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INTERNATIONAL/011: Strukturelle Auswirkungen des globalen Landraubs (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011


Land Grabbing
Strukturelle Auswirkungen des globalen Landraubs in den Blick nehmen

Von Roman Herre


In nur 10 Monaten, von Oktober 2008 bis August 2009, wurden weltweit fast 50 Millionen Hektar Ackerland vor allem an private und ausländische Investoren transferiert.(1) Das entspricht etwa einem Viertel der Agrarfläche der gesamten Europäischen Union. Aber nur ein kleiner Teil dieses Ackerlandes liegt in Europa. Im Fokus der Investoren ist vor allem Afrika.


Würden sich die Investoren Millionen von Hektar in Europa oder gar Deutschland aneignen, wären die Proteste wahrscheinlich gewaltig und Politiker aller Couleur würden aktiv gegen diesen Ausverkauf von Land vorgehen. Warum? Weil etwas ganz Grundsätzliches falsch läuft, wenn man die Kontrolle über riesige Landstriche oder gar die Hälfte des eigenen Ackerlandes verliert. Daher sollte man neben der Einzelfall-Betrachtung ganz besonders die strukturelle Implikationen dieses Phänomens im Blick haben. Das Menschenrecht auf Nahrung ist dabei ein hilfreicher Analyserahmen.

Aus der Perspektive des Rechts auf Nahrung kann man zwischen direkten und strukturellen Folgen von Land Grabbing unterscheiden. Erstere sind unmittelbare und sehr konkrete Verletzungen des Rechts auf Nahrung, namentlich gewaltsame Vertreibungen lokaler Gruppen oder der Verlust des Zugangs zu Land und anderer natürlichen Ressourcen, welche ihre Existenzgrundlage bilden. Man muss sich vor Augen halten, dass in vielen Ländern, wie Kenia oder Kambodscha um die 80 Prozent der Bevölkerung von der Landwirtschaft und damit vom Land leben. Mittlerweile gibt es eine Vielzahl gut dokumentierter Fälle von Vertreibungen und von Verlust des Zugangs zu Land oder Wasser durch solche großflächigen Landnahmen.(2)


Hungerländer sollen die Welt ernähren?

Angesichts dieser oft brutalen direkten Folgen geraten die strukturellen und langfristigen Folgen schnell in den Hintergrund. 43 der 53 afrikanischen Länder sind mittlerweile abhängig von umfassenden Nahrungsmittelimporten. Die meisten nicht-afrikanischen Zielländer der Investoren wie Kambodscha oder die Philippinen sind in der gleichen Situation. Nun werden die besten Ackerflächen dieser Länder explizit für den Export von Nahrungsmitteln oder Agrartreibstoffen(3) okkupiert und so die Abhängigkeit vom Weltmarkt weiter verschärft. Dies vor dem Hintergrund konstant steigender Nahrungsmittelpreise und immer stärkerer Preisschwankungen auf dem Weltmarkt. Schon 2008 mussten die ärmsten Länder tief in die Tasche greifen, als sich deren Kosten für Nahrungsmittelimporte verdreifachten(4) und Nahrungsmittelpreisexplosionen zu Hungerrevolten in über 30 Ländern führten.


Land für Landlose

Dreiviertel der knapp 1 Milliarde hungernden Menschen weltweit leben im ländlichen Raum. Es sind vor allem KleinbäuerInnen, Landlose, Nomaden und Indigene. Staatliche Unterstützungen für diese Gruppen wurden in den letzten Jahrzehnten gänzlich zusammengestrichen und sie wurden sukzessive aus den fruchtbarsten Gegenden verdrängt. Heute ist eines ihre größten Probleme, dass sie nicht ausreichend Zugang zu natürlichen Ressourcen wie Land oder Wasser haben. Eine extrem ungleiche Landverteilung stellt heute eine Kernursache von Hunger und Unterernährung dar. Land Grabbing führt zu einer umfassenden Landkonzentration in den Händen weniger Konzerne und verstärkt damit ein zentrale strukturelle Ursache des weltweiten Hungers. So wird auch in Afrika Landlosigkeit ein immer größeres Problem.(5)

Viele der Ackerflächen, die aktuell vergeben werden, sind Staats- oder Gemeindeland. Die wachsende Bevölkerung in Afrika benötigt Land. Die Vergabe von riesigen Flächen an Investoren verhindert daher auch, dass Staaten ihren menschenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen können, Land für die wachsende ländliche Bevölkerung bereit zu stellen.

Schließlich ist Land Grabbing inhärent verbunden mit einer großflächigen und industriellen Landwirtschaft und Exportproduktion (Ausnahmen bestätigen die Regel). Das impliziert eine umfassende Transformation des ländlichen Raums, die die bäuerliche Landwirtschaft weiter marginalisiert. Damit wird ein menschenrechtliches Grundprinzip, die von Hunger bedrohten oder betroffenen Gruppen ins Zentrum zu stellen und direkt zu unterstützen, auf den Kopf gestellt.


Freiwilliger Verhaltenskodex für philanthropische Investoren?

Land Grabbing schafft bzw. verschärft grundlegende strukturelle Probleme. Staatliche Fähigkeiten zur Sicherung der nationalen Ernährung und Durchsetzung des Rechts auf Nahrung werden reduziert und KleinbäuerInnen, Nomaden und indigene Gemeinschaften werden weiter marginalisiert.

Vor diesem Hintergrund muss der Versuch von Weltbank und Co., Land Grabbing durch freiwillige Prinzipien für verantwortungsvolle Agrarinvestitionen von einer Bedrohung zur Chance zu Verwandeln, einzig als Legitimisierungsversuch für diese Investitionen gesehen werden. Die Zivilgesellschaft hat daher auf dem Weltsozialforum in Dakar im Februar das Komitee für Welternährungsfragen (CFS) aufgefordert, diese Prinzipien abzulehnen.


Der Autor ist Agrarreferent der Menschenrechtsorganisation FIAN Deutschland

Die Erklärung von Dakar gegen Land Grabbing ist zu finden unter: www.fian.de


Anmerkungen:

(1) Verglichen mit weniger als 4 Million Hektar in den Jahren vor 2008 (World Bank (2010) Rising Global Interest in Farmland).

(2) Beispielsweise FIAN (2010) Land Grabbing in Kenya and Mozambique.

(3) Etwa 30 Pronent der Landnahmen gehen auf die
Agrartreibstoffproduktion zurück.

(4) FAO (2010) Crop Prospects and Food Security; Nr. 3

(5) Abgesehen vom südlichen Afrika stellte Landlosigkeit kein größeres Problem da. In Ghana beispielsweise ist Landlosigkeit wachsendes Problem.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NRO in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V. Diese Publikation wurde vom Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) offiziell gefördert. Der Inhalt gibt nicht unbedingt die Meinung des BMZ wieder.

Der Rundbrief des Forums Umwelt & Entwicklung, erscheint vierteljährlich, zu beziehen gegen eine Spende für das Forum.


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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 1/2011, S. 11
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. Juni 2011