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HUNGER/215: Landwirtschaft am Scheideweg - Nahrungsmittelkrise zwingt zum Umdenken (DGVN)


Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e.V. (DGVN)

Landwirtschaft am Scheideweg
Nahrungsmittelkrise zwingt zum Umdenken

Frank Kürschner-Pelkmann


1,02 Milliarden Menschen hungern auf der Welt, etwa 160 Millionen mehr als Anfang der 1990er Jahre. Das gab die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) im Juni 2009 bekannt. Damit ist die Menschheit weit von der Verwirklichung des UN-Millenniums-Entwicklungsziels entfernt, die Zahl der hungernden Menschen bis 2015 im Vergleich zu 1990 zu halbieren.


Überraschend an den Ernährungsstatistiken: Fast 80 Prozent der hungernden Menschen leben in ländlichen Gebieten. Millionen Kleinbauernfamilien besitzen nur sehr kleine Felder, es fehlt an Beratung und Unterstützung bei Anbau und Vermarktung. So konnten viele Bauernfamilien 2007/2008 nicht einmal von steigenden Preisen für Mais, Weizen und Reis profitieren. Zwar verkaufen sie nach der Ernte einen Teil ihrer Erträge, aber die Rücklagen für den Eigenverbrauch reichen meist nicht für das ganze Jahr aus. Dann muss notgedrungen Mais oder Reis zu hohen Preisen hinzugekauft werden. Den Landarbeiterfamilien geht es häufig noch schlechter. Sie werden nur einige Monate im Jahr für Feldbearbeitung, Aussaat und Ernte beschäftigt. Das übrige Jahr sind sie ohne Einkommen. Steigende Weltmarktpreise für Agrarprodukte führen selten zu höheren Löhnen, aber die Familien spüren das ganze Jahr über, dass sie im Dorfladen mehr für die Grundnahrungsmittel bezahlen müssen. In den letzten Jahrzehnten wurden Kleinbauern- und Landarbeiterfamilien in der Förderung der Landwirtschaft vernachlässigt. Erfolgreiche Bauern, die für den globalen Markt produzierten, wurden dagegen intensiv beraten und unterstützt. Gleichzeitig sanken die Entwicklungsgelder für die Landwirtschaft seit 1990 auf ein Viertel. Entsprechend wenig Unterstützung kam bei den Kleinbauern an. Agrarexpertin Marita Wiggerthale von der Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisation Oxfam hält die verbliebenen fünf Milliarden Dollar zur Förderung der Landwirtschaft im Süden der Welt für völlig unzureichend: "Um Bauern und Bäuerinnen in Entwicklungsländern eine Chance zu geben, dauerhaft für ihren eigenen Lebensunterhalt sorgen zu können, sind mindestens 25 Milliarden US-Dollar nötig." Zum Vergleich: 2008 zahlten die Industriestaaten ihren Landwirten und Agrarunternehmen insgesamt 265 Milliarden US-Dollar Subventionen.


Eine Krise verschärft sich

Durch die wachsende Weltbevölkerung erhöht sich der Bedarf an Nahrungsmitteln kontinuierlich. Jedes Jahr kommen 80 Millionen Menschen hinzu. Deshalb hat sich nicht nur in China die Einsicht durchgesetzt, dass eine aktive Bevölkerungspolitik für weniger Geburten unverzichtbar für eine Ernährungssicherung ist. Bis 2050 wird sich die Weltbevölkerung aber auch bei Erfolgen in der Familienplanung von etwa 6,7 auf 9 Milliarden Menschen vergrößern. Dazu wächst die Konkurrenz um die knappen Agrarerzeugnisse durch die Verarbeitung von Zuckerrohr, Mais und anderen Pflanzen zu Agrarkraftstoff. Umstritten bleibt auch die von westlichen Regierungen und der Welthandelsorganisation WTO betriebene Politik der Öffnung der Märkte ärmerer Länder für Agrarprodukte aus Europa und Nordamerika. Hochsubventionierte Milchprodukte, Hühnerteile und Tomatenmark rauben den armen Produzenten in Entwicklungsländern ihre lokalen Absatzmärkte. Misereor-Hauptgeschäftsführer Josef Sayer verweist auf die Erfahrungen des katholischen Hilfswerkes: "Aus allen Regionen der Welt berichten unsere Projektpartner über die verheerenden Auswirkungen von Freihandelsabkommen."

Dass die EU in den nächsten Jahren die Milchquoten erhöhen und Überschüsse mithilfe hoher Subventionen exportieren will, stößt auf Widerstand. Bernd Voß, Milchbauer und Vorstandsmitglied der "Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft" (AbL), kritisiert diese Politik: "Das ist katastrophal für die Milchbauern, denn mehr Quote erhöht den Druck auf die Erzeugerpreise. Lediglich die exportorientierte Milchwirtschaft profitiert von dieser Regelung, sie will überschüssige Milchprodukte billig auf dem Weltmarkt absetzen. Sowohl für kostendeckendere Erzeugerpreise in Deutschland und Europa als auch für fairere Handelsbedingungen ist es notwendig, die Milchmenge in Europa bedarfsgerecht an den Markt anzupassen."


"Eine Form des Neokolonialismus"

Nicht nur für Agrarprodukte, auch für Ackerland gibt es inzwischen einen globalen Markt. Finanzstarke Regierungen und Unternehmen pachten große Ländereien in Entwicklungsländern. So hat Laos bereits 15 Prozent seines Staatsgebiets für bis zu 70 Jahre an ausländische Interessenten verpachtet, die nun von Zuckerrohr über Akazienbäume bis hin zu Reis alles anbauen, was auf internationalen Märkten Gewinn verspricht.

Fruchtbare Ackerflächen in Afrika sind besonders begehrt. Manche der verpachteten Flächen sind mit wertvollen Wäldern bedeckt, andere werden seit Langem von der lokalen Bevölkerung bebaut. Der Zorn der Kleinbauernfamilien, die von ihrem Land vertrieben werden, ist groß. In Madagaskar wurde im März 2009 die Regierung auch deshalb gestürzt, weil sie dem koreanischen Mischkonzern Daewoo 1,3 Millionen Hektar Land zugesagt hatte. FAO-Generalsekretär Jacques Diouf nennt solche Projekte der Landnahme "eine Form des Neokolonialismus".

Landwirtschaft am Scheideweg

Es gibt unterschiedliche Konzepte dafür, wie alle Menschen ernährt werden können. "Wir brauchen eine zweite grüne Revolution", erklärte Stefan Marcinowski, Vorstandsmitglied des Chemieunternehmens BASF, im Januar 2009 gegenüber der "Süddeutschen Zeitung". Die erforderlichen hohen Ernteerträge könnten nur mit Hilfe von Gentechnik, Düngemitteln, Pestiziden sowie moderner Landmaschinentechnik und besserem Wassermanagement erzielt werden. Verfechter dieses Konzepts verweisen auf die Erfolge bei der ersten "grünen Revolution" seit den 1960er Jahren durch den Einsatz von neu gezüchteten Hochertragspflanzen und dem vermehrten Einsatz von Agrarchemie.

Hochertragspflanzen benötigen allerdings viel Wasser, Dünger und andere Agrarchemie. Aber große Regionen in Afrika leiden nicht nur unter Wassermangel, sondern armen Bauern fehlt auch das Geld für den Kauf von Agrarchemie. Das UN-Umweltprogramm UNEP hat dies kürzlich anschaulich belegt: Eine Tonne Stickstoffdünger kostet in Europa etwa 90 US-Dollar, ab Hafen Mombasa schon 120 Dollar, im Westen Kenias 400 Dollar und in Malawi 770 Dollar. Dieser Dünger ist für arme Bauern schlicht unbezahlbar.

Jedes Jahr gehen weltweit 10 Millionen Hektar Acker- und Weideland durch Erosion auf Grund einer nicht angepassten Nutzung oder falschen Bewässerung verloren. Übernutzung ohne massiven Einsatz von Agrarchemie führt kurzfristig zu schweren Schädigungen der Böden, aber auch mit Agrarchemie bestehen hohe Risiken. Dass ihr Land keine Erträge mehr bringt, zwingt jedes Jahr Millionen Menschen zur Aufgabe ihrer Höfe und zur Abwanderung in die städtischen Slums.

Die herkömmliche Landwirtschaft hat sich auch als ungeeignet erwiesen, den Armen den Zugang zu Nahrungsmitteln zu ermöglichen. Die gegenwärtig produzierten Nahrungsmittel würden für alle Menschen auf der Welt reichen - nur können die Armen sich diese Nahrungsmittel nicht leisten. Deshalb sind ländliche Entwicklungskonzepte gefragt, die den Armen und Hungernden direkt zugute kommen.


Erfolge nachhaltiger Landwirtschaft Eine wirklich zukunftsfähige Perspektive bietet nur eine nachhaltige Landwirtschaft. Für die Kleinbauernfamilien ist sie zu einer attraktiven Alternative geworden, wenn deren Einführung mit intensiver Beratung und Unterstützung verbunden ist. So lassen sich mit gezielten Mischkulturen große Erfolge gegen Schädlinge und Pflanzenkrankheiten Deutschland erzielen sowie gleichzeitig die Bodenqualität erhöhen. Eine Untersuchung von UNEP und UNCTAD (United Nations Conference on Trade and Development) in Ostafrika kam zum Ergebnis, dass sich die Ernteerträge nach der Einführung von organischen oder fast-organischen Anbaumethoden um 128 Prozent erhöht haben. Shivaji Pandey, der FAO-Direktor für Pflanzenanbau und -schutz, ist überzeugt: "Die Welt hat keine Alternative dazu, eine Intensivierung des nachhaltigen Anbaus von Pflanzen voranzubringen, um den wachsenden Bedarf an Nahrung und Futter zu decken, Armut zu beseitigen und die natürlichen Ressourcen zu schützen."

Mit der Umstellung auf eine nachhaltige Landwirtschaft muss eine Landreform zugunsten der Landarbeiter- und Kleinbauernfamilien einhergehen. Ohne ausreichend Land muss jeder Betrieb scheitern. Bisher sind vor allem Frauen stark benachteiligt. Im südlichen Afrika besitzen sie nur 1 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen. Das Recht auf Nahrung und das Recht auf Land gehören untrennbar zusammen.

Anders ernähren, damit andere nicht hungern

Erforderlich ist auch eine weltweite Veränderung der Ernährungsgewohnheiten. Für die Fleischerzeugung wird eine bis zu zehnfach höhere Menge an Getreide und Wasser benötigt als für die Erzeugung pflanzlicher Nahrungsmittel. Schon heute wird ein Drittel der Getreideernten als Viehfutter verwendet, und bis 2050 könnte dieser Anteil auf die Hälfte steigen. Mehr als 70 Prozent des Eiweißfutters in der hiesigen Tierhaltung wird importiert, vor allem aus dem Süden der Welt. Das erhöht dort den Druck zur Umwandlung von Regenwaldflächen in Ackerflächen und erschwert eine Ernährungssicherung für die heimische Bevölkerung. Globale Konzepte zur Umstellung der Landwirtschaft und kleine eigene Schritte beim täglichen Einkauf können einander ergänzen, damit bald alle genug zu essen haben.


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Quelle:
Eine-Welt-Presse Nr. 1/2009, 26. Jahrgang, Seite 1-2
Nord-Süd-Zeitung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten
Nationen e.V. (DGVN)
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Eine-Welt-Presse erscheint in der Regel einmal jährlich
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Die Publikation wurde mit Mitteln des Bundesministeriums für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gefördert.


veröffentlicht im Schattenblick zum 3. November 2009