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LANDWIRTSCHAFT/1672: Keine Pestizide in Biolebensmitteln? (UBS)


unabhängige bauernstimme, Nr. 397 - März 2016
Eine Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Keine Pestizide in Biolebensmitteln?
Auf der Biofach wird auch über Grenzwerte für Spritzmittel in der neuen EU-Ökoverordnung diskutiert

Von Marcus Nürnberger


Die Branche trifft sich, tauscht sich aus und macht Geschäfte. Informiert und diskutiert werden die aktuelle Lage und die Zukunft der Branche bzw. die Richtung, in der es weitergehen soll, auf dem begleitenden Fachkongress. Gleich zu Beginn werden die Marktzahlen des ökologischen Landbaus präsentiert. Der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) stellt diese zusammen. Die diesjährige Überschrift: Bio-Umsatz wächst zweistellig, mehr Bio-Betriebe und -Flächen. Nach Schätzung des BÖLW wuchs die deutsche Öko-Fläche 2015 um rund 30.000 ha auf 1.077.950 ha. Das entspricht einem Plus von 2,9%. Die Zahl der Bio-Betriebe wuchs im selben Zeitraum auf 24.343 Betriebe, was eine Zunahme von 945 Betrieben oder um 4,0% bedeutet. Wie schon im vergangenen Jahr werden in Deutschland mehr Bio-Lebensmittel nachgefragt als produziert. Dass nicht mehr Landwirte auf biologischen Landbau umstellen, hat unterschiedliche Gründe. Einen spricht der Rheinische Landwirtschaftsverband an: Wer nur auf den schnellen Euro schiele, könne Schiffbruch erleiden. Nicht nur die Vermarktung, sondern auch das fachliche Können müsse stimmen - und vor allen Dingen die innere Überzeugung, mit dem Öko-Landbau auf dem für sich und seinen Betrieb richtigen Weg zu sein. Ökonomisch betrachtet kommt der Verband zu einer eindeutigen Aussage: "Allein die Ökobetriebe [haben] im abgelaufenen Wirtschaftsjahr ein zufrieden stellendes Einkommen erwirtschaften können." Der BÖLW-Vorsitzende Felix Prinz zu Löwenstein fordert, auch zur Sicherheit umstellungswilliger Betriebe, stabile, praxistaugliche gesetzliche Rahmenbedingungen. "In Brüssel kommt es jetzt auf EU-Parlament und -Agrarrat an, die derzeit im Trilog mit der EU-Kommission die neue EU-Ökoverordnung aushandeln."


Pestizidgrenzwerte

Seit nicht ganz zwei Jahren diskutieren Biobranche, Verbände und Politiker aus Land, Bund und der EU über den zum 24. März 2014 von der Kommission gemachten Vorschlag für eine neue EU-Ökoverordnung. Seitdem ist viel passiert. Inzwischen hat das EU-Parlament eine eigene Position erarbeitet. Mit über 1.000 Abstimmungen wurden die eingereichten Änderungs- und Kompromissanträge auf Grundlage des Kommissionsvorschlags eingearbeitet. In den folgenden Monaten wird in den bevorstehenden Triloggesprächen zwischen Kommission, Rat und Parlament eine Einigung aus den drei unterschiedlichen Vorschlägen zu erarbeiten sein. Einer der kritischen Punkte ist die insbesondere von den deutschen Bioverbänden abgelehnte Forderung der Kommission, einen Pestizidgrenzwert einzuführen, der über dem der lebensmitteltauglichen Unbedenklichkeit liegt. "Die Reduktion auf Rückstände beschränkt die Tiefe der Kontrollen", fasst es Bioland-Präsident Jan Plagge zusammen. Nur eine Kontrolle des gesamten Produktionsprozesses ermöglicht es, sicherzustellen, dass nach den Vorgaben des ökologischen Landbaus produziert wurde. "Ohne Rückstände bedeutet nicht gleich, dass ökologisch produziert wurde." Dennoch befinden sich die Bio-Verbände in einer Sackgasse. Sie wollen keine gesonderten Grenzwerte für Bio-Produkte, sehen sich aber mit der Verbrauchererwartung nach genau dieser Pestizidfreiheit konfrontiert. Die Ergebnisse aktueller Studien zu Pestizidrückständen in Lebensmitteln zeigen eindeutig, dass Bio-Lebensmittel diesem Anspruch gerecht werden. Die Chemischen und Veterinäruntersuchungsämter Baden-Württembergs fassen dies auf ihrer Homepage so zusammen: "Die Rückstandsgehalte in Lebensmitteln aus ökologischem Landbau unterscheiden sich von konventionell erzeugten Lebensmitteln signifikant. So lag 2007 die mittlere Pestizidbelastung von Öko-Obst und -Gemüse bei 0,002 mg/kg, konventionelles Obst und Gemüse enthielt dagegen im Mittel 0,28 mg Pestizidrückstand pro Kilogramm, also 140-mal mehr." Dass sich die Einschätzung aus dem Jahr 2007 mit der aktuellen Situation deckt, zeigt eine Untersuchung, die der Pestizidexperte Lars Neumeister im Dezember 2015 für die Grüne Bundestagsfraktion erstellte. "Hier zeigt sich, dass überall etwa 95% der Bio-Proben als Babynahrung verkäuflich wären, da sogar der Summengehalt an Pestiziden unter oder bei 0,01 mg/kg lag." Im Schnitt, so die Untersuchung, lagen die Pestizidgehalte bei den untersuchten Bio-Obstarten ca. 350-mal niedriger als bei den gleichen Obstarten aus konventioneller Produktion. Bei Bio-Gemüsearten und -Kartoffeln sind die Pestizidgehalte ca. 30-mal niedriger als in den gleichen Gemüsearten aus konventioneller Produktion. Um einen bewussten Pestizideinsatz von zufälligen Einträgen zu Unterscheiden arbeitet der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) mit sogenannten Orienterungswerten. Als Schwelle orientiert man sich an einer Grenze von 0,01 mg/kg. Wird eine Belastung festgestellt so haben sich die Mitgliedsunternehmen verpflichtet den Eintragsquellen nachzugehen.


Koexistenz sichern

Warum genau die Bioverbände vor diesen Hintergründen so vehement gegen die Einführung von Grenzwerten sind, ist offenbar die Befürchtung, diese könnten die gängige Prozesskontrolle ersetzen. Ein anderer Grund ist, dass die Ausbringung von Pestiziden durch konventionelle Betriebe teilweise zu erheblichen Beeinträchtigungen im Biolandbau führt. Ein extremes Beispiel in diesem Zusammenhang ist sicherlich der Winzerbetrieb an den Steilhängen des Rheins, dessen Weinberg zwischen denen der konventionellen Kollegen liegt. Bei den heute üblichen Spritzungen per Hubschrauber ist eine Abdrift in den kleinparzelligen Weinbergen nicht zu verhindern. Ähnliches gilt für die Apfelproduktion am Bodensee und in Südtirol. Hier, aber auch im Ackerbau, schaffen die Grenzen zu konventionellen Betrieben immer wieder Eintrittsmöglichkeiten für Pestizidverunreinigungen. Grenzwerte, die eine Verunreinigung dokumentieren und eine Schadensschwelle beschreiben, könnten ein Weg sein, diese Beeinträchtigungen sichtbar zu machen und von den politisch Verantwortlichen Lösungen zu fordern. Ein erster Schritt wäre ein Entschädigungsfonds für Betriebe, deren Waren aufgrund hoher Pestizidgehalte im Bio-Markt nicht mehr absetzbar sind. Während in Brandenburg solidarische Demeter-Kollegen zusammenlegten, um den Schaden ihres Nachbarn aufzufangen, wäre es eigentlich an den Anwendern der Pestizide, zumindest für die Beeinträchtigungen ökologisch wirtschaftender Kollegen aufzukommen. Nur wenn ein Verschulden direkt nachzuweisen ist, kann der Nachbar zur Verantwortung gezogen werden. Ist dies nicht der Fall, bleibt der Landwirt auf seinem Schaden sitzen. Ein Entschädigungsfonds, gespeist aus einer prozentualen Pestizidabgabe, könnte hier Abhilfe schaffen.

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Quelle:
unabhängige bauernstimme, Nr. 397 - März 2016, S. 4
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft -
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(verbilligt auf Antrag 28,40 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. April 2016

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