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INTERNATIONAL/153: Wie die entwickelte Welt Ernährungssicherheit behindert (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015

Gute Stadt - Böse Stadt
Landromantik vs. Stadt für alle

Die Herausforderung der WTO-Verhandlungen
Wie die entwickelte Welt Ernährungssicherheit behindert

von Biraj Patnaik


Mehr als ein Drittel der 1,25 Milliarden Menschen in Indien leben in Städten. Während dies einerseits für 400 Millionen Menschen Zugang zu Jobs und Dienstleistungen bietet, bewirkt ein hoher Grad an städtischer Armut auch, dass die Bereitstellung von Nahrungsmitteln schwierig bleibt, besonders da die Preise für Nahrungsmittel zunehmend schwanken. Das Nahrungssicherheitsgesetz (National Food Security Act, NFSA) wurde 2013 vom indischen Parlament verabschiedet, um das Grundrecht auf Nahrung zu gewährleisten. Eines der Kernprogramme des NFSA ist das staatliche Verteilungssystem (Public Distribution System, PDS).

Das PDS räumt 50 % der städtischen und 75 % der ländlichen Bevölkerung Indiens einen Rechtsanspruch auf subventionierte Nahrungsmittel ein. Nahrungsgetreide (Reis, Weizen und Hirse) wird zur Erntezeit im größten staatlichen Anteilseigner-Programm über einen Mindestpreis-Mechanismus von den Bauern und Bäuerinnen angekauft und dann an die Armen verteilt. Das Mindestpreis-Programm garantiert den Bäuerinnen und Bauern einen die Produktionskosten berücksichtigenden Preis, um Panikverkäufe an PrivathändlerInnen zu vermeiden. Dies hilft nicht nur armen VerbraucherInnen in Stadt und Land durch den Zugang zu subventionierten Nahrungsmitteln, sondern stabilisiert auch die Verkaufspreise für die Bäuerinnen und Bauern während der Erntezeit, wenn sehr viel Nahrungsgetreide auf den Markt kommt.


Indiens (institutioneller) Kampf um Nahrungssicherheit

Indiens staatliches Anteilseigner-Programm wurde von den USA, der EU und anderen entwickelten Ländern in Frage gestellt mit der Begründung, es sei wettbewerbsverzerrend und verletze die Agrarvereinbarung, die im Rahmen der Uruguay-Runde von den Mitgliedsstaaten verabschiedet worden ist. Dieser Vorwurf wurde vor der Bali-Ministerrunde erhoben und dadurch gelöst, dass Indien die Unterzeichnung der Handelserleichterungs-Vereinbarung nach Bali wegen des ungenügenden Fortschritts bei der Ernährungssicherheit ablehnte, obwohl eine "Friedens-Klausel" aufgenommen werden sollte, die es Indien gestattet hätte, seine Programme im Rahmen des NFSA fortzusetzen. Im Weiteren sicherte Indien sich eine Zusage der entwickelten Länder, bis zum Dezember 2015 eine endgültige Lösung zu erreichen.


Die entwickelten Länder blockieren die Bemühungen des globalen Südens

Nun, da die Nairobi-Ministerrunde sich ihrem Ende zuneigt, macht die fortgesetzte Unnachgiebigkeit der USA, der EU und anderer entwickelter Staaten jedoch klar, dass sie nicht daran interessiert sind, den Entwicklungsländern eine dauerhafte Lösung anzubieten. Das die entwickelten Ländern die Doha-Runde nicht fortsetzen wollen, ist eindeutig ein Schritt zurück, denn diese war ein Eckstein für die Anliegen der Entwicklungsländer nach der Nairobi-Ministerrunde, in der die Handelsminister aller WTO-Mitgliedsstaaten im Dezember zusammenkommen werden, um über die Entwicklungs-Agenden der WTO zu verhandeln. Die Doha-Runde befasst sich hauptsächlich mit dem Entwicklungsprogramm der WTO-Mitgliedsstaaten, einschließlich einiger für alle Entwicklungsländer wichtiger Punkte, etwa Agrarsubventionen, besonderer Absicherungs-Mechanismen und Ernährungssicherheit.

110 Entwicklungsländer haben ihren Wunsch, die Doha-Runde fortzusetzen bevor sie sich mit neuen Angelegenheiten befassen, bekräftigt. Aber eine Handvoll entwickelter Länder, angeführt von den USA und der EU, blockieren weiterhin jeden bedeutsamen Dialog über die noch anhängigen Punkte der Doha-Runde, besonders diejenigen, die Agrarsubventionen, Ernährungssicherheit und besondere Absicherungs-Mechanismen betreffen.

Die Heuchelei der entwickelten Welt wird, wieder mal, beim Nairobi-Treffen aufgedeckt werden, wo die USA, die EU, Japan, Kanada, Australien und andere entwickelte Staaten zulassen werden, dass die Interessen der Agrarwirtschaft und der multinationalen Konzerne höhergestellt werden, als das Anliegen nach Ernährungssicherheit für einige der ärmsten Länder der Welt.


Der Autor ist Chefberater im Büro der Kommission des Obersten Gerichts für das Recht auf Nahrung. Dieser Artikel spiegelt seine persönliche Meinung wider.

Aus dem Englischen von Raphael Ferres.

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Quelle:
Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 4/2015, Seite 28
Herausgeber: Projektstelle Umwelt & Entwicklung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Februar 2016

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