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INTERNATIONAL/154: China - Zwischen bäuerlich und Fünfjahresplan (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 395 - Januar 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Zwischen bäuerlich und Fünfjahresplan
Von der internationalen und chinesischen Community Supported Agriculture (CSA)-Konferenz in China

Von Veikko Heintz


China steht heute vor der enormen Herausforderung, mit nur zehn Prozent der Weltagrarflächen 20 Prozent der Weltbevölkerung, nämlich 1,3 Mrd. Menschen, zu ernähren. Die Landwirtschaft ist in weiten Teilen des Landes immer noch eine kleinbäuerliche und die Agrarfrage dreht sich immer noch um Armut, ungleiche Lebensverhältnisse und Einkommensunterschiede. Industrialisierung und Kapitalisierung der Landwirtschaft, der Bau industrieller Tierhaltungsanlagen und die Steigerung der Futtermittelimporte haben zu Abwanderung, massiven Umweltproblemen, Belastung von Nahrungsmitteln und einem großen Verlust von Land geführt. Das Verbrauchervertrauen liegt durch zahlreiche Lebensmittelskandale am Boden.

CSA in China

Überraschend und besonders eindrucksvoll war, mit 70 internationalen Vertretern und über 700 Teilnehmern, die Größe und die Konferenzeröffnung der gemeinsamen sechsten internationalen und siebten chinesischen CSA-Konferenz (ICSAC) im November 2015 in Beijing, China. Interessant und bemerkenswert waren aber auch die Offenheit, Basisnähe und Vielfalt der Diskussionen und die Einladung zahlreicher Vertreter zivilgesellschaftlicher Basisbewegungen zu einer Konferenz dieser Größenordnung. Aktuell gibt es etwa 500 CSA-Projekte in China. Während unserer zweitägigen Hof- und Betriebsbesichtigungen konnten wir uns davon einen kleinen Eindruck verschaffen. So besuchten wir u. a. die "Little Donkey Farm", die Kleinparzellen zur Selbstbewirtschaftung bereitstellt, aber auch als Bauernkooperative für die Direktvermarktung produziert, die "Phoenix Hill Commune", einen Demeter-Betrieb, und die "Shared Harvest Farm", einen CSA-Gemüsebaubetrieb. Wir hatten ebenfalls die Möglichkeit, eine Produktionsgenossenschaft für traditionelle Handwerkskunst (Zierkürbisse), eine Bauernkooperative zur Gemüseproduktion und ein Gemüse-Logistikzentrum für unterschiedliche Vertriebswege kennen zu lernen.

Der Begriff CSA wird in China für unterschiedliche Betriebsmodelle verwendet. Ein bedeutender Bezugspunkt ist die Bewegung zur Wiederbelebung des ländlichen Raumes ("Rural Reconstruction"), die auf eine chinesische Bewegung der 1920er und 30er Jahre zurückgeht. Die "New Rural Reconstruction"-Bewegung umfasst einerseits einen theoretischen Ansatz und eine linke Kritik an Chinas Weg in die Modernisierung und den damit verbundenen Ungleichgewichten zwischen Stadt und Land, andererseits aber auch ein Netzwerk von Organisationen und Institutionen. Sie hat in den letzten 25 Jahren breite Unterstützung in Teilen der Partei und der Staatsverwaltung sowie der Wissenschaft gefunden.

Vielfältige Initiativen

Die Vielfalt der CSA-Modelle in China ist erstaunlich. Einige sind von der Verwaltung initiiert, andere von NGOs, durch Bauern oder Verbraucher. Bauern haben CSA-Modelle übernommen, um faire Preise für nachhaltig und traditionell erzeugte Nahrungsmittel zu realisieren, darunter auch "Neu-Bauern", junge Leute, die Beschäftigung und Einkommensmöglichkeiten mit gesellschaftlichem Engagement verbinden. So genannte "Mother groups" an privaten oder internationalen Schulen suchen Bauern, von denen sie mit gesunden und sicheren Nahrungsmitteln versorgt werden. Manche CSAs entstanden administrativ aus der Notwendigkeit heraus, auf lokaler Ebene die Versorgung mit frischen Nahrungsmitteln zu sichern und brach liegendes Land zu nutzen. Restaurants beziehen verbindlich und langfristig sichere Lebensmittel direkt vom Bauern, die dafür einen fairen Preis und ein regelmäßiges Einkommen erhalten. Bauernmärkte in großen Städten geben lokalen Erzeugern immer öfter die Möglichkeit, ihre ökologisch und nachhaltig erzeugten Produkte direkt zu verkaufen. Einige der Erzeuger beziehen sich dabei auf das CSA-Modell und binden Kunden durch Bildungsangebote, Hofbesichtigungen und über soziale Netzwerke.

In den chinesischen Workshops wurden die großen ökologischen Herausforderungen sowie Fragen zur Wiederbelebung des ländlichen Raumes oder zur Zertifizierung diskutiert, während in unseren Workshops Praxiserfahrungen in verschiedenen Kontinenten und Ländern ausgetauscht, Projekte vorgestellt und die Frage der politischen Interessenvertretung diskutiert wurden.

Internationale Gäste

Elizabeth Henderson (USA), neue Präsidentin von URGENCI, stellte die Geschichte von CSA in den USA dar und Qiana Mickie (New York) das gemeinsame Engagement von schwarzen Bürgerrechtsgruppen und Bauern für soziale Gerechtigkeit und gesunde Ernährung in New York. Prof. Wen Tiejun (Renmin University, Beijing) verdeutlichte die drei traditionellen Aspekte der chinesischen Agrarfrage: Bauern, Boden, Kultur. Shinji Hashimoto (Japan) erklärte anhand seiner eigenen Erfahrungen als CSA-Gemüsebauer in einer stark von Naturkatastrophen betroffenen Region die Bedeutung von Solidarität zwischen Stadt und Land, und Judith Hithmann (Frankreich) erklärte und betonte die Notwendigkeit der Interessenvertretung im Rahmen nationaler Gesetzgebungsverfahren und in internationalen Organisationen.

Besonders eindrucksvoll betonte Prof. Ye Jingzhong (Chinesische Landwirtschaftliche Universität) die besondere Bedeutung der traditionellen Bauern und der Landbevölkerung im Rahmen der CSA-Ansätze. Die Entwicklung einer neuen Bäuerlichkeit sollte nicht dazu führen, die Beachtung traditioneller Bauern und die Interessen der ursprünglichen Landbevölkerung hintenanzustellen. Die CSA-Bewegung sollte sich dies bewusst machen und sich auf die konkreten Interessen von Bauern beziehen.

Dieser letzte Gedanke sollte wohl auch ein Impuls für uns sein: Der Erhalt der bäuerlichen Landwirtschaft ist nicht nur eine Frage neuer Konzepte und Betriebsmodelle, sondern hängt nicht zuletzt auch an der Unterstützung unserer bäuerlichen Betriebe in all ihrer Vielfalt.

Veikko Heintz, (Netzwerk Solidarische Landwirtschaft und internationales CSA-Netzwerk URGENCI), Beijing

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 395 - Januar 2016, S. 16
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 16. Februar 2016

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