bevölkerung, es kam zu vermehrten Geburtsfehlern von Neugeborenen und AnrainerInnen klagen über Diarrhöe und Brechanfälle aufgrund des Chemikalieneintrages.


Menschenrechtsverletzungen werden ausgeweitet

Zahlreiche internationale NGOs wie etwa FIAN haben Fälle in Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas dokumentiert, in denen die verheerenden Konsequenzen von Agrotreibstoffherstellung für Indigene, Landlose, KleinbäuerInnen, LandarbeiterInnen und in jedem Fall die Lebensumstände von Frauen und Kindern als besonders verwundbare Gruppen aufgezeigt werden. Die Konflikte um Land, insbesondere Flächen, die dringend für die Produktion von eigenen Nahrungsmitteln bzw. als Lebensgrundlage gebraucht werden, nehmen nicht nur zahlenmäßig, sondern auch an Gewalttätigkeit zu. Die sklavenähnlichen Arbeitsbedingungen von LandarbeiterInnen auf Zuckerrohrplantagen, wie in einigen Bundesstaaten Brasiliens, werden ausgeweitet, anstatt eingedämmt. Die meist großflächigen Plantagen- und Monokulturen (insbesondere von Mais, Soja, Zuckerrohr etc.) sind auf intensiven Einsatz von Agrarchemikalien ausgerichtet. Neben dem Verlust an Kulturpflanzen-Vielfalt geht damit die Verschmutzung von Wasser, Atemluft und der Umgebungsvegetation einher und beeinträchtigt massiv die Gesundheit der BewohnerInnen in umliegenden Gebieten. Obwohl gewichtige Stimmen des öffentlich-politischen Lebens - besonders in Österreich - dies gerne bestreiten: Der sich ausdehnende Anbau von Agro-Energiepflanzen hat sowohl auf regionaler als auch auf globaler Ebene starken Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise - wie nicht zuletzt Publikationen von Weltbank und UN-Institutionen bestätigen. Es ist jetzt an der Zeit, Möglichkeiten und Wege zu finden, wie Regierungen für Menschenrechtsverletzungen in die Pflicht genommen werden können. Menschenrechte enden nicht an Staatsgrenzen - in Zeiten der Globalisierung ist es umso wichtiger, Staaten und Regierungen über deren internationale Mitverantwortung an verübten Menschenrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen.


Zur Autorin
Gertrude Klaffenböck ist Expertin für Recht auf Nahrung und biologische Vielfalt und Koordinatorin von FIAN-Österreich (Food First Information and Action Network).


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Quelle:
Frauensolidarität Nr. 107, 1/2009, S. 16-17
Herausgeberin:
Frauensolidarität - Entwicklungspolitische Initiative für Frauen,
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veröffentlicht im Schattenblick zum 19. Mai 2009