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LANDWIRTSCHAFT/1676: Unerklärliche Ruhe neben erstaunlicher Bewegung (ubs)


Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016
Die Zeitung von Bäuerinnen und Bauern

Unerklärliche Ruhe neben erstaunlicher Bewegung
Verhalten von Bäuerinnen und Bauern in Krisenzeiten umfasst große Bandbreite

Von Christine Weißenberg


Wo wird die aktuell für viele Höfe bedrohliche wirtschaftliche Lage hinführen? Das kann in der Landwirtschaft gerade niemand so recht beantworten. "Das bekannte Koordinatensystem aus politischen Maßnahmen zur Marktordnung fällt zunehmend weg", beschreibt Dr. Andrea Fink-Keßler vom Büro für Agrar- und Regionalentwicklung die aktuelle Situation. Die Politik zieht sich zu Gunsten des "freien Marktes" zurück und überlässt Regelungen weitgehend den Marktakteuren.

Nach Einschätzungen aus Sektoruntersuchungen des Bundeskartellamts aus den letzten Jahren sitzen die Bäuerinnen und Bauern dabei jedoch im Machtgefüge der Wertschöpfungsketten am kürzesten Hebel, was Verhandlungsmöglichkeiten und Preisgestaltung angeht. Wie reagieren die Bäuerinnen und Bauern? Auch das ist nicht einfach zu sagen. Vor allem bei den Milchvieh- und Schweinemastbetrieben ist die Stimmung wegen des extremen Preistiefs schlecht. Die laufenden Kosten sind mit den Produkterlösen nicht zu decken, die Rücklagen schwinden. "Ich hoffe, wir müssen keinen Kredit aufnehmen", so die Milchbäuerin Johanne Erchinger. Neben der Sorge spricht aus ihr vor allem die Wut: "Wir haben in 23 Jahren nur einmal die Quote überliefert, wir wollten nicht immer mehr wachsen. Jetzt machen die Wachstumsbetriebe den Markt für alle kaputt. Die Milch aus den Ställen, die jetzt gebaut wurden und werden, wird doch gar nicht benötigt."

Strukturwandelwettlauf

Die Bandbreite, wie der betriebliche Umgang mit der Marktsituation aussieht, ist groß. Viele haben der gängigen "Wachsen oder Weichen"-Denkweise folgend investiert und auf Betriebswachstum gesetzt, zum Teil in sehr großem Maßstab. Die Mengensteigerung soll durch Skaleneffekte die innerbetriebliche Kosteneffizienz erhöhen. Doch einige Betriebe haben nun größte Schwierigkeiten, die Kredite für ihre Investitionen zu bedienen. Andere waren früher dran, haben vor Quotenende schon mehr gemolken, bessere Milchpreise erlebt und nun einen etwas längeren Atem. Einige wenige fühlen sich als die Gewinner des Strukturwandelwettlaufes, warten auf die "Marktbereinigung" durch Aufgabe anderer Betriebe und setzen darauf, dass neue Absatzmärkte gewonnen werden. "Ich kann nicht ständig schauen, was mein Nachbar macht oder was gar irgendwo anders auf der Welt mit der Milch passiert, ich will mit meinem Betrieb ein Auskommen für meine Familie erwirtschaften", zog Bauernverbandsvertreter Hendrik Lübben bei einer Podiumsdiskussion in Hamburg die Grenzen seiner Verantwortlichkeit eng um den eigenen Betrieb.

Enttäuschte Hoffnungen

"Von ganz vielen hört man überhaupt nichts", ist Ottmar Ilchmann, Milchbauer in Ostfriesland und stellvertretender Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, ebenso besorgt wie verwundert: "Es müsste doch zu merken sein, wenn sich so viele aufregen, wütend sind oder auch traurig oder enttäuscht. Aber öffentlich ist davon kaum etwas zu hören. Dabei ist es wichtig, nicht allein auf dem Hof Trübsal zu blasen." Ob es sich um Schicksalsergebenheit, Sprachlosigkeit oder enttäuschte, auf mitgetragenen Versprechungen beruhende Zukunftsaussichten oder Sonstiges handelt, bleibt verborgen. Manche Bäuerinnen und Bauern, die unter diesen Umständen nicht mehr mithalten können oder wollen, hören auf. Oftmals ist in diesen Fällen kein Nachfolger vorhanden, die Perspektive fehlt, auch wenn der Betrieb wirtschaftlich nicht unbedingt schlechter dasteht als andere. Einige schaffen auch "nur" die Tiere ab, behalten andere Betriebszweige bei, gehen in den Nebenerwerb. Oder einer der Partner sucht sich eine Stelle außerhalb des Betriebes. Der so genannte Strukturwandel, also die Tatsache, dass Betriebe aufhören und andere dafür ihren Betrieb vergrößern, ist fester Bestandteil der Wachstumslogik.

Ein Ausstieg kann für den Einzelnen der richtige Weg sein, auch wenn es ein schwerer Schritt ist. Aber gleichzeitig stellt es einen Verlust dar für alle, die sich für den Erhalt der Höfe durch vielfältige Zukunftsperspektiven und zeitgemäße Hofnachfolgegestaltung einsetzen. Die Entwicklung der Landwirtschaft ist immer eng mit der Entwicklung des ländlichen Raumes verknüpft. Bauernhöfe sind ein großer Teil der wirtschaftlichen Aktivität und Lebendigkeit vor Ort, die wichtig ist, um die Infrastruktur mit Geschäften, öffentlichen Verkehrsmitteln, gesundheitlicher Versorgung u. a. aufrecht zu erhalten.

Alternative Wege

Als Beispiele, Reibungspunkte und vor allem Zeichen dafür, dass es möglich ist, eigenständige andere und neue Wege zum In-Wert-Setzen der Erzeugnisse zu suchen oder zu schaffen, halten immer wieder diejenigen Bäuerinnen und Bauern her, die ihrem eigenen Kopf gefolgt sind und mit viel Einsatz eine Weiterverarbeitung, verschiedenste Formen der Direktvermarktung, kooperative Zusammenschlüsse oder Qualitätsprogramme, darunter die ökologische Wirtschaftsweise, umgesetzt haben. "Zum Teil beschäftigen sich Bäuerinnen und Bauern gerade jetzt wieder stärker selbst mit Marktverhältnissen und Vermarktungsideen", beobachtet Fink-Keßler. In Krisenzeiten ist nur oft der finanzielle Spielraum so gering, dass Veränderungen, die meist zunächst mit einem Mehraufwand und Umstellungen verbunden sind, schwierig zu stemmen sind. Allerdings tauchen auch neue Differenzierungsmöglichkeiten für Betriebe auf, wie im Bereich der Schweinehaltung durch die zunehmende Bedeutung von Tierwohl. Dabei erleben Berater für Stallkonzepte, die mehr arteigenes Verhalten der Tiere ermöglichen, dass sich in dieser Hinsicht vor allem Betriebe bewegen, die immer investiert und erweitert haben, die letzten Wachstumsschritte mitgemacht haben und sich nun weiter an Marktanforderungen ausrichten. Das Bild der Landwirtschaft war immer ein vielfältiges mit unterschiedlichen, sich stets weiter entwickelnden Wirtschaftsstilen. Kein Hof gleicht dem anderen, jeder ist geprägt vom Standort, der Region, den Entwicklungsschritten und von der bewirtschaftenden Bauernfamilie, der Bäuerin oder dem Bauern, der Hofgemeinschaft. Es lohnt sich, nicht nur für die Bäuerinnen und Bauern und ihre Höfe, sondern auch für die Dörfer und nahe stehende Berufszweige, für den Erhalt der Strukturen und deren Zukunftsperspektiven zu kämpfen.

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Quelle:
Unabhängige Bauernstimme, Nr. 399 - Mai 2016, S. 13
Herausgeber: Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft - Bauernblatt e.V.
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(verbilligt auf Antrag 30,00 Euro jährlich)


veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Juni 2016

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