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HUNGER/278: Brasilien - "Null Hunger"-Strategie als globales Modell, Süd-Süd-Hilfe wird ausgebaut (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 5. März 2012

Brasilien: 'Null Hunger'- Strategie als globales Modell - Süd-Süd-Hilfe wird ausgebaut

von Fabiana Frayssinet


Rio de Janeiro, 5. März (IPS) - Brasilien stockt die Süd-Süd-Hilfe auf, um seinen Status als Geberland und seinen Einfluss in der Welt zu stärken. Der größte Staat Südamerikas, der inzwischen 65 Nationen Unterstützung leistet, hat sein Entwicklungshilfebudget in den vergangenen sieben Jahren verdreifacht.

Die geplante Ausweitung der Finanzierung von Nahrungshilfen auf fünf Länder Afrikas hat Brasilien, ein traditioneller Hilfeempfänger, einen Platz unter den Geberstaaten gesichert. Die Vereinten Nationen teilten Ende Februar mit, dass Brasilien 2,37 Millionen US-Dollar für ein Hilfsprogramm zugunsten von Kleinbauern und besonders anfälligen Bevölkerungsgruppen in Äthiopien, Malawi, Mosambik, Niger und Senegal bereitstellen wird.

Das Projekt, das von der UN-Agrarorganisation FAO und dem Welternährungsprogramm WFP umgesetzt wird, profitiert von den Erfahrungen, die Brasilien bei seinem eigenen Nahrungsankaufprogramm PAA gemacht hat. Im Rahmen dieses Programms werden Agrarerzeugnisse von Kleinbauern gekauft und an sozial schwache Bevölkerungsgruppen verteilt. Kinder und Jugendliche erhalten durch PAA Schulessen. Das Projekt hilft nicht nur bei der Hungerbekämpfung, sondern auch bei der Stärkung der lokalen Nahrungsproduzenten.


Programm zur Hungerbekämpfung gilt als Meilenstein

PAA gilt als Meilenstein innerhalb des staatlichen Programms 'Null Hunger', das Ex-Präsident Luiz Inácio Lula da Silva (2003 bis 2011) eingeführt hat und seine Amtsnachfolgerin Dilma Rousseff nun fortsetzt. Beide gehören der moderaten Linken an und sind Mitglieder der Arbeiterpartei.

In Verbindung mit anderen Armutsbekämpfungsstrategien hat das Programm dazu beigetragen, dass die Mangelernährung um 25 Prozent gesunken ist. Laut Statistiken aus Lulas Amtszeit gelang es außerdem, 24 Millionen Menschen aus extremer Armut zu befreien.

"Dies ist ein Weg, um anderen Regierungen zu helfen, Unterstützungsstrategien für die Familienlandwirtschaft zu entwickeln. In Brasilien produzieren solche Farmer immerhin 60 Prozent der insgesamt konsumierten Lebensmittel", sagte Marco Farani, der die dem Außenministerium unterstellte Brasilianische Agentur für Zusammenarbeit (ABC) leitet, im Gespräch mit IPS.

PAA sorge durch Lieferungen von Saatgut und Dünger dafür, dass Bauern weiterhin ihre kleinen Parzellen bestellen könnten, durch die sie ihren Lebensunterhalt erwirtschafteten, erklärte er. Das Projekt organisiert auch den Kauf und die Verteilung von Lebensmitteln.

Der neue FAO-Chef José Graziano da Silva sagte im Interview mit IPS, er wolle seine Erfahrung als einer der Architekten des 'Null Hunger'-Programms bei der UN einbringen. Durch eine Stärkung lokaler Märkte könnten hochwertigere Nahrung produziert, die Verschwendung von Lebensmitteln verringert und Kosten gesenkt werden.

In Verbindung mit Organisationen wie den Vereinten Nationen oder durch bilaterale Hilfe will Brasilien die im eigenen Land erfolgreichen Initiativen auch anderen Staaten des Südens zugutekommen lassen.

Diese neue Form der Entwicklungszusammenarbeit geht auf das Jahr 2005 zurück, als Brasilien, inzwischen die weltweit sechstgrößte Wirtschaftsmacht, 158,1 Millionen Dollar für auswärtige Hilfen einplante. Diese Summe wurde 2009 auf 362,8 Millionen mehr als verdoppelt. Nach vorläufigen Erhebungen von ABC stieg das Hilfsbudget 2010 auf etwa 400 Millionen Dollar.

Außerdem will das Land in den nächsten drei Jahren 125 Millionen Dollar für technische Zusammenarbeit zur Verfügung stellen, mehr als das Doppelte der internationalen Hilfe, die Brasilien selbst in diesem Zeitraum erhalten wird.

"Wir sind heute in über 65 Ländern tätig. Noch vor drei oder vier Jahren waren wir nur in den portugiesisch sprachigen Staaten Afrikas aktiv", berichtete Farani. "Zurzeit führen wir Kooperationsprojekte mit 38 afrikanischen Ländern sowie in Lateinamerika durch."


Fast die Hälfte der Finanzhilfen geht an Länder in der Region

Lateinamerikanische Staaten erhalten insgesamt 45 Prozent der auswärtigen brasilianischen Finanzhilfen. Der Rest wird auf andere Regionen der Südhalbkugel verteilt, vor allem über bilaterale Kanäle, aber auch durch die Vereinten Nationen.

Der südamerikanische Gigant gehört inzwischen zu den zehn größten Gebern innerhalb des WFP. Im Gegensatz zu manchen anderen Geberstaaten will Brasilien anderen keine Modelle aufzwingen. "Wir erkennen die Erfahrung anderer Länder an und lassen sie an unserer Kompetenz teilhaben", erklärte Farani.

Da Brasilien selbst auch noch ein Entwicklungsland sei, gehe es mit Demut vor, sagte er. Anders als Industrieländer kenne man die Herausforderungen, vor denen andere Staaten des Südens stünden, aus eigener Erfahrung. "Wir gehen von der Idee aus, dass die Schwierigkeiten überwunden werden können."

Brasilien strebt nun nach einem ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat und nach weiteren Entscheidungsbefugnissen in multilateralen Organisationen wie dem Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Welthandelsorganisationen WTO.

Nach Ansicht von Mauricio Santoro von der Getulio-Vargas-Stiftung in Rio de Janeiro will Brasilien seinen Einfluss im Süden nicht ausbauen, um wie die traditionellen Geber mittels Finanzhilfen neue Märkte zu erschließen. Brasilianische Firmen wie die staatliche Erdölgesellschaft 'Petrobras' sowie private Bau- und Bergwerksunternehmen arbeiten zunehmend in anderen Teilen Lateinamerikas und in weiteren Regionen. "Der Fokus liegt dabei eher auf der Politik als auf der Wirtschaft", meinte Santoro. "Mit großen Handelspartnern wird die Kooperation nicht unbedingt enger." (Ende/IPS/ck/2012)


Links:
http://www.fomezero.gov.br/
http://www.fao.org/countryprofiles/index.asp?iso3=BRA
http://www.ipsnoticias.net/nota.asp?idnews=100255
http://www.abc.gov.br/
http://www.ipsnews.net/news.asp?idnews=106924

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Quelle:
IPS-Tagesdienst vom 5. März 2012
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veröffentlicht im Schattenblick zum 6. März 2012